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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Saarland
Gerichtsbescheid verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 1 K 336/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 7 Abs. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Saarland

1 K 336/03

Einkommensteuer 1998

In dem Rechtsstreit ...

hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes in Saarbrücken

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Dr. Schmidt-Liebig als Vorsitzender

und der Richter am Finanzgericht Dr. Bilsdorfer und Berwanger

am 8. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Unter Änderung des Bescheides vom 13. September 2000 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2006 wird dem Beklagten aufgegeben, die Einkommensteuer 1998 unter Berücksichtigung einer AfA für die streitige Halle i.H.v. 4% neu zu berechnen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt. Der als Urteil wirkende Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer einer Werkstatt- und Lagerhalle (Fertigbau-Stahlkonstruktion), die er seit dem 1. März 1998 an die A GmbH vermietet hat. Der Kläger erzielt hieraus - eine Betriebsaufspaltung liegt wegen fehlender personeller Verflechtung nicht vor - Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

In seinen Einkommensteuererklärungen 1998 bis 2002 hat der Kläger die lineare Gebäude-AfA mit 4% der Anschaffungs- und Herstellungskosten angesetzt. Bei der Durchführung der Veranlagung gewährte der Beklagte lediglich eine AfA i.H.v. 2% und erließ dementsprechende Einkommensteuerbescheide. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein.

Nachdem der Beklagte den Einspruch zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger am 20. Oktober 2003 Klage und beantragte sinngemäß (Bl. 24),

unter Änderung des Bescheides vom 13. September 2000 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2006 die Einkommensteuer 1998 unter Berücksichtigung einer AfA für die streitige Halle i.H.v. 4% (statt 2%) festzusetzen.

Nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG sei die tatsächliche Nutzungsdauer zugrunde zu legen. Die AfA-Tabelle sei anwendbar, denn aufgrund der gleichen Nutzung und der daraus folgenden gleichen Abnutzung mache es keinen Unterschied, ob das Gebäude im Privat- oder im Betriebsvermögen gehalten werde (Bl. 26). Nach der amtlichen AfA-Tabelle des BMF vom 18. April 1997 (Bl. 34 ff. Rbh) liege der AfA-Satz für derartige Massivbauhallen bei 4% (Nutzungsdauer: 25 Jahre). Dieser Satz stehe dem Steuerpflichtigen mindestens zu. Entsprechende Belege oder Grundlagen einer auf den Einzelfall bezogenen Schätzung der Nutzung bedürfe es insoweit nicht (Bl. 38 Rbh).

Der Beklagte beantragt (Bl. 38),

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die AfA-Tabelle finde nur für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, nicht aber im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG Anwendung. Sie beinhalte eine Privilegierung, damit die Bautätigkeit im Betriebsbereich gefördert werde. Dies sei dort unbedenklich, weil im Betriebsvermögen spätestens bei der Veräußerung der Halle die stillen Reserven in Form des tatsächlichen Mehrwertes aufgedeckt und versteuert würden (Bl. 37 f.). Eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 S. 2 sei zwar grundsätzlich denkbar; dazu genüge aber der bloße Hinweis auf die AfA-Tabelle nicht. Die Nutzungsdauer sei vielmehr im Einzelfall nachzuweisen (Bl. 38).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die AfA-Tabellen für betrieblich genutzte Wirtschaftsgüter finden auch im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG Anwendung.

1. Bei Gebäuden sind als Absetzung für Abnutzung die folgenden Beträge bis zur vollen Absetzung abzuziehen:

1. bei Gebäuden, soweit sie zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht Wohnzwecken dienen und für die der Bauantrag nach dem 31. März 1985 gestellt worden ist, jährlich 4 vom Hundert,

2. bei Gebäuden, soweit sie die Voraussetzungen der Nummer 1 nicht erfüllen und die

a. nach dem 31. Dezember 1924 fertiggestellt worden sind, jährlich 2%,

b. vor dem 1. Januar 1925 fertiggestellt worden sind, jährlich 2,5%

der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes in den Fällen der Nummer 2 Buchstabe a weniger als 50 Jahre, so können an Stelle der Absetzungen nach Satz 1 die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen für Abnutzung vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 1, 2 EStG).

2. Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass es sich bei der streitigen Halle um eine solche in Massivbauweise handelt, wie sie ihrer Art nach in der AfA-Tabelle für allgemein verwendbare Anlagegüter unter der laufenden Nummer 1.1.1.1 mit einer Nutzungsdauer von 25 Jahren und einem linearen AfA-Satz von 4% enthalten ist (BMF vom 18. April 1997 IV A 8 - S 1551 - 37/97, BStBl. I 1997, 376, 377). Unstreitig ist auch, dass die Halle - obwohl im Privatvermögen befindlich - im Rahmen eines Betriebes genutzt wird. Streitig ist lediglich, ob sich der Kläger auf diese Tabelle bei der Anwendung des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG berufen kann.

3. Eine kürzere Nutzungsdauer als die Regelnutzungsdauer von 50 Jahren des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG ist nach Satz 2 der Vorschrift zugrunde zu legen, wenn die "tatsächliche Nutzungsdauer" weniger als 50 Jahre beträgt. "Tatsächliche Nutzungsdauer" in diesem Sinne bedeutet nicht, dass erst abzuwarten wäre, wie sich die Nutzungsdauer des Gebäudes tatsächlich entwickelt. Auch hier ist - wie ansonsten bei der Anwendung der AfA-Vorschriften - im Vorhinein durch Schätzung zu ermitteln, wie lange das Gebäude voraussichtlich zu Zwecken der Einkunftserzielung genutzt werden kann. Da die Vorschrift die AfA von Gebäuden des Privatvermögens regelt, die häufig auch zur Erzielung privater Einkünfte genutzt werden, spricht das Gesetz nicht von der "betriebsgewöhnlichen", sondern von der "tatsächlichen" Nutzungsdauer, ohne dass hiermit unterschiedliche Inhalte zu verbinden wären. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im Entscheidungsfall - das im Privatvermögen befindliche Gebäude durch einen Betrieb genutzt wird. Die "betriebsgewöhnliche" Nutzungsdauer eines im Betriebsvermögen befindlichen Wirtschaftsgutes wird ebenso wie seine Gesamtnutzungsdauer im Rahmen der Überschusseinkünfte von der technischen und der wirtschaftlichen Abnutzung beeinflusst (BFH vom 26. Juli 1991 VI R 82/89, BStBl. II 1992, 1000, 1002 f.). Die Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes hängt dagegen nicht davon ab, ob es im Betriebs- oder Privatvermögen gehalten wird (Schmidt/Drenseck, EStG, 24. Auflage 2004, § 7 Rdn. 85 m.w.N.).

Unter der "tatsächlichen Nutzungsdauer" i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist der Zeitraum zu verstehen, in dem das Wirtschaftsgut erfahrungsgemäß verwendet oder genutzt werden kann. Die Ermittlung der Nutzungsdauer erfolgt im Schätzungswege. Hierbei ist vor allem die Art des Gebäudes und seiner Nutzung (z.B. durch einen Gewerbebetrieb) bedeutsam. "Betriebsgewöhnliche" Nutzungsdauer bedeutet, dass die besonderen betrieblichen Verhältnisse zu beachten sind, unter denen das Wirtschaftsgut eingesetzt wird. Eine durch die betriebliche Nutzung eintretende besondere Beanspruchung, welche die gewöhnliche Nutzungsdauer verkürzt, ist zu berücksichtigen. Dagegen kommt es nicht darauf an, wie lange der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut tatsächlich in seinem Betrieb verwendet oder voraussichtlich verwenden wird. Maßgebend für die Bestimmung der Nutzungsdauer ist nicht die Dauer der betrieblichen Nutzung durch den einzelnen Steuerpflichtigen, sondern die objektive Nutzbarkeit eines Wirtschaftsgutes unter Berücksichtigung der besonderen betriebstypischen Beanspruchung.

Als Hilfsmittel für die Schätzung der Nutzungsdauer hat das BMF unter Beteiligung der Fachverbände der Wirtschaft AfA-Tabellen für allgemein verwendbare Anlagegüter und für verschiedene Wirtschaftszweige herausgegeben (sog. "amtliche AfA-Tabellen"). Sie berücksichtigen sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes. Sie haben zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich, sind aber für die Gerichte nicht bindend. Es handelt sich um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH vom 9. Dezember 1999 III R 74/97, BStBl. II 2001, 311).

Für das Finanzamt haben diese AfA-Tabellen den Charakter einer Dienstanweisung. Für den Steuerpflichtigen handelt es sich um das Angebot der Verwaltung für eine tatsächliche Verständigung im Rahmen einer Schätzung, das er (z.B. durch die Anwendung der Tabelle bei der Berechnung seiner Einkünfte) annehmen kann (aber nicht muss). Das Finanzgericht kann von der in der AfA-Tabelle festgelegten Nutzungsdauer generell - also unabhängig vom Einzelfall - nur abweichen, wenn es sich mit den Erkenntnisgrundlagen der Finanzverwaltung auseinandergesetzt hat (BFH v. 8. November 1996 VI R 29/96, DStR 1997, 194). Entsprechendes gilt für die am Besteuerungsverfahren Beteiligten.

4. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Rechtsgrundsätze sind die AfA-Tabellen vorliegend auch im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG anwendbar.

Die AfA-Tabelle stellt maßgeblich nicht darauf ab, in welcher Art von Vermögen das Wirtschaftsgut gehalten wird, sondern darauf, wo und wie es genutzt wird. Der in den Vorbemerkungen zu den AfA-Tabellen enthaltene Hinweis, dass die jeweilige Nutzungsdauer "für die abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens" auf Grund der Erfahrungen der steuerlichen Betriebsprüfung ermittelt worden sei, ist nicht als eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Tabellen zu verstehen. Es werden lediglich die Erkenntnisquellen bezeichnet, die den in den Tabellen enthaltenen Daten zugrunde liegen. Betriebsprüfungen finden normalerweise bei Steuerpflichtigen mit Gewinnermittlung statt und naturgemäß können bei einer solchen Prüfung nur die AfA-Sätze der zu deren Anlagevermögen gehörenden Wirtschaftsgüter überprüft werden, nicht dagegen die AfA-Sätze, die ein Vermieter der Wirtschaftsgüter gegebenenfalls zugrunde legt. Unabhängig davon hat ein in einem Betrieb genutztes Wirtschaftsgut auch dann eine "betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer", wenn es - wie vorliegend - im Privatvermögen gehalten wird. Der mit den Tabellen verfolgte Zweck der Verfahrensvereinfachung gebietet deshalb ihre Anwendung auf alle in diesem Sinne genutzten Wirtschaftsgüter.

Auch der Vortrag des Beklagten, die Tabellen würden eine Subvention für Betriebsinhaber darstellen, die ausgeglichen werde, wenn das Wirtschaftsgut bei der Betriebsaufgabe entnommen werde, kann eine eingeschränkte Anwendung der Tabellen nicht rechtfertigen. Zum Einen ist dieser Gedanke den Tabellen nicht zu entnehmen. Wie der soeben erwähnte Hinweis auf die Erkenntnisquellen erkennen lässt, werden im Gegenteil die in den Betrieben festgestellten "betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauern", nicht aber eine den Steuerpflichtigen begünstigende verkürzte Nutzungsdauer zugrunde gelegt. Zum Anderen wäre eine solche Subvention auch nicht mit den Grundsätzen einer gleichmäßigen Besteuerung zu vereinbaren. Zudem enthalten nach den Erfahrungen des Senats betrieblich genutzte Gebäude, die im Rahmen einer Betriebsaufgabe entnommen werden, in aller Regel keine nennenswerten stillen Reserven.

Eine Umkehr der Darlegungslast, wie sie dem Beklagten vorschwebt, lässt sich auch dem Gesetz nicht entnehmen. Zwar kann dem Regel-/Ausnahmeverhältnis, das zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 7 Abs. 4 EStG besteht, entnommen werden, dass der Steuerpflichtige die kürzere Nutzungsdauer des Gebäudes darzulegen hat, sofern er nicht von den Regelsätzen des Satzes 1 Gebrauch machen will. Es ist dem Gesetz aber nicht zu entnehmen, dass sich der Steuerpflichtige zu dieser Darlegung nicht der AfA-Tabellen bedienen darf. Der mit den Tabellen angestrebte Vereinfachungszweck spricht eher für das Gegenteil.

5. Der Klage war demnach stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Beklagte wird zur Berechnung der Steuer nach § 100 Abs. 2 S. 2 FGO verpflichtet. Zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung. Der Senat hielt den Erlass eines kostengünstigeren Gerichtsbescheides für angemessen (§ 90a FGO).



Ende der Entscheidung

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