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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 01.07.2008
Aktenzeichen: 1 V 135/07
Rechtsgebiete: EStG, GG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 4a
EStG § 52 Abs. 11 S. 1
EStG § 52 Abs. 11 S. 2
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Schleswig-Holstein

1 V 135/07

Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 2001, 2002 und 2004)

In dem Verfahren

...

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 01. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über eine mögliche verfassungswidrige Beschwer aufgrund der Neuregelung des Schuldzinsenabzugs durch §§ 4 Abs. 4a, 52 Abs. 11 Einkommensteuergesetz (EStG) insofern, als Unterentnahmen aus den Jahren vor 1999 nicht zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Eilverfahren begehrt der Antragsteller (Ast) die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Einkommensteuer (ESt-)bescheide 2001, 2002 und 2004.

Der Ast betreibt eine ... . Er erzielt hieraus Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, welche er gemäß § 4 Abs. 1 EStG ermittelt. Im Jahre 2006 wurde bei ihm eine Außenprüfung betreffend u.a. die ESt der Kalenderjahre 2000 bis 2004 (Wirtschaftsjahre 2000/01 bis 2004/05) durchgeführt. Der Prüfer ging davon aus, dass Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a EStG in folgender Höhe nicht als Betriebsausgaben abziehbar seien: 2000/01 609 DM, 2001/02 8.094 EUR, 2002/03 9.359 EUR, 2003/04 10.415 EUR, 2004/05 8.888 EUR. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Außenprüfungsbericht vom 27. Oktober 2006, insbesondere die Ausführungen unter Tz. 78 sowie Anlage 4 des Berichts verwiesen.

Der Antragsgegner - das Finanzamt (FA) - übernahm die Prüfungsfeststellungen und erließ am 22. Dezember 2006 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) entsprechend geänderte ESt-Bescheide 2000 - 2004. Hiergegen erhob der Ast am 12. Januar 2007 Einspruch und beantragte zugleich AdV: Das FA habe zu Unrecht Unterentnahmen aus den Wirtschaftsjahren vor 1998/99 nicht in Rechnung gestellt. Unter Berücksichtigung dieser Unterentnahmen bleibe kein Raum mehr für eine Versagung des Schuldzinsenabzugs im Streitzeitraum. Das FA lehnte AdV unter Hinweis auf die anderweitige gesetzliche Regelung sowie entsprechende Verwaltungsanweisungen mit Verfügung vom 7. Februar 2007 ab. Hiergegen erhob der Ast am 8. März 2007 Einspruch: Die Gesetzesinterpretation des FA sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Rückwirkungsverbot sowie dem Gebot des Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Das FA wies den Einspruch in Sachen AdV mit Einspruchsentscheidung vom 10. April 2007 zurück: Die hinzuzurechnenden Schuldzinsen seien auf der Grundlage der geltenden Gesetzeslage zutreffend berechnet worden. Die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 2001 sehe eine Berücksichtigung von Unter- oder Überentnahmen aus der Zeit vor 1999 nicht vor. Dies sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine echte Rückwirkung liege nicht vor. Ebensowenig sei hier der Gleichheitssatz verletzt. Die Nichtberücksichtigung von Unter- und Überentnahmen früherer Jahre habe der Gleichbehandlung von Gewinnermittlern nach § 4 Abs. 3 EStG dienen sollen, bei denen mangels Aufzeichnung von Entnahmen und Einlagen die erforderlichen Berechnungsgrundlagen fehlen würden. Unabhängig davon sei der Geltungsanspruch eines formell verfassungsgemäß zu Stande gekommenen Gesetzes zu berücksichtigen.

Mit der am 16. Mai 2007 bei Gericht eingegangenen Antragsschrift begehrt der Ast vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO): Die (verfassungs-)rechtliche Würdigung des FA sei nicht überzeugend. Das FA verkenne, dass es hier um Dispositionen aus der Zeit vor 1999 gehe, welche rückwirkend entwertet würden. Dementsprechend werde von einer Vielzahl namhafter Autoren die Meinung vertreten, die streitige Norm sei verfassungswidrig. Deshalb und unter Berücksichtigung des Hinweises des 10. Senates des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 21. September 2005 X R 40/02, BFH/NV 2006, 512, wonach ein Normverständnis in dem Sinne, dass Über- und Unterentnahmen aus der Zeit vor 1999 den Schuldzinsenabzug der Folgejahre nicht beeinflussen könnten, eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung beinhalten würde, sei hier eine anderweitige Beurteilung geboten.

Der Ast hat zunächst beantragt,

ESt, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag wie folgt von der Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen:

 2001550,74 EUR(Anteil des Wirtschaftsjahres 2001/02)
2002324,82 EUR 
20044.018,95 EUR.

Nach einem Hinweis der Berichterstatters, wonach die konkrete Beschwer aufgrund der gerügten Nichtberücksichtigung von Unterentnahmen darzulegen sei, hat der Ast sein Aussetzungsbegehren betreffend die Jahre 2001 und 2004 wie folgt ermäßigt:

 2001446,87 EUR
20042.978,00 EUR

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sei nicht ernstlich zweifelhaft. Die vom Ast in Bezug genommene BFH-Rechtsprechung beziehe sich lediglich auf Wortlaut und Auslegung der §§ 4 Abs. 4 a, 52 Abs. 11 Satz 1 EStG 1999. Die durch § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG in der Fassung des StÄndG 2001 geschaffene Neuregelung sei eindeutig und lasse keinen Spielraum für die vom Ast begehrte Besteuerung. Sie sei auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung im AdV-Verfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dies gilt auch dann, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des Gesetzes selbst bestehen. In diesem Fall fordert der BFH im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Geboten ist danach eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen (z.B. BFH BStBl II 1988, 134; 1991, 104; 1992, 91; 1994, 567; BFH/NV 1992, 721; 2001, 1031; 2002, 1671; offen BFH BStBl II 2001, 405; BFH/NV 2003, 1121). Diese Rechtsprechung ist vom BVerfG gebilligt worden (z.B. BVerfG, Steuerrechtskartei - StRK FGO § 69, Rechtsspruch 283; BVerfG, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR 1992, 726).

Gemessen an diesem Maßstab bestehen keine zureichenden Gründe für die Anordnung der begehrten AdV.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide ergeben sich nicht aus der Anwendung des EStG. Die für den Streitzeitraum geltende Anwendungsregelung des § 52 Abs. 11 EStG sieht in Satz 1 vor, dass § 4 Abs. 4 a in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden ist, das nach dem 31. Dezember 1998 endet. Nach Satz 2 der Vorschrift bleiben Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre unberücksichtigt. Diese Vorgaben hat das FA vollumfänglich beachtet.

Entgegen der Ansicht des Ast lassen sich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen auch nicht aus ernsten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG herleiten. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der Stichtagsregelung u.a. von den folgenden Erwägungen leiten lassen (Bundestagsdrucksache 14/6877 vom 7. September 2001, Seite 28):

"Die Ergänzung der Anwendungsregelung durch den neuen Satz 2 dient der Klarstellung. Die Neuregelung des § 4 Abs. 4 a ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1998 enden. Dies ist so zu verstehen, dass Über- und Unterentnahmen in Wirtschaftsjahren, die vor dem Jahre 1999 geendet haben, den Abzug von Schuldzinsen ab dem Jahre 1999 nicht beeinflussen. Durch die Neuregelung ist der Schuldzinsenabzug auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Ermittlung von Über- und Unterentnahmen hat als integrierter Bestandteil der Neuregelung erstmals ab 1999 zu erfolgen.

Eine Berücksichtigung von Über- und Unterentnahmen früherer Jahre stieße auf erhebliche praktische Bedenken. Der Ansatz von Überentnahmen früherer Jahre wäre unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung angreifbar. Bei der Ermittlung von Unterentnahmen früherer Jahre könnte man sich nicht darauf beschränken, das Kapitalkonto zum Schluss des letzten vor dem 31. Dezember 1998 endenden Wirtschaftsjahres anzusetzen, da Verluste - bei einer zweckorientierten Auslegung der Neuregelung - nicht unmittelbar zu Überentnahmen führen. Außerdem können Gewinnermittler nach § 4 Abs. 3 - mangels Aufzeichnungen der Entnahmen und Einlagen - nicht auf ein solches Kapitalkonto zurückgreifen".

Diese Ausführungen erscheinen dem Senat sachgerecht und lassen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungs- und Typisierungsspielraum überschritten hätte. Unter- und Überentnahmen vergangener Jahre bleiben gleichermaßen unberücksichtigt. Allein die Tatsache, dass Stichtagsregelungen im Einzelfall gewisse Härten mit sich bringen können, reicht nicht aus, um von einer Verletzung verfassungsmäßig garantierter Rechte ausgehen zu können. Zwar hätte der Gesetzgeber anstelle eines einheitlichen Schnitts eine Abmilderung in Gestalt einer Übergangsregelung z.B. in Gestalt der Berücksichtigung von Unterentnahmen auch für einen gewissen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum treffen können. Eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch regelmäßig nicht. Dies gilt insbesondere im Streitfall. Es ist weder qualifiziert dargetan noch sonst ersichtlich, dass der Ast ohne Übergangsregelung in unverhältnismäßiger Weise in seinen geschützten Rechten beeinträchtigt ist. Die konkret durch die Nichtberücksichtigung von Unterentnahmen vergangener Jahre bewirkte Steuermehrbelastung ist vergleichsweise gering.

Ein Aussetzungsanspruch ergibt sich hier auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Interessenabwägung. Die Antragstellerseite hat nicht qualifiziert dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihr bei Versagung vorläufigen Rechtsschutzes irreparable Nachteile drohen oder sie in sonstiger Weise unangemessen schwer belastet sein würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat erachtet es für angemessen, gemäß den §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Beschwerde zuzulassen.

Der Beschluss wurde im Hinblick auf die Wahrung des Steuergeheimnisses gemäß § 30 Abgabenordnung überarbeitet.



Ende der Entscheidung

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