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Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: 2 K 2211/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 164 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

2 K 2211/06

Einkommensteuer 2003

In dem Finanzrechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 2. Senat -

ohne mündliche Verhandlung

am 18. Dezember 2007

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht

den Richter am Finanzgericht

den Richter am Finanzgericht

den ehrenamtlichen Richter

den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Aufnahme eines Vorbehaltes der Nachprüfung in ihren Einkommensteuerbescheid 2003 hat.

Die Klägerin ging im Streitjahr einer nichtselbständigen Arbeit nach und bezog außerdem Einkünfte aus gewerblicher Beteiligung und anteilige Vermietungseinkünfte aus einer Grundstücksgemeinschaft. Mit Einkommensteuerbescheid vom 30.08.2005 für den streitigen Veranlagungszeitraum setzte der Beklagte die Einkommensteuer mit Ausnahme der anteiligen Vermietungseinkünfte entsprechend der Einkommensteuererklärung fest. Die anteiligen Vermietungseinkünfte wurde nicht wie beantragt mit einem Verlust von 1.104,-- EUR, sondern mit einem Gewinn in dieser Höhe berücksichtigt.

Gegen diesen Einkommensteuerbescheid legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein und beantragte die Abänderung der anteiligen Vermietungseinkünfte in einen Verlust von 1.104,-- EUR sowie die Aufnahme eines Vorbehaltes der Nachprüfung in ihren Einkommensteuerbescheid. Sie begründete letzteres Begehren im Wesentlichen damit, dass das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gemäß § 85 Abgabenordnung (AO), welcher Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Grundgesetz (GG) sei, verletzt sei. Die ständig komplizierter, länger und immer unsystematischer werdenden Steuergesetze würden permanent geändert, so dass oft nur mühsam herauszufinden sei, welche Gesetzesfassung für welches Jahr gelte. Neben dieser immer stärker werdenden Gesetzgebungsflut wirke nun auch die höchstrichterliche Rechtsprechung einer gleichmäßigen Besteuerung entgegen.

Diesbezüglich berief sie sich auf folgende Beispiele:

Entscheidung des EuGH vom 08.05.2003 hinsichtlich des Vorsteuerabzuges für die private Wohnung im Unternehmensgebäude (sog. Seeling-Urteil)

Entscheidung des EuGH vom 17.02.2005 hinsichtlich der Umsatzsteuerfreiheit von Glücksspielen

Entscheidung des BVerfG vom 11.01.2005 hinsichtlich der Berechnung der eigenen Einkünfte eines Kindes für das Kindergeld

Entscheidung des BFH vom 16.10.2002 hinsichtlich der Kürzung des Vorwegabzuges bei Alleingesellschaftern einer GmbH

Entscheidung des BFH vom 10.02.2005 hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern bei Bewirtungen aus betrieblichem Anlass

Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen vom 23.05.2005 hinsichtlich der Möglichkeit des Abzugs von Rentenversicherungsbeiträgen als vorab veranlasste Werbungskosten.

In all diesen Fällen seien Steuerbürger, die aufgrund der geltenden Gesetzeslage fristgerecht ihre Steuererklärung dem Finanzamt zur Bearbeitung vorlegten und endgültig veranlagt wurden gegenüber Steuerbürgern, die dieser Verpflichtung verspätet nachkamen, bzw. deren Veranlagung vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt wurden, schlechter gestellt. Aufgrund der Häufigkeit höchstrichterlicher Entscheidungen, die teilweise über Generationen gewachsene Grundsätze nationaler Gesetzesauslegung radikal veränderten, könne von einer gleichmäßigen Besteuerung und einer Rechtsicherheit nicht die Rede sein. Um sich einem Gleichgewicht zwischen verfassungsrechtlichem Anspruch und Realität wieder anzunähern, sei eine grundsätzliche Bescheiderteilung, welche die materielle Bestandskraft verhindere, geboten.

Am 25.11.2005 erließ der Beklagte nach geänderter Mitteilung durch das Wohnsitz-Finanzamt einen nach § 175 Abs.1 Nr.1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2003, in dem es die anteiligen Vermietungseinkünfte mit einem Verlust von 1.104,-- EUR ansetzte. Dieser geänderte Einkommensteuerbescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

Mit Einspruchsentscheidung vom 20.07.2006 wies der Beklagte den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass gem. § 164 Abs.1 Satz 1 AO Steuern, solange der Fall nicht abschließend bearbeitet sei, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt würden, ohne dass dies einer Begründung bedürfe. Solange der Vorbehalt wirksam sei, könne die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden und der Steuerpflichtige könne die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen, die Entscheidung darüber könne jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalles, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen sei, hinausgeschoben werden ( § 164 Abs.2 AO).

Entscheidendes Merkmal der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung sei, dass einerseits im Interesse des Fiskus eine rasche Steuererhebung möglich sei, andererseits der Steuerfall, sowohl zugunsten des Fiskus als auch des Steuerpflichtigen, offen gehalten wird. Die Änderung der Vorbehaltsfestsetzung sei jederzeit, zu Gunsten und zu Lasten des Steuerpflichtigen, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht möglich (Klein, Kommentar zu AO, Tz.2 zu § 164). Einzige Voraussetzung, die § 164 Abs.1 Satz 1 AO aufstelle, sei die, dass der Steuerfall noch nicht abschließend geprüft sei, weder an Amtsstelle noch im Wege einer Außenprüfung, wobei unter Prüfung jegliche Art zulässiger Prüfung im Sinne von Ermittlungen des Sachverhaltes und rechtlicher Würdigung zu verstehen sei. Der Vorbehalt der Nachprüfung sei eine nach § 164 Abs.1 AO zulässige unselbständige Nebenbestimmung im Sinne von § 120 AO, die auf einer Ermessensentscheidung der Finanzbehörde beruhe, soweit der Vorbehalt nicht bereits kraft Gesetzes wirke. Das Gesetz überlasse es in diesem Rahmen der Finanzbehörde, ob sie einen Bescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen will. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme des Vorbehaltes besteht nicht.

In der Regierungsbegründung (BT-Drucksache VI/1982) zum § 164 AO heiße es:

" Diese Vorschrift ist eine der zentralen Vorschriften der neuen AO. Sie dient der Beschleunigung der ersten Steuerfestsetzung. Sie soll eine rasche erste Steuerfestsetzung dadurch ermöglichen, dass die Steuer ohne besondere Prüfung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen festgesetzt wird, wobei die spätere Überprüfung vorbehalten bleibt... Der Vorbehalt der Nachprüfung gibt jederzeit das Recht, die Steuerfestsetzung zu berichtigen. Die Finanzbehörde ist jedoch nicht verpflichtet, alle Steuerfälle zum Zwecke der endgültigen Erledigung nachzuprüfen. Sie erhält die Möglichkeit, die Überprüfung entsprechend der zur Verfügung stehenden Zeit und der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte mit dem Ziel höchstmöglicher Effektivität zu organisieren..."

§ 164 AO wolle folglich der Finanzbehörde die Möglichkeit geben, die Steuern zunächst ohne besondere Prüfung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung oder aufgrund einer kursorischen oder punktuellen Prüfung des Falles festzusetzen und die umfassende Überprüfung bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung nachzuholen (BFH-Urteil vom 04.08.1983, BStBl. II 1984, 6). Das Finanzamt müsse bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Vorbehaltes der Nachprüfung in den Steuerbescheid sein Ermessen am Prüfungsbedürfnis orientieren. Ermessensfehlgebrauch liege jedoch vor, wenn die Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werde, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt feststehe, dass keine abschließende Prüfung mehr stattfinden werde (vgl. Tipke-Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, Tz. 17 zu § 164, BFH-Urteil vom 23.03.1999, BFH/NV 1999,1307). In einem solchen Fall werde durch eine Vorbehaltsfestsetzung die Rechtssicherheit ohne Grund strapaziert, das verletze das Übermaßverbot (§ 5 AO). Das Finanzamt dürfe nicht trotz abschließender Prüfung eine Vorbehaltsfestsetzung vornehmen, nur um den Fall offen zu halten (Klein, Kommentar zur Abgabenordnung, Tz.14 zu § 164).

Ein allgemeiner Anspruch auf ein Offenhalten eines Steuerfalles, um spätere Änderungen zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu ermöglichen, bestehe nicht, denn die Vorbehaltsfestsetzung diene nicht dem Schutz des Steuerpflichtigen (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 15.03.2001, EFG 2001, 798). Die Angaben der Klägerin in der Einkommensteuererklärung 2003 seien bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagung abschließend überprüft worden, es stand fest, dass insoweit keine weitere Prüfung mehr stattfinden würde. Die Ablehnung der Aufnahme des Vorbehaltes der Nachprüfung in den Einkommensteuerbescheid sei somit rechtmäßig. Die Aufnahme dürfe bei Berücksichtigung aller hierfür erheblichen Umstände und deren Abwägung im Streitfalle auch ermessensfehlerfrei abgelehnt werden.

Auch im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und einer fehlenden Rechtssicherheit dürfe keine andere Entscheidung fallen. Gem. § 85 AO hätten die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe des Gesetzes gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Sie müssen die Steuergesetze gleichmäßig anwenden und durchsetzen. Der Beklagte habe bei jeder Veranlagung die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen zu prüfen und unter Anwendung der für diesen Veranlagungszeitraum geltenden Gesetze und der aktuellen Rechtsprechung rechtlich zu würdigen. Dies sei vorliegend erfolgt.

Gegen das aus Art. 3 Abs.1 GG folgende Gebot, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, werde verstoßen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie - bezogen auf die Art des jeweiligen Regelungsgegenstandes - die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BverfG-Beschluss vom 09.11.1988 1 BvR 243/86, BStBl II 1989, 938; BFH-Urteil vom 12.12.1990, BStBl. II 1991,427). Dabei sei es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Elemente der zu vergleichenden Lebensverhältnisse er als maßgeblich für eine Gleichbehandlung ansehe.

Weiterhin seien auch die Voraussetzungen für eine vorläufige Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr.2 und Nr.3 AO nicht erfüllt.

Da der Gesetzgeber über diese Regelungen hinaus keine Möglichkeit geschaffen habe, um eine Steuerfestsetzung offen zu halten, sei davon auszugehen, dass dies auch dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Eine ggf. hierdurch bedingte Ungleichbehandlung von bereits bestandskräftig entschiedenen und noch offenen Steuerfällen sei somit rechtmäßig. Für diese Entscheidung spreche auch die Vorschrift des § 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Nach dieser Vorschrift blieben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt entschieden, dass § 79 Abs.2 BverfGG analog anzuwenden sei, wenn ein Gesetz nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem GG erklärt werde (Entscheidungen des BVerfG vom 21.05.1974 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217, 262, etc.)

Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 11.02.1994, BStBl. II 1994,389) verstoße die Ungleichbehandlung von noch offenen und bereits bestandskräftig entschiedenen Fällen insoweit nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs.1 GG. Zwar befriedige die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen in solchen Fällen nicht das Bedürfnis nach Gerechtigkeit im Einzelfalle, dies aber wiederum stände im Widerstreit zu der rechtsstaatlichen Forderung nach Rechtssicherheit, wozu auch die Rechtsbeständigkeit bestandskräftiger Entscheidungen gehöre. Wenn der Gesetzgeber in diesem Widerstreit in § 79 Abs.2 BVerfGG der Rechtssicherheit den Vorzug gegeben habe, so sei dies nach Auffassung des BFH nicht zu beanstanden (BFH-Urteil vom 11.02.1994, BStBl. II, 1994, 389). Wenn dies für Entscheidungen gelte, die auf einer nichtigen Norm oder einem mit dem GG unvereinbaren Gesetz beruhen, so müsse die erst Recht bei Änderung einer der Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung gelten, auch hier müsse der Rechtsbeständigkeit Vorrang vor einer Gerechtigkeit im Einzelfalle gegeben werden.

Hiergegen hat die Klägerin mit am 23. August 2006 eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage wiederholt sie ihren Vortrag aus dem außergerichtlichen Vorverfahren.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2003 in der Änderungsfassung vom 25.11.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2006 die Einkommensteuerfestsetzung unter den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.1 Abgabenordnung zu stellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt der Klage entgegen und nimmt dabei Bezug auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Vorbehalt der Nachprüfung ist nicht in den Einkommensteuerbescheid aufzunehmen. Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung, auf die er insoweit wegen der Begründung Bezug nimmt (§ 105 Abs. 5 FGO). Er fügt lediglich noch folgendes an:

1. Gemäß § 164 Abs.1 Satz 1 AO können Steuern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, solange der Steuerfall nicht abschießend geprüft ist. Der Vorbehalt der Nachprüfung ist eine Nebenbestimmung im Sinne des § 120 AO, die im Steuerbescheid anzugeben ist. Er wird durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Adressaten des Bescheides angebracht. Unterbleibt diese Erklärung, so ist die Steuer ohne Vorbehalt festgesetzt.

Solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, kann die spätere Überprüfung vorbehalten bleiben und die Steuer aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen oder aufgrund vorläufiger Überprüfung unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden. Der Vorbehalt der Nachprüfung erfasst die Steuerfestsetzung insgesamt. Eine Beschränkung auf Einzelpunkte oder einzelne Besteuerungsgrundlagen ist unzulässig. Solange der Vorbehalt wirksam ist, bleibt der gesamte Steuerfall offen, das heißt es tritt nur formelle, aber nicht materielle Bestandskraft ein. Ob ein Steuerfall abschließend geprüft wurde oder ob noch eine weitere intensivere Prüfung, z.B. in Form einer Außenprüfung erforderlich ist, entscheidet die Finanzbehörde. Insofern obliegt ihr eine Einschätzungsprärogative.

Vorliegend hat der Beklagte die Steuererklärung 2003 der Klägerin abschließend geprüft. Es ist auch nicht ersichtlich, dass insofern eine Außenprüfung vorgesehen war. Da der Einkommensteuerfall 2003 der Klägerin durch den Beklagten - von der Klägerin im Übrigen nicht bestritten - mithin abschließend geprüft worden ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufnahme des Vorbehaltes der Nachprüfung in den Bescheid nicht vor; auf die Ausübung eines (Entschließungs-) Ermessens kommt es damit nicht mehr an.

2. Die Klägerin hat auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 164 Abs. 1 Satz 1 einen Anspruch auf Aufnahme des Vorbehaltes der Nachprüfung in den Einkommensteuerbescheid 2003; das Verfahren ist auch nicht auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte haben die Fachgerichte bereits bei der Auslegung des Gesetzes zu berücksichtigen. Denn eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art.100 Abs.1 GG wäre nur dann zulässig und eine Norm nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (vgl. z.B. Beschlüsse des BVerfG vom 30. März 1993 1 BvR 1045/89, 1381/90, und 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, 166). Eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortlautinterpretation schreibt die Verfassung nicht vor (vgl. BVerfG in BVerfGE 88, 145, 167; zum Ganzen auch BFH-Beschluss vom 12. Mai 1995 VI B 8/95, BFH/NV 1995, 877).

Bedenken verfassungsrechtlicher Art im vorgenannten Sinne bestehen im Streitfall aber nicht. Nach der Intention des Gesetzgebers dient die Möglichkeit der Aufnahme eines Vorbehaltes der Nachprüfung ausschließlich der Beschleunigung der ersten Steuerfestsetzung. Sie soll eine rasche erste Steuerfestsetzung dadurch ermöglichen, dass die Steuer ohne besondere Prüfung, allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen festgesetzt wird, wobei die spätere Überprüfung vorbehalten bleibt. Es handelt sich ganz allein um ein Instrument der Steuerbehörde, um schneller und effektiver arbeiten zu können (vgl. nur BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 51/83, BFH/NV 1986, 715 m.w.N.; von Wedelstädt in Kühn/v.Wedelstädt, AO und FGO, 18.Aufl., § 164 AO Rz. 1). In der Regierungsbegründung zu dieser Vorschrift (Bundestags-Drucksache VI/1982 zu § 145, S 148) heißt es ua:

"Diese Vorschrift ist eine der zentralen Vorschriften der AO. Sie dient der Beschleunigung der ersten Steuerfestsetzung. Sie soll eine rasche erste Steuerfestsetzung dadurch ermöglichen, daß die Steuer ohne besondere Prüfung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen festgesetzt wird, wobei die spätere Überprüfung vorbehalten bleibt ... . Durch die Beschleunigung der ersten Steuerfestsetzung wird erreicht, daß Abschlußzahlungen, die sich aufgrund der Steuererklärungen ergeben, früher fällig werden als bisher ".

Der Anwendungsbereich zur Vorbehaltsfestsetzung nach der Abgabenordnung ist klar und eindeutig geregelt. Lediglich die im Gesetz genannten Einzelfälle, in denen der Vorbehalt der Nachprüfung bereits laut Gesetz aufzunehmen ist (z.B. Umsatzsteuervoranmeldung), sowie die Fälle, in denen der Steuerfall noch nicht abschließend geprüft wurde, fallen in den Anwendungsbereich. Über diese Fälle hinaus hat der Gesetzgeber keine Möglichkeit vorgesehen, den Steuerfall im Ganzen offen zu halten - auch nicht in den Fällen, in denen aus einer ex-post-Betrachtung eine Ungleichbehandlung zwischen noch offenen und bereits bestandskräftigen Steuerfestsetzungen deshalb besteht, weil nur noch die Steuerpflichtigen mit materiell nicht bestandskräftigen Steuerveranlagungen auf eine geänderte Rechtsprechung reagieren können.

Dieser letztgenannte Umstand stellt freilich keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Nach § 85 AO haben die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. In dieser legislativen Grundentscheidung ist der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verankert, der wiederum seinen Ursprung in Art.3 Abs.1 GG hat. Dieser Gleichheitssatz enthält die allgemeine Wertung an Gesetzgeber, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich, Ungleiches aber entsprechend seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Die Exekutive und die Judikative, also die Finanzbehörden und die Steuergerichte, haben die Gesetze gleichmäßig anzuwenden (sog. Rechtsanwendungsgleichheit). Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der Senat folgt, dass die Ungleichbehandlung von noch offenen und bereits bestandskräftig entschiedenen Fällen nicht gegen das Grundgesetz verstößt, insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art.3 Abs.1 GG (BFH-Urteil vom 11. Februar 1994 III R 50/92, BStBl II 1994, 389). Er hat sich zur Begründung auf das Rückabwicklungsverbot des § 79 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) berufen. Die Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG hat folgenden Wortlaut:

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

Danach kann keine Rückabwicklung der auf einem für nichtig (oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz) erklärten Gesetz beruhenden Normvollzugsakte erfolgen. Nach dem allgemeinen Grundsatz a maiore ad minus (vgl. nur BFH, Urteil vom 23. Juni 1994 X R 59/01, BStBl II 2004, 901) gilt dieses Rückabwicklungsverbot erst recht für die hier in Rede stehende Änderung einer der Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des § 79 Abs.2 BVerfGG in einer Reihe von Entscheidungen bestätigt (Entscheidungen des BVerfG vom 12. Dezember 1957 1 BvR 678/57, BVerfGE 7, 194, 195 ff.;vom 7. Juli 1960 2 BvR 435, 440/60, BVerfGE 11, 263, 265;vom 3. November 1965 1 BvR 62/61, BVerfGE 19, 150, 166, undvom 16. Januar 1980 1 BvR 127, 679/78, BVerfGE 53, 115, 130). Zwar befriedigt die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen, auf die die Klägerin nicht ganz zu Unrecht hingewiesen hat, materiell bestandskräftiger und offener Steuerfälle nicht das Bedürfnis nach Gerechtigkeit im Einzelfall. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit im Einzelfall steht aber im Widerstreit zu der rechtsstaatlichen Forderung nach Rechtssicherheit, wozu auch die Rechtsbeständigkeit bestandskräftiger Entscheidungen gehört. Wenn der Gesetzgeber in diesem Widerstreit in § 79 Abs.2 BVerfGG ähnlich wie z.B. bei Verjährungsvorschriften der Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat, so ist dies nicht zu beanstanden.

Das in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG enthaltene Rückabwicklungsverbot ist mithin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenngleich es etwa in den von der Klägerin angesprochenen Beispielsfällen zu einer Besserstellung jener Steuerpflichtigen führt, die rechtzeitig einen Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung eingelegt und damit den Eintritt der materiellen Bestandskraft verhindert haben. Denn der Gesetzgeber hat sich in verfassungskonformer Weise zwischen den im Rechtsstaatsprinzip begründeten Verfassungsgrundsätzen der Bestandskraft von Verwaltungsakten einerseits und der Gerechtigkeit im Einzelfall andererseits zu Gunsten der Rechtssicherheit entschieden (BVerfG, Beschlüsse vom 12.12.1957, 1 BvR 678/57, BVerfGE 7, 194, 195, BStBl I 1958, 52; vom 14.03.1963, 1 BvL 28/62, BVerfGE 15, 313). Das Prinzip der Rechtsicherheit steht der Einzelfallgerechtigkeit gleichrangig gegenüber, so dass der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei war, welchem Grundsatz er den Vorzug geben wollte. Die dabei eintretende Ungleichbehandlung zum Nachteil, möglicherweise aber auch zum Vorteil der Betroffenen, die die betreffenden Steuerbescheide rechtskräftig werden ließen, gegenüber jenen, die mit Rechtsmitteln gegen sie vorgingen, hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (zum Ganzen zuletzt auch FG Hamburg, Urteil vom 18. Januar 2007 5 K 43/05, StE 2007, 340). Der zuletzt genannte Vorteil des Steuerpflichtigen manifestiert sich dann, wenn ein bestandskräftiger Steuerbescheid auch bei einer Änderung der Rechtsprechung zu seinen Ungunsten Bestandskraft behält, also nicht mehr geändert werden kann. Insoweit gleichen sich die Vor- und Nachteile der Wirkung eingetretener Bestandskraft aus.

II. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus §§ 135 Abs.1 Finanzgerichtsordnung abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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