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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.07.2008
Aktenzeichen: 2 Bf 277/03
Rechtsgebiete: HBauO 1986, VwGO


Vorschriften:

HBauO 1986 § 68 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 1
1. Eine Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt den Nachbarn in seinen Rechten, wenn die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen unbestimmt oder in sich widersprüchlich sind und infolgedessen bei der Ausführung des Vorhabens eine Verletzung nachbarschützender Rechte nicht auszuschließen ist.

2. Die in § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 HBauO 1986 festgesetzten Mindesttiefen legen einen Mindestabstand der Nachbarbebauung zur Grundstücksgrenze fest, der ohne Zustimmung des Nachbarn - auch nicht etwa geringfügig - unterschritten werden darf.

3. Werden Rechte des Nachbarn lediglich durch einen Bestandteil des Bauvorhabens verletzt, der räumlich-gegenständlich klar abgegrenzt ist, und kann das (nachbarrechtskonform) genehmigte Vorhaben ohne größere Umplanungen auch dann sinnvoll genutzt werden, wenn dieser vollständig entfällt, kommt eine hierauf beschränkte Aufhebung der Baugenehmigung in Betracht (bejaht für den eingeschossigen Vorbau eines Wohnhauses).


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 Bf 277/03

In der Verwaltungsrechtssache

Verkündet am 14. Juli 2008

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch den Richter Dr. Ungerbieler, die Richterin Sternal und den Richter Albers sowie die ehrenamtliche Richterin Brehm und den ehrenamtlichen Richter Brühl für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. März 2003 geändert.

Der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 25. April 2001 in der Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 1. Oktober 2001 und der Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002 werden insoweit aufgehoben, als mit ihnen auf der südlichen Seite des Baugrundstücks ein um 1,30 m vortretender Vorbau genehmigt wurde. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten des gesamten Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Baugenehmigung, die die Beklagte dem Beigeladenen für die Errichtung eines "Doppelhauses" mit vier Wohneinheiten erteilt hat.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks J-Straße ..., Flurstück ... der Gemarkung Lurup. Der Beigeladene ist Eigentümer des Baugrundstücks J-Straße ... (Flurstück ...), das unmittelbar nördlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Lurup 47, festgestellt durch Gesetz vom 8. März 1982 (HmbGVBl. S. 52), mit der Ausweisung WR II o, 2 W, und einer maximalen Bebauungstiefe von 18,00 m zwischen festgesetzten Baugrenzen.

Unter dem 13. März 2001 stellte der Beigeladene bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines "Doppelhauses" mit drei Wohneinheiten auf dem Baugrundstück J-Straße .B. Mit Bescheid vom 25. April 2001 erteilte die Beklagte für das Vorhaben eine Baugenehmigung gemäß § 69 der Hamburgischen Bauordnung vom 1. Juli 1986 (HBauO 1986) i.V.m. § 2 Abs. 2 des Hamburgischen Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus vom 4. Dezember 1990. Für die Überschreitung der zulässigen Wohnungszahl um eine Wohneinheit erteilte sie eine Befreiung. Mit Änderungsbescheid Nr. 1 vom 1. Oktober 2001 genehmigte sie zudem die Aufteilung der dritten Wohneinheit in zwei Wohnungen und die Einhausung des straßenseitigen Balkons im Dachgeschoss.

Am 1. März 2002 erhob die Klägerin gegen die Baugenehmigung Widerspruch. Zur Begründung machte sie geltend, dass die Vielzahl der genehmigten Wohnungen auf der Südseite des Gebäudes zu Fensterfluchten geführt habe, die städtebaulich unvertretbar seien. Das genehmigte Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der nachbarschützende Charakter der festgesetzten Zweiwohnungsklausel ergebe sich aus den Materialien zum Bebauungsplan. Die Vielzahl der Wohnungen habe überdies einen vorspringenden Gebäudeteil notwendig gemacht, der den Mindestabstand von 2,50 m unterschreite. Dieser Gebäudeteil sei wegen seines Ausmaßes nicht mehr untergeordnet. Hinzu komme, dass von ihm Immissionen ausgingen; bei geöffneten Fenstern Lärm, zum anderen Licht. Darüber hinaus verstoße die Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot. Die Fensterfluchten seien so gestaltet, dass der gesamte Gartenbereich voll eingesehen werden könne. Da die Abstandsflächen nicht eingehalten seien, seien die Einsichtsmöglichkeiten unzumutbar. Mit Bescheid vom 9. Juli 2002, zugestellt am 8. August 2002, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung heißt es dort, dass der angefochtene Bescheid keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts verletze. Die Festsetzung der zulässigen Wohnungszahl sei nicht nachbarschützend, da mit ihr lediglich städtebauliche Gründe verfolgt würden. Nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts seien ebenso wenig verletzt. Der vorspringende Gebäudeteil sei untergeordnet, da zu berücksichtigen sei, dass er weniger als 25 % der sichtbaren Wandfläche der Südseite des Gebäudes einnehme. Auch nach dem optischen Gesamteindruck sei der restliche Teil der Außenwand gegenüber dem vorspringenden Teil noch dominierend. Er trage funktional mit seinen ca. 8 qm bei einer Gesamtwohnfläche von ca. 230 qm zu keiner spürbaren Vergrößerung der Wohnfläche bei. Schließlich verstoße die Baugenehmigung nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das hinzunehmende Ausmaß an Einsichtsmöglichkeiten werde nicht überschritten. Auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite der Klägerin befänden sich nur zweieinhalb Fenster, wobei das halbe zur Waschküche gehöre. Gegen unerwünschte Blicke in das Schlafzimmer könne sie sich in zumutbarer Weise durch Vorhänge oder ähnliches schützen.

Am 29. August 2002 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die erteilte Befreiung von der Zweiwohnungsklausel unter Würdigung ihrer nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen i.S. von § 31 Abs. 2 BauGB unvereinbar sei. Das errichtete Wohngebäude stelle sich als rücksichtslos dar und sei für ihre Grundstücksnutzung unzumutbar. Die südliche Fensterfläche von 32,89 qm betrage im Verhältnis zu der Gesamtfläche der Außenfassade mehr als ein Drittel. Dadurch werde das Ausmaß an Einblicksmöglichkeiten unzumutbar. Mit der Genehmigung von vier Wohnungen seien auch mehr Lärm- und Lichtimmissionen verbunden, die sie nicht hinnehmen müsse. Es sei nicht auszuschließen, dass aufgrund verschiedener Lebensstile der Bewohner eine umfangreiche Belastung durch Immissionen gegeben sei. Der Zweiwohnungsklausel komme nachbarschützende Wirkung zu, da sie den Einzelhauscharakter im Plangebiet sichern solle. Entgegen der Annahme der Beklagten lägen keine zwei Gebäude, sondern nur ein Einzelhaus vor.

Die Klägerin hat beantragt,

den Baugenehmigungsbescheid vom 25. April 2001 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 1. Oktober 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung ihres Antrags auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Mit Urteil vom 25. März 2003, der Klägerin am 9. Juli 2003 zugestellt, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Bauvorhaben des Beigeladenen halte die Zweiwohnungsklausel ein. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass auf dem Grundstück des Beigeladenen nur ein Gebäude mit zwei Wohnungen zulässig sei, könne dies den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entnommen werden. In dem Bereich, im dem das Grundstück des Beigeladenen liege, sei anders als in den Blockinnenbereichen keine Festsetzung erfolgt, dass nur Einzelhäuser zulässig seien. Aus diesem Grund könne auf dem Grundstück des Beigeladenen ein Doppelhaus errichtet werden. Für Doppelhäuser gelte aber, dass für jedes Haus zwei Wohnungen nach dem Bebauungsplan als zulässig anzusehen seien. Dies führe dazu, dass auf dem Grundstück des Beigeladenen, aber auch auf dem Grundstück der Klägerin grundsätzlich zwei Häuser mit jeweils zwei Wohnungen errichtet werden könnten. Die von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen hinsichtlich der Nutzung ihres Grundstücks könnten die Annahme eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot nicht begründen. Soweit die Klägern meine, dass das Ausmaß der Beeinträchtigungen, die von dem Bauvorhaben des Beigeladenen ausgingen, auf Grund der vier Wohneinheiten höher sei als wenn der errichtete Neubau lediglich zwei Wohneinheiten aufweise, sei festzustellen, dass die Zweiwohnungsklausel nicht dem Zweck diene, die Beeinträchtigungen der angrenzenden Grundstückseigentümer gering zu halten. Vielmehr solle lediglich der Einzelhauscharakter des Plangebiets aus städtebaulichen Gründen gesichert werden. Das Vorhaben des Beigeladenen verletze zudem nicht die Vorschrift des § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HBauO 1986. Das dort geregelte Zustimmungserfordernis werde nicht ausgelöst, da der Mindestabstand der Abstandsfläche von 2,50 m nicht unterschritten werde. Dies finde seinen Grund darin, dass es sich bei dem Vorbau um einen untergeordneten Gebäudeteil i.S. von § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 handele. Der Vorbau erscheine dem Gericht nach der Augenscheinsnahme von seinem Größenumfang her und aufgrund des abgeschrägten Daches im Hinblick auf die Größe der Gesamtfassade nicht als derart nennenswert, dass er besonders ins Gewicht falle. Tatsächlich führe er zu einer Auflockerung der Fassade und gebe dem Gebäude einen leichteren und gefälligeren Charakter. Soweit die Klägerin darauf hingewiesen habe, dass der Vorbau deshalb nicht untergeordnet sei, weil er eine längere Strecke der südlichen Front des Grundstücks des Beigeladenen ausmache, so teile das Gericht diese Auffassung nicht. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks sei vielmehr maßgebend, dass der Vorbau im Hinblick auf die Größe der gesamten Fassade des Gebäudes untergeordnet erscheine.

Am 11. August 2003 hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 7. Februar 2005, der Klägerin am 14. Februar 2005 zugestellt, hat der Senat die Berufung zugelassen. In ihrer Berufungsbegründung vom 8. März 2005 führt die Klägerin im Wesentlichen aus: Das Bauvorhaben des Beigeladenen verstoße gegen § 68 Abs. 3 Nr. 1 HBauO 1986. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts stelle der Vorbau keinen untergeordneten Gebäudeteil dar. Ein solcher liege nur dann vor, wenn der Vorbau nach Umfang und Auswirkungen gegenüber dem Gesamtvorhaben nicht nennenswert ins Gewicht falle. Dem Vorbau komme aber dieses Gewicht zu, weil er nicht mehr nur ein Element der architektonischen Fassadengestaltung, sondern in erster Linie ein Mittel der Gewinnung zusätzlicher Wohnfläche sei. Dies folge bereits daraus, dass der Vorbau auf seiner östlichen und westlichen Schmalseite über eine Tür bzw. ein Fenster verfüge. Der Vorbau sei zudem für die Vergrößerung der Küche notwendig, da dort nicht nur eine Küchenzeile, sondern auch eine Sitzecke mit Küchentisch geplant sei. Dem Vorbau komme nach quantitativen Gesichtspunkten im Verhältnis zum Gesamtvorhaben nennenswertes Gewicht zu, da er mit einer Länge von rund 7 m einen Anteil von mehr als 40 % der rund 16 m langen südlichen Außenwand einnehme. Der Vorbau könne in seiner Beziehung zu den übrigen Maßen des Gebäudes nicht als untergeordnet angesehen werden. In der Höhe erreiche er einschließlich des Daches rund 3,50 m und damit zwei Drittel der Außenwandhöhe der südlichen Gebäudewand von rund 5,30 m. Im Verhältnis zur Tiefe des Gebäudes von rund 9,50 m nehme der Vorbau mit 1,30 m mehr als ein Siebtel ein und ermögliche einen deutlichen Platzgewinn im Inneren des Gebäudes. Dass ein solchermaßen prägender Gebäudeteil nicht untergeordnet sein könne, zeige sich im Übrigen aus einem Vergleich mit anderen untergeordneten Gebäudeteilen, wie Freitreppen, Balkonen oder Terrassen. Diese Gebäudeteile trügen allesamt nicht zur Erweiterung der Wohnfläche bei und nähmen typischerweise nur einen minimalen Teil der Gebäudefassade ein.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. März 2003 die Baugenehmigung vom 25. April 2001 in Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 1. Oktober 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass es sich bei dem Vorbau um einen untergeordneten Gebäudeteil handele. Zwar nehme er rund 40 % der Fassadenlänge in Anspruch, jedoch sei zu berücksichtigen, dass er sich auf das Erdgeschoss beschränke und insgesamt weniger als 25 % der sichtbaren Wandfläche der Südfassade beanspruche. Nach dem optischen Gesamteindruck sei der restliche Teil der Außenwand gegenüber dem Vorbau noch dominierend. Der Vorbau lockere mit seinem abgeschrägten Dach die eher schlichte Fassade auf und gebe dem Gebäude dadurch einen gefälligeren Charakter. Im Übrigen trage der Vorbau nicht zu einer spürbaren Vergrößerung der Wohnfläche bei. Denn er weise nur eine Gesamtfläche von ca. 8 qm auf, während die Wohnfläche der beiden dazugehörigen Wohnungen insgesamt ca. 230 qm betrage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Sachakte der Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Beigeladenen gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO verhandeln und entscheiden, da er fristgerecht geladen und auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache lediglich teilweise Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung ist soweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als mit ihr der auf der südlichen Seite des Baugrundstücks um 1,30 m vortretende Vorbau genehmigt wurde. Weitergehend wird die Klägerin durch die Baugenehmigung in Nachbarrechten nicht verletzt, so dass die Berufung im Übrigen zurückzuweisen ist. Die Baugenehmigung verletzt keine nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans Lurup 47 bzw. Vorschriften des Bauplanungsrechts (I.). Eine Verletzung der Klägerin in ihren Rechten ergibt sich aber aus dem Bauordnungsrecht (II.). Da die angefochtene Baugenehmigung teilbar ist, ist sie nur insoweit aufzuheben, als eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften vorliegt (III.).

I.

Die Klägerin kann sich nicht auf die Verletzung einer sie (dritt-)schützenden Norm des Bauplanungsrechts berufen. Es liegt weder ein Verstoß gegen nachbarschützende Festsetzungen des Bebauungsplans Lurup 47 vor (1.), noch verletzt das Bauvorhaben des Beigeladenen das Gebot der Rücksichtnahme, das sich hinsichtlich der erteilten Befreiung auf § 31 Abs. 2 BauGB gründet (2.) und im Übrigen aus § 15 Abs. 1 BauNVO 1977 folgt (3.).

1. Die Klägerin kann sich schon deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Bauvorhaben des Beigeladenen die Zweiwohnungsklausel nicht einhalte und die Zahl der zulässigen Vollgeschosse überschreite, da diesen Festsetzungen im Bebauungsplan Lurup 47 jedenfalls keine nachbarschützende Wirkung zukommt. Ob und inwieweit eine Norm des Bauplanungsrechts betroffenen Nachbarn Abwehrrechte einräumt, ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln (OVG Hamburg, Urt. v. 17.1.2002, NordÖR 2002, 454, 455). Dies gilt auch für die Festsetzungen eines Bebauungsplans, die gemäß § 10 Abs. 1 BauGB normativen Charakter haben. Dem Ortsgesetzgeber steht es - mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, die bereits kraft Bundesrechts nachbarschützende Wirkung haben - grundsätzlich frei, eine Festsetzung auch zum Schutze Dritter oder aber ausschließlich aus städtebaulichen Gründen zu treffen (OVG Hamburg, Beschl. v. 3.5.1994, BauR 1995, 213). Von einer neben die städtebauliche Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung ist nur dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen dahingehenden planerischen Willen erkennbar sind. Dies ist in jedem Einzelfall aus Inhalt und Rechtsnatur der Festsetzung, ihrem Zusammenhang mit den anderen Regelungen des Plans, der Planbegründung oder den Akten über die Aufstellung des Bebauungsplans im Wege der Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, ob die Nachbarn durch die Festsetzung i.S. eines "Austauschverhältnisses" rechtlich derart verbunden sind, dass sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet sind oder eine "bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft" bilden, aus der keiner der Beteiligten ausscheren darf (OVG Münster, Urt. v. 22.8.2005, BauR 2006, 342, 344).

Anhaltspunkte für einen planerischen Willen, der festgesetzten Zweiwohnungsklausel oder der Zahl der Vollgeschosse nachbarschützende Wirkung zu verleihen, sind der Begründung zum Bebauungsplan Lurup 47 nicht zu entnehmen. Mit der Festsetzung der höchstzulässigen Wohnungszahl verfolgt der Plangeber ausschließlich das städtebauliche Ziel, den Einzelhauscharakter im Plangebiet zu bewahren. Dementsprechend heißt es in der Planbegründung, dass die Beschränkung auf zwei Wohneinheiten pro Gebäude auf den Blockinnenflächen gewählt worden sei, um den Einzelhauscharakter (gemeint ist hiermit die im Plangebiet bereits vorhandene ein- und zweigeschossige Bebauung mit Einzel- und Doppelhäusern) im Plangebiet zu sichern (S. 2 der Planbegründung). Im Blockrandbereich, in dem die beiden Grundstücke der Beteiligten liegen, soll die Zweiwohnungsklausel zusammen mit der festgesetzten zweigeschossigen offenen Bauweise - im Vergleich zu der früher nach dem Bebauungsplan Lurup 5 nur zulässigen eingeschossigen Bebauung - einen größeren Spielraum für die bauliche Nutzung der Grundstücke eröffnen, ohne eine unangemessene Verdichtung zu verursachen (S. 4 f. der Planbegründung). Die Zweiwohnungsklausel ist somit ausschließlich ein Instrument des Plangebers zur Steuerung des städtebaulichen Ziels, eine für das Plangebiet als angemessen angesehene Nachverdichtung der Bebauung gegen eine zu intensive Bebauung abzusichern. Diese Festsetzung mag für die Klägerin objektiv günstig sein, was aber nicht mit dem Willen des Plangebers gleich zu setzen ist, dem Betroffenen ein subjektives Abwehrrecht einzuräumen. Soweit die Klägerin hierin einen Abwägungsmangel i.S. des § 1 Abs. 7 BBauG bzw. § 1 Abs. 6 BauGB in früheren Gesetzesfassungen erblickt, so wäre dieser jedenfalls heute gemäß § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB i.d.F. vom 8. Dezember 1986 unbeachtlich. Denn danach sind Mängel der Abwägung von Satzungen (siehe dazu § 10 BBauG/§ 10 Abs. 1 BauGB), die vor dem 1. Juli 1987 bekannt gemacht worden sind, unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die Klägerin hätte deshalb den geltend gemachten Abwägungsmangel bis spätestens 30. Juni 1994 rügen müssen, da der Bebauungsplan Lurup 47 bereits im März 1982 (GVBl. I. S. 47, 52) bekannt gemacht wurde. Der Begründung des Bebauungsplans lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse, die lediglich das Maß der baulichen Nutzung betrifft und von daher grundsätzlich keine Abwehrrechte begründet (OVG Hamburg, Urt. v. 17.1.2002, a.a.O., 455), ausnahmsweise nachbarschützende Wirkung zukommt. Vielmehr verknüpft der Plangeber mit der Festsetzung von zwei zulässigen Vollgeschossen ebenfalls nur das städtebauliche Ziel, die an den Blockrändern vorhandene ein- und zweigeschossige Bebauung mit Einzel- und Doppelhäusern fortzuentwickeln.

2. Die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilte Befreiung von der Zweiwohnungsklausel verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Bei der Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung, wie hier der Zweiwohnungsklausel, ist nur das Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen in § 31 Abs. 2 BauGB drittschützend (BVerwG, Beschl. v. 8.7.1998, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 153 S. 69, 71). Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach Maßgabe der Grundsätze des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme zu beantworten. Verletzt ist dieses Rücksichtnahmegebot, wenn die von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen über das dem Nachbarn billigerweise Zumutbare hinausgehen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007, NordÖR 2008, 73, 74). Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückstellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen; das gilt noch verstärkt, wenn sich bei einem Vergleich der beiderseitigen Interessen derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zusätzlich darauf berufen kann, dass das Gesetz durch die Zuerkennung einer Privilegierung seine Interessen grundsätzlich höher bewertet wissen will, als es für die Interessen derer zutrifft, auf die Rücksicht genommen werden soll. Umgekehrt sind die Interessen desjenigen, dessen Vorhaben grundsätzlich unzulässig bzw. nur ausnahmsweise zulässig ist, geringer zu gewichten (BVerwG, Urt. v. 6.10.1989, BVerwGE 82, 343, 347 f.; Urt. v. 25.2.1977, BVerwGE 52, 122, 126).

Die danach gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten der Klägerin aus. Im Ausgangspunkt ist zwar anzunehmen, dass ihren Interessen ein gewisser Vorrang zukommt, weil das Vorhaben des Beigeladenen - jedenfalls in der aufgrund des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2001 erfolgten Bauausführung - die festgesetzte Zweiwohnungsklausel nicht einhält und deshalb nur ausnahmsweise über eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zulässig sein kann. Jedoch lässt sich ein schützenswertes Interesse der Klägerin an der Einhaltung dieser Festsetzung nicht feststellen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass infolge der bloßen "Verschiebung" einer Wohneinheit innerhalb der beiden Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen nennenswerte zusätzliche Beeinträchtigungen oder Nachteile entstünden. Entscheidend bleibt vielmehr, dass in beiden Wohngebäuden zusammen nicht mehr als die zulässigen vier Wohnungen untergebracht sind. Was den Umstand anbelangt, dass die Klägerin in dem Neubau der vier Wohnungen eine unzumutbare Erhöhung der Wohndichte sieht, ist eine bauliche Nachverdichtung dieses Umfangs vom Willen des Plangebers grundsätzlich gedeckt. Durch die Festsetzung der Zweigeschossigkeit unter Geltung der Zweiwohnungsklausel wollte der Plangeber im Blockrandbereich gerade einen größeren Spielraum für die bauliche Nutzung der Grundstücke eröffnen (siehe dazu bereits S. 9 f. oben). Auch die Errichtung zweier aneinander gebauter Gebäude innerhalb der Baugrenzen unter Wahrung der offenen Bauweise zu den Nachbargrundstücken wird vom Bebauungsplan in diesem Bereich des Plangebiets nicht ausgeschlossen. Dass die Klägerin die neuen Maßfestsetzungen selbst nicht ausgeschöpft hat, macht das Bauvorhaben des Beigeladenen, der das festgesetzte Maß ausnutzt, nicht schon rücksichtslos (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 8.1.2007, NordÖR 2007, 366).

3. Die erteilte Baugenehmigung verstößt auch im Übrigen nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte hätte auch insoweit eine Befreiung erteilen müssen, als die Zahl der zulässigen Vollgeschosse überschritten worden sei, kann offen bleiben, ob dies sachlich überhaupt zutrifft. Denn jedenfalls würde diese Abweichung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung, die nur das Maß der baulichen Nutzung betrifft, nicht zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen, das sich insoweit aus der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO 1977 ergibt (dazu BVerwG, Urt. v. 6.10.1989, a.a.O., 345 f.). Dass das Bauvorhaben des Beigeladenen wegen seiner Größe derart aus dem Rahmen fällt, dass es eine in dem Baugebiet in seiner konkreten Ausgestaltung unzumutbare Qualität hinsichtlich der reinen Wohnnutzung begründet, lässt sich angesichts des lediglich gerügten Ausbaus der Dachräume im Satteldach nicht feststellen.

Schließlich gehen von dem Bauvorhaben des Beigeladenen keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1977 aus. Derartige Auswirkungen sind unzumutbar, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigungen und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss, überschritten wird. Wann dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerwG, Urt. v. 13.3.1981, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 S. 4, 8). Daran gemessen wird die Klägerin durch das genehmigte Bauvorhaben nicht unzumutbar beeinträchtigt.

Was die gerügten Einsichtnahmemöglichkeiten anbelangt, scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots in der Regel aus, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eingehalten werden (vgl. z.B. Beschl. v. 26.9.2007, NordÖR 2008, 73, 74 m.w.N.). Dies ist hier mit Ausnahme des Vorbaus im Erdgeschoss (dazu sogleich unter II.) der Fall. Die von der Klägerin gerügte Einsichtsmöglichkeiten aus dem Ober- und dem Dachgeschoss des Nachbarhauses auf ihr Haus und ihren Garten sind zumutbar. Anzahl, Größe und Lage der Fenster gehen nicht über das übliche Maß hinaus. Sich daraus ergebende Einblicksmöglichkeiten in Gärten, Terrassen und Fenster auf Nachbargrundstücken sind unter den Bedingungen der sich in der Großstadt notwendigerweise verdichtenden Bebauung nicht zu vermeiden und damit eine grundsätzlich hinzunehmende Selbstverständlichkeit. Die Klägerin kann billigerweise nicht erwarten, dass der Beigeladene in der Südfront seines Gebäudes weitestgehend auf Fenster verzichtet. Die Einsichtnahmemöglichkeit in den Garten der Klägerin beruht dabei auch auf der vom Bestand teilweise abweichenden Lage der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Der Klägerin ist insoweit zuzumuten, sich (weiteren) Sichtschutz im Gartenbereich ggf. durch Abpflanzungen zu verschaffen.

Nichts anderes gilt für die aus der baugebietskonformen Nutzung resultierenden Lärm- und Geruchsimmissionen. Insbesondere wird der Wohnfrieden grundsätzlich nicht durch bei der Küchennutzung entstehenden Lärm in unzumutbarer Weise gestört. Üblicherweise tritt möglicherweise störender Lärm nur gelegentlich auf, wenn es bei geöffnetem Fenster zu lauten Gesprächen oder geräuschvollen Arbeiten in der Küche kommen sollte. Derartige wohntypische Beeinträchtigungen sind bei der Wohnnutzung auf - wie hier - kleineren bzw. schmalen Grundstücken in dicht bebauten Gebieten fast unvermeidlich.

II.

Die angefochtene Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin aber insoweit in ihren Rechten, als die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich des auf der südlichen Seite des Baugrundstücks belegenen Vorbaus unbestimmt sind (1.) und darüber hinaus ein Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis des § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HBauO 1986 vorliegt (2.).

1. Eine Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt den Nachbarn in seinen Rechten, wenn die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen unbestimmt sind und infolgedessen bei der Ausführung des Vorhabens eine Verletzung von nachbarschützenden Rechten nicht auszuschließen ist (OVG Münster, Beschl. v. 2.10.1998, NVwZ-RR 1999, 427; OVG Bautzen, Urt. v. 5.12.2002, SächsVBl. 2003, 235). Dies trifft hier hinsichtlich des südlichen Vorbaus und § 6 Abs. 11 HBauO 1986 zu, der bestimmt, dass Vorbauten mindestens 2 m von Nachbargrundstücken entfernt bleiben müssen. Dieser Anforderung an den Mindestabstand kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HBauO 1986 nachbarschützende Wirkung zu (OVG Hamburg, Urt. v. 25.1.2002, NordÖR 2002, 454, 456 m.w.N.). Die genehmigten Bauvorlagen sind insoweit unbestimmt, weil in dem Lageplan (2/21) der Mindestabstand von 2 m zwar eingezeichnet ist und der Abstand zwischen der Südfassade und der klägerischen Grundstücksgrenze mit 3,25 m angegeben wird, aber die Tiefe des südlichen Vorbaus nach der Bauvorlage für das Erdgeschoss (2/18) dennoch 1,30 m betragen soll, so dass der Vorbau lediglich 1,95 m von dem Grundstück der Klägerin entfernt bliebe. Die Differenz zu der Anforderung an den Mindestabstand nach § 6 Abs. 11 HBauO 1986 beträgt zwar nur 5 cm, jedoch kann diese geringfügige Unterschreitung nicht als unbeachtlich gelten. Denn dieser Mindestabstand der Bebauung stellt die Grenze dessen dar, was der Gesetzgeber dem Nachbarn ohne dessen ausdrückliche Zustimmung zumuten wollte. Lediglich für nachträglich anzubringende Wärmeschutzverkleidungen gemäß § 6 Abs. 12 Nr. 3 HBauO 1986 hat der Gesetzgeber als Sonderregelung eine weitere geringfügige Unterschreitung ohne ausdrückliche nachbarliche Zustimmung zugelassen. Angesichts dessen würde eine Relativierung des Zustimmungserfordernisses nach § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 HBauO 1986, das nach dem Willen des Gesetzgebers die Zulässigkeit einer Abweichung von dem geforderten Mindestabstand gerade in die Hände des Nachbarn legt, dem - ohnehin begrenzten - gesetzlich festgelegten Nachbarschutz nicht mehr gerecht.

2. Die angefochtene Baugenehmigung ist auch insoweit nachbarrechtswidrig, als die Klägerin nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HBauO 1986 ihre Zustimmung dazu erklärt hat, dass die Außenwand des südlichen Vorbaus den nach § 6 Abs. 9 Satz 2 Nr. 2 HBauO 1986 erforderlichen Mindestabstand von 2,50 m unterschreitet. Denn zugunsten des Beigeladenen greift nicht die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 ein, nach der bei der Festlegung der Abstandsflächen Außenwände von untergeordneten Gebäudeteilen, wie Vorbauten und Erker, außer Betracht bleiben, wenn sie - wie hier - nicht mehr als 1,50 m vortreten. Beim streitigen Vorbau handelt es sich nicht um einen "untergeordneten Gebäudeteil".

Als wesentliches Merkmal haben diese Gebäudeteile gemeinsam, dass sie sich aufgrund der ihnen zugedachten Funktionen und nach der Bautradition ausschließlich vor einer Außenwand anordnen lassen und daher eine unmittelbare gestalterische und funktionale Beziehung zur Gebäudefassade aufweisen (OVG Hamburg, Urt. v. 21.5.2003, NordÖR 2004, 31 m.w.N.). Sie ermöglichen als architektonische Elemente eine flexiblere Gestaltung der Wand und Räume z.B. im Hinblick auf Ausblicksmöglichkeiten, eine verbesserte Besonnung und eine Auflockerung der Fassade. In dieser Funktion der vorspringenden Gebäudeteile liegt die innere Rechtfertigung für das Regel - Ausnahmeverhältnis der Abstandsflächen für Außenwände einerseits und vorspringende Gebäudeteile andererseits (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 21.5.2003, a.a.O.). Vorbauten dürfen ihrer Funktion und ihrem Zweck nach deshalb nicht dazu dienen, z.B. weitere Wohnfläche zu gewinnen oder sonst den Baukörper auszudehnen. Sollen in den Vorsprüngen eines Gebäudes Bad, Toilette, Küche oder sonstige Aufenthaltsräume untergebracht werden, so dient der Vorbau erkennbar dazu, unabhängig von einer auf den Vorbau abgestellten Funktion der betreffenden Räume oder einer durch die Erfordernisse der Fassadengestaltung bedingten Akzentuierung, eine Vergrößerung der Wohnfläche zu erreichen (VGH Kassel, Beschl. v. 12.10. 1995, BRS 57 Nr. 139 S. 338, 341 m.w.N.). Untergeordnete Bauteile dürfen auch nach Umfang und Auswirkungen gegenüber dem Gesamtvorhaben nicht nennenswert ins Gewicht fallen oder in Erscheinung treten (OVG Hamburg, Beschl. v. 4.10.2006, NordÖR 2007, 40). In den Fällen, in denen es sich um eine eingeschossige Außenwand handelt und die vortretenden Gebäudeteile nahezu die Höhe dieser Außenwand einnehmen, können sie daher keinesfalls mehr als untergeordnet angesehen werden, wenn sie mehr als 40 % der Gesamtlänge einer Außenwand beanspruchen (OVG Hamburg, Urt. v. 21.5. 2003, a.a.O., 32).

Gemessen hieran ist der streitige Vorbau, der 6,76 m lang ist und damit etwas über 42 % der Gesamtlänge der ihm zugeordneten Außenwand im Erdgeschoss einnimmt, nicht mehr als untergeordneter Gebäudeteil anzusehen. Anderes folgt nicht daraus, dass das Gebäude des Beigeladenen zweigeschossig ist und der streitige Vorbau lediglich im Erdgeschoss besteht. Dabei kann dahinstehen, ob insoweit ohnehin lediglich auf das jeweilige Geschoss abzustellen ist, in dem sich der Vorbau befindet (so anscheinend nunmehr § 6 Abs. 6 Nr. 2 a HBauO 2006). Denn, wie ausgeführt, ist für die Frage der Unterordnung nicht allein das Verhältnis der Längenmaße von Vorbau und Außenwand abzustellen, sondern auch die Funktion und sonstige Gestaltung des Vorbaus zu berücksichtigen. Diese schließen es vorliegend aus, den Vorbau noch als (untergeordnetes) architektonisches Gestaltungselement anzusehen, obwohl er sich auf eines der beiden Geschosse beschränkt. So reicht der Vorbau aufgrund eines schrägen Daches und seiner Tiefe bis in den Bereich des Obergeschosses hinein und gewinnt auf diese Weise zusätzlich an Massivität. Seine umfassende Verglasung und die Ausgangstüren in den Gartenbereich sind nicht Ausdruck einer architektonischen Fassadengestaltung, sondern dienen quasi nach Art eines Wintergartens funktional und flächenmäßig einer deutlichen Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten der dahinter liegenden Küchenräume. Die Fläche des Vorbaus lässt in beiden erfassten Wohnungen jeweils die Einrichtung eines kompletten Essplatzes zu und erweitert die Küchen zu einer Wohnküche. Zusätzlich vermitteln die seitlich angeordneten Türen einen Zugang in die angrenzenden, südseitigen Gartenflächen, was typischerweise jahreszeitlich eine zusätzliche Nutzungserweiterung ermöglicht. Auf diese Weise verlässt der Vorbau auch nach Gestaltung und Funktion den Rahmen eines untergeordneten Fassadenteils ohne erhebliche nachbarrechtliche Relevanz, die den Gesetzgeber in § 68 Abs. 3 Nr. 2 HBauO 1986 bewogen hat, die nachbarliche Zustimmungspflicht bei untergeordneten Bauteilen auf einen Mindestabstand von 2 m zu verringern.

III.

Die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts war gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf den Teil zu beschränken, durch den die Klägerin in ihren Rechten verletzt ist, weil insoweit eine Teilbarkeit der Baugenehmigung gegeben ist. Denn die Genehmigung des Vorbaus ist eine selbständige Teilregelung. Eine solche liegt vor, wenn der abtrennbare Teil räumlich-gegenständlich klar abgrenzbar ist und für den verbleibenden Teil der (nachbarrechtskonformen) Baugenehmigung ein sinnvoll nutzbares Vorhaben zurückbleibt, das keine größeren Umplanungen notwendig macht (OVG Hamburg, Urt. v. 21.5. 2003, a.a.O., 33). Dies ist bei dem auf der südlichen Seite des Baugrundstücks um 1,30 m vortretenden Vorbau der Fall, da die hinter ihm liegenden beiden Küchen auch im Falle seiner vollständigen Beseitigung weiterhin funktionsgerecht genutzt werden können, ohne dass sie baulich umgestaltet werden müssten.

IV.

Die Kosten des gesamten Verfahrens waren gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen. Gemessen am gesamten Streitgegenstand hat die Klägerin zu einem deutlich geringeren Teil obsiegt, so dass sie zwei Drittel der Kosten zu tragen hat. Demgemäß trifft die Beklagte ein Drittel der Kostenlast. Der Beigeladene hat seine außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO selbst zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund i.S. des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegt.

Ende der Entscheidung

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