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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 09.02.2007
Aktenzeichen: 2 V 233/06
Rechtsgebiete: FGO, EStG, HGB


Vorschriften:

FGO § 69
EStG § 5 Abs. 1
HGB § 249 Abs. 1 S. 1
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids bestehen auch dann, wenn die Steuerfestsetzung von der Rechtsprechung des BFH abweicht und das Finanzamt sich auf einen sog. "Nichtanwendungserlass" beruft.

2. Erhält der Versicherungsvertreter vom Versicherungsunternehmen die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags, so hat er für die Verpflichtung zu künftiger Vertragsbetreuung eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004, BStBl II 2006, 866).


Finanzgericht Schleswig-Holstein

2 V 233/06

Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 2004)

In dem Verfahren

...

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 9. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung des Einkommensteuer-Bescheides 2004 vom 30. Juni 2006 wird in Höhe von 12.837,42 EUR ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe:

Der Antrag ist begründet.

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Bundesfinanzhof -BFH- Bundessteuerblatt -BStBl- II 1968, 540; 1987, 327, 328; 1993, 263; Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1996, 795, 796). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH/NV 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren (vgl. Gräber/Koch, Kommentar zur FGO, 5. Aufl. 2002, § 69 Rz. 121 m.w.N.). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (BFH/NV 1990, 279, 280; 670m.w.N.).

Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen ESt-Bescheids 2004 sind vorliegend bereits deshalb gegeben, weil der Rechtsauffassung des Finanzamts die Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 28. Juli 2004 (XI R 63/03, BStBl II 2006, 866) entgegensteht. Das Finanzamt hat danach die vom Antragsteller in seiner Gewinnermittlung berücksichtigte Rückstellung zu Unrecht nicht anerkannt.

Nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist u.a. aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist.

Die Verpflichtung des Antragstellers gegenüber dem Versicherungsunternehmen, die bereits abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge künftig zu betreuen, beruht auf dem Vertrag des Klägers mit der X GmbH. Bei der Vermittlung der Lebensversicherungsverträge und ihrer weiteren Betreuung gegen die Zahlung einer einmaligen Provision handelt es sich jeweils um ein schwebendes Geschäft. Schwebende Geschäfte sind gegenseitige Verträge i.S. der §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die von der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichteten Partei --abgesehen von unwesentlichen Nebenpflichten-- noch nicht voll erfüllt sind (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 a.a.O. m.w.N. aus der Rspr.) Da die Bearbeitung von Versicherungsverträgen keine unwesentliche Nebenleistung ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 1999 BStBl II 2000, 25 unter 1.c), war das jeweilige Vermittlungsgeschäft mit der Zahlung der Provision noch nicht abgeschlossen.

Der Antragsteller befand sich an dem Bilanzstichtag 31. Dezember 2004 auch in einem Erfüllungsrückstand.

Ein Erfüllungsrückstand liegt vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Der BFH knüpft den Begriff des Erfüllungsrückstandes herkömmlicherweise eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung. Darüber hinaus hat er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen lassen, allerdings vorausgesetzt, mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung wird nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten. Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt ist, bestimmt sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten (Sach-)Leistung. Erfüllungsrückstand setzt nicht die Fälligkeit der vertraglich noch geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag voraus (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juli 2004 a.a.O. m.w.N.).

Die vom Antragsteller an dem hier streitigen Bilanzstichtag noch zu erfüllende vertragliche Verpflichtung, Lebensversicherungsverträge nach deren Abschluss zu betreuen und abzuwickeln, ist Teil der Gegenleistung für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Provisionsansprüche. Eine besondere Vergütung für die Betreuung der Lebensversicherungsverträge erhielt er unstreitig nicht. Dass sich bei schwebenden Geschäften die vertraglichen Rechte und Pflichten gegenseitig bedingen, ist für synallagmatische Verträge i.S. der §§ 320 ff. BGB typisch und schließt einen Erfüllungsrückstand nicht aus. Die Tatsache, dass Lebensversicherungsverträge möglicherweise erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums zu bearbeiten sind, steht der Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach ebenfalls nicht entgegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 3. Dezember 1991 BStBl II 1993, 89: 20 Jahre).

Das Schreiben des BMF 28. November 2006 (BStBl I 2006, 765), nach dem das BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 nicht über den Einzelfall hinaus angewendet werden soll, mag geeignet sein, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auffassung des BFH zu begründen. Es kann jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines vom BFH bewusst abweichenden Steuerbescheids in aller Regel nicht ausräumen. Denn dies würde folgerichtig voraussetzen, daß die Entscheidung des BFH in einer jeden ernstlichen Zweifel ausschließenden Weise falsch sein müsste (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 14. April 1994 BFH/NV 1994, 869). Dies ist hier nicht ersichtlich.

Hinsichtlich der Höhe der gebildeten Rückstellung hat das Finanzamt keine Einwendungen erhoben. Auch für das Gericht sind solche nicht ersichtlich.

Die Rückstellung ist daher im geltend gemachten Umfang anzuerkennen. Damit ergibt sich eine festzusetzende ESt von 0,-EUR. Die Nachzahlung aus dem angefochtenen Bescheid war somit in voller Höhe auszusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

Gründe, die Beschwerde gem. § 128 Abs.3 i.V.m. § 115 Abs.2 FGO zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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