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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 01.12.2004
Aktenzeichen: 2 V 365/04
Rechtsgebiete: FGO, EStG, GG


Vorschriften:

FGO § 69
EStG (1999) § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
EStG (1996) § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Schleswig-Holstein

2 V 365/04

Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 1996 und 1999)

In dem Verfahren

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 01. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1996 vom 22. Oktober 2004 und 1999 vom 28. Juli 2004 wird ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Der Antragsteller wendet sich im Rahmen eines Eilverfahrens gegen die Besteuerung von Spekulationsgewinnen, die er aus der Veräußerung von Wertpapieren in den Streitjahren erzielt hat.

Dem gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellten Antrag liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Antragsteller ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.

Im Zuge einer bei dem Antragsteller durchgeführten Prüfung der Steuerfahndungsstelle wurden neben hier nicht strittigen Einkünften aus Kapitalvermögen folgende sonstige Einkünfte nach § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) aus der Veräußerung von Wertpapieren ermittelt: 1996 19.138 DM, 1997 91.339 DM, 1998 ./. 53.848 DM, 1999 221.481 DM, 2000 ./.130.141 DM (siehe dazu Bericht vom 12. November 2003 nebst Anlage 3). Der Antragsgegner, das Finanzamt, übernahm die Feststellungen der Steufa und setzte für die Streitjahre folgende ESt, Zinsen zur ESt und Solidaritätszuschlag fest:

 19961999
Einkünfte aus Spekulationsgeschäften19.138,00 DM91.340,00 DM (221.481 DM ./. Verrechnung v. Verlustrückträgen 130.141 DM)
Gesamtbetrag der Einkünfte... DM... DM
zu versteuerndes Einkommen... DM... DM
ESt... DM... DM
Zinsen zur ESt... DM... DM
Solidaritätszuschlag... DM... DM

Dagegen erhob der Antragsteller Einspruch und führte zur Begründung aus, dass die Erfassung des Spekulationsgewinns im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. März 2004 (2 BvL 17/02) nicht nachvollzogen werden könne. Das vom BVerfG beanstandete Vollzugsdefizit habe ohne jeden Zweifel auch im Jahre 1996 bestanden (siehe auch Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 1. Juni 2004, IX R 35/01). In diesem Urteil habe der BFH für die Jahre bis einschließlich 1993 die Besteuerung von Spekulationsgewinnen noch anerkannt, gehe aber für die Folgejahre bis einschließlich 1998 von einem verfassungswidrigen Vollzugsdefizit aus. Der BFH habe anerkannt, dass Spekulationsverluste ausgleichsfähig seien, und zwar in gleicher Weise wie andere Verluste. Die Beschränkung des Verlustausgleichs aus Spekulationsgewinnen werde für rechtswidrig gehalten. Das oben genannte Vollzugsdefizit sei auch noch bis mindestens zum Jahre 2002 gegeben, so dass bis dahin die Erfassung des Spekulationsgewinnes verfassungswidrig sei.

Das Einspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen und ruht hinsichtlich der Erfassung der Spekulationsgewinne.

Wegen Einwendungen in Sachen Kirchensteuer (KiSt) erging für 1996 ein geänderter ESt-Bescheid 1996 vom 22. Oktober 2004.

Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens sind folgende Steuerzahlungen offen:

1996 ESt 5.119,57 EUR, Zinsen zur ESt 1.913 EUR, Solidaritätszuschlag (SolZ) 383,97 EUR

1999 ESt 1.481,21 EUR, Zinsen zur ESt 1.697 EUR.

Dem mit der Einlegung des Einspruchs gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde bezüglich der hier strittigen Erfassung des Spekulationsgewinnes zunächst mit Verwaltungsakt vom 6. September 2004 stattgegeben.

Im Hinblick auf die im Bundessteuerblatt (BStBl) I 2004, 610, veröffentlichte Verwaltungsanweisung ging das Finanzamt nunmehr davon aus, dass die Besteuerung der Spekulationsgewinne 1996 und 1999 verfassungsgemäß sei, und forderte den Antragsteller unter Widerruf der gewährten AdV auf, die noch offenen ESt, Zinsen zur ESt und SolZ zur ESt 1996 und ESt und Zinsen zur ESt 1999 bis zum 18. Oktober 2004 zu entrichten (siehe dazu Verwaltungsakt vom 12. Oktober 2004).

Mit dem nunmehr bei Gericht gestellten Antrag begehrt der Antragsteller die AdV der ESt-Bescheide 1996 und 1999 bezüglich der im Verwaltungsakt vom 12. Oktober 2004 nachgeforderten Beträge und trägt zur Begründung schriftsätzlich vor:

Bezüglich der Erfassung der im Steufa-Bericht festgestellten Spekulationsgewinne aus Wertpapierverkäufen 1996 und 1999 bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide. Aufgrund einer Überprüfung durch das Finanzamt seien in den Jahren 1996 bis 1999 Überschüsse aus Spekulationsgeschäften bei Wertpapieren, im Jahr 1998 ein Verlust festgestellt worden. Das BVerfG habe für die Jahre 1997 und 1998 einen verfassungswidrigen Zustand festgestellt, weil infolge eines von der Verwaltung zu vertretenden Vollzugsdefizits Spekulationsgewinne nicht besteuert werden dürften. Unter Abschnitt A I Ziff. 4 f. verweise das BVerfG auf Feststellungen des Bundesrechnungshofes sowie auf Prüfungen des Landesrechnungshofes Niedersachsen für die Jahre 1997 bis 1999. Für diese Zeiträume ergebe sich ein unstreitiges Vollzugsdefizit. Aus Abschnitt A III Ziff. 2 ergebe sich weiter, dass die Aktivitäten der Finanzminister erst im Jahre 2000 begonnen hätten und die Erfassung der Spekulationsgewinne in den Jahren 2001 und folgende bezweckten. Aus dieser Sachverhaltsdarstellung ergebe sich, dass das Vollzugsdefizit frühestens ab dem Jahre 2001 beseitigt worden sei. Diese Auffassung werde auch durch einen Beschluss des Finanzgerichts des Landes Brandenburg vom 24. Mai 2004 (III V 974/04) bestätigt. Dieses oben dargestellte Defizit bestehe auch für die Jahre vor 1997. Der BFH habemit Urteil vom 1. Juni 2004 (IX R 35/01) entschieden, dass für Spekulationsverluste die allgemeinen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug anzuwenden seien, und zwar mit der Begründung, dass in den Kalenderjahren bis 1994 ein gleiches Vollzugsdefizit festzustellen sei wie in den Jahren 1997 und 1998. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass in der Zeit bis 1994 und in der Zeit ab 1997 das verfassungswidrige Vollzugsdefizit bestanden habe, ausgerechnet in den Jahren 1995 und 1996 aber nicht.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung der ESt-Bescheide 1996 vom 22. Oktober 2004 und 1999 vom 28. Juli 2004 bezüglich folgender Beträge auszusetzen:

ESt 1996: 5.119,57 EUR, Zinsen 1.913,00 EUR, SolZ 383,97 EUR

ESt 1999: 1.481,21 EUR, Zinsen 1.697,00 EUR.

Das Finanzamt beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Das Finanzamt trägt zur Begründung vor:

Das BVerfG habe festgestellt, dass die Besteuerung von Spekulationsgewinnen für sich rechtmäßig sei. Für die Jahre 1997 und 1998 ergebe sich eine Verfassungswidrigkeit bezüglich solcher Spekulationsgeschäfte, für die ein Vollzugsdefizit bestehe. Diese Entscheidung habe nur für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 Gültigkeit. Für die Jahre 1993 und 1994 habe der BFH mit Urteilenvom 1. Juni 2004 (IX R 35/01) und29. Juni 2004 (IX R 26/03) entschieden, dass die Besteuerung der Spekulationsgeschäfte verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Er führe zur Begründung aus, dass das BVerfG im Urteil vom 9. März 2004 die Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte lediglich für die Jahre 1997 und 1998 für verfassungswidrig und § 23 EStG insoweit für nichtig erklärt habe. Es sei davon auszugehen, dass auch in den Jahren 1993 und 1994 ein vergleichbares Vollzugsdefizit gegeben, indessen aber ausgeschlossen sei, dass das BVerfG § 23 EStG für Wertpapiergeschäfte in den Jahren 1993 und 1994 für verfassungswidrig erklären würde, weil die Verfassungsrechtslage insoweit bisher nicht erkannt worden sei und deshalb Anlass bestanden habe, das bisherige Recht noch für eine Übergangszeit hinzunehmen und dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, sich binnen einer angemessenen Frist auf die nunmehr geklärte verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Die für die Zinsbesteuerung angestellten Erwägungen würden auch für Wertpapiergeschäfte im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG gelten. Es sei davon auszugehen, dass die Übergangszeit auch das Streitjahr 1996 umfasse. Bezüglich der Jahre ab 1999 sei Folgendes zu berücksichtigen: Ab 1999 sei die Spekulationsfrist des neugefassten § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert worden. Die amtlichen Erklärungsvordrucke seien geändert worden. Die Veranlagungsdienststellen seien für diese Art von Veräußerungsgeschäften sensibilisiert worden. Die Verwertungsbeschränkung des § 45 d Abs. 2 EStG 1999 sei gelockert, der Mitteilungsumfang des § 45 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1999 um den Bereich Dividenden erweitert worden. Das BVerfG sehe eine Nichtübertragbarkeit der Verfassungswidrigkeit auf Kalenderjahre nach 1998 insbesondere darin, dass ab dem Veranlagungszeitraum 1999 eine Verrechnung zwischen Gewinnen und Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften über das Veranlagungsjahr hinaus möglich sei, hingegen bis 1998 eine Verlustverrechnung aus privaten Veräußerungsgeschäften lediglich innerhalb des Veranlagungszeitraums habe vorgenommen werden können. Es könne deshalb der Ansicht des Antragstellers nicht gefolgt werden, dass die für die Jahre 1997 und 1998 gerügten Vollzugsdefizite trotz der erfolgten Änderungen noch in einem Umfang vorhanden seien, der auch für den Veranlagungszeitraum 1999 zu einer Verfassungswidrigkeit des § 23 EStG führe. Der BFH habe in seinem Urteil vom 1. Juni 2004 zu der Frage der steuerlichen Behandlung von Spekulationsverlusten für Streitjahre vor und nach 1999 bewusst auf eine Vorlage an das BVerfG hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften nach 1998 verzichtet, weil der beschränkte Verlustabzug, den der Gesetzgeber durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführt habe, verfassungskonform auszulegen sei. Zwar habe der BFH noch in seinem Beschluss vom 4. August 2003 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2004, 37) festgestellt, dass bei der in einem Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides für den Veranlagungszeitraum 2000 bestünden. Jedoch sei diese Auffassung bereits überholt, denn der BFH habe die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die Besteuerung maßgebenden Vorschriften des § 23 EStG 1999 damit begründet, dass der BFH mit Beschluss vom 16. Juli 2002 (BStBl II 2003, 74) eine Entscheidung des BVerfG zu der Vereinbarkeit des § 23 EStG 1997 mit dem Grundgesetz eingeholt habe. Bei dieser Entscheidung handele es sich um das eingangs erwähnte Urteil des BVerfG vom 9. März 2004. Da das BVerfG lediglich für die Jahre 1997 und 1998 die Nichtigkeit des § 23 EStG festgestellt habe, seien somit die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit ab dem Jahre 1999 nicht mehr gegeben. Darauf verweise auch der Bundesminister der Finanzen (BdF) mit Erlassen vom 19. März 2004 (BStBl I 2004, 361) und 19. Juli 2004 (BStBl I 2004, 610).

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die vorbereitenden Schriftsätze und den Inhalt der Steuerakten verwiesen. Die genannten Vorgänge waren beigezogen und Gegenstand der Beratung.

II. Der Antrag ist begründet, denn bezüglich der Erfassung der hier strittigen Spekulationsgewinne aus Wertpapierverkäufen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen ESt-Bescheide 1996 und 1999.

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift sind dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH z.B. BFH BStBl II 2003, 663 m.w.N.). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH/NV 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Dabei ist Glaubhaftmachung eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren (Gräber/Koch, Kommentar zur FGO, 5. Aufl. 2002, § 69 Rz. 121 m.w.N.). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (siehe beispielhaft BFH/NV 1990, 279, 280; BStBl II 1995, 62, jeweils m.w.N.).

Im Streitfall besteht eine Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (Fassung ab 1999) und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG (alte Fassung 1996) verfassungsgemäß ist oder ob diese Vorschriften wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nichtig sind, wie es das BVerfG bezüglich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b a.F. für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt hat. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften ab 1999 bzw. für das Jahr 1996 ergeben sich bereits aus dem Vorlagebeschluss des BFH vom 16. Juli 2002 (BStBl II 2003, 74). Dieser war Grundlage für den Beschluss des BVerfG vom 9. März 2004 (Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 2004, 1022 f). In dem Beschluss hat der BFH ausgeführt, dass auch ab dem Veranlagungszeitraum 1999 trotz der erfolgten gesetzgeberischen Maßnahmen der gleichmäßige Belastungserfolg weder durch § 45 d Abs. 1 EStG (betreffend Mitteilung an das Bundesamt für Finanzen) noch durch organisatorische Maßnahmen habe hergestellt werden können. Insbesondere ist die Gewährung von Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg wegen der gegenläufigen Vorschrift des § 30 a Abgabenordnung (AO) unangetastet geblieben. Es ist nach wie vor nicht erkennbar, wie das Finanzamt bei den in den Streitjahren geltenden Prüfungsmöglichkeiten zum einen die Richtigkeit der erklärten Spekulationsgewinne/-verluste aus dem Verkauf von Wertpapieren überprüfen kann, noch in verwaltungsökonomisch zumutbarer Weise nicht erklärte Spekulationsgeschäfte aufdecken kann. Zwar ist das Besteuerungsverfahren in erhöhtem Maße von dem Erklärungsumfang der Steuerpflichtigen abhängig. Im Bereich der Wertpapierverkäufe kann allenfalls in beschränktem Umfang aus der Auswertung der Freistellungsaufträge ermittelt werden, dass Wertpapierverkäufe stattgefunden haben. Da die Steuerpflichtigen aber nicht gezwungen sind, Freistellungsaufträge zu erteilen, können diese das im Beschluss des BFH dargelegte Vollzugsdefizit nicht beseitigen. Das im Zusammenhang mit der Zinsbesteuerung vom BVerfG gerügte Vollzugsdefizit ist zu einem erheblichen Umfang mit der Einführung der Zinsabschlagsteuer ab 1992 zumindest eingeschränkt worden. Entsprechende Maßnahmen sind für Wertpapierverkäufe aber erst mit der Einführung des § 24 c EStG ab 1.1. 2004 betreffend Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzlagen geschaffen worden. Danach müssen Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute für alle bei ihnen geführten Wertpapierdepots und Konten eine zusammenfassende Jahresbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Muster ausstellen, die die für die Besteuerung nach den §§ 20 und 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2-4 EStG erforderlichen Angaben enthalten. Mit dieser Vorschrift sind die entsprechenden Kreditinstitute erstmals verpflichtet, sämtliche Wertpapierverkäufe in einer Anlage zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang wird auf den Beschluss des BFH vom 4. August 2003 (BFH/NV 2003, 37 ) verwiesen. Darin hat der BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG für das Jahr 2000 bejaht und die AdV gewährt. Diese Ausführungen sind auch nicht durch den Beschluss des BVerfG vom 9. März 2004 (a.a.O.) überholt. Das BVerfG hat in dem zitierten Beschluss zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der hier strittigen Vorschrift für die Jahre ab 1999 keine abschließende Stellung genommen. Das BVerfG hat es in dem Beschluss lediglich abgelehnt, die Nichtigkeitserklärung bezüglich der für die Jahre 1997 und 1998 geltenden Gesetzesfassung auf die einschlägige Norm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1999 zu erstrecken, weil sich die Relation zwischen Norm und Vollzugsrealität so verändert haben könnte, dass ein zur Verfassungswidrigkeit führendes strukturelles Vollzugsdefizit nicht mehr vorliegt. Eine Festlegung des Inhalts, dass der verfassungswidrige Zustand ab 1999 beseitigt worden ist, enthält das Urteil des BVerfG dagegen nicht. Nach der Vorlagefrage, die sich auf einen Fall des Veranlagungszeitraums 1997 bezog, bestand hierzu auch keine Veranlassung. Im Übrigen setzt die negative Kursentwicklung an den Kapitalmärkten, die das BVerfG als Umstand für eine eventuelle Änderung der Verhältnisse anführt, nach seinen Feststellungen im Wesentlichen erst ab dem Frühjahr 2000 ein und war damit für das Kalenderjahr 1999 noch nicht relevant. Weil der Gesetzgeber ab 1999 eine erweiterte Verlustverrechnungsmöglichkeit geschaffen hat, die das BVerfG als weiteren Umstand für eine Änderung der Verhältnisse erwähnt, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, bedarf es weiterer Feststellungen, wie auch vom BVerfG ausgeführt wird. Solche Feststellungen sind aber nicht in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu treffen. Im Übrigen ist für den Senat nicht erkennbar, inwieweit eine erweiterte Verlustverrechnungsmöglichkeit das oben beschriebene Vollzugsdefizit beseitigen kann, denn für den Steuerpflichtigen wird die erweiterte Verlustverrechnungsmöglichkeit nur dann zu einem Anreiz zur Angabe von Spekulationsgeschäften führen, wenn Gewinne und Verluste sich zumindest ausgleichen. Wenn aber keine Verluste entstehen, sondern lediglich Gewinne oder überwiegend Gewinne, wird die Verlustanrechnungsmöglichkeit keinen Anreiz für eine Klärungspflicht schaffen, so weit der Steuerbürger nicht seiner Steuererklärungspflicht umfassend nachkommen will.

Bezüglich der strukturellen Mängel bei der Durchsetzung des Steueranspruchs ist zusätzlich auf die vom BFH in seinem Vorlagebeschluss angeführten Untersuchungen von rund 400 Steuerfällen überwiegend aus Veranlagungen 1997 und 1998, in geringem Umfang auch 1999, sowie auf das Ergebnis des Bundesrechnungshofes zu verweisen, wonach die von ihm aufgezeigten Kontrollhemmnisse strukturelle Mängel des Erhebungsverfahrens darstellen, so dass die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht entsprechend dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durchgesetzt werden kann. Der Bundesrechnungshof kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die dadurch verursachte Belastungsungleichheit die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte gefährde (siehe dazu Bundestagsdrucksache 14/8863, zitiert im Urteil im Beschluss des BVerfG, a.a.O., NJW 2004, 1022, 1027 li.Sp.unten).

Bezüglich des Streitjahres 1996 sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besteuerung der strittigen Spekulationsgeschäfte allein deshalb gerechtfertigt, weil die für die Jahre 1997 und 1998 vom BVerfG festgestellten Vollzugsdefizite auch für das Jahr 1996 vorhanden waren. Soweit der BFH in den Urteilen vom 1. Juni 2004 (Der Betrieb 2004, 1466) bzw. 29. Juni 2004 (Der Betrieb 2004, 1862) festgestellt hat, dass für die Streitjahre bis 1993 bzw. 1994 § 23 Abs. 1 Nr. 1 b EStG anwendbar bleibe, auch wenn das BVerfG diese Vorschrift, so weit sie Veräußerungsgeschäfte aus Wertpapieren betreffe, in der für die Jahre 1997 und 1998 geltenden Fassung für unvereinbar halte und nichtig erklärt habe, schließen diese Ausführungen nicht aus, dass für das Streitjahr 1996 ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier maßgebenden Vorschrift bestehen. Der BFH begründet seine Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass das mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Vollzugsdefizit zwar bestehe, dass es aber für die Jahre 1989 bis 1994 unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG zur Zinsbesteuerungvom 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89 - BStBl II 1991, 654) ausgeschlossen sei, dass das BVerfG die Vorschrift des § 23 EStG, soweit sie Wertpapiergeschäfte betreffe, für nichtig erklärt würde, weil die verfassungsrechtliche Rechtslage bisher nicht erkannt worden sei und deshalb Anlass bestehe, das bisherige Recht noch für eine Übergangszeit hinzunehmen und dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, sich binnen einer angemessenen Frist auf die nunmehr geklärte verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Wenn der BFH aus diesen Erwägungen folgert, dass bezüglich der Erfassung des Spekulationsgewinnes für die Kalenderjahre 1993 und 1994 dem Gesetzgeber insoweit noch eine Übergangszeit zuzubilligen war, enthalten die Urteile keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Übergangszeit auch noch für das Kalenderjahr 1996 bestanden hat. Der Senat vermag auch keine Gründe zu erkennen, dass es dem Gesetzgeber an einer ausreichenden Sensibilität bezüglich der steuerlichen Erfassung von Spekulationsgewinnen gefehlt hat, zumal er bezüglich der Zinsbesteuerung bei Einführung der Zinsabschlagsteuer sehr schnell reagiert hat. Ab welchem Veranlagungszeitraum die dem Gesetzgeber vom BVerfG zugebilligte Übergangsfrist zur Beseitigung des Vollzugsdefizits abläuft, braucht in diesem summarischen Verfahren nicht abschließend geprüft zu werden. Es bestehen aber in jedem Fall ernstliche Zweifel, dass diese Übergangsfrist im Streitjahr 1996 noch nicht abgelaufen war. Abweichende Erwägungen können den Urteilen des BFH vom 29. Juni 2004 (Der Betrieb 2004, 1862) bzw. 1. Juni 2004 (Der Betrieb 2004, 1466) nicht entnommen werden (s. a. Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juli 2004, 8 V 2806/04 (E) - Der Betrieb 2004, 1802 betr. 1999).

Auch das nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm erforderliche berechtigte Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gegeben. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des BFH im Beschluss vom 11. Juni 2003 (BStBl II 2003, 663 m.w.N.) an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde wird gemäß §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

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