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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.07.2006
Aktenzeichen: 1 So 105/06
Rechtsgebiete: HmbSG


Vorschriften:

HmbSG § 6
Beschwerde des Vaters gegen Erzwingungshaft zur Durchsetzung der Schulpflicht grundsätzlich zurückgewiesen.
Gründe:

I.

Der Antragsgegner ist Vater dreier schulpflichtiger Kinder im Alter von 14, 12 und 10 Jahren. Seit Oktober 2001 besucht keines dieser drei Kinder eine Schule. Der Antragsgegner unterrichtet seine Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau zu Hause selbst. Den Antrag, die Kinder vom Besuch der öffentlichen Schule freizustellen, hat die Antragstellerin abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden (vgl. Beschl. des Senats vom 27.9.2004 - 1 Bf 25/04 - ). Mit gleichartigen Bescheiden vom 3. Januar 2006 gab die Antragstellerin dem Antragsgegner und seiner Ehefrau auf, die 1991, 1993 und 1995 geborenen Kinder an einer staatlichen, staatlich anerkannten oder staatlich genehmigten Ersatzschule anzumelden und für ihre regelmäßige Teilnahme am Unterricht sowie an allen Unterrichtsveranstaltungen Sorge zu tragen. Die Antragstellerin ordnete die sofortige Vollziehung der Bescheide an. Die Anträge des Antragsgegners auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche hatten keinen Erfolg (vgl. Beschl. des Senats vom 4.4.2006 - 1 Bs 63/06 - ). Der Antragsgegner kam seinen Verpflichtungen aus den Bescheiden gleichwohl nicht nach. Der Versuch der Antragstellerin, das verhängte Zwangsgeld einzutreiben, blieb am 10. Februar 2006 vergeblich, weil in der Wohnung des Antragsgegners keine pfändbaren Gegenstände vorgefunden wurden.

Unter dem Datum 13. Februar 2006 beantragte die Antragstellerin gegen den Antragsgegner Erzwingungshaft anzuordnen. Am 21. März 2006 ordnete das Verwaltungsgericht Hamburg, gegen den Antragsgegner zur Durchsetzung der mit Bescheiden vom 3. Januar 2006 verfügten Maßnahmen zur Einhaltung der Schulpflicht eine Erzwingungshaft von einer Woche an. Auf die Beschwerde des Antragsgegners ordnete der Senat mit Beschluss vom 24. April 2006 - 1 So 56/06 - lediglich Erzwingungshaft zur Durchsetzung der Verpflichtung des Antragsgegners an, die genannten Kinder in einer der ihm zur Wahl aufgegebenen Schulen anzumelden. Daraufhin meldete der Antragsgegner seine genannten drei Töchter in der ... Schule an. Gleichwohl erschienen sie nicht zum Unterricht. Auch nachdem sie am 18. Mai 2006 zwangsweise der Schule zugeführt worden waren, besuchten sie in der Folgezeit die Schule nicht.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 16. Juni 2006, mit dem dieses gegen ihn Erzwingungshaft von einer Woche angeordnet hat, um seine Verpflichtung durchzusetzen, für den regelmäßigen Schulbesuch seiner genannten drei Töchter in der ... Schule zu sorgen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners hat im wesentlichen keinen Erfolg. Lediglich in Hinblick auf die zur Zeit laufenden Sommerferien war der noch vor Ferienbeginn ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichts zu modifizieren. Dem Antragsgegner ist Gelegenheit zu geben, seiner Inhaftnahme dadurch zu entgehen, dass er für den sofortigen Schulbesuch seiner Töchter mit dem Unterrichtsbeginn nach dem Ende der Sommerferien sorgt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht Erzwingungshaft angeordnet.

1. Der Erzwingungshaft steht nicht mehr entgegen, dass die Verpflichtung des Antragsgegners für den regelmäßigen Schulbesuch seiner drei Töchter zu sorgen, denklogisch die Anmeldung in einer Schule voraussetzt, die sie besuchen können (vgl. Beschluss des Senats vom 24.4.2006 - 1 So 56/06 - ). Nachdem der Antragsgegner unter dem Druck der mit Beschluss vom 24. April 2006 angeordneten Erzwingungshaft seine Kinder zur ... Schule angemeldet hat, hat sich seine Verpflichtung darauf konzentriert, für den regelmäßigen Besuch dieser Schule zu sorgen.

2. Soweit der Antragsgegner geltend macht, dass die zu vollstreckenden Grundverfügungen vom 3. Januar 2006 ihn in seinem elterlichen Erziehungsrecht verletzten, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine in den vorangegangenen Verfahren des Antragsgegners ergangenen Beschlüsse vom 24. April 2006 - 1 So 56/06 - sowie 4. April 2006 - 1 Bs 63/06 - und vom 27. September 2004 - 1 Bf 25/04 -. Auch das jetzige Beschwerdevorbringen stellt die Rechtmäßigkeit der Grundverfügungen, für den regelmäßigen Schulbesuch der drei Töchter zu sorgen, nicht in Frage. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.

a. Der Antragsgegner trägt nunmehr unter Bezugnahme auf die von der Antragstellerin herausgegebenen Sexualpädagogischen Materialien für die Schule von September 1997 mit einer für die Verwendung im Unterricht bestimmten Literaturauswahl vor, der Sexualkundeunterricht erfolge emanzipatorisch und indoktrinär und verletze die von dem Bundesverfassungsgericht für seine Durchführung aufgestellten Anforderungen. Ob dies so ist, bedaarf keiner Prüfung. Denn jedenfalls rechtfertigen die Befürchtungen des Antragsgegners es nicht, seine Kinder überhaupt nicht zur Schule zu schicken. Gemäß § 6 Abs. 2 HmbSG hat die Schule die Erziehungsberechtigten über Ziele, Inhalte und Formen der Sexualerziehung rechtzeitig zu informieren. Es besteht kein Anlass zu bezweifeln, dass die ... Schule dieser Informationspflicht rechtzeitig genügen wird, bevor sie die Töchter des Antragsgegners in den Sexualkundeunterricht einbezieht. Sodann ist ggf. unter Einbeziehung der Schulaufsicht und notfalls im Verwaltungsrechtsweg zu prüfen, ob der dann konkret geplante Unterricht die in § 6 Abs. 1 HmbSG formulierten und von dem Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen verletzt und die Schule insbesondere den Versuch unternimmt, die Töchter des Antragsgegners mit dem Ziel zu indoktrinieren, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 - juris -). Insoweit vermag sich der Antragsgegner auch nicht darauf zu berufen, dass Sexualkunde fachübergreifend unterrichtet werden soll. Dies ändert an der Informationspflicht der Schule nichts.

b. Der Antragsgegner macht ferner geltend, die Antragstellerin indoktriniere die Schüler einseitig, indem sie ausschließlich die Evolutionslehre behandele. Hierzu hat der Senat bereits in seinen oben genannten früheren Entscheidungen Stellung genommen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 31. Mai 2006 nicht beanstandet, dass die Behandlung der Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt und im übrigen die Evolutionstheorie gelehrt wird.

c. Auch das Vorbringen des Antragsgegners überzeugt nicht, die Antragstellerin verletze durch die sog. NewAge Pädagogik ihre Neutralitätspflicht. Diese setze im Sinne der Frankfurter Schule und der neuen Linken ihre neomarxistische emanzipatorische Ideologie in der Schule durch und zersetze dadurch seine Glaubenserziehung. Die von dem Antragsgegner vorgelegten Schriften ergeben nicht, dass die Antragstellerin in Hamburg tatsächlich eine einseitig indoktrinierende Pädagogik betreibt. Der Antragsgegner muss hinnehmen, dass seine Kinder in der staatlichen Schule auch mit Weltanschauungen und Lebensweisen konfrontiert werden, die seiner Glaubensüberzeugung widersprechen und die er für schädlich hält. Weder von Seiten des Schulgesetzes noch von Verfassungs wegen ist etwas dagegen einzuwenden, dass der Schulunterricht meinungs- und wertepluralistisch ausgerichtet ist und deshalb nicht dem religiösen Weltbild des Antragsgegners entspricht (vgl. BVerfG a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht a.a.O. hat ausgeführt. "Die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlichdemokratisch ausgestalteten Gemeinwesen. Hiermit stünden weder eine einseitig an den Überzeugungen der Beschwerdeführer orientierter Schulunterricht, durch welchen der Staat vielmehr Gefahr liefe, das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu Lasten anderer Anschauungen zu verletzen, noch eine völlige Abschottung der Schulkinder von dem breiten Spektrum der gesellschaftlich vertretenen naturwissenschaftlichen und moralisch-ethischen Positionen in Einklang."

3. Nach allem bestehen keine Bedenken, dass die Antragstellerin die zu Recht für sofort vollziehbar erklärten (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 4.4.2006 - 1 Bs 63/06 - ) Grundverfügungen vollstreckt. Der Senat sieht entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners weiterhin keinen Anlass, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszusetzen.

Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben und die gemäß § 24 Satz 1 HmbVwVG vor der Anordnung der Erzwingungshaft anzuwenden Zwangsmittel haben keinen Erfolg gehabt. Auch verspricht ihre Wiederholung offenbar keinen Erfolg. Zwangsgelder konnten nicht beigetrieben werden und auch die Anordnung des Schulzwanges und die bereits einmal erfolgte zwangsweise Vorführung der Kinder in der ... Schule haben den Antragsgegner nicht davon abgebracht, seinen hartnäckig seit vielen Jahren geleisteten Widerstand gegen den Schulbesuch seiner Töchter fortzusetzen. Er hat seine Kinder auch nach der erst unter dem Druck der Erzwingungshaft erfolgten Anmeldung in der ... Schule weiterhin vom Schulbesuch abgehalten und beabsichtigt dies - wie sein Vorbringen in dem vorliegenden Verfahren bestätigt - auch weiterhin zu tun. Jedenfalls nach den mit dem Antragsgegner gemachten Erfahrungen ist die Antragstellerin nicht darauf zu verweisen, den Schulbesuch der Töchter im Wege der zwangsweisen Zuführung der Kinder in die Schule durchzusetzen. Ein milderes Mittel als die Anordnung der Erzwingungshaft ist nicht ersichtlich und diese ist nach allem nicht unverhältnismäßig. Sie erscheint auch geeignet, die Schulpflicht durchzusetzen. Der Antragsgegner ist in der Lage, bestimmenden Einfluss auf seine Töchter auszuüben und diese zur Schule zu schicken. Eine kürzere Erzwingungshaft als eine Woche erscheint hingegen nicht geeignet, den Antragsgegner davon abzubringen, seine Töchter aus der Schule fernzuhalten. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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