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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 06.12.2006
Aktenzeichen: 1 K 1950/05
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, InsO


Vorschriften:

AO 1977 § 218 Abs. 2
AO 1977 § 226
BGB § 387
BGB § 389
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

1 K 1950/05

Abrechnungsbescheid v. 11.10.2004

In dem Finanzrechtsstreit

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Dezember 2006 durch

die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht ..., den Richter am Finanzgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., den ehrenamtlichen Richter ..., die ehrenamtliche Richterin ...

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Der Abrechnungsbescheid vom 11. Oktober 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 werden aufgehoben.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine im Rahmen eines Abrechnungsbescheids vorgenommene Aufrechnung des Finanzamts nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung -InsO- unzulässig ist.

Der Kläger führte einen Schreinereibetrieb. Im Zeitraum zwischen 13. Oktober 2000 und 12. März 2001 wurden gegenüber dem Kläger Steuerforderungen in Höhe von 4.754,04 EUR (Lohnsteuer für die Monate September bis November 2000, Solidaritätszuschlag, Lohnkirchensteuer) fällig. Durch Beschluss des Amtsgerichts Z wurde über das Vermögen des Klägers am 23. Mai 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Zustimmung des Insolvenzverwalters nahm der Kläger im Oktober 2001 eine neue gewerbliche Tätigkeit auf, aus der sich in der Folgezeit ein Umsatzsteuererstattungsanspruch für den Monat Juni 2004 in Höhe von 4.754,04 EUR, der am 10. August 2004 fällig wurde, ergab. Mit Schreiben vom 20. August 2004 (vgl. Bl. 57 Rb-Akten) erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Beklagten, dass er den neuen Betrieb des Klägers ab Gewerbeanmeldung aus der Insolvenzmasse freigegeben habe.

Unter dem 30. August 2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er seine Steuerforderung gegen die Forderung des Klägers aufrechne. Nachdem die Bevollmächtigten des Klägers im Verwaltungsverfahren hiergegen Bedenken erhoben hatten, erklärte der Beklagte mit Abrechnungsbescheid vom 11. Oktober 2004 gem. § 226 Abgabenordnung -AO- i.V.m. §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- die Aufrechnung und stellte fest, dass durch die Aufrechnung der Erstattungsbetrag des Klägers erloschen sei.

Der Kläger legte hiergegen Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass die Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig sei. Danach sei einem Insolvenzgläubiger die Aufrechnung untersagt, wenn er erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Für die Frage, wann etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei, komme es darauf an, wann der Rechtsgrund für die Entstehung der Gegenforderung gelegt worden sei. Dieser Zeitpunkt liege im Streitfall unstreitig nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Steuererstattungsansprüche gehörten auch zur Insolvenzmasse. Gem. § 35 InsO zähle der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse. Das Aufrechnungsverbot aus § 96 InsO werde auch in der Rdnr. 7 des BMF-Schreiben vom 17. Dezember 1998 (BStBl I 1998, 1500) erläutert. Nach dem dort angeführten Beispiel 2 könne eine vor Verfahrenseröffnung fällige Steuerforderung nicht gegen einen Steuererstattungsanspruch des Schuldners aufgerechnet werden, den dieser auf Grund einer neuen Erwerbstätigkeit erlangt habe. Ein anderes Ergebnis liefe dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, der in § 294 InsO seinen Niederschlag gefunden habe, sowie dem Prinzip der Masseerhaltung zuwider.

Er, der Kläger, sei als Insolvenzschuldner verpflichtet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei könne es sich auch um eine selbständige Tätigkeit handeln. Das Prozedere, dass zunächst der Insolvenzverwalter dinglich am Neuerwerb berechtigt sei und diesen, soweit er unpfändbar sei, an den Schuldner durch Freigabe auskehre, könne abgekürzt werden, indem der Insolvenzverwalter den Neuerwerb aus der Insolvenzmasse freigebe und im Sinne des § 287 Abs. 2 InsO gleichzeitig mit dem Schuldner vereinbare, dass der pfändbare Teil des Neuerwerbs an die Insolvenzmasse entrichtet werde. Dies bedeute im Ergebnis, dass einem selbständig tätigen Insolvenzschuldner grundsätzlich der pfändungsfreie Teil seines Einkommens verbleibe und der Überschuss als Neuerwerb in die Masse falle.

Auf Nachfrage des Beklagten teilten die Bevollmächtigten des Klägers mit, dass das geltend gemachte Umsatzsteuerguthaben auf das Konto des Klägers ausgezahlt werden solle.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass nach § 80 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergehe. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betreffe aber nicht das insolvenzfreie Vermögen. Für dieses Vermögen gälten nicht die Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere nicht die Bestimmung über die Beschränkung der Aufrechnung nach § 96 InsO. Es könne daher z.B. mit einem auf Grund der Abmeldung eines freigegebenen Fahrzeugs entstehenden Erstattungsanspruch mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden. Gleiches gelte für ein betriebliches Steuerguthaben aus einer freigegebenen selbständigen Tätigkeit.

Das Beispiel in Rdnr. 7 des BMF-Erlasses vom 17. Dezember 1998 stehe der Aufrechnung des Umsatzsteuerguthabens nicht entgegen. Dort gehe es um eine vor Verfahrenseröffnung fällige Umsatzsteuerforderung, die als Insolvenzforderung nicht gegen einen Lohnsteuererstattungsanspruch des Schuldners aufgerechnet werden könne, den dieser auf Grund seiner neuen Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer erlangt habe. Dabei sei das Arbeitsverhältnis nicht aus der Insolvenzmasse freigegeben worden. Vorliegend sei aber die gesamte neue gewerbliche Tätigkeit des Klägers als selbständiger Unternehmer aus der Insolvenzmasse freigegeben worden. Der Insolvenzschuldner besitze insoweit das alleinige Verwaltungs- und Verfügungsrecht. Dies werde auch von den Bevollmächtigten des Klägers anerkannt. Diese hätten die Auszahlung des aufgerechneten Betrags auf das Konto des Klägers, also in dessen insolvenzfreies Vermögen, begehrt. Würde aber - wie geltend gemacht - der Erstattungsbetrag zur Insolvenzmasse gehören, dann wäre nach § 28 Abs. 3 InsO eine Auszahlung ausschließlich an den Insolvenzverwalter zur Masse zu leisten. Auch die Erträge aus der freigegebenen Tätigkeit gehörten nicht zu der Insolvenzmasse. Sie verblieben vielmehr beim Schuldner. Sie stellten auch keinen Neuerwerb im Sinne des § 35 InsO dar. Die Freigabe hebe die Massebefangenheit für die Zukunft auf.

Mit der hiergegen gerichteten Klage trägt der Kläger vor, dass die Aufrechnung gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoße. Der Steuererstattungsanspruch sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und der Masse zugehörig. Daran ändere nichts, dass der Insolvenzverwalter das neue Gewerbe des Klägers freigegeben habe. Der Beklagte gehe davon aus, dass die Freigabe der selbständigen Tätigkeit das vollständige Herauslösen der damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten aus der Insolvenzmasse zur Folge habe. Die Freigabe beziehe sich jedoch nur auf den Neuerwerb mit der Auflage, den pfändbaren Teil des Einkommens an die Masse abzuführen. Die selbständige Tätigkeit eines Insolvenzschuldners sei in der Insolvenzordnung nur unzureichend geregelt. In der Praxis hätten sich zwei Lösungswege herauskristallisiert, wenn der Schuldner einer selbständigen Tätigkeit nachgehen wolle. Zum einen könnten Schuldner und Insolvenzverwalter kooperieren, so dass nach außen der Insolvenzverwalter auftrete, während der Schuldner intern die Federführung habe. Die zweite Möglichkeit sei die Freigabe der Tätigkeit des Schuldners gegen die Verpflichtung, den Überschuss aus der Tätigkeit an die Masse abzuführen bzw. nur den erzielten Überschuss als Neuerwerb anzusehen. Werde der erste Weg beschritten, sei es unstreitig, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO einer Aufrechnung entgegenstehe. Für den zu entscheidenden Fall könne nichts anderes gelten. Für ihn, den Kläger, stelle sich die wirtschaftliche Situation in beiden Fällen identisch dar. Aus der Verkennung des Begriffs der Freigabe folge auch die vom Beklagten angeführte sog. "Kontradiktion", an wen die Umsatzsteuer auszuzahlen sei. Vorliegend sei der Betrag an ihn auszuzahlen, um den Überschuss aus der Tätigkeit einschließlich der Umsatzsteuererstattung an die Masse abzuführen. Im Insolvenzverfahren, in dem er sich befinde, sei das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners einschließlich des Neuerwerbs zu Gunsten der Gläubiger zu verwenden, während im Restschuldbefreiungsverfahren lediglich die pfändbaren Anteile des Einkommens und des Vermögens gem. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO an die Gläubiger abzuführen seien.

Das Beispiel 2 in Rdnr. 7 des BMF-Schreibens vom 17. Dezember 1998 treffe den vorliegenden Fall. Der Beklagte erkenne an, dass dann, wenn der Insolvenzschuldner eine Tätigkeit als Arbeitnehmer aufnehme, eine Aufrechnung mit überzahlter Lohnsteuer wegen des Aufrechnungsverbots in § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht in Betracht komme. Den Grund sehe der Beklagte darin, dass das Arbeitsverhältnis in diesem Fall nicht aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei. Auch im vorliegenden Fall sei keine Freigabe im eigentlichen Sinn erfolgt. Dem entspreche, dass sowohl im Beispiels- als auch im Streitfall der pfändbare Teil des Einkommens abzuführen sei. Würde die Aufrechnung zugelassen, läge im Übrigen ein Verstoß gegen das Gebot der Gläubigergleichbehandlung vor. Zudem wäre eine selbständige Tätigkeit eines Insolvenzschuldners nahezu ausgeschlossen, sollte das Finanzamt seine Forderungen gegen den Insolvenzschuldner durch Aufrechnung mit einer Forderung des Insolvenzschuldners befriedigen können.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 11. Oktober 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er trägt vor, das Beispiel 2 in Rdnr. 7 des BMF-Erlasses vom 17. Dezember 1998 betreffe den Fall, dass das Insolvenzverfahren noch nicht beendet sei und der Lohnsteuererstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehöre. Sobald aber das Insolvenzverfahren abgeschlossen sei, erlange in dem sich anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren der Schuldner wieder seine volle Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen. Daher könne auch mit möglichen Erstattungsansprüchen aufgerechnet werden. Die Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere die §§ 94 ff. InsO fänden keine Anwendung, da im Restschuldbefreiungsverfahren kein Insolvenzverfahren mehr bestehe. Im Streitfall liege eine ähnliche Situation vor. Dabei sei entgegen der Auffassung des Klägers das neue Gewerbe vollständig aus der Insolvenzmasse freigegeben worden. Würde das neue Gewerbe zur Masse gehören, könnte der Kläger nicht die Auszahlung an sich selbst, sondern nur der Insolvenzverwalter zur Masse fordern. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters betreffe nicht das neue Gewerbe des Klägers als insolvenzfreies Vermögen. Auch die Erträge gehörten nicht zur Insolvenzmasse. Werde ein Gegenstand oder ein neues Gewerbe vollständig aus der Insolvenzmasse freigegeben, führe diese Freigabe tatsächlich nicht zu einem Neuerwerb im Sinne des § 35 InsO, sondern die Freigabe hebe die Massebefangenheit für die Zukunft auf. Die Freigabe des neuen Gewerbes des Klägers sei mit dem Restschuldbefreiungsverfahren vergleichbar. In beiden Fällen gehe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unter und die des Schuldners lebe wieder auf. Weder der Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren noch der Insolvenzverwalter seien gesetzliche Vertreter des Schuldners.

Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit löse zunächst die Gegenstände, soweit sie nicht schon von vornherein nach § 36 Abs. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse gehörten, aus der Insolvenzmasse. Es handele sich um eine "echte" Freigabe von Sachen, die nicht unter die unpfändbaren Gegenstände des § 36 Abs. 1 InsO fielen. Sie stelle eine Entlassung dieser Gegenstände aus der Insolvenzmasse dar und habe grundlegende Bedeutung. Mit der Aufhebung des Insolvenzbeschlags erhalte der Schuldner die freie Verfügungsbefugnis über sie zurück. Nehme der Schuldner - wie vorliegend - während des Insolvenzverfahrens eine neue Erwerbstätigkeit auf, indem er durch seine Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 Zivilprozessordnung -ZPO- unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringe, zähle die hierfür geschuldete Umsatzsteuer nicht zu den Massekosten. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund der neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuer stelle damit keine Masseverbindlichkeit dar. Daraus ergebe sich, dass ein Steuerguthaben dann auch keine Masseforderung sein könne.

Es liege auch kein Verstoß gegen § 294 InsO vor. Es bestehe kein allgemeines Aufrechnungsverbot in der Insolvenzordnung, weil diese die Aufrechnungsverbote enumerativ beinhalte und § 294 Abs. 3 InsO auch für den hier zu entscheidenden Sachverhalt kein Aufrechnungsverbot vorsehe. Die Insolvenzordnung hindere nicht die einzelnen Insolvenzgläubiger, von ihrem Aufrechnungsrecht Gebrauch zu machen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

1. Der Abrechnungsbescheid vom 11. Oktober 2004 ist bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig und verletzt den Kläger hierdurch in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Der Beklagte war für den Erlass des angefochtenen Abrechnungsbescheids sachlich unzuständig.

Die sachliche Zuständigkeit der Finanzbehörden richtet sich gem. § 16 AO nach den Vorschriften des Finanzverwaltungsgesetzes -FVG-. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 FVG sind die Finanzämter als örtliche Landesbehörden für die Verwaltung der Steuern zuständig. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es allerdings möglich, die Zuständigkeit eines Finanzamts auf einzelne Aufgaben zu beschränken und einem Finanzamt Zuständigkeiten für die Bezirke mehrerer Finanzämter zu übertragen (§ 17 Abs. 2 Satz 3 FVG). In den auf § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG beruhenden Verordnungen werden allgemein Regelungen der sachlichen Zuständigkeit gesehen (vgl. BFH, Urteil vom 26. März 1991, IX R 39/88, BStBl II 1991, 439; FG Berlin, Urteil vom 20. Dezember 1995, VIII R 261/95, EFG 1996, 606).

Nach § 2 der Landesverordnung über Zuständigkeiten der Finanzämter -FAZVO- sind entsprechend der Vorschrift des § 17 Abs. 2 FVG für die Erledigung der den Finanzämtern zugewiesenen Aufgaben die in § 3 FAZVO bezeichneten Finanzämter zuständig, soweit die §§ 4 bis 16 FAZVO keine besonderen Zuständigkeitsregelungen enthalten. Für die Führung der Kassengeschäfte - mit Ausnahme der Anrechnung von Steuerbeträgen gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Einkommensteuergesetz - sowie für die - auch den Streitfall betreffende - Erteilung von Abrechnungsbescheiden nach § 218 Abs. 2 AO bestimmt § 16 FAZVO eine derartige besondere Zuständigkeit der Finanzämter Daun, Idar-Oberstein, Montabaur-Diez sowie Pirmasens-Zweibrücken. Bei der Vorschrift des § 16 FAZVO handelt es sich insoweit um eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit, da die Verteilung der den Finanzbehörden zugewiesen Aufgaben an sachliche Gesichtspunkte, d.h. an bestimmte objektiv umschriebene Tätigkeiten, anknüpft. Demgegenüber legen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (vgl. § 17 AO) lediglich die Aufgabenverteilung unter mehreren sachlich zuständigen Behörden nach örtlichen bzw. regionalen Merkmalen (z.B. Wohnsitz, Belegenheit, Ort der Geschäftsleitung) fest (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Mai 1991, 5 K 28/91, EFG 1991, 638; Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl., 2006, § 16 f. Rdnr 1).

Hiervon ausgehend steht im Streitfall der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten die Bestimmung des § 16 Nr. 2 FAZVO entgegen. Danach war für die Erteilung des angefochtenen Abrechnungsbescheids ausschließlich das (Kassen-) Finanzamt Idar-Oberstein sachlich zuständig.

2. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht halten der Abrechnungsbescheid vom 11. Oktober 2004 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2005 einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Die vom Beklagten im Rahmen des Abrechnungsbescheids gem. § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB erklärte Aufrechnung steht mit dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht in Einklang.

a) Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Dies ist dann der Fall, wenn eine gegenüber dem Insolvenzgläubiger bestehende Forderung des Insolvenzschuldners, gegen die aufgerechnet werden soll, in die Insolvenzmasse fällt. Die Insolvenzmasse umfasst nach § 35 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Zur Insolvenzmasse zählt demnach auch der sog. Neuerwerb, d.h. die Vermögenswerte, welche nach der Eröffnung durch den Schuldner erworben werden (vgl. Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, 1. Aufl., 2006, § 35 Rdnr. 11). Der Insolvenzverwalter ist allerdings berechtigt und unter gewissen Umständen sogar verpflichtet, bestimmte Massegegenstände freizugeben. Diese Befugnis mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück erhält, ist in der Insolvenzordnung nicht näher geregelt. Wie die Vorschrift des § 32 Abs. 3 InsO zeigt, geht die Insolvenzordnung allerdings ohne weiteres davon aus, dass dem Insolvenzverwalter ein solches Recht zusteht. Im Grundsatz wird das Freigaberecht demzufolge in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. April 2005, IX ZR 281/03, NJW 2005, 2015 m.w.N.).

Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen der "echten" und der sog. "modifizierten" Freigabe, die sich begriffsnotwendig nur auf Vermögensgegenstände erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1981, V ZR 144/80, WM 1982, 188). Die "echte" Freigabe einer Sache durch den Insolvenzverwalter bedeutet die Aufgabe der Massezugehörigkeit auf Dauer und Rücküberlassung der Sache an den Insolvenzschuldner zur freien Verfügung, so dass die Sache insolvenzfrei wird (vgl. zur Rechtslage unter der Geltung der Konkursordnung BGH, Urteil vom 29. Mai 1961, VII ZR 46/60, JZ 1963, 222; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1984, 4 C 37/80, NJW 1984, 2427). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Gegenstände zur Masse gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu erwartenden Veräußerungserlös möglicherweise übersteigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005; Leithaus, a.a.O., § 35 Rdnr. 8). Eine "echte" Freigabe muss den endgültigen Verzicht des Insolvenzverwalters auf den betreffenden Gegenstand zum Inhalt haben; das ist der Fall, wenn der Insolvenzverwalter auch den wirtschaftlichen Wert des Gegenstands aus den Händen gibt (vgl. BFH, Urteile vom 24. September 1987, V R 196/83, BStBl II 1987, 873). Eine Freigabe an den Insolvenzschuldner zu dessen freier Verfügung liegt danach nicht vor, wenn der Insolvenzmasse der wirtschaftliche Wert des Gegenstandes erhalten bleibt (vgl. hierzu auch Braun, InsO, 2. Aufl., 2004, § 35 Rdnr. 81). Hiervon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Verwertungserlös der Insolvenzmasse zu Gute kommen soll. Die "modifizierte" Freigabe führt dazu, dass der Gegenstand in der Insolvenzmasse verbleibt (vgl. zum Ganzen BFH, Urteile vom 24. September 1987, a.a.O.; vom 12. Mai 1993, XI R 49/90, BFH/NV 1994, 274, jew. m.w.N.). Die "echte" Freigabe muss demgegenüber einen endgültigen Verzicht des Insolvenzverwalters auf den betreffenden Gegenstand zum Inhalt haben und unmissverständlich ausdrücken (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 1961, a.a.O.; OLG Nürnberg, Urteil vom 25. Mai 2000, 13 U 3867/99, NZI 2001, 91)

b) Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Steuererstattungsanspruch, der dem Kläger gegenüber dem Beklagten zusteht, nicht zur Insolvenzmasse gehört und damit eine Aufrechnungsmöglichkeit besteht. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters, die dieser unter dem 20. August 2004 (vgl. Bl. 57 Rb-Akte) bestätigt hat, nicht so auszulegen, dass das vom Kläger durch die Führung seines neuen Gewerbebetriebs neu erworbene Vermögen dauerhaft aus der Insolvenzmasse gelöst ist und eine "echte" Freigabe vorliegt. Hierfür spricht zunächst, dass sich bereits aus dem Wortlaut der Freigabeerklärung vom 20. August 2004 ein derartiges Verständnis nicht ergibt. Vielmehr hat der Insolvenzverwalter lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er den neuen Betrieb des Klägers aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Dass demgegenüber alle Vermögensgegenstände einschließlich künftiger Forderungen, die der Kläger im Zuge der Ausübung des neuen Gewerbebetriebes erlangt, abweichend von der Grundregel des § 35 InsO nicht mehr vom Insolvenzbeschlag erfasst sein sollen, geht demgegenüber aus der Freigabeerklärung nicht hervor. Ebenso wenig ist der Erklärung des Insolvenzverwalters zu entnehmen, dass der wirtschaftliche Wert der vom Kläger in Zukunft erworbenen Vermögensgegenstände der Insolvenzmasse nicht mehr zu Gute kommen soll. Auch aus dem erst in der gerichtlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben des Insolvenzverwalters vom 14. Juni 2004 folgt keine vollständige Freigabe des Neuerwerbs. Ungeachtet dessen ist eine "echte" Freigabe auch deshalb zu verneinen, weil die - vom Beklagten nicht bestrittene - vereinbarte und auch vollzogene Abführung von Teilen der Einkünfte des Klägers überflüssig und sinnlos wäre, wenn der Insolvenzverwalter eine vollständige Freigabe des Neuerwerbs erklärt hätte. Denn in diesem Fall wäre der Neuerwerb dauerhaft aus der Insolvenzmasse gelöst, so dass es einer Vereinbarung über die Abführung zumindest eines Teils des Neuerwerbs nicht bedurft hätte. Abgesehen hiervon ist auch kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Insolvenzverwalter eine "echte" Freigabe hätte erklären sollen, da der Neuerwerb auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse der Befriedigung der Insolvenzgläubiger hätte dienen können. Dass durch das Ausscheiden des Neuerwerbs aus dem Insolvenzbeschlag die Masse geschont wird oder der Insolvenzverwalter davon ausgegangen ist, ein nennenswerter Neuerwerb werde sich in Folge der gewerblichen Tätigkeit des Klägers nicht ergeben, ist nicht ersichtlich. Schließlich folgt die fehlende "echte" Freigabe des Neuerwerbs auch aus dem Umstand, dass - worauf der Kläger zutreffend hinweist - eine gewerbliche oder selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners nahezu ausgeschlossen wäre, wenn nicht - wie im vorliegenden Fall - eine eingeschränkte Freigabe erfolgen könnte. Wäre eine derartige modifizierte Freigabe nicht möglich, wäre der Insolvenzverwalter auf Grund seiner Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners stets am Neuerwerb dinglich berechtigt, so dass es für einen Gewerbetreibenden nicht nur unpraktikabel, sondern auch faktisch mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre, jeweils vor einer Verfügung über einen - zunächst zur Insolvenzmasse gehörenden - Vermögensgegenstand die ("echte") Freigabe des Insolvenzverwalters einzuholen (vgl. auch Braun, a.a.O., § 35 Rdnr. 84). Schließlich wird durch die Annahme einer "modifizierten" Freigabe auch eine gleichartige Behandlung des Neuerwerbs eines gewerblich bzw. selbständig tätigen Insolvenzschuldners einerseits und eines nichtselbständig beschäftigten Insolvenzschuldners andererseits (vgl. hierzu Rdnr. 7 des BMF-Schreibens vom 17. Dezember 1998, BStBl I 1998, 1500) erreicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1, 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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