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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 1 Bs 182/05
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG


Vorschriften:

GWB § 105
GWB § 115
VwVfG § 20 Abs. 4
VwVfG § 21 Abs. 2
Die Beschäftigungsbehörde kann die Bestellung eines Mitglieds der Vergabekammer nicht wegen Befangenheit widerrufen. Die besondere unabhängige Stellung der Mitglieder der Vergabekammer bedingt, dass nur die Vergabekammer entsprechend den §§ 21 Abs. 2, 20 Abs. 4 HmbVwVfG über die Befangenheit entscheidet. Eine derartige Ausschlussentscheidung kann die Vergabekammer auch außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens treffen, wenn zu besorgen ist, das ihr Mitglied in allen denkbaren Vergabeverfahren befangen ist.
1 Bs 182/05

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Dr. Meffert sowie die Richterin Huusmann am 30. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. Mai 2005 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage (17 K 1370) des Antragstellers gegen den Bescheid vom 14. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 19. April 2005 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.250,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Angestellter der Antragsgegnerin. Mit Beschluss ihres Vorstandes vom 15. September 2003 bestellte die Antragsgegnerin ihn für eine Amtszeit von 5 Jahren zum stellvertretenden Vorsitzenden der Vergabekammer beim Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Nach einer Neuorganisation des früheren Tätigkeitsfeldes des Antragstellers sah die Antragsgegnerin für ihn keine Einsatzmöglichkeiten mehr in dem Geschäftsbereich Projektmanagement. Daraufhin kam es im Zuge eines Trennungsgespräches am 5. und 6. Oktober 2004 zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Antragsteller und seinen Vorgesetzten. In dieser äußerte der Antragsteller, bevor er gehe müsse sein Vorgesetzter gehen und meinte er, man müsse aufpassen, wenn die Antragsgegnerin mit ihm Trennungsgespräche führe, wo er doch Mitglied der Vergabekammer sei. Mit Beschluss vom 29. November 2004 beschloss der Vorstand die bisherige Besetzung der Vergabekammer aufzulösen und sie neu ohne Beteiligung des Antragstellers zu besetzen. Nachdem die Antragsgegnerin ihm mit Schreiben vom 17. Dezember 2004 mitgeteilt hatte, dass er von der Wahrnehmung der Aufgaben des stellvertretenden Vorsitzenden der Vergabekammer entbunden worden sei, entband ihn der Vorstand der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Februar 2005 förmlich von seinen Aufgaben und widerrief seine frühere Bestellung zum stellvertretenden Vorsitzenden der Vergabekammer. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Antragstellers, der inzwischen in den Projektbereich Recht umgesetzt ist, blieb ohne Erfolg. Über die Klage des Antragstellers gegen den für sofort vollziehbar erklärten Widerspruchbescheid vom 19. April 2004 ist noch nicht entschieden.

II.

Die zulässige Beschwerde hat aus den dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) Erfolg. Zutreffend rügt der Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht auf eine an der Erfolgsaussicht der Klage orientierte Interessenabwägung verzichtet hat. Das Verwaltungsgericht hat die für die Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geltenden Maßstäbe deutlich missachtet. Es hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abgelehnt ohne auch nur ansatzweise zu prüfen, ob die Klage voraussichtlich Erfolg hat oder ob zumindest die Erfolgsaussichten offen sind.

Das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt. Denn die angegriffenen Bescheide erweisen sich bei der in diesem Verfahren lediglich gebotenen überschlägigen Prüfung als rechtswidrig. Daher kann das Interesse der Antragsgegnerin daran keinen Vorrang genießen, dass der Antragsteller in den laufenden umfangreichen Vergabeverfahren im Falle einer Anrufung der Vergabekammer und seiner Beteiligung an dem Prüfverfahren sein Amt parteilich zum Nachteil der Antragsgegnerin ausübt und es deshalb zu erheblichen Verzögerungen und Verteuerungen der geplanten sehr umfangreichen Baumaßnahmen der Antragsgegnerin kommt.

a) Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers ist allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Vorstand der Antragsgegnerin ihn von seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender der gemäß § 20 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung der Körperschaft "Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf" (UKEG) vom 12. September 2001 (GVBl. S. 375) eingerichteten Vergabekammer ablöst.

Zwar werden die Mitglieder der Vergabekammer gemäß § 105 Abs. 4 GWB für eine Amtszeit von fünf Jahren bestellt. Sie entscheiden unabhängig und sind - insoweit wie Richter - nur dem Gesetz unterworfen. Nach § 105 Abs. 1 GWB üben die Vergabekammern ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus. Auch schließt dies und die gerichtsähnliche kontradiktorische Ausgestaltung der Verfahren vor der Vergabekammer in den §§ 117 ff GWB es aus, dass die Antragsgegnerin die Amtszeit aus Gründen der Zweckmäßigkeit ohne Rücksicht auf die unabhängige Stellung der Kammern verkürzt oder diese auflöst. Der Umstand, dass das GWB keine Regelungen zur Abberufung der Mitglieder der Vergabekammern enthält, hindert aber nicht, insoweit auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts zurückzugreifen:

Das GWB enthält insoweit eine Regelungslücke. Es kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe eine vorzeitige Beendigung der Amtsdauer für jeden Fall ausschließen wollen. Für eine derart weitgehende und z.B. in Korruptionsfällen klar sachwidrige Lösung gibt auch die Gesetzesbegründung (BR-Drs. 646/97) zu § 115 GWB nichts her. Danach wurde die Amtszeit der Kammermitglieder nur einheitlich festgelegt, um eine kurzfristige Abberufung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers zu verhindern und so die Unabhängigkeit des Gremiums zu stärken.

Die bestehende Regelungslücke kann auch dann nicht mit einem Rückgriff auf die Prozessordnungen und die für Berufsrichter geltenden Regelungen ausgefüllt werden, wenn man - was hier keiner Klärung bedarf - die Entscheidungen der Vergabeausschüsse materiell der rechtsprechenden Gewalt zuordnet. Gegen die Entscheidungen der Vergabekammer eröffnet das Gesetz den Rechtsweg und lässt die sofortige Beschwerde zu den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte zu (§§ 126 ff GWB). Der Gesetzgeber hat die Vergabeausschüsse aber im Gegensatz zu den Vergabesenaten nicht den Gerichten sondern der Verwaltung zugeordnet. Gemäß § 114 Abs. 3 GWB ergeht die Entscheidung der Vergabekammer durch Verwaltungsakt und bezeichnet das Gesetz die Vergabekammern nicht als Gericht. Das Gesetz verlangt nicht, dass der Vorsitzende des Vergabeausschusses Richter ist, sondern lediglich, dass er die Befähigung zum Richteramt besitzt. Die Regelungen zu der Dienstaufsicht über Richter und die Nichtigkeit von Richterernennungen sowie die Entlassungen aus dem richterlichen Dienstverhältnis (§§ 18, 21 - 24 DRiG) passen ersichtlich nicht für die Mitglieder der Vergabekammern.

Somit ist auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes zurückzugreifen, sei es - wenn man die Verfahren vor den Vergabekammern als ein Verwaltungsverfahren begreift - unmittelbar (dafür OLG Thüringen, Beschl. vom 22.12.1999, BauR 2000, 396 ff; vgl. Byok/Jaeger, Komm. z. Vergaberecht, 2. Aufl., § 105 Rdnr. 857 ff.) oder in entsprechender Anwendung. Bei der Anwendung des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist aber auf die besondere unabhängige Stellung der Vergabekammern und ihrer Mitglieder Rücksicht zu nehmen.

b) Nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 HmbVwVfG darf die Antragsgegnerin grundsätzlich die Bestellung widerrufen, wenn sie auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, von der Bestellung abzusehen und wenn ferner ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Bei der Beurteilung, ob ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre, ist die gesetzliche Gewährleistung einer grundsätzlich 5 Jahre dauernden Amtszeit und die Unabhängigkeit der Vergabekammer zu beachten. Insoweit ist zu berücksichtigen:

Die Antragsgegnerin hat die Bestellung des Antragstellers widerrufen, weil sie Zweifel an der Unparteilichkeit seiner Amtsführung hat. Sie fürchtet, dass der Antragsteller nach seinen - von ihm zugegebenen - Äußerungen sich in etwaigen Vergabeverfahren zu ihrem Nachteil parteilich verhalten wird. Damit macht sie in der Sache geltend, der Antragsteller sei befangen. Gemäß den §§ 21 Abs. 2, 20 Abs. 4 HmbVwVfG ist die Leitung der Antragsgegnerin aber nicht befugt, anzuordnen, dass sich ein befangenes Ausschussmitglied der Mitwirkung an einem Verwaltungsverfahren enthält. Vielmehr kann nur der Ausschuss selbst über den Ausschluss entscheiden.

Diese Regelung gilt allerdings unmittelbar nur für den Ausschluss eines Ausschussmitgliedes in einem einzelnen laufenden Verwaltungsverfahren. Hingegen geht es hier der Antragsgegnerin darum, gleichsam vorsorglich den Antragsteller aus allen künftigen Vergabeverfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit herauszunehmen. Es spricht aber viel dafür, dass der Schutz der Unabhängigkeit der Vergabekammer, die ihre Tätigkeit gemäß § 105 Abs. 1 GWB in eigener Verantwortung ausübt, es auch in einem solchen Fall gebietet, die verfahrensrechtliche Sicherungen des § 20 Abs. 4 VwVfG zu aktivieren und eine Entscheidung der Vergabekammer über die Befangenheit ihres stellvertretenden Vorsitzenden zu verlangen. Das Schutzbedürfnis der Vergabekammer vor einer Manipulation ihrer Zusammensetzung ist höher und nicht geringer, wenn eines ihrer Mitglieder aus Gründen der Befangenheit vorsorglich aus allen künftigen Vergabeverfahren herausgehalten werden soll, als wenn es nur um den Ausschluss aus einem gegenwärtig laufenden Verfahren geht. Dies rechtfertigt, die §§ 21 Abs. 2, 20 Abs. 4 HmbVwfG auch außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahren entsprechend anzuwenden. Eine derartige Ausschlussentscheidung kann die Vergabekammer dann auch außerhalb eines anhängigen Vergabeverfahrens treffen, wenn - wie hier - in Rede steht, dass der Antragsteller in allen denkbaren Vergabeverfahren befangen sein könnte.

An einer derartigen Entscheidung der Vergabekammer fehlt es hier. Insoweit bedarf keiner Entscheidung, ob - wofür manches spricht - die Antragsgegnerin, wenn die Vergabekammer den Antragsteller gewissermaßen vorsorglich von den Vergabeverfahren ausschließen sollte, seine Bestellung zum stellvertretenden Vorsitzenden widerrufen oder ihn sonst wie abberufen und dann eine Nachfolgeregelung treffen könnte und ob insoweit eine nachträgliche Heilung des Widerrufbescheides möglich ist.

Die Antragsgegnerin hat als Unterlegene die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 52 Abs. 1 u.2; 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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