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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Saarland
Beschluss verkündet am 11.10.2006
Aktenzeichen: 1 V 212/06
Rechtsgebiete: FGO, EStG, HGB


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2
EStG § 5 Abs. 1
HGB § 249 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FG Saarland

1 V 212/06

Aussetzung der Vollziehung betr. Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung sowie Gewerbesteuermessbescheid 2005 vom 13. Juli 2006

In dem Rechtsstreit hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes in Saarbrücken durch den Richter am Finanzgericht Dr. Peter Bilsdorfer als Vorsitzender sowie den Richter am Finanzgericht Günter Berwanger und den Präsidenten des Finanzgerichts Hansjürgen Schwarz am 11. Oktober 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Die Entscheidung ergeht unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die eine Allianz-Versicherungsagentur betreibt, streitet mit dem Antragsgegner über die Bildung einer Rückstellung.

In der Bilanz für das Streitjahr 2005 bildete die Antragstellerin unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03 eine Rückstellung i.H. von 126.560 Euro für die Bestandspflege von Lebensversicherungsverträgen. Sie hatte von der X-Versicherungs-Aktiengesellschaft am 2. Juni 2005 einen Bestand von 3.541 Lebensversicherungsverträgen zugewiesen bekommen (Rbh, Bl. 12), ohne hierfür eine Provision oder ein Pflegegeld zu erhalten.

Der Antragsgegner erließ am 13. Juli 2006 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung sowie einen Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr 2005. Darin erkannte er unter Hinweis auf einen Nichtanwendungserlass der Oberfinanzdirektion Hannover vom 15. Februar 2006 die streitige Rückstellung nicht an.

Gegen diese Bescheide legte die Antragstellerin am 19. Juli 2006 Einspruch ein (Rbh, Bl. 1), über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (Rbh, Bl. 1) beschied der Antragsgegner am 17. August 2006 (Rbh, Bl. 17) erneut, nachdem er zuvor den Antrag insgesamt zurückgewiesen hatte (Rbh, Bl. 5). Er gewährte nunmehr hinsichtlich eines Teilbetrages von 10 Euro je Vertrag (Rückstellungsbetrag: 17.200 Euro) die beantragte Aussetzung (Rbh, Bl. 13).

Am 6. September 2006 wandte sich die Antragstellerin an das Finanzgericht. Sie beantragt sinngemäß (Bl. 2),

den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung sowie den Gewerbesteuermessbescheid 2005, beide vom 13. Juli 2006, bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung hinsichtlich eines weiteren Betrages von 109.450 Euro (Feststellung) bzw. 5.470 Euro (Gewerbesteuer) von der Vollziehung auszusetzen.

Die Antragstellerin erläutert (Bl. 2 ff.), wie die Berechnung der Rückstellung erfolgt ist. Die Übernahme der Versicherungsverträge, die letztlich erst im September/Oktober 2005 erfolgt sei, habe neben dem ansonsten vorzunehmenden regelmäßigen Pflegeaufwand einen einmaligen Übernahmeaufwand erfordert. Diesen Aufwand habe man mit 40 Euro angesetzt. Es handele sich um eine vorsichtige Schätzung.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß (Bl. 37),

den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verweist auf die bereits teilweise gewährte Aussetzung der Vollziehung. Darüber hinaus komme eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht, da eine weitergehende Rückstellungsbildung unzulässig sei. Der Streitfall weiche von der Situation ab, die der BFH-Entscheidung vom 28. Juli 2004 zugrunde gelegen habe (Bl. 36 f.). Er verweist im Übrigen auf die Anweisungen der Finanzverwaltung, wonach das Urteil des BFH seitens der Verwaltung nicht zur Anwendung komme (Bl. 37 f.).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

II.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nach §§ 69 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 FGO zulässig; er ist jedoch nicht begründet.

1.

Die Aussetzung der Vollziehung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 FGO).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat bisher immer angeschlossen hat, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides dann, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg (BFH - Beschlüsse vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BStBl. III 1967, 533; vom 28. November 1974 V B 52/73, BStBl. II 1975, 239).

Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegt nach der Rechtsprechung des BFH vor, wenn durch die sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gut zumachen sind, oder wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet wäre. Der Steuerpflichtige muss substantiiert darlegen, dass diese Voraussetzungen in seinem Fall erfüllt sind. Derartiges ist im Streitfall nicht geschehen.

2.

Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Bescheide.

2.1. Rechtsgrundlagen

Nach § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist u.a. aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist (vgl. BFH-Beschluss des Großen Senats vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BStBl II 1997, 735 m.w.N.).

Der BFH hat mit Urteil vom 28. Juli 2004, XI R 63/03, DStR 2004, 2090, in Abweichung seiner früheren Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 10. Dezember 1992 XI R 34/91, BStBl. II 1994, 158) entschieden, dass ein Versicherungsvertreter bei Übernahme eines Bestandes an Lebensversicherungen für die Verpflichtungen aus der künftigen Vertragsbetreuung Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden hat (dazu etwa Wendt, FR 2005, 22 f.).

Bei der Vermittlung der Lebensversicherungsverträge und ihrer weiteren Betreuung gegen die Zahlung einer einmaligen Provision handele es sich jeweils um ein schwebendes Geschäft. Schwebende Geschäfte sind gegenseitige Verträge i.S. der §§ 320 ff. BGB, die von der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichteten Partei --abgesehen von unwesentlichen Nebenpflichten-- noch nicht voll erfüllt sind (BFH, Großer Senat in BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Da die Bearbeitung von Versicherungsverträgen keine unwesentliche Nebenleistung ist (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2000, 25, unter 1.c), sei das jeweilige Vermittlungsgeschäft mit der Zahlung der Provision noch nicht abgeschlossen. Der Versicherungsvertreter befinde sich in einem Erfüllungsrückstand.

Ein Erfüllungsrückstand liege vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befinde, also weniger geleistet habe, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hätte. Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt sei, bestimme sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten (Sach-) Leistung (BFH, Großer Senat in BStBl II 1997, 735, unter B.I.2., m.w.N.). Erfüllungsrückstand setze nicht die Fälligkeit der vertraglich noch geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag voraus.

Die Finanzverwaltung (etwa Oberfinanzdirektion Hannover vom 15. Februar 2006, S 2137 - 112 - StO 222/221, juris) ist sich noch nicht schlüssig darüber, ob sie das BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 generell anwenden wird.

2.2. Anwendung im Streitfall

Die von der Antragstellerin an dem hier entscheidenden Bilanzstichtag 31. Dezember 2005 noch zu erfüllende vertragliche Verpflichtung, abgeschlossene und übernommene Lebensversicherungsverträge zu betreuen und abzuwickeln, berechtigt die Antragstellerin bei summarischer Betrachtung nicht zur Bildung einer Rückstellung.

Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 28. Juli 2004, a.a.O., zugrunde lag, dadurch, dass die Antragstellerin hinsichtlich der übernommenen Verträge keinerlei Ansprüche (etwa auf Provision) erworben hat. Die von ihr übernommene Pflegeverpflichtung steht damit wirtschaftlich allenfalls mit künftigen Abschlüssen bzw. Vertragsänderungen im Zusammenhang. Dies zeigt deutlich das Schreiben der X-Versicherungs-Aktiengesellschaft vom 2. Juni 2005 (Bl. 23). Daraus ergibt sich, dass die Antragstellerin für den übernommenen Versicherungsbestand "weder Pflegegeld noch Abschlussprovision" erhält. Wenn jedoch die Versicherungen aufgestockt werden oder eine bestimmte Klausel ("Z-Klausel") eingeschränkt würde, sollten der Antragstellerin Abschlussprovisionen und weitere Leistungen zustehen.

Mithin erfolgte die Übernahme und mit ihr die damit im Zusammenhang stehenden Leistungen wirtschaftlich vor dem Hintergrund der Nutzung des Vertragsbestandes. Wenn einer der übernommenen Kunden eine Vertragsänderung (etwa eine Erhöhung der Versicherungssumme) vornehmen sollte oder einen Neuabschluss unter Einschaltung der Antragstellerin tätigen würde, erst dann würde sich die Erwartung der Antragstellerin auf Zahlung von Provisionen erfüllen. Diesbezüglich befindet sich die Antragstellerin gegenüber dem Versicherungsunternehmen auch nicht in einem Erfüllungsrückstand.

Insoweit ist auch der Vortrag der Antragstellerin (Bl. 19), mit dem Zugang des Bestandes habe sich ihr Betriebsvermögen erhöht, nicht nachvollziehbar. Ihr Betriebsvermögen erhöht sich erst bei Realisierung der beschriebenen Erwartungen im Zusammenhang mit der Übernahme des Vertragsbestandes.

Damit scheidet bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung die Bildung einer entsprechenden Rückstellung für die Nachbetreuung der übernommenen Lebensversicherungen aus.

Der Aussetzungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung ergeht unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 FGO). Zur Zulassung der Beschwerde in entsprechender Anwendung von § 115 Abs. 2 FGO sah der Senat keine Veranlassung.



Ende der Entscheidung

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