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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 24.04.2002
Aktenzeichen: 2 Bf 701/98
Rechtsgebiete: HBauO


Vorschriften:

HBauO § 68 Abs. 3
HBauO § 79 Abs. 1 Satz 1
1. Übernimmt ein Grundeigentümer eine Baulast, mit der die Genehmigungsvoraussetzungen für ein Vorhaben auf dem Nachbargrundstück geschaffen werden sollen, ist es eine Frage der Auslegung seiner Erklärung, ob die Wirksamkeit dieser Baulast auf das konkrete Vorhaben beschränkt ist.

2. Der typischen Interessenlage benachbarter Grundeigentümer ohne zusätzliche Sonderbeziehungen entspricht es, eine Baulasterklärung zugunsten eines Nachbarn nicht ohne Kenntnis der beabsichtigten Bebauung abzugeben. Wenn dem Erklärenden eine solche Kenntnis eines konkretisierten Vorhabens vermittelt worden war, spricht dies für einen Bezug der Baulast auf dieses Vorhaben und ihre Beschränkung hierauf.

3. Wird eine sog. Abstandsflächenbaulast übernommen, schließt sie eine nach § 68 Abs. HBauO erforderliche Zustimmung für das konkrete Vorhaben ein, gilt jedoch nicht notwendigerweise als Zustimmung für weitere Vorhaben oder Veränderungen des ursprünglichen Vorhabens.

4. Auch bei einer nur vorhabenbezogenen Baulast kann der Baulastübernehmer nicht jeglicher nachträglichen Änderung des auf Grundlage seiner Erklärung genehmigten Vorhabens widersprechen; vielmehr sind Änderungen denkbar, die weder seine Rechte noch seine Interessen berühren. Eine Veränderung, die ihrerseits für sich betrachtet erneut nach § 68 Abs. 3 HBauO zustimmungsbedürftig wäre - wie die Herstellung eines Erkers -, ist jedoch bei einer vorhabenbezogenen Baulast nicht schon im Vorwege eingeschlossen.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

2 Bf 701/98

Verkündet am 24. April 2002

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter K. Schulz, Probst und Jahnke sowie den ehrenamtlichen Richter Donges und die ehrenamtliche Richterin Esdorf für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 1998 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg abgeändert. Der Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 1996 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Beseitigungsanordnung vom 9. Mai 1996 aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Widerspruchsbescheids, durch den die Anordnung der Beseitigung eines Erkers auf einem Nachbargrundstück wieder aufgehoben wurde.

Die Klägerin war bis zur während des Rechtsstreits erfolgten Veräußerung Eigentümerin des Grundstücks ...weg 114 (Flurstück 6182 der Gemarkung ..), die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks ...weg 114 a (Flurstück 1780 der Gemarkung ..).

Im August 1994 beantragte die Beigeladene die Errichtung von zwei Doppelhäusern auf den Grundstücken ...weg 114 a und 116. Die Klägerin erklärte sich am 18. Januar 1995 schriftlich damit einverstanden, dass eine Baulast auf ihrer Zuwegung ...weg 114 in der Länge des vorgesehenen Baukörpers eingetragen werde. Im April 1995 stellte die Beigeladene einen neuen Antrag für die Errichtung eines Doppelhauses auf dem Grundstück ...weg 114 a.

Mit Baugenehmigungsbescheid vom 5. Juli 1995 erhielt die Beigeladene eine Genehmigung zur Errichtung eines Doppelhauses auf dem Grundstück ...weg 114 a. Außerdem wurde ihr aufgrund von § 66 Abs. 1 HBauO u. a. eine Ausnahme "für den Teil der Abstandsfläche, der sich auf dem Grundstück Flurstück 6182 erstreckt und durch Baulast nach § 79 HBauO gesichert ist (§ 7 HBauO)", erteilt.

Nachdem der Klägerin der genehmigte Lageplan übersandt worden war, gab sie am 14. Juli 1995 die folgende Verpflichtungserklärung nach § 79 HBauO ab:

"Als Eigentümerin des belasteten Grundstücks übernehme ich die öffentlich-rechtliche Verpflichtung, für das Bauvorhaben auf dem Flurstück 1780, Gemarkung .., die in dem beigefügten Auszug aus dem Liegenschaftskataster (Karte) dargestellte Baulastfläche als Abstandsfläche nach § 6 HBauO zur Verfügung zu stellen (§ 7 HBauO)."

Beigefügt war eine Karte, die eine in den Liegenschaftskatasterauszug eingezeichnete grobe Skizze des geplanten Gebäudes als schraffierte Fläche und die als Baulast in Anspruch genommene Fläche mit der Angabe des Maßes 1,86 m enthielt. Die Baulast wurde am 18. Juli 1995 in das Baulastenverzeichnis eingetragen.

Am 22. Januar 1996 stellte die Beigeladene einen Antrag zur Nutzungsänderung von 2 auf 4 Wohneinheiten, wobei u. a. auch ein Erker von 1,88 m Breite und 0,50 m Tiefe an der Ostseite des Hauses, die der klägerischen Zufahrt zugewandt ist, errichtet werden sollte.

Bei einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 12. März 1996 erklärte die Klägerin ausdrücklich, dass sie mit den Veränderungen und dem verbleibenden Grenzabstand von 0,5 m nicht einverstanden sei.

Die Beklagte teilte der Beigeladenen mit einem Schreiben vom 12. April 1996 mit, dass der Erker zur Grundstücksgrenze ...weg 114 nicht genehmigungsfähig sei. Die Befreiung von § 6 Abs. 11 HBauO werde nicht erteilt, weil das gemäß § 68 Abs. 3 HBauO erforderliche Nachbareinverständnis nicht vorliege.

Mit Bescheid vom 9. Mai 1996 forderte die Beklagte die Beigeladene gemäß § 76 Abs. 1 HBauO auf, den inzwischen bereits errichteten Erkervorbau abzubrechen und zu beseitigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 1996 hob die Beklagte die Beseitigungsanordnung vom 9. Mai 1996 auf den Widerspruch der Beigeladenen hin wieder auf: Der Erker sei genehmigungsfähig. Er widerspreche nicht §§ 6 Abs. 11, 68 Abs. 3 Nr. 2 HBau0. Denn von der Klägerin sei für eine Fläche von 1,86 m auf dem Grundstück ...weg 114 eine Baulast bewilligt und eingetragen worden. Das bedeute, dass die gemeinschaftliche Grundstücksgrenze von tatsächlich 1 m zur Hauptgebäudewand der Widersprechenden auf nunmehr insgesamt 2,86 m auf das Grundstück der Beigeladenen, quasi um 1,86 m, verschoben worden sei. Die Beigeladene dürfe öffentlich-rechtlich alle in Abstandsflächen grundsätzlich zulässigen baulichen Anlagen in dem 2,86 m betragenden Abstandsraum errichten.

Die Klägerin hat am 9. August 1996 eine gegen den Widerspruchsbescheid und auf Erlaß der Beseitigungsanordnung gerichtete Klage erhoben: Sie habe ihre Baulasterklärung nur auf diejenige Baugenehmigung und diejenigen zeichnerischen Unterlagen und dasjenige Bauvorhaben bezogen, die ihr zum Zeitpunkt der Abgabe der Baulasterklärung bekannt gewesen seien. Die spätere Änderung des Bauvorhabens hätte eine weitere Baulasterklärung erforderlich gemacht. Der Erker verstoße gegen § 6 Abs. 11 HBauO, denn er sei näher als 2 m an der Grundstücksgrenze errichtet worden. Die Vorschriften des § 6 HBauO müssten für alle späteren Änderungsvorhaben oder Bauvorhaben innerhalb der Baulastfläche an der tatsächlich bestehenden Grundstücksgrenze orientiert werden.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt,

den Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 1996 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sich die Beklagte auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid bezogen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren auch nicht schriftlich geäußert.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 1998 abgewiesen: Die Klage sei als Anfechtungsklage gerichtet nur auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheides zulässig. Mit Aufleben des Erstbescheides vom 9. Mai 1996 hätte die Klägerin ihr Rechtsschutzziel erreicht. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die Aufhebung der Beseitigungsverfügung sei rechtmäßig. Der Erker sei genehmigungsfähig. Er verstoße nicht gegen die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften der §§ 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 6 Abs. 1 HBauO. Die Baulasterklärung der Klägerin sei als öffentlich-rechtliche Willenserklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB auszulegen. Diese Auslegung ergebe, dass für die Berechnung der erforderlichen Abstandsflächen auf dem Grundstück der Beigeladenen die Baulastfläche von 1,86 m auf dem Grundstück der Klägerin zu berücksichtigen sei. Die streitige Baulast begründe eine Verpflichtung der Klägerin, den Bau des Erkers zu dulden. Die Klägerin habe sich mit der Baulasterklärung verpflichtet, die in dem beigefügten Auszug aus dem Liegenschaftskataster dargestellte Baulastenfläche als Abstandsfläche nach § 6 HBauO zur Verfügung zu stellen. Einschränkungen inhaltlicher Art oder Bedingungen im Rechtssinne hinsichtlich der durch die Baulast belegenen Fläche seien in der Erklärung nicht enthalten. Da der Erker ca. 0,5 m von der Grundstücksgrenze entfernt stehe, erreiche er unter Berücksichtigung der von der Klägerin bewilligten Baulast von 1,86 m Tiefe den für eine Zustimmung erforderlichen Mindestabstand von 2 m nicht. Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit § 7 Satz 2 HBauO. Sinn und Zweck von § 7 Satz 2 HBauO sei es allein, die gesetzlichen Privilegierungen - etwa die in § 6 Abs. 3 HBauO - auch für die durch die Baulast erweiterte Abstandsfläche zu übernehmen. Durch die Bestimmung werde also nur sichergestellt, dass die in den Abstandsflächen zulässigen Vorhaben regelmäßig auch auf Flächen zulässig seien, deren Überbauung durch Übernahme einer Baulast im übrigen ausgeschlossen sei. Dieses Ergebnis stehe auch im Einklang mit dem Wesen der Baulast, die nicht die Übernahme einer Last zur Errichtung eines bestimmten genehmigten Bauvorhabens, sondern vielmehr die einer Pflicht zur Herstellung von tatsächlichen Verhältnissen, die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Bauvorhabens bildeten, zum Inhalt habe.

Mit ihrer durch Beschluss vom 29. November 2001 gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor:

Das Bauvorhaben der Beigeladenen verletze das nachbarschützende Recht der Klägerin aus § 68 Abs. 3 HBauO. Es könne sich hinsichtlich des Erkers nicht auf die von der Klägerin abgegebene Baulasterklärung stützen. Eine Baulast könne nicht unabhängig von einem Bauvorhaben eingeräumt werden, sondern sie müsse stets im Zusammenhang mit einem konkreten Bauvorhaben beurteilt werden. Für die Annahme eines notwendigen Zusammenhangs zwischen der Begründung der Baulast und dem Baugenehmigungsverfahren spreche zunächst der Umstand, dass ohne hinreichende Kenntnis von einem konkreten Bauvorhaben die Bauaufsichtsbehörde gar nicht prüfen könne, welchen gesetzlichen Sicherungszwecken die zu begründende Baulast diene. Darüber hinaus sei jedoch noch wichtiger, dass keine Bauaufsichtsbehörde von einem Grundstückseigentümer die Übernahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung verlangen oder gar erzwingen dürfe. Es stehe vielmehr im Belieben des jeweiligen Grundstückseigentümers, ob er eine solche Verpflichtung im Hinblick auf sein Grundstück als Baulast übernehmen wolle. Es sei insoweit auch Sache des Bauherrn, diese Bereitschaft seines Nachbarn im Wege privatrechtlicher Vereinbarungen herbeizuführen. Der Nachbar gehe dann durch die Erteilung der Baulast die Verpflichtung ein, unter Einbeziehung seines Grundstücks einen den Vorschriften des Bauordnungsrechts gemäßen Zustand des Baugrundstücks erst zu schaffen. Er begebe sich damit eines Rechts, das ihm aufgrund baurechtlicher Vorschriften zugeordnet sei, damit der Bauherr sein Grundstück in einer Weise nutzen könne, die ihm anderenfalls unmöglich wäre. Sofern dieser Rechtsverlust des Nachbarn im Hinblick auf ein konkretes Bauvorhaben erfolge, bestehe auch ein konkreter Bezug der Baulast zu eben diesem Bauvorhaben. Deshalb sei jedenfalls im Regelfall davon auszugehen, dass der Bauherr seine Folgeanträge nicht auf eine bereits bewilligte Baulast stützen dürfe. Anderenfalls wäre es ihm möglich, den Nachbarn zur Bewilligung einer Baulast zu überreden und sodann ein Bauvorhaben zu ermöglichen, für das der Nachbar niemals seine Zustimmung erteilt bzw. eine Baulast eingeräumt hätte. Schon deshalb sei regelmäßig davon auszugehen, dass die Baulast lediglich vorhabenbezogen eingeräumt werde. Sofern von dieser Situation abgewichen werden solle, obliege es dem Bauherrn, einen anderen Erklärungsinhalt der Baulast zu beweisen. Denn der Bauherr wolle ein Recht in Anspruch nehmen, das ihm die Bauordnung grundsätzlich nicht zuerkenne. Die von dem angefochtenen Urteil vorgenommene Wertung führe hingegen zu einer faktischen Beweislastumkehr und habe ungeahnte Risiken für denjenigen zur Folge, der eine Baulast bewilligt habe. Die Auslegung der streitgegenständlichen Baulasterklärung ergebe, dass sich diese nur an den Erfordernissen des im Juli 1995 genehmigten Vorhabens orientiert habe. Ein darüber hinausgehender Wille könne der Klägerin nicht unterstellt werden. Die Baulasterklärung der Klägerin nehme ausdrücklich Bezug auf das Bauvorhaben auf dem Flurstück 1780. Aus dem Gesamtzusammenhang ergebe sich zwingend, dass hier nicht irgendein Bauvorhaben gemeint gewesen sei, sondern das konkrete Bauvorhaben. Der Beklagten sei dieser Zusammenhang auch bekannt gewesen. Anderenfalls hätte sie das Bauvorhaben überhaupt nicht genehmigen dürfen. Genehmigung und Baulasterklärung stünden in einem unmittelbaren Zusammenhang. Insoweit komme es bei der Auslegung einer Baulasterklärung zwar auf einen sogenannten verobjektivierten Empfängerhorizont nach §§ 133, 157 BGB an, dieser sei jedoch nicht abstrakt, sondern anhand der jeweiligen konkreten Situation des speziellen Empfängers zu bestimmen. Empfängerin sei im vorliegenden Fall nicht das Rechtsamt, sondern die Bauprüfabteilung der Beklagten gewesen, die die Erklärung der Klägerin dahingehend verstanden habe, dass sich die Baulasterklärung ausschließlich auf das im Juli 1995 genehmigte Vorhaben bezogen und keinesfalls nachfolgende Änderungen des Bauvorhabens eingeschlossen habe.

Bei der Auslegung der Baulasterklärung sei auch zu berücksichtigen, dass die Baulasterklärung den Bauherren zwar begünstige, dieser jedoch nicht schutzwürdiger als der Erklärende selbst sei. Vielmehr werde die Baulasterklärung gegenüber der Bauprüfabteilung abgegeben. Das bedeutet, dass die Bauprüfabteilung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens bereits geprüft habe, in welchem Umfang der Nachbar sich durch die Baulast verpflichten müsse, um das Vorhaben des Bauherrn genehmigungsfähig zu machen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Nachbar eine darüber hinausgehende Erklärung abgeben wolle, sondern seine Erklärung halte sich an die Grenze des gerade noch erforderlichen. Die Baulasterklärung werde im Regelfall zwischen dem Nachbarn und der Bauprüfabteilung im Hinblick auf dieses Minimum abgestimmt sein. Auf eine darüber hinausgehende Erklärung habe der Bauherr im Regelfall keinen Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Juli 1998 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zu ändern, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. Juli 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Beseitigungsanordnung vom 9. Mai 1996 aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Beklagte und Beigeladene haben schriftsätzlich im Berufungsverfahren keine Ausführungen gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 125 Abs. 1 S. 1, 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, die angefochtenen Bescheide, das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Juli 1998 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg, die Sitzungsniederschrift vom 24. April 2002 und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Sachakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässig Berufung der Klägerin hat Erfolg.

I.

Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.

1. Durch den im Berufungsverfahren erneut neu gefaßten Antrag der Klägerin wird lediglich klar gestellt, dass die Klägerin seit Klagerhebung unverändert das Ziel einer Beseitigung des Erkers verfolgt.

2. Der Umstand, dass die Klägerin während der Anhängigkeit des Berufungsverfahrens ihr Grundstück verkauft hat, hindert sie nicht an der Fortführung des Verfahrens. Gemäß §§ 173 VwGO, 265 Abs. 2 ZPO, die hier anzuwenden sind (vgl.: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 7 B 68/00 -), hat die Veräußerung des Grundstücks insoweit keinen Einfluss auf den Prozess.

II.

Die Berufung ist begründet. Der Widerspruchsbescheid hätte die Beseitigungsanordnung nicht aufheben dürfen. Die Klägerin hatte bis zur Veräußerung ihres Grundstücks einen Anspruch auf die Aufrechterhaltung der auf § 76 Abs. 1 HBauO gestützten Beseitigungsverfügung der Beklagten vom 9. Mai 1996, den sie im Wege der Prozeßstandschaft für ihren Rechtsnachfolger in diesem Rechtsstreit weiter geltend machen kann.

Werden bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach § 76 Abs. 1 HBauO die teilweise oder vollständige Beseitigung der baulichen Anlage anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 S. 1 HBauO liegen vor. Die Beigeladene hat den von der Klägerin beanstandeten Erker unter Verstoß auch gegen nachbarschützende Vorschriften formell und materiell illegal errichtet (1). Auf andere Weise als durch die Beseitigung des Erkers können rechtmäßige Zustände nicht hergestellt werden (2). Die Beseitigung ist auch im übrigen verhältnismäßig (3).

Darüber hinaus besteht auch ein Anspruch der Klägerin auf Einschreiten der Beklagten bzw. im vorliegenden Fall auf Aufrechterhaltung ihrer Beseitigungsverfügung. Für diese Beurteilung bedarf es keiner Vertiefung, in welchem Umfang bei einem Verstoß gegen eine nachbarschützende baurechtliche Vorschrift nicht in jedem Fall über den Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Antrag auf Einschreiten hinaus ein Rechtsanspruch des Nachbarn gegenüber der Bauaufsichtsbehörde besteht, gegen einen baurechtswidrigen Zustand einzuschreiten (vgl.: Alexejew/Haase/Großmann/Möhl, Hamburgisches Bauordnungsrecht, Kommentar, Stand: März 2001; B2 § 76 Rdnr. 35 m. weit. Nachw.). Im vorliegenden Fall ist ein in Betracht zu ziehendes Ermessen jedenfalls soweit reduziert, dass nur noch die Beseitigung des Erkers rechtmäßig ist (4).

1. Der von der Beigeladenen in der Nähe der Grenze zum (ehemaligen) Grundstück der Klägerin errichtete Erkervorbau widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

a) Er ist wegen der fehlenden Baugenehmigung formell rechtswidrig und auch materiell nicht genehmigungsfähig. Denn er muss gemäß § 6 Abs. 11 HBauO von dem Nachbargrundstück der Klägerin mindestens 2 m entfernt bleiben. Er rückt aber bis zu 0,5 m an das (ehemalige) Grundstück der Klägerin heran und verletzt dadurch das Recht der Klägerin aus § 68 Abs. 3 HBauO. Die gemäß § 68 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 HBauO erforderliche Zustimmung der Eigentümerin oder des Eigentümers des angrenzenden Grundstücks zur Unterschreitung des Mindestabstands liegt bisher nicht vor, ist vielmehr von der Klägerin ausdrücklich nicht erteilt worden. Die von der Klägerin übernommene Baulast hat die Zustimmung weder eingeschlossen noch entbehrlich gemacht.

Nach § 79 Abs. 1 S. 1 HBauO können die in der Vorschrift genannten Berechtigten durch Erklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einem ihre Grundstücke betreffenden Handeln, Dulden oder Unterlassen übernehmen, die sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben. Die Baulasterklärung stellt eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung dar, deren Abgabe von der Bauaufsichtsbehörde nicht verlangt werden kann, sondern die vom Grundstückseigentümer freiwillig abgegeben wird (vgl.: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, Kommentar, 6. Auflage, 1996, § 92 Rdnr. 33). Die dadurch begründete Baulast dient (jedenfalls in der Regel) dazu, ein Genehmigungshindernis für ein konkretes Bauvorhaben auszuräumen und die Einhaltung des öffentlichen Baurechts zu gewährleisten (vgl.: Bockenförde/Temme/Heintz/Krebs, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 9. Auflage, 1998, § 83 Rdnr. 21 ff). Der Wortlaut der Vorschrift läßt es allerdings auch zu, losgelöst von einem konkreten Bauvorhaben eine rein abstrakte Baulast mit weitergehenden Wirkungen zu begründen. Ob eine Baulast eine in diesem Sinne vorhabenunabhängige oder eine vorhabenbezogene Bedeutung hat, ist eine Frage der Auslegung der abgegebenen Erklärung. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist für diese Auslegung die typische Interessenlage der Beteiligten zu berücksichtigen. Sofern nicht zusätzlich zweiseitige Beziehungen zwischen benachbarten Grundeigentümern bestehen und eine andere Beurteilung nahelegen, entspricht es der Interessenlage jedes Grundeigentümers, die Abgabe einer Baulasterklärung zugunsten seines Nachbarn nicht ohne Kenntnis dessen abzugeben, was dadurch als Bauvorhaben ermöglicht werden soll. Wenn eine Baulast zu einem Zeitpunkt übernommen wird, in dem das dadurch ermöglichte Bauvorhaben bereits durch genehmigte oder zur Genehmigung eingereichte Bauvorlagen konkretisiert ist und diese dem Baulastübernehmer bekannt waren, liegt es bei dieser Interessenlage nahe, daß die Baulast sich auf eben dieses Vorhaben bezog und auch hierauf beschränkte.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Baulast nur für das mit Baugenehmigungsbescheid vom 5. Juli 1995 genehmigte konkrete Bauvorhaben der Beigeladenen übernehmen wollte und dass dies schon aus dem Wortlaut der Verpflichtungserklärung der Klägerin und darüberhinaus aus den Umständen der Abgabe der Verpflichtungserklärung entnommen werden konnte.

Im Wortlaut der Verpflichtungserklärung vom 14. Juli 1995 heißt es ausdrücklich, dass die Klägerin die Verpflichtung "für das Bauvorhaben auf dem Flurstück 1780" übernehme. Im Hinblick auf die der Beigeladenen kurz vorher erteilte und der Klägerin bekannte Baugenehmigung konnte damit auch nur das konkrete Bauvorhaben der Beigeladenen gemeint sein und nicht irgend ein beliebiges. Schließlich gibt es auch keine sonstigen Anhaltspunkte, dass die Beklagte als Empfänger der Verpflichtungserklärung (oder ein anderer objektiver Betrachter der Verpflichtungserklärung, auf den es im Hinblick auf § 79 Abs. 5 HBauO ankommen könnte) von einer anderen Vorstellung der Klägerin ausgehen durfte, dass die Baulast nicht der typischen Interessenlage entsprechend nur für das konkrete Bauvorhaben der Beigeladenen, sondern ein beliebiges Bauvorhaben übernommen werden sollte.

Wird eine sog. Abstandsflächenbaulast übernommen, schließt die dafür abgegeben Erklärung im Umfang ihrer Reichweite eine nach § 68 Abs. 3 HBauO erforderliche nachbarliche Zustimmung zu einer grenznahen Bebauung ein. Besonderheiten einer solchen Abstandsflächenbaulast, wie sie hier übernommen worden ist, rechtfertigen dagegen nicht, von einer notwendigerweise weitergehenden Bedeutung der Baulast für künftige Veränderungen oder weitere Vorhaben auszugehen (so auch OVG Saarlouis, Beschluß vom 11.11.1998 -2 Q 20/98-). Soweit der VGH Mannheim für das baden-württembergische Landesrecht eine andere Auffassung vertritt (vgl. Urteil vom 27.10.2000, BauR 2001, S. 759 ff.), folgt der erkennende Senat dem nicht. Die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Vorschrift des § 7 Satz 2 HBauO gibt dafür nichts her. Sie betrifft die Nutzung der Baulastfläche selbst, für die nach § 7 Satz 1 HBauO gesichert sein muß, dass sie nicht überbaut oder anderweitig als Abstandsfläche angerechnet wird, und räumt ihrem Eigentümer die Möglichkeit ein, sie dennoch für solche baulichen Anlagen zu nutzen, die in Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können. Für den durch die Abstandsflächenbaulast begünstigten Nachbarn ergibt sich dadurch keine zusätzliche begünstigende Wirkung. Im übrigen handelt es sich bei Erkern nach der Gesetzessytematik des § 6 HBauO ohnehin nicht um bauliche Anlagen, die in Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können, sondern um Gebäudeteile, die nach den allgemeinen Abstandsflächenregeln -wie es hier der Fall ist- unerheblich sein können, dafür aber den besonderen Grenzabstand nach § 6 Abs. 11 HBauO wahren müssen.

Aus der Vorhabenbezogenheit einer Baulasterklärung folgt allerdings nicht, dass der Baulastübernehmer jeder nachträglichen Änderung des Vorhabens, das auf ihrer Grundlage genehmigt worden ist, widersprechen kann. Es sind vielmehr in größerer Zahl Änderungen vorstellbar, durch die weder Rechte noch Interessen des Baulastübernehmers berührt werden und die daher die Frage der Baulast bei verständiger Würdigung nicht erneut aufwerfen. Soweit das OVG Saarlouis (vgl. aaO) auch bei solchen Änderungen das Vorhaben nicht mehr als durch die Baulast gedeckt ansieht, erscheint dies zu eng. Einer weiteren Vertiefung bedarf dies hier nicht. Jedenfalls solche Veränderungen, die für sich betrachtet seiner neuerlichen nachbarlichen Zustimmung nach § 68 Abs. 3 HBauO bedürften, betreffen einen durch die HBauO besonders geschützten Rechtsbereich des Baulastübernehmers. Für sie kann bei einer vorhabenbezogenen Baulast, wie sie hier vorliegt, die Zustimmung nicht schon als im Vorwege eingeschlossen angesehen werden.

2. Es ist nicht erkennbar, dass auf andere Weise als durch die angeordnete Beseitigung des Erkers rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten. Solange nicht eine Zustimmung nach § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HBauO vorliegt, ist die Beseitigung die einzige Möglichkeit, um ordnungsgemäße Zustände herzustellen. Eine nachträgliche Legalisierung ist anders nicht möglich, eine die Beigeladene weniger belastende Maßnahme nicht ersichtlich.

3. Die Beseitigungsanordnung verstößt auch nicht gegen den bei der Entscheidung über ein Einschreiten zusätzlich zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die Beseitigung des Erkervorbaus ist nicht unverhältnismäßig, das heißt, sie führt zu keinem Nachteil, der zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände außer Verhältnis steht. Denn sie dient der Beseitigung einer nicht nur marginalen Nachbarrechtsverletzung, die von der Beigeladenen auf eigenes Risiko und ohne bauaufsichtliche Genehmigung herbeigeführt worden ist. Der Verstoß gegen § 68 Abs. 3 HBauO stellt nicht etwa nur einen als gering zu bewertenden Verstoß dar. Denn die Vorschrift dient in Konkretisierung des Art. 14 Abs. 1 GG der Abwehr abstrakt unzumutbarer Grundstücksbeeinträchtigungen, die von dessen Eigentümer auch bei Fehlen konkreter Beeinträchtigungen in der Nutzung des Grundstücks als Beeinträchtigung des Eigentumsrechts nicht hingenommen werden müssen. Die Beseitigungskosten sind zwar nicht konkret bekannt. Es aber gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie eine Höhe erreichen könnten, die außer Verhältnis zu dem mit der Beseitigung angestrebten Ziel stehen könnten.

4. Bei dieser Sachlage ist nur noch die Aufrechterhaltung der Beseitigungsverfügung der Beklagten vom 9. Mai 1996 und damit die Beseitigung des Erkervorbaus der Beigeladenen rechtmäßig. Sachgerechte Erwägungungen, ausnahmsweise von der Beseitigungsanordnung abzusehen, sind weder erkennbar noch von der Beklagten oder der Beigeladenen vorgetragen worden. Die Vertreterin der Beklagten hat eine Erklärung, dass im Falle rechtskräftiger Aufhebung des Widerspruchsbescheides die Beseitigungsanordnung aufrechterhalten werde, in der mündlichen Verhandlung nicht abgegeben, weil die Höhe der Beseitigungskosten nicht bekannt sei. Dies hätte ein Absehen von der Beseitigung aber nur im Falle der Unverhältnismäßigkeit rechtfertigen können.

III.

Die Beklagte hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterliegender Teil die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Für eine Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO zugunsten der Beigeladenen besteht kein Anlaß. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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