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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.04.2007
Aktenzeichen: 1 So 26/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 11
Es besteht für Drittstaatsangehörige kein Anspruch, die Wirkungen einer Ausweisung auf einen Zeitpunkt vor der erstmaligen Ausreise zu befristen.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

1 So 26/07

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld und Dr. Meffert sowie die Richterin Walter am 12. April 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin reiste am 28. Juli 2002 ohne Visum und Ausreisepapiere in die Bundesrepublik ein. Sie wurde deshalb mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Juli 2002 ausgewiesen und danach geduldet. Sie ist seit 15. August 2003 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet und lebt mit ihm und ihren beiden 2004 und 2006 geborenen Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft. Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bzw. Aufenthaltserlaubnis wurde mehrfach wegen der Sperrwirkung der Ausweisung abgelehnt.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2003 befristete die Beklagte die Wirkungen der Ausweisung auf eine Woche ab Ausreise. Im März 2006 beantragte die Klägerin, die Wirkungen der Ausreise auf den Zeitpunkt der Eheschließung, hilfsweise auf sofort zu befristen und die in der Duldung vom 7. März 2005 erteilte Auflage "erlischt ab Flugtermin" aufzuheben. Weiter beantragte sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG, im Mai 2006 dann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom 30. März 2006 und dem Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2006 abgelehnt. Mit der dagegen erhobenen Klage 5 K 1962/06 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Am 30. Juni 2006 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren 5 K 1962/06 mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Februar 2007 abgelehnt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Prozesskostenhilfe ist der Klägerin nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Daher ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2007 nicht zu beanstanden.

1. Die Klägerin begehrt mit der Klage die Feststellung, dass die Auflage "erlischt mit Flugtermin" in der Duldung vom 7. März 2005 rechtswidrig war. Für diese Rechtsverfolgung fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, weil ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Auflage nicht substantiiert vorgetragen oder ersichtlich ist. Die hier streitgegenständliche Duldung wurde nur bis 6. Juni 2006 erteilt und danach ohne diese Auflage bis November 2006 verlängert. Sie entfaltet keine weitergehenden oder fortbestehenden Rechtswirkungen mehr. Vielmehr ist die Klägerin seit 30. Juni 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Ein Interesse an der nachträglichen Feststellung der behaupteten Rechtswidrigkeit der Auflage ist mit dem Vortrag der Klägerin in der Klageschrift vom 16. Juni 2006 nicht nachgewiesen worden. Welches schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art die Klägerin, die nun eine gefestigte Rechtsposition inne hat, an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bis 6. Juni 2006 zeitlich befristeten Aussetzung der Abschiebung haben sollte, ist nicht erkennbar. Der bloße - vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ergangene - Hinweis auf die Möglichkeit, dass mit einer solchen Auflage erneut zu rechnen sein könnte und dass die Klägerin die Gebühren des Widerspruchsverfahrens zu tragen habe, rechtfertigt ein Feststellungsinteresse nicht.

2. Weiter begehrt die Klägerin, unter Aufhebung der Bescheide vom 30. März 2006 und vom 16. Mai 2006 die Wirkungen der Ausweisung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auf sofort ohne Verpflichtung zur Ausreise und Durchführung des Visumsverfahrens zu befristen. Ein solcher Anspruch der Klägerin auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung ohne die Verpflichtung zur Ausreise oder auf eine diesbezügliche ermessensfehlerfreie Bescheidung ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin unter ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des BVerfG, des BVerwG und der Obergerichte sowie der Kommentierung ausführt, wegen der beiden deutschen Kleinkinder sei ihre Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu befristen, weil ein Regelfall im Sinne der Vorschrift vorliege, ist die Beklagte diesem Begehren bereits im Oktober 2003 nachgekommen. Denn sie hat unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Ehemann die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf einen sehr kurzen, kaum noch zu reduzierenden Zeitraum von einer Woche ab Ausreise befristet. Daher ist es unerheblich, dass zu diesem Zeitpunkt die beiden später geborenen Kinder noch nicht in die Ermessensbetätigung der Beklagten bei der Fristberechnung einbezogen werden konnten. Eine Befristung mit dem Ziel, nicht ausreisen zu müssen, kann die Klägerin nicht verlangen. Diesem Begehren stehen Wortlaut und systematische Funktion des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG entgegen. Danach beginnt bei einer Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AuslG die Frist mit der Ausreise des Ausländers aus dem Bundesgebiet (vgl. auch § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Diese gesetzliche Bestimmung findet nach ihrem eindeutigen Wortlaut grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn einer zwangsweisen Abschiebung oder freiwilligen Ausreise des ausgewiesenen Ausländers - wie im Falle der Klägerin - rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen.

Auch in den Fällen, in denen gegenwärtig weder eine Abschiebung noch eine freiwillige Ausreise des Ausländers in Betracht kommt, besteht für eine - in der Rechtsprechung vereinzelt für notwendig gehaltene (vgl. ohne nähere Begründung: OVG Bremen, Urteil vom 30.10.2001, InfAuslR 2002, 119 ) - einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dahingehend, dass die Befristungswirkungen ohne Anknüpfung an eine vorherige Ausreise einzutreten hätten, keine Veranlassung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Fälle, in denen sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise des ausgewiesenen Ausländers nicht möglich sind, bei der Formulierung der Regelung nicht bedacht hat und daher eine Regelungslücke besteht. Dagegen spricht bereits die Entstehungsgeschichte der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 2 AuslG, die mit der Neuregelung in § 11 Abs. 1 AufenthG vom 30. Juni 2004 (BGBl. I, S. 1950) nicht geändert wurde. Die Notwendigkeit, nach einer Ausweisung das Land zu verlassen, war ein wichtiger Bestandteil der Neuregelung. Mit ihr sollte die bisweilen geübte und nach dem Ausländergesetz 1965 mögliche Praxis beendet werden, in die Frist die Zeit eines meist illegalen Verbleibens im Bundesgebiet einzurechnen oder die Frist auf Null festzusetzen und so eine Ausreise zu erübrigen (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs, BT-Drs. 11/6321 S. 57). Auf Anregung des Bundesrats wurde zwar später § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG - abweichend vom Regierungsentwurf - so gefasst, dass die Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung schon vor der Ausreise befristet werden können (vgl. BT-Drs. 11/654 S. 2, 10). An der normativen Fixierung des Fristbeginns, nämlich dem Tag der Ausreise bzw. Abschiebung, wurde jedoch festgehalten. Hieraus ergibt sich der uneingeschränkte Wille des Gesetzgebers, den Lauf der für den Wegfall der Sperrwirkung der Ausweisung gesetzten Frist ausnahmslos erst mit der Ausreise bzw. Abschiebung des Ausländers beginnen zu lassen. Dieser Wille hat auch im Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eindeutig seinen Niederschlag gefunden(vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 15.11.2004, InfAuslR 2005, 52; Hailbronner, AufenthG, Komm., Stand Dezember 2006, § 11 Rdnr. 30).

Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift mit dem von der Klägerin begehrten Ziel, im Falle eines Abschiebungshindernisses aus Art. 6 Abs.1 AufenthG wegen der Unzumutbarkeit der Trennung von den beiden Kleinkindern auf die Ausreise zu verzichten, ist nicht veranlasst. Denn der Gesetzgeber hat neben § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG mit der Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG eine Regelung geschaffen hat, die gerade die hier vorliegende Fallgestaltung eines rechtlichen Abschiebungshindernisses erfasst und zur Vermeidung grundrechtsbeeinträchtigender und unverhältnismäßiger Anforderungen an die Ausreise eine Ausnahme von § 11 Abs. 1 AuslG zulässt. § 25 Abs. 5 AufenthG (früher: § 30 Abs. 4 AuslG) ermöglicht es einem ausgewiesenen Ausländer, der aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen weder abgeschoben werden noch freiwillig ausreisen kann, ohne vorherige Ausreise und ohne Befristung der Wirkungen der Ausweisung wieder einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlangen. Es führt daher nicht zu unverhältnismäßigen, vom Gesetzgeber nicht bedachten Folgen, wenn - gemäß dem geltenden Recht - der Lauf der für den Wegfall der Sperrwirkung der Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AuslG gesetzten Frist nicht vor der Ausreise des ausgewiesenen Ausländers beginnen kann.

Zwar mag, wie sich aus der Befristung auf eine Woche ab Ausreise ergibt, der mit der Ausweisung verfolgte Zweck des Fernhaltens wegen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Falle der Klägerin nicht mehr vorliegen. Gleichwohl erfordert der Status der Klägerin als Drittstaatsangehörige keine Gleichstellung mit EU-Ausländern (a.A. OVG Bremen, a.a.O.). Für diese gilt im Übrigen nun nach der Neuregelung § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU. Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BVerwG freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines EG-Mitgliedstaats (Unionsbürger) unter Geltung des AufenthG/EWG beanspruchen konnten, dass ihnen ohne weiteres - ohne vorherige Ausreise (d.h. entgegen der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG (= § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG ) - der rechtmäßige Aufenthalt durch Befristung der Ausweisungswirkungen ermöglicht werden muss, wenn die Ausländerbehörde die Ausweisung noch nicht vollzogen hat und keine Gründe mehr vorliegen, die eine Einschränkung des dem Ausländerrecht zustehenden Freizügigkeitsrechts rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999, BVerwGE 110, 140 = InfAuslR 2000, 176 ). Diese Rechtsprechung trägt jedoch dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Rechnung, der erfordert, dass eine Befristung der Wirkungen einer Ausweisung eines Unionsbürgers so erfolgen muss, dass sich das diesem zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann, wenn keine Gründe mehr vorliegen, die eine Einschränkung der Freizügigkeit nach § 12 Abs. 1 AufenthG/EWG (vgl. § 6 FreizügG/EU) rechtfertigen. Dahinstehen kann, ob diese Rechtsprechung auf die Neuregelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU Anwendung finden kann. Sie kann jedenfalls wegen des entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers und des Wortlauts der Vorschrift nicht auf Fälle wie den vorliegenden übertragen werden.

Auch die Entscheidung des BVerwG vom 13. Dezember 2005 (BVerwGE 125, 1) steht dem so verstandenen Verständnis der Vorschrift nicht entgegen. Danach kann ein anerkannter Flüchtling, dessen Aufenthalt nach einer Ausweisung geduldet ist, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GFK die Ausstellung eines Flüchtlingsausweises verlangen; § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG steht dem nicht entgegen. Das Gericht betont ausdrücklich, dass Ausnahmen von der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur aufgrund spezialgesetzlicher Vorschriften bestehen (vgl. auch Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 10) und sieht Art. 28 GFK als eine solche Sonderregelung an, die neben den Ausnahmen nach §§ 25 Abs. 5, 37 Abs. 3 Nr. 1, 11 Abs. 2 AufenthG Geltung beansprucht.

3. Prozesskostenhilfe ist auch nicht zu bewilligen, um der Klägerin den Instanzenzug bis zum Bundesverwaltungsgericht zur Klärung einer schwierigen, offenen Rechtsfrage zu ermöglichen. Die Rechtslage lässt sich angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung und der durch die Rechtsprechung bestehenden Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantworten (vgl. zum Maßstab: BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990, BVerfGE 81, 347, 359; Beschl v. 14.6.2006, NVwZ 2006, 1156). Daher ist es trotz des von der Klägerin angeführten, nicht näher begründeten Urteils des OVG Bremen vom 30. Oktober 2001 (a.a.O.) nicht geboten, der Klägerin im Interesse der Gleichstellung mit wirtschaftlich besser gestellten Klägern Prozesskostenhilfe zu gewähren.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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