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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 8 K 1772/07 (Kg)
Rechtsgebiete: AO, BGB


Vorschriften:

AO § 37 Abs. 2
BGB § 812 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Finanzrechtsstreit

...

hat der 8. Senat

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters ... am Finanzgericht,

des Richters ... am Finanzgericht und

des Richters ... am Finanzgericht sowie

der ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ...

ohne mündliche Verhandlung

in der Sitzung vom 10.12.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Abzweigung von Kindergeld und die Rückforderung von bereits an den Kindergeldberechtigten geleisteten Kindergeldzahlungen.

Der Kläger erhielt Kindergeld für seinen am 08.04.1987 geborenen Sohn, den Beigeladenen. Am 01.03.2007 beantragte der Beigeladene unter der Anschrift Z.-STr. in C. die Abzweigung des für ihn zugunsten des Klägers festgesetzten Kindergeldes, da er weder von dem Kläger noch von seiner Mutter Unterhalt erhalte. Der hierzu angehörte Kläger erklärte am 20.03.2007, zwar keine regelmäßigen Zahlungen an den Beigeladenen zu leisten, jedoch Unterhalt in Form von Miete und Nebenkosten, einer Hausrat- und Haftpflichtversicherung, von Rundfunkgebühren und Strom, einer Altersvorsorge, von Wäschewaschen und von Verpflegung zu leisten. Der Beigeladene habe weiterhin die Möglichkeit, in seinem Haushalt zu wohnen und verpflegt zu werden. Er habe dem Kind dieses Angebot am 18.03.2007 in einem Gespräch unterbreitet. Bei einer persönlichen Vorsprache am 10.04.2007 erklärte der Beigeladene, seit diesem Tag wieder im Haushalt seines Vaters zu leben. Am 16.04.2007 beantragte der Beigeladene erneut die Abzweigung des für ihn an den Kläger ausgezahlten Kindergeldes. Er gab an, ohne festen Wohnsitz zu sein, jedoch bei der Familie H., Z.-STr. in C., erreichbar zu sein. Am 19.04.2007 erklärte der wiederum angehörte Kläger, dass der Beigeladene in seinem eigenen, vollständig eingerichteten Zimmer wohnen könne. Er wasche seine Wäsche usw. Dieses Angebot sei dem Kind am 19.04.2007 in einem Gespräch unterbreitet worden. Daraufhin lehnte die Beklagte den Abzweigungsantrag des Beigeladenen mit Bescheid vom 24.05.2007 ab.

Im Zuge der Bekanntgabe dieses Bescheides war ermittelt worden, dass sich der Beigeladene beim Einwohnermeldeamt aus der Wohnung des Klägers nach unbekannt abgemeldet hatte. Gegen den Bescheid vom 24.05.2007 legte der Beigeladene am 31.05.2007 Einspruch ein. Als Anschrift gab er an: "z. Zt. Aufenthalt Z.-STr., C.". Am 24.05.2007 sei vom Jugendamt C. entschieden worden, dass er eigenständigen Wohnraum beziehen dürfe. Am 09.07.2007 meldete der Beigeladene der Beklagten, dass er ab dem 16.07.2007 eine eigene Wohnung in der L-Str. in C. bewohne. Gemäß einem Telefonvermerk vom 12.07.2007 bestätigte das Jugendamt, dass für den Beigeladenen eigener Wohnraum erforderlich war. In einem Gespräch am 24.05.2007 sei festgestellt worden, dass die Beziehung zum Vater sehr gestört sei. Bereits zum damaligen Zeitpunkt habe der Beigeladene bei seiner Freundin gewohnt. Daraufhin half die Beklagte dem Einspruch des Beigeladenen mit Bescheid vom 12.07.2007 ab und zweigte das Kindergeld für ihn ab Mai 2007 in voller Höhe an ihn ab. Mit Bescheid vom gleichen Tag forderte sie vom Kläger das an diesen bereits für die Monate Mai bis Juli 2007 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 462 EUR zurück. Dagegen legte der Kläger am 16.07.2007 Einsprüche ein, die die Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 20.08.2007 als unbegründet zurückwies.

Am 10.09.2007 hat der Kläger Klage erhoben.

Sein Sohn habe sich illegal und unberechtigt einfach umgemeldet unter die Adresse seiner Freundin. Er habe diese Adresse als ständigen Wohnsitz benutzt. Er berufe sich auf eine ihm unbekannte Entscheidung des Jugendamtes vom Mai 2007. Seine Nachfrage beim Jugendamt habe ergeben, dass hierüber keine Akte existiere. Es sei unrichtig, dass er seinen Sohn nicht versorge. Zudem erhalte er finanzielle Leistungen in Form von Versicherungen und Altersvorsorge. Hierzu legt der Kläger einen Anpassungsnachtrag der H.-Versicherung über eine von ihm zu Gunsten des Beigeladenen abgeschlossene Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht mit einem monatlichen Beitrag von knapp 30 EUR vor. Der eigenmächtige Umzug des Sohnes könne nicht als Argument dafür dienen, das Kindergeld abzuzweigen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Abzweigungs- und den Rückforderungsbescheid vom 12.07.2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 20.08.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Rechtmäßigkeit der Rückforderung des bereits an den Kläger ausgezahlten Kindergeldes führt er auf Hinweis des Gerichtes aus, es treffe zwar zu, dass der Kläger weiterhin dem Grunde nach kindergeldberechtigt sei. Er könne jedoch keinen Anspruch auf Auszahlung geltend machen. Daher sei das Kindergeld im Zeitraum Mai bis Juli 2007 an ihn ohne Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung - AO - gezahlt worden.

Mit Schriftsatz vom 12.09.2007 hat die Beklagte, mit Schriftsatz vom 22.12.2007 der Kläger und mit Schriftsatz vom 17.04.2008 der Beigeladene einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sowohl der Abzweigungsbescheid als auch der Rückforderungsbescheid, jeweils in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen (§ 44 Abs. 2 FGO), sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 FGO).

1. Ohne Rechtsfehler hat die Beklagte das zu Gunsten des Klägers für den Beigeladenen festgesetzte Kindergeld ab Mai 2007 an den Beigeladenen abgezweigt.

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Das gilt nach Satz 3 der Vorschrift auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.

Im Streitfall leistet der Kläger dem Beigeladenen trotz dem Grunde nach unstreitig bestehender Unterhaltspflicht (§ 1601 und § 1602 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) keinen Unterhalt. Ob die Unterhaltspflicht des Klägers mangels Leistungsfähigkeit ausgeschlossen ist, ist für die Kindergeldabzweigung ohne Bedeutung. Der dem Beigeladenen in Form von Kost und Logis angebotene und in Form von zu seinen Gunsten abgeschlossenen Versicherungen tatsächlich erbrachte Naturalunterhalt erfüllt den gesetzlichen Unterhaltsanspruch nicht. Der Unterhalt ist bei einem volljährigen auswärts lebenden Kind nach § 1612 Abs. 1 BGB regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Die Gewährung von Unterhalt durch Betreuung im Rahmen der Personensorge bzw. Naturalunterhalt kommt grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht (§ 1612 Abs. 2 Satz 3, § 1612 a BGB). Nur ausnahmsweise kann der Unterhaltsverpflichtete bei Vorliegen besonderer Gründe auch gegenüber einem volljährigen Kind verlangen, Unterhalt in anderer Weise - insbesondere durch Naturalunterhalt - zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 17.03.2006 III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285). Solche besonderen Gründe sind im Streitfall nicht erkennbar. Dass der Beigeladene in den Streitmonaten nicht im Haushalt des Klägers gelebt hat, sondern zunächst bei der Familie seiner Freundin und ab dem 16.07.2007 in einer eigenen Wohnung in der L-Str. in C., ist unstreitig. Als Volljähriger kann der Beigeladene seinen Aufenthalt selbst bestimmen und frei entscheiden, wo er Wohnsitz nimmt. Ob eine Entscheidung des Jugendamtes vorliegt, die einen Auszug des Beigeladenen beim Kläger befürwortet, spielt nur insoweit eine Rolle, als der Beigeladene in diesem Falle bei der Suche und den Kosten für die eigene Wohnung Unterstützung durch die öffentliche Hand erfährt. Der Kläger schuldet dem Beigeladenen nach seinem Auszug aber unabhängig davon dem Grunde nach Barunterhalt.

Liegen mithin die Abzweigungsvoraussetzungen vor, ist das dem Beklagten hiernach grundsätzlich eröffnete Abzweigungsermessen dahingehend auf Null reduziert, dass nur die Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes an den Beigeladenen als rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung in Betracht kommt. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Kindergeldes, den Unterhaltspflichtigen in Form einer Steuervergütung steuerlich zu entlasten. Wird kein Unterhalt geleistet, ist die Erreichung dieses Zwecks nicht möglich. Im Hinblick darauf ist das Kindergeld in diesen Fällen an die Personen auszuzahlen, denen es zu Gute kommen soll (vgl. Schleswig -holsteinisches FG, Urteil vom 09.07.2007 3 K 30/07, EFG 2008, 64, m.w.N.). Daran ändert auch der - wie dargelegt - die Unterhaltspflicht des Klägers zwar nicht erfüllende aber gleichwohl angebotene und zum Teil tatsächlich erbrachte Naturalunterhalt nichts (vgl. BFH, a.a.O.).

Einer Abzweigung des Kindergeldes für die Streitmonate steht auch nicht entgegen, dass das für diese Monate festgesetzte Kindergeld im Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten über den Abzweigungsantrag des Beigeladenen bereits an den Kläger ausgezahlt war (vgl. hierzu FG Köln, Urteil vom 13.03.2008 10 K 3232/06, EFG 2008, 1298, m.w.N.). Denn es geht vorliegend nicht um eine rückwirkende Abzweigung für einen Zeitraum, für den die Beklagte ihr Ermessen nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG bei der Auszahlung des Kindergeldes mangels Abzweigungsantrags nicht ausüben konnte. Der Beigeladene hatte seinen Abzweigungsantrag bereits im April 2007 gestellt. Eine rückwirkende Abzweigung ab dem Zeitpunkt der Stellung des Abzweigungsantrags ist anders als die rückwirkende Beantragung der Abzweigung zulässig (vgl. FG München, Urteil vom 31.07.2007 12 K 1664/06, EFG 2008, 1074 und BFH-Urteil vom 16.04.2002 VIII R 50/01, BStBl. II 2002, 575).

2. Auch die Rückforderung des für Mai bis Juli 2007 bereits an den Kläger ausgezahlten Kindergeldes ist rechtmäßig.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages, soweit eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO gilt das auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt.

Zwar berührt die Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG nicht den Rechtsgrund der Kindergeldzahlung (vgl. FG München, Urteil vom 24.05.2006 9 K 4733/02, EFG 2006, 1335, FG München, Beschluss vom 16.08.2006 9 V 2478/06, [...], und FG Köln a.a.O.); die Kindergeldfestsetzung bleibt unberührt und es verändert sich nur die für das Erhebungsverfahren relevante Empfangszuständigkeit (vgl. BFH-Beschluss vom 26.01.2001 VI B 310/00, BFH/NV 2001, 896).

Allerdings hat der Bundesfinanzhof für den vergleichbaren Fall des Vorliegens eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, der ebenfalls nur die Einziehungsbefugnis und nicht die Forderung selbst übergehen lässt, entschieden, dass § 37 Abs. 2 AO eingreift, weil dem Rechtsgedanken des § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB folgend der Zweck der Zahlung, nämlich das Erlöschen der Verbindlichkeit, nicht eintritt (vgl. Urteil vom 01.03.1990 VII R 103/88, BStBl II 1990, 520). Das gilt auch im Streitfall.

Der Umstand, dass die Empfangszuständigkeit des Klägers für die Kindergeldzahlung erst nachträglich durch die streitgegenständliche Abzweigung entfallen ist, ändert hieran nichts. Zwar kennt die zivilrechtliche Zweckverfehlungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB, deren Rechtsgedanke hier - wie dargelegt - heranzuziehen ist, anders als die zivilrechtliche Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht den nachträglichen Wegfall und erfasst einen solchen auch nicht (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 812 Rz. 88). Soll der mit der Leistung bezweckte Erfolg nach den Vorstellungen der Beteiligten allerdings dauerhaft eintreten, ist der Zweck von vorneherein verfehlt, wenn sich später herausstellt, dass der bezweckte und zunächst eingetretene Erfolg nicht von Dauer war (vgl. Sprau, a.a.O., m.w.N.). So liegt es im Falle der Kindergeldzahlungen für den Zeitraum Mai bis Juli 2007 an den Kläger. Als Zahlungsempfänger musste dem Kläger bei objektiver Betrachtung klar sein, dass den Kindergeldzahlungen der Beklagten der Zweck zu Grunde lag, die sich aus der Festsetzung des Kindergeldes ergebenden Zahlungsansprüche endgültig und dauerhaft zu erfüllen. Nachdem sich aufgrund der bis zum Zeitpunkt der Stellung des Abzweigungsantrages des Beigeladenen - wie dargelegt - rückwirkend vorzunehmenden Abzweigung ergeben hat, dass die Erreichung dieses bezweckten Erfolges nicht möglich ist, liegen die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 4 BGB.

Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 139 Abs. 4 FGO zugelassen.

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Ende der Entscheidung

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