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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 1 Bs 197/06
Rechtsgebiete: AufenthG, GG, EMRK


Vorschriften:

AufenthG 25 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Hat das Bundesamt für Migration für die Familienangehörigen eines ausreisepflichtigen Ausländers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt, so hindert dies die Ausländerbehörde anders als in den Fällen des § 25 Abs. 3 AufenthG bei der Entscheidung über die Aussetzung seiner Abschiebung nicht an der Prognose, dass die Feststellung voraussichtlich widerrufen werden wird und den Familienangehörigen zuzumuten ist, auf ihren Status zu verzichten und dem Ausländer in das gemeinsame Heimatland zu folgen, wenn sie die Familieneinheit wahren wollen.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

1 Bs 197/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Dr. Meffert sowie Richterin Huusmann am 26. Juli 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für das gesamte Verfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 1993 eingereiste Antragsteller afghanischer Staatsangehörigkeit heiratete 1996 im Wege der Ferntrauung eine Afghanin. Aus der Ehe sind 1998 und 2001 zwei Kinder hervorgegangen. 1997 wurde gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geführt, eine Gruppe illegal eingereister Ausländer, darunter seine Ehefrau, geschleust zu haben; das Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen Zahlung einer Geldbuße ein. Mit Urteil vom 8. April 2003 verurteilte das Landgericht Hamburg den im November 2002 in Haft genommenen Antragsteller wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Schleusens in 10 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und ordnete es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 28.435,- Euro für die von dem Antragsteller aus den von ihm organisierten Schleusungen an. Mit Beschluss vom 21. Juni 2004 setzte es die Reststrafe zur Bewährung aus.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat seine Feststellung widerrufen, dass der Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG entgegensteht. Hinsichtlich der Ehefrau des Antragstellers und seines 2001 geborenen Sohnes hat es mit Bescheid vom 5. November 2001 ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG festgestellt. Die Ehefrau und die Kinder des Antragsteller erhalten befristete Duldungen. Die Antragsgegnerin hat im Februar 2006 bei dem Bundesamt beantragt, die Feststellungen nach § 53 Abs. 6 AuslG zu widerrufen.

Mit Bescheid vom 17. November 2003 und Widerspruchsbescheid vom 7. April 2004 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller ausgewiesen und ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem mit Nichtzulassungsbeschluss des Beschwerdegerichts vom 22. Dezember 2005 - 1 Bf 346/05 - rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22. Juni 2005 abgewiesen.

Der Antragsteller verdient als teilzeitbeschäftigter Lagerarbeiter 500 Euro brutto im Monat; seine Familie bezieht ergänzende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, ihn am 2. August 2006 nach Afghanistan abzuschieben. Das Verwaltungsgericht hat es mit Beschluss vom 3. Juli 2006 abgelehnt, seine Abschiebung im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht hier gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, geben keinen Anlass, die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen.

1. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass seine Abschiebung nach § 60 a Abs.2 AufenthG auszusetzen ist, weil seiner Abschiebung gesundheitliche Gründe entgegenstehen. Die vorgelegten Atteste des Facharztes für Nervenheilkunde belegen nicht, dass im Falle seiner Abschiebung suizidale Handlungen drohen:

In dem Attest vom 9. Mai 2006, welches der Antragsteller nach der ihm am 24. April eröffneten Ankündigung seiner Abschiebung bei der Antragsgegnerin eingereicht hat, ist lediglich festgestellt, dass er an einer reaktiven depressiven Verstimmung, Migräne und Hyposomnie leidet. In dem dann vor dem Verwaltungsgericht eingereichten Attest vom 12. Juni 2006 ist ferner von einer Ticstörung die Rede. Die von einem anderen Arzt, dem Arzt für Allgemeinmedizin ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 7. Juni und 20. Juni 2006 sind nicht aussagekräftig. Es mag sein, dass der Antragsteller, der nach dem Bericht der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel vom 6. Mai 2004 in der Anstalt nie aufgefallen ist und bei Gesprächen leicht in eine weinerliche Haltung verfällt, an einer depressiven Verstimmung leidet. Dies steht seiner Abschiebung aber rechtlich nicht entgegen. Erst in dem mit der Beschwerde eingereichten Attest des Facharztes für Nervenheilkunde vom 11. Juli 2006 heißt es zusätzlich, der Antragsteller leide an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und sei zur Zeit nicht reisefähig. Eine Unterbrechung seiner Therapie würde zu einer erheblichen Verschlechterung seiner Gesundheit führen, bei latenter Suizidalität seien bei Abschiebung suizidale Handlungen zu erwarten. Eine Erläuterung, weshalb sich der Gesundheitszustand nunmehr verschlechtert haben soll und worauf die angebliche latente Suizidalität beruhen soll, fehlt. Die Steigerung der Angaben legt nahe, dass es sich um Gefälligkeitsbescheinigungen handelt, die unter dem Druck der bevorstehenden Abschiebung erstellt wurden. Darauf deutet auch hin, dass der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hamburg am 22. Juni 2005 - 16 332/05 ohne greifbaren Anhalt von der Gefahr seiner Erblindung bei einer Rückkehr nach Afghanistan gesprochen hat und er bei seiner Anhörung zu seiner bevorstehenden Abschiebung bei der Antragsgegnerin am 21. April noch angekündigt hatte, zum Christentum überzutreten und damit zur Presse zu gehen. Der Umstand, dass die bevorstehende Abschiebung den Antragsteller verständlicherweise außerordentlich bedrückt, rechtfertigt nicht, die Abschiebung auszusetzen. Die Antragsgegnerin wird seine Abschiebung durch Sicherheitsbeamte begleiten und auch dadurch die Gefahr einer suizidalen Kurzschlusshandlung mindern. Ferner hat sie angekündigt, die Reisefähigkeit des Antragstellers noch vor der Abschiebung ärztlich zu überprüfen.

2. Ferner hat der Antragsteller vorgetragen, bislang sei keine Entscheidung über den Widerruf der Feststellung des Bundesamtes zu dem Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG für seine Ehefrau und seine Kinder ergangen. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für einen Widerruf dürften gegeben sein, genüge vor dem Hintergrund des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht den rechtlichen Anforderungen. Damit hat er nicht dargelegt, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei fehlerhaft.

Es ist nicht ersichtlich, dass es der Familie des Antragstellers entgegen der in dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Juni 2005 getroffenen Würdigung nicht zugemutet werden könnte, ihm nach Kabul zu folgen, um die familiäre Lebensgemeinschaft aufrecht erhalten zu können. Die bloße Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG bedingt nicht zwangsläufig, dass der Antragsteller auf Dauer allein in Deutschland sein Familienleben fortsetzen könnte. Insoweit ist das Gericht bei der Würdigung der seiner Abschiebung widerstreitenden und durch Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK geschützten Interessen seiner Ehefrau und seiner Kinder nicht an die Feststellung des Bundesamtes gebunden. Die vorliegende Fallkonstellation ist nicht mit der der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 AufenthG vergleichbar. Für diese hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. vom 22.11.2005, DVBl 2006, 517) ausgeführt, dass Ausländerbehörden und Gerichte an die unanfechtbare Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) gebunden sind. § 25 Abs. 3 AufenthG knüpft die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis tatbestandlich an das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG. Die Regelung will verhindern, dass Flüchtlinge trotz dieses Status über viele Jahre hinweg nur Duldungen erhalten. Eine dem vergleichbare Interessenlage ist hier nicht gegeben. Vielmehr geht es um die materielle Abwägung, ob es der Familie des Antragstellers zugemutet werden kann, auf ihren Status zu verzichten und ihm nach Kabul zu folgen oder die Trennung von ihrem Ehemann bzw. ihrem Vater hinzunehmen. Insoweit indiziert die Feststellung des Bundesamts zwar, dass ihnen bei einer Rückkehr nicht mehr zumutbare Gefahren nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG drohen. Jedoch hindert dies eine eigenständige Würdigung der Gefahrenlage und eine Prognose, dass das Bundesamt die Feststellungen nach § 53 Abs. 6 AuslG widerrufen werde nicht.

Das Bundesamt hat - soweit ersichtlich - seine Feststellungen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vom 5. November 2001 vor dem Hintergrund der damaligen Hamburgischen Rechtsprechung zu dem Vorliegen einer extremen Gefahrenlage für Rückkehrer ohne Familien- bzw. Sippenanschluss in Afghanistan getroffen. Seitdem haben sich die Versorgungslage und die politischen Verhältnisse in Afghanistan erheblich verbessert und hat der Senat in Hinblick darauf seine frühere Rechtsprechung seit langem aufgegeben. Es ist nichts dafür dargelegt, dass die Prognose des Verwaltungsgerichts gleichwohl fehlerhaft sein könne, das Bundesamt werde seine Feststellungen widerrufen.

Auch im übrigen ist nicht dargelegt, dass es der Familie des Antragstellers trotz der von ihm begangenen schweren Straftaten und seiner fehlenden Integration sowie des Bezuges von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht zugemutet werden könnte, ihm notfalls freiwillig zu folgen, um die Familieneinheit zu wahren. Insoweit verkennt der Senat nicht, dass die Gründung einer Existenz in Afghanistan für Rückkehrer äußerst schwer und das Leben dort insbesondere für Frauen und Kinder regelmäßig sehr hart und sehr entbehrungsreich ist. Nach den Erkenntnissen des Senats besteht aber für aus Deutschland freiwillig zurückkehrende afghanische Familien regelmäßig keine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit oder Missachtung ihrer Menschenrechte (vgl. dazu OVG Münster, Urt. vom 5.4.2006 - 20 A 5161/04 A - ; OVG Hamburg, Beschl. vom 31.5.2005 - 1 Bs 171/05 - ). Dabei berücksichtigt der Senat die Hilfen, die die EU im Rahmen des Programmes RANA Rückkehrern bietet. Auch stockt die Antragsgegnerin laut Presserklärung vom 28. Juni 2006 die finanziellen Starthilfen von 500 Euro je Erwachsenen um 1000 Euro pro Person bis maximal 4000 Euro je Familie auf. Auch ist nicht dargelegt, dass die hier 1998 und 2001 geborenen Kinder sich nicht mehr auf ein Leben in Afghanistan umstellen könnten. Dagegen spricht ihr Alter. Auch werden sie über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen. Sie sind in einer afghanischen Familie aufgewachsen, deren Vater, der Antragsteller, noch in 2004 in der Strafhaft einen Dolmetscher benötigte.

Der Antragsteller hat als Unterlegener gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1; 63 Abs. 3 GKG. Der Antragsteller begehrt in der Sache nicht nur eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Ihm geht es um die Sicherung eines langfristigen Aufenthaltsrechtes wie sein Verweis auf Art. 6 GG zeigt. Deshalb bemisst das Gericht den Streitwert auf die Hälfte des Auffangwertes.

Ende der Entscheidung

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