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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 1 Bs 447/04
Rechtsgebiete: HmbSoG, LMEV, Richtllinie 97/78/EG


Vorschriften:

HmbSoG § 14 Abs. 1 a
LMEV § 4
LMEV § 6 Abs. 3
Richtllinie 97/78/EG Art. 17 Abs. 2
1.) Fleisch, für dessen Einfuhr die gemäß § 4 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung -LMEV -in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.4.1999, BGBl. I S. 775 m.Änd.) erforderliche Dokumentenprüfung mangels authentischer Dokumente nicht durchgeführt werden kann, kann sichergestellt werden.

2.) § 6 Abs. 3 LMEV ist entsprechend Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 97/78 EG (Abl. L 24 v. 30.1.1998) präzisierend dahingehend auszulegen, dass der Rücktransport nicht einfuhrfähiger Lebensmittel mit demselben Transportmittel (hier: Kühlcontainer) zu erfolgen hat.


1 Bs 447/04

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Raecke, Dr. Meffert und E.-O. Schulz am 6. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. September 2004 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 119.358 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt ein internationales Schifffahrtsunternehmen. Im August 2004 transportierte sie ihr gehörige Kühlcontainer, die in Indien mit Fleisch beladen worden waren, auf dem Seewege nach Hamburg zum Weitertransport nach Lettland. Wegen eines russischen Importverbotes blieben die Container im Hamburger Hafen und wurden hier von der Antragsgegnerin einer Durchfuhr-/Einfuhrkontrolle unterzogen. Wegen teils fehlender teils gefälschter Dokumente "beschlagnahmte" die Antragsgegnerin das Fleisch mit den Containern. Der dagegen eingelegte Widerspruch führte nicht zur Freigabe der Container. Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht ab.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1.) Es bedarf im Beschwerdeverfahren keiner Erörterung, ob das Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn der Antragstellerin die Möglichkeit verblieben wäre, vor der Entscheidung die vorbereitete umfangreiche Stellungnahme abzugeben. Denn im Beschwerdeverfahren hatte die Antragstellerin hinreichend Gelegenheit, ihren Vortrag zu ergänzen.

2.) Es bedarf im vorliegenden Verfahren auch keiner Entscheidung, ob die Antragsgegnerin nach nationalem Recht verpflichtet ist, neben der Dokumenten- und Nämlichkeitskontrolle auch eine Warenkontrolle des in den 30 Kühlcontainern gelagerten Fleisches unbekannter Herkunft durchzuführen, oder ob sich die Antragsgegnerin auf Art. 12 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/78/EG vom 18. Dezember 1997 (Abl. 1998 L 24/9) berufen kann. Danach ist eine Warenuntersuchung - außer wenn begründeter Verdacht auf Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier besteht - nicht erforderlich, wenn bereits die Dokumentenprüfung ergibt, dass die betreffenden Erzeugnisse nicht die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erfüllen. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Anordnungen der Antragsgegnerin, mit denen diese die "Beschlagnahme" der aus Indien stammenden Fleischsendungen einschließlich der Kühlcontainer der Antragstellerin verfügt hat.

3.) Es bedarf vorliegend auch keiner Entscheidung, ob die "Beschlagnahme" der Kühlcontainer, wie das Verwaltungsgericht meint, auf § 40 Abs. 1 Satz 2 der Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung vom 10. August 1999 (BGBl. I S. 1280 m. Änd.) gestützt werden kann. Zwar sind danach auf Anforderung den beauftragten Personen Waren und Gegenstände zur Untersuchung zu überlassen, aber die Antragsgegnerin will erklärtermaßen eine Untersuchung des aus Indien eingeführten Rindfleisches nicht vornehmen.

4.) Denn jedenfalls ist die "Beschlagnahme" als Sicherstellung aufgrund von § 14 Abs. 1 Buchst. a) des hamburgischen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14. März 1966 (HmbGVBl. S. 77 - SOG-) rechtmäßig (a) . Die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 5. Oktober 2004 ist rechtlich nicht zu beanstanden (b).

a) Aufgrund von § 14 Abs. 1 Buchst. a SOG dürfen Sachen nur sichergestellt werden, wenn dies erforderlich ist zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine solche unmittelbare Gefahr geht von der in den Kühlcontainern der Antragstellerin gelagerten Sendung Rindfleisch aus. Denn dieses Rindfleisch ist im Zuge der Herstellung nicht nachweisbar tierärztlich untersucht worden. Soweit die Sendung überhaupt Untersuchungspapiere und Untersuchungskennzeichnungen aufweist, ist inzwischen zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die scheinbar australischen Dokumente und Prüfstempel Totalfälschungen sind. Unstreitig ist auch, dass die fraglichen Container in Indien beladen und von einer indischen Firma mit der Antragstellerin von Indien aus nach Europa zunächst mit dem Ziel der Durchfuhr nach Russland verschifft worden sind. Unstreitig kann der beabsichtigte Export nach Russland nicht mehr erfolgen, weil Russland aus Indien stammendes Fleisch als nicht importfähig zurückweist. Damit steht für das Eilverfahren fest, dass für das nach Deutschland von der Antragstellerin transportierte (Rind-)Fleisch weder Bescheinigungen tiermedizinischer Art noch darüber existieren, dass das Fleisch zum menschlichen Genusse taugt. Wegen seines Ursprunges aus Indien besteht darüber hinaus auch der naheliegende Verdacht, dass es mit dem in Indien grassierenden Erreger der Maul- und Klauenseuche (MKS) kontaminiert ist.

Ist folglich mangels authentischer Dokumente für das eingeführte Fleisch eine gemäß § 4 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung (in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.4.1999, BGBl. I S. 775 m. Änd.) erforderliche Dokumentenprüfung durch die Antragsgegnerin nicht möglich, entspricht die Sendung nicht lebensmittelrechtlichen Anforderungen. Die von der Sendung ausgehenden Gefahren beschränken sich wegen des Ursprungslandes Indien und des damit verbundenen Risikos einer Verseuchung mit MKS nicht nur auf menschliche Verbraucher des Fleisches. Angesichts der außerordentlichen Gefahren, die von den sich leicht verbreitenden, die MKS verursachenden Viren für die Zuchttierbestände ausgehen, ist es geboten, bis zu einer Entscheidung über die Sendung gemäß § 6 Abs. 3 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung die Sendung sicherzustellen. Ein anderes oder milderes Mittel zur Begegnung der von dem Fleisch ausgehenden Gefahren ist nicht erkennbar.

Dass davon auch die Kühlcontainer der Antragstellerin, in denen das Fleisch transportiert wird, erfasst sind, ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 6 Abs. 3 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung. Eine der nach dieser Vorschrift möglichen Maßnahmen, die die Antragsgegnerin ergreifen kann, wenn sie, wie hier , feststellt, dass das Erzeugnis nicht den lebensmittelrechtlichen Anforderungen genügt, ist dem Absender, Empfänger oder dem Bevollmächtigten zu gestatten, die Ware innerhalb einer Frist von 60 Tagen aus dem Gebiet der EU an einen vereinbarten Bestimmungsort zu verbringen. Präziser sieht Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 97/78/EG vor, dass die Rücksendung des Erzeugnisses mit demselben Transportmittel ab derselben Grenzkontrollstelle erfolgt. Mit demselben Transportmittel ist u.a. der Container gemeint, mit dem die Ware transportiert worden ist (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 171 § 6 Rdz. 12). Um der Richtlinien zu der gebotenen effektiven Umsetzung zu verhelfen, ist § 6 Abs. 3 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung präzisierend dahin auszulegen, dass der Rücktransport in der von der Richtlinie vorgesehenen Weise zu erfolgen hat, um so die vorgeschriebenen Kontrollen auch effektiv durchzusetzen.

Haben die Beteiligten demnach die Möglichkeit, sich auf einen Re-Export des in den Kühlcontainern transportierten Fleisches zu einem vereinbarten Bestimmungsort außerhalb der EU zu einigen, läuft die hierfür vorgesehene Frist von 60 Tagen frühestens mit Ablauf des 18. Oktober 2004 ab. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht die Möglichkeit, dass die Antragsgegnerin einen Re-Export der Sendung in den Kühlcontainern gestattet, um so in der EU der von dem Fleisch ausgehenden Gefahr zu begegnen. Bis dahin können die Container gemeinsam mit der Sendung Fleisch sichergestellt werden. Entgegen der Annahme der Beschwerde vermag das Beschwerdegericht den Stellungnahmen der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen, dass sie ohnehin zur Vernichtung der Ware entschlossen sei. Die Entscheidung über einen Re-Export hat die Antragsgegnerin - soweit ersichtlich - mit Rücksicht auf § 6 Abs. 3 Lebensmitteleinfuhr-Verordnung auch davon abhängig gemacht, wie verlässlich sich die Vereinbarung eines Bestimmungsortes außerhalb der EU für den Re-Export darstellte. Das erscheint angesichts der zweifelhaften Herkunft und offensichtlich gefälschter Dokumente nicht als unangemessen. Dies gilt sowohl hinsichtlich des angeblichen Käufers aus der Ukraine als auch der von der Antragstellerin als Eigentümer präsentierten beiden indischen Firmen, die sich beide als Eigentümer der Ware bezeichnen und die Rücksendung nach Indien begehren.

b.) Stellt sich nach alledem die Sicherstellung der Sendung einschließlich der Kühlcontainer der Antragstellerin als rechtmäßig dar, ist auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vom 5. Oktober 2004 nicht zu beanstanden. Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 VwGO). Angesichts der von Rindfleisch aus Indien ausgehenden Seuchengefahren besteht auch das festgestellte besondere öffentliche Interesse daran, das Fleisch mit den Kühlcontainern, in denen es sich befindet, bis zu einer Entscheidung über Re-Export oder Vernichtung sicherzustellen.

5.) Da sich nach alledem die Sicherstellung der Container als rechtmäßig erweist, kann der Hilfsantrag, die Container entladen freizugeben, keinen Erfolg haben.

6.) Für den weiter hilfsweise gestellten Antrag, festzustellen, dass die Antragstellerin für die Ware nach Entladung aus den Containern keine Kosten zu tragen hat, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Selbst wenn die Antragsgegnerin die Antragstellerin für die Ware nach einer Entladung für dann eventuell entstehende weitere Kosten heranziehen sollte, kann die Rechtmäßigkeit einer solchen Heranziehung wegen fehlender Eilbedürftigkeit in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden. Einer Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren bedarf es jedenfalls nicht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert bemisst sich nach § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 - KostRMoG - (BGBl. 2004 S. 718 ff.). Dabei legt das Beschwerdegericht in Anlehnungen II 25.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung 1996 (NVwZ 1996, S. 563) das geschätzte wirtschaftliche Interesse der Antragsgegnerin zugrunde. Die Antragsgegnerin wird ihre Entscheidung über einen Re-Export oder eine Vernichtung des in den Kühlcontainern gelagerten Fleisches binnen 60 Tagen nach Eintreffen der Container in Hamburg, also hinsichtlich der ersten bis zum 19. Oktober 2004 getroffen haben, so dass danach die Container ohnehin entweder zum Weitertransport des darin befindlichen Fleisches der Antragstellerin zur Verfügung stehen oder wegen der Vernichtung des Fleisches nicht mehr benötigt werden. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betraf mithin die Verkürzung der Dauer der Beschlagnahme und der damit verbundenen Kosten der Antragstellerin von täglich 6.282,- Euro. Für das Beschwerdeverfahren schätzt das Beschwerdegericht daher das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin auf 119.358,- Euro.

Ende der Entscheidung

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