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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 2 Bf 156/06.Z
Rechtsgebiete: HBauO 1986


Vorschriften:

HBauO 1986 § 76 Abs. 3 Satz 1 (HBauO 2006 § 76 Abs. 2 Nr. 1)
Eine bauliche Anlage ist verwahrlost, wenn ihre Erhaltung auch einem minderen Standard an ortsüblicher Pflege und Erhaltung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr genügt und sie deshalb offenbare Zeichen eines Verfalls ausweist.
2 Bf 156/06.Z

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter Dr. Ungerbieler und Probst sowie die Richterin Sternal am 9. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. April 2006 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens nach einem Streitwert von 7.000 €.

Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. April 2006 bleibt ohne Erfolg.

1. Soweit der Kläger die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begehrt, weil das Verwaltungsgericht auch jenen Teil der angegriffenen Verfügung der Beklagten als rechtmäßig angesehen und die Anfechtungsklage abgewiesen hat, mit dem ihm aufgegeben worden war, auf einer Freifläche seines Grundstücks zwischen dem Gebäude und der Wegefläche "S............." gelagerten Schutt und Unrat zu entfernen, dürfte es dem Kläger bereits am erforderlichen Rechtsschutzinteresse für ein Berufungsverfahren fehlen. Denn er selbst macht geltend, der Bescheid der Beklagten habe sich insoweit erledigt, da er im März 2005 den bis zu diesem Zeitpunkt auf der Freifläche angefallenen Bauschutt beseitigt habe. Zugleich hat der Kläger allerdings weder erstinstanzlich eine Erledigungserklärung abgegeben oder den Klagantrag insoweit auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt noch solches für das Berufungsverfahren angekündigt. Die Frage kann allerdings auf sich beruhen.

Denn eine Zulassung der Berufung wäre insoweit auch in der Sache nicht veranlasst, weil das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheids im Oktober 2000 und des Widerspruchsbescheids im Juni 2003 die Entfernung von - nach bei der Sachakte befindlichen Photos - im fraglichen Grundstücksbereich lagerndem Schutt, mag dieser noch von dem an dieser Stelle vorgenommenen Abriss eines Anbaus oder aus anderen Quellen gestammt haben, nach § 76 Abs. 3 Satz 3 HBauO anordnen durfte. Diese Regelung verpflichtet einen Grundstückseigentümer, nach einem Abbruch den betroffenen Bereich vollständig von Schutt zu befreien und planiert herzurichten (vgl. Alexejew/Haase/Großmann, Hamburgisches Bauordnungsrecht, § 76 HBauO Rdnr. 52, 105). Inhaltliche Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung veranlassen könnten, sind der Begründung des Zulassungsantrags nicht zu entnehmen.

2. Die Entscheidung unterliegt aufgrund der vom Kläger erhobenen Rügen auch im Übrigen keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit ihres Ergebnisses.

Entgegen seiner Auffassung ist der angefochtene Bescheid hinreichend bestimmt. Er lässt für einen mit dem Grundstück und dem Gebäude vertrauten Empfänger nach Treu und Glauben ohne Schwierigkeiten erkennen, in welcher Weise, insbesondere mit welchem Ergebnis, die Beklagte eine Herrichtung der entstandenen Freifläche und Instandsetzungsmaßnahmen an der Fassade verlangt hat. Für die Freifläche ergibt sich schon aus dem Ausgangsbescheid eindeutig, dass der Kläger diese nach Wahl durch eine geglättete Oberfläche befestigen oder aber gärtnerisch gestalten soll. Nichts anderes gilt für die Aufforderung, "die zur S............ zeigende Fassade von bautechnisch unnötigen vorstehenden Gebäudeteilen zu befreien" und für jene, "den nach Abriss offen liegenden Teil der Fassade unter Berücksichtigung der Gestaltung der übrigen Fassade insbesondere im Hinblick auf Farbe und Material mit geeignetem Fassadenmaterial zu verkleiden", wie die Beklagte ihre Anordnung im Widerspruchsbescheid formuliert hat. Ersteres betrifft die nach Abriss des früheren Vorbaus noch aus der Fassade hervorstehenden Mauerstümpfe, die der Kläger bis auf die Fassadenebene entfernen soll. Letzteres verlangt vom Kläger eine Verkleidung der im Erdgeschoss/Hochparterre nach dem Abriss offen liegenden (Kalk-) Mauersteine verschiedener Formate sowie einer in der Fassade verbliebenen funktionslosen Zimmertür. Dabei wird dem Kläger wiederum freigestellt, ob er eine Putzfassade oder eine andersartige Verkleidung anbringt, die im Erscheinungsbild einer Gebäudeaußenwand entspricht. Ergebnis der angeordneten Maßnahmen muss nur sein, dass der die Umgebung erheblich störende verwahrloste Zustand im unteren Fassadenbereich beseitigt wird, wie die Antragsgegnerin bereits im Ausgangsbescheid zum Ausdruck gebracht hat. Alle geforderten Maßnahmen kommen einem objektiven Betrachter der Situation nach den bei der Sachakte befindlichen Bildern bereits auf den ersten Blick als erwartete Instandsetzungsmaßnahmen in den Sinn.

Soweit der Kläger meint, dass seine rückwärtige Gebäudefassade auch ohne diese Maßnahmen nicht als verwahrlost i.S.v. § 76 Abs. 3 Satz 1 HBauO 1986 anzusehen sei, gehen seine Rügen ebenfalls fehl. Der Gesetzgeber hat mit dem Begriff der Verwahrlosung den Zustand eines offenbaren Verfalls einer baulichen Anlage gekennzeichnet (vgl. zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 106 Abs. 4 HBauO 1969 Bürgerschafts-Drucks. 1968/1258 S. 71). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht deshalb darauf abgestellt, dass eine Verwahrlosung vorliegt, wenn die Erhaltung einer baulichen Anlage auch einen minderen Standard an ortsüblicher Pflege und Erhaltung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr einhält. Die im zur S............... gerichteten Erdgeschossbereich offensichtlich unfertige, von den Spuren eines Abbruchs gekennzeichnete Fassade macht für jeden durchschnittlichen Betrachter klar, dass das Gebäude insoweit unvollständig ist und - nachdem dieser Zustand zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung bereits über mehrere Jahre andauerte - seitens des Eigentümers das erforderliche Mindestmaß an Unterhaltungsmaßnahmen am Haus in diesem Bereich nicht getroffen worden ist.

Nicht zielführend ist der Einwand des Klägers, die ihm aufgegebenen Baumaßnahmen an der Fassade seien von Anfang an unverhältnismäßig gewesen oder seien zumindest gegenwärtig unverhältnismäßig, da diese im Zuge bevorstehender Umbaumaßnahmen am Gebäude wieder beseitigt werden müssten. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der angegriffenen Ordnungsverfügung nach § 76 Abs. 3 HBauO 1986 ist zunächst grundsätzlich der Zeitpunkt ihres Erlasses bzw. jener der Widerspruchsentscheidung der Beklagten als letzter Verwaltungsentscheidung. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids im Jahre 2000 bestand der bemängelte Zustand bereits seit ca. vier Jahren und lag für Umbaumaßnahmen keine Baugenehmigung vor. Eine solche war zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids im Jahre 2003 dann zwar erteilt, der Kläger hatte jedoch in seiner gegen Nebenbestimmungen der Baugenehmigung angestrengten Klage zum Ausdruck gebracht, dass er diese Genehmigung nur ausnutzen wolle, wenn die seinen Vorstellungen nicht entsprechenden Nebenbestimmungen - die nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Stellplatzablösen betreffen - aufgehoben werden würden. Damit war zu beiden Zeitpunkten völlig unbestimmt, ob und wann der Kläger oder ein Dritter weitergehende Baumaßnahmen am Gebäude durchführen würde und bestand kein Anlass (mehr), den vorhandenen Zustand für eine überschaubar befristete Übergangsphase im Rahmen von bevorstehenden Bauarbeiten hinzunehmen. Zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung waren seit dem Abbruch des Gebäudeteils bereits sieben Jahre verstrichen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht deshalb bereits ausgeführt, dass je länger der Zeitraum andauert, in dem eine bauliche Anlage sich in einem verwahrlosten Zustand befindet, um so mehr konkrete Anhaltspunkte für eine ernsthafte und zeitnahe Instandsetzungsabsicht des Eigentümers vorhanden sein müssen (vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 22.4.1999, NVwZ-RR 1999 S. 718, 719). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die geforderten Maßnahmen am Gebäude wegen bestehender Pläne des Klägers für einen Umbau möglicherweise nur für einen zeitlich begrenzten Zeitraum durchzuführen sind, erfordern die vom Kläger geforderten Maßnahmen keinen solchen baulichen und finanziellen Aufwand, dass sie im Hinblick hierauf als unverhältnismäßig angesehen werden müssten. Denn dem Kläger wird durch die Verfügung ein erheblicher Spielraum eingeräumt, in welcher Weise er einen ausreichenden Erhaltungszustand herstellt.

Dass die zeitliche Einschätzung der Beklagten nicht fehlsam war, zeigt der weitere Zeitablauf. Auch gegenwärtig ist völlig offen, ob und wann der Kläger mit den von ihm angekündigten Baumaßnahmen beginnen wird. Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, die es als sicher erscheinen lassen, dass binnen kurzer Zeit mit ihnen begonnen werden wird. Deshalb stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht die Frage, ob sich die Verfügung bei einer wesentlichen Veränderung der Sachlage, etwa bei einem unmittelbar bevorstehenden Baubeginn, erledigt oder ob die Beklagte je nach dem Inhalt der im Einzelfall getroffenen Anordnung gehalten sein kann, diese gegebenenfalls einer sich wandelnden Tatsachenlage nachträglich anzupassen und insoweit für die gerichtliche Prüfung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unterliegt ferner keinen ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit, soweit der Kläger einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin sieht, dass die Beklagte nicht auch gegen eine Verwahrlosung des Grundstücks "M............" vorgegangen sei. Das Verwaltungsgericht hat bereits ausgeführt, dass die Beklagte in jenem Fall nicht untätig gewesen sei und von einer Ordnungsverfügung abgesehen habe, weil für das dortige Gebäude Umbaumaßnahmen konkret bevorgestanden hätten. Diese Arbeiten sind, wie die Beklagte unwidersprochen ausgeführt hat, aufgenommen und in der weiteren Folge lediglich aufgrund statischer Probleme unterbrochen worden. Mit der Antragsbegründung legt der Kläger für sein Grundstück keinen Sachverhalt dar, der offensichtlich in vollem Umfang vergleichbar ist. Im Übrigen folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht, dass die Beklagte bei Erlass der Ordnungsverfügung gegenüber dem Kläger zugleich auch gegen alle anderen rechtswidrigen baulichen Verhältnisse einschreiten musste, sondern sie durfte lediglich keine unsachlichen Differenzierungen treffen und nicht systemlos oder willkürlich vorgehen (vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 19.2.1992, NVwZ-RR 1992 S. 360). Solches ist indessen seitens des Klägers weder dargetan noch offensichtlich.

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Beklagte das im Ausgangsbescheid angedrohte Zwangsgeld im Widerspruchsbescheid erhöht habe, folgt allein daraus nicht die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheids. Die Zwangsgeldandrohung war Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, so dass eine sog. Verböserung aus Rechtsgründen nicht ausgeschlossen war. Der in drei Teilbeträge für die einzelnen vorzunehmenden Handlungen gegliederte Betrag von insgesamt 2000 € ist auch in seiner Höhe nicht unverhältnismäßig.

3. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage zuzulassen. Die Ausführungen des Klägers lassen in keiner Weise erkennen, dass die Sache, wie erforderlich, eine gegenüber anderen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abweichende überdurchschnittliche Schwierigkeit aufweist.

4. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es fehlt bereits daran, dass der Kläger konkrete rechtliche oder tatsächliche Fragen aufwirft, deren grundsätzliche Klärung im angestrebten Berufungsverfahren voraussichtlich möglich und erforderlich wäre.

5. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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