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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.08.2009
Aktenzeichen: 2 Bs 102/09
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO 1990 § 8 Abs. 2
BauNVO 1990 § 15 Abs. 1 S. 1
1. Die Begründung eines Bebauungsplans, die in dessen planerischen Festsetzungen keinen Ausdruck gefunden hat, ist nicht geeignet, die Eigenart eines Baugebiets i.S.v. § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO 1990 zu prägen.

2. Nach dem gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und wissenschaftlicher Literatur ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass ein Bordell auch nach § 8 Abs. 2 BauNVO 1990 weiterhin zu den "Gewerbebetrieben aller Art" gehört und nicht der besonderen Nutzungsart "Vergnügungsstätten" zuzuordnen ist.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht

Beschluss

2 Bs 102/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richterinnen und sowie den Richter am 13. August 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 4. Juni 2009 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - geändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage 11 K 1237/09 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Beigeladenen ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. März 2009 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Bordellbetriebes im Obergeschoss des Geschäftshauses X-Straße angeordnet. Die nach §§ 80 a, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass dem Interesse des Beigeladenen an einer unverzüglichen Verwirklichung seines Vorhabens gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin der Vorrang gebührt.

1. Das Verwaltungsgericht hat den aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO folgenden Anspruch der Antragstellerin auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 4.5.2009, NordÖR 2009, 308 ff. und v. 5.6.2009, NordÖR 2009, 310 ff., jew. m.w.N.) durch die angefochtene Baugenehmigung als verletzt angesehen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Bordellbetrieb der Eigenart des hier in Rede stehenden Gewerbegebiets widerspreche, weil es nach dem Willen des Plangebers vor allem der Unterbringung solcher Betriebe dienen solle, die einen hohen Störungsgrad aufwiesen, zum produzierenden Gewerbe gehörten oder der sog. Automeile zuzurechnen seien. Zu Recht führt der Beigeladene mit seiner für das Beschwerdegericht (zunächst) allein maßgeblichen Beschwerdebegründung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) aus, dass diese Auffassung unter Beachtung der Grundsätze, die für die Bestimmung der Eigenart eines Baugebiets gelten, keinen Bestand haben kann.

Die Eigenart eines Baugebiets i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergibt sich zum einen aus seiner allgemeinen Zweckbestimmung, zum anderen wird sie durch die sonstigen Festsetzungen des Bebauungsplans, wie z.B. dem Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise, geprägt (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 15 Rn. 8; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Bd. V, Stand Januar 2009, § 15 BauNVO Rn. 10 ff.). Die typisierenden Regelungen der Baunutzungsverordnung sind allerdings nicht allein entscheidend. Vielmehr lässt sich die Eigenart eines Baugebiets nur auf die Weise abschließend bestimmen, dass zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die ein Gebiet "hineingeplant" worden ist, sowie der jeweilige Planungswille, soweit dieser in den Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.5.1988, BVerwGE 79, 309, m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist für die Annahme, das Gewerbegebiet zeichne sich durch eine spezifische Zweckbestimmung für Betriebe mit einem hohen Störungsgrad, das produzierende Gewerbe und kraftfahrzeugbezogene Nutzungen aus, kein Raum.

Maßgeblich ist hier die Verordnung über den Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 11. August 1999 (HmbGVBl. S. 213), die das Grundstück der Antragstellerin und das Vorhabengrundstück als Gewerbegebiet ausweist. Gegen diesen Bebauungsplan erscheinen zwar insofern Bedenken angezeigt, als der Verordnungsgeber ausweislich der Formulierungen in § 2 der Verordnung offenbar davon ausgegangen ist, er könne mit der Verordnung die in den übergeleiteten Baustufenplänen Wandsbek-Marienthal und Tonndorf-Jenfeld in der Fassung ihrer erneuten Feststellung vom 14. Januar 1955 (Amtl.Anz. S. 61) enthaltene Industriegebietsfestsetzung nach § 10 Abs. 4 BPVO dahingehend ändern, dass sie fortan als Festsetzung eines Industriegebiets nach § 9 BauNVO bzw. eines Gewerbegebiets nach § 8 BauNVO gilt. Für eine solche "Einarbeitung" neuen Planungsrechts in einen übergeleiteten Baustufenplan dürfte es keine Rechtsgrundlage geben. Dies bedarf hier aber keiner Vertiefung. Denn jedenfalls liegt es nahe, dass die Verordnung unabhängig von den Baustufenplänen als ein einfacher Bebauungsplan i.S.d. § 30 Abs. 3 BauGB Geltung beanspruchen kann, der für die im Plangebiet gelegenen Grundstücke lediglich die Art der baulichen Nutzung festsetzt.

Mit der Festsetzung als Gewerbegebiet ist nach § 8 Abs. 2 BauNVO grundsätzlich ein weites Spektrum zulässiger Nutzungen verbunden. Allgemein zulässig sind Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (Nr. 1), Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude (Nr. 2), Tankstellen (Nr. 3) sowie Anlagen für sportliche Zwecke (Nr. 4). Darüber hinaus können nach Absatz 3 ausnahmsweise Betriebswohnungen (Nr. 1), Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke (Nr. 2) und Vergnügungsstätten (Nr. 3) zugelassen werden. Zutreffend weist der Beigeladene mit seiner Beschwerde darauf hin, dass der Plangeber diese sehr offene Gebietsstruktur nicht durch Festsetzungen nach § 1 Abs. 5 bis 9 BauNVO in einem Maße eingeschränkt hat, als dass an den Festsetzungen der planerische Wille abgelesen werden könnte, das Gewerbegebiet durch eine spezifische Zweckbestimmung für Betriebe mit einem hohen Störungsgrad, produzierendes Gewerbe sowie kraftfahrzeugbezogene Nutzungen zu prägen. Von den nach § 8 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungen sind gemäß § 2 Nr. 4 bis 6 der Verordnung lediglich Einzelhandelsbetriebe, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie gewerbliche Freizeiteinrichtungen für allgemein unzulässig erklärt worden. Auch damit ist jedoch kein strikter Ausschluss dieser Nutzungen verbunden, da die allgemeine Zulässigkeit in einer Reihe von Fällen nur in eine Ausnahme umgewandelt worden ist. So können Einzelhandelsbetriebe, die mit Kraftfahrzeugen einschließlich Zubehör handeln, sowie Läden, die der täglichen Versorgung der im Plangebiet arbeitenden Menschen dienen, jedenfalls ausnahmsweise zugelassen werden. Dasselbe gilt auf den schraffiert dargestellten Flächen mit vorhandenem Einzelhandel, auf denen Einzelhandelbetriebe ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie mit Kraftfahrzeugen, Booten, Möbeln, Teppichen und sonstigen flächenbeanspruchenden Artikeln einschließlich Zubehör oder mit Baustoffen, Werkzeugen, Gartengeräten und sonstigem Bau- und Gartenbedarf handeln, diese Artikel ausstellen oder lagern. Ebenso können Büro- und Verwaltungsgebäude sowie solche gewerblichen Freizeiteinrichtungen im Wege der Ausnahme zugelassen werden, die im Zusammenhang mit kraftfahrzeugbezogenen Nutzungen stehen. Von den nach § 8 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen hat der Plangeber lediglich Vergnügungsstätten ausgeschlossen. In Anbetracht der danach verbleibenden Vielfalt möglicher Nutzungen ist eine vom Plangeber beabsichtigte Prägung des Gewerbegebiets durch bestimmte Arten von Betrieben nicht erkennbar.

Die Begründung zum Bebauungsplan hat demgegenüber nur die Funktion einer Auslegungshilfe und kann einem Planungswillen, der in den Festsetzungen nicht zum Ausdruck kommt, nicht zum Durchbruch verhelfen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin und des Verwaltungsgerichts gibt die Begründung im Übrigen aber auch nicht den Willen des Plangebers her, die Grundstücke im Gewerbegebiet in erster Linie Betrieben mit einem hohen Störungsgrad, dem produzierenden Gewerbe und kraftfahrzeugbezogenen Nutzungen vorzubehalten. In den Erläuterungen zum Gewerbegebiet unter Ziff. 4.2 ist hiervon nicht die Rede. Dort wird vielmehr auf den Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG abgehoben und ausgeführt, dass mit dem Gewerbegebiet rund um das Industriegebiet eine "Pufferzone" zu den an das Plangebiet angrenzenden Kleingärten und Wohngebieten geschaffen werden solle. Zugleich ist Ziff. 4.2 zu entnehmen, dass die Gewerbegebietsausweisung die bereits bei Planaufstellung im Nahbereich schutzwürdiger Wohngebiete vorhandenen gewerblichen Nutzungen, zu denen auch selbständige Büronutzungen gehören, berücksichtigt und diese sichern will. Allerdings ist der Antragstellerin und dem Verwaltungsgericht einzuräumen, dass das Ziel, das Plangebiet für Betriebe mit einem hohen Störungsgrad bzw. das produzierende Gewerbe vorzuhalten, wiederholt in Ziff. 4.4 der Begründung (Gliederung der Baugebiete) angesprochen wird. Insoweit fehlt es im Text aber schon durchweg an einer Differenzierung zwischen dem Industriegebiet und dem Gewerbegebiet und liegt es im Hinblick darauf, dass das Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von "nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben" dient, nahe, dass sich die betreffenden Ausführungen in erster Linie auf das Industriegebiet beziehen. Soweit ausnahmsweise ein ausdrücklicher Bezug zum Gewerbegebiet hergestellt wird (S. 9 erster Absatz am Ende), beschränkt sich dieser auf "die rückwärtigen Bereiche des Gewerbegebiets" und damit auf Flächen, die im vorliegenden Fall keine Rolle spielen. Auch der Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben und Vergnügungsstätten wird nicht vorrangig mit dem Ziel begründet, die Grundstücke im Plangebiet für Betriebe mit einem hohen Störungsgrad bzw. für das produzierende Gewerbe vorzuhalten, sondern gleichermaßen damit, dass die bestehenden bzw. weiter zu entwickelnden Zentren in der Umgebung des Plangebiets in ihrer Funktion gestärkt werden sollen. Das planerische Ziel, die sog. Automeile in ihrem Bestand zu sichern und weiterzuentwickeln, ist schließlich in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen ersichtlich auf den Bereich des F.-Damms gemünzt. Es betrifft damit in erster Linie das beiderseits des F.-Damms ausgewiesene Industriegebiet und in zweiter Linie das im Osten des Plangebiets am F.-Damm festgesetzte Gewerbegebiet, kaum jedoch den im Nordwesten gelegenen Teil des Gewerbegebiets, in dem sich das Grundstück der Antragstellerin und das Vorhabengrundstück befinden.

2. Die dem Beschwerdegericht danach ohne Bindung an die mit der Beschwerde dargelegten Gründe eröffnete weitergehende Prüfung ergibt auch nicht, dass sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht aus anderen Gründen als richtig erweist.

a) Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht einiges für die von der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen vertretene und vom Verwaltungsgericht geteilte Auffassung, der streitige Bordellbetrieb falle unter die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im Gewerbegebiet allgemein zulässigen "Gewerbebetriebe aller Art" und verletze deshalb nicht den Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin. Die Auffassung kann sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.11.1983, BVerwGE 68, 213) stützen und entspricht der wohl nach wie vor herrschenden Meinung (vgl. z.B. VGH München, Beschl. v. 13.2.2008, 15 ZB 07.2200, juris; OVG Koblenz, Urt.v. 11.5.2005, BRS 69 Nr. 35; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 4a Rn. 23.73; Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 4a BauNVO Rn. 58a; Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 16; Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, BauNVO, 5. Aufl. 2007, § 4a BauNVO Rn. 20; Reidt in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 1435). Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht offen gelassen, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten i.S.d. Baunutzungsverordnung sind und ausgeführt, dass es sich - selbst wenn dies der Fall sein sollte - jedenfalls um eine atypische Art der von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätten handele, so dass ihre Erwähnung in §§ 7 Abs. 2 Nr. 2 und 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1977 nicht für ihre ausschließliche Zulässigkeit in diesen Gebieten und gegen ihre Zulässigkeit in einem Gewerbegebiet spreche. Bordellbetriebe seien anders als etwa die von der Baunutzungsverordnung typischerweise gemeinten Vergnügungsstätten wie Kinos, Tanzbars, Kabaretts usw. Einrichtungen, für die sich im Hinblick auf die allgemeine sozialethische Bewertung und auf die sich aus dem "Milieu" ergebenden Begleiterscheinungen eher ein Standort eigne, der außerhalb oder allenfalls am Rande des "Blickfeldes" und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit liege und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen.

Zwar ist nicht zu verkennen, dass diese Rechtsprechung auf nicht nur vereinzelte Kritik gestoßen ist und Bordellbetriebe nach anderer Auffassung jedenfalls seit der Neuregelung der Zulässigkeit von Vergnügungsstätten durch die Baunutzungsverordnung 1990 abschließend dieser Nutzungsart zugeordnet werden (vgl. z.B. OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.6.2009, 2 B 367/09, juris; VGH Kassel, Beschl. v. 30.4.2009, DVBl 2009, 992, nur LS; Ziegler in: Brügelmann, BauGB, Bd. VI, Stand April 2009, § 4a BauNVO, Rn. 74, m.w.N.; Stühler, Prostitution und öffentliches Recht (unter besonderer Berücksichtigung des Baurechts), NVwZ 1997, 861, 866 f., m.w.N). Auch ist nicht in Abrede zu stellen, dass der Verordnungsgeber der Baunutzungsverordnung 1990 die Vergnügungsstätten nunmehr durchgehend als eine besondere Nutzungsart erfasst hat und sie damit - insoweit abweichend von der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - aus dem allgemeinen Begriff des "Gewerbebetriebs" herausgenommen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.11.1990, 4 B 162/90, juris, zu einem Diskothekenbetrieb). Diese Neuordnung dürfte jedoch nur dann einer Einordnung eines Bordellbetriebs unter die "Gewerbebetriebe aller Art" i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO entgegenstehen, wenn er als eine typische Vergnügungsstätte i.S.d. Baunutzungsverordnung zu qualifizieren wäre. Insoweit hat sich das Bundesverwaltungsgericht allerdings auch nach Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung 1990 nicht zu einer Änderung seiner früheren Auffassung veranlasst gesehen und sich vielmehr weiterhin auf seine Rechtsprechung im Urteil vom 25. November 1983 berufen (BVerwG, Beschl. v. 29.10.1997, BRS 59 Nr. 62; Beschl. v. 28.6.1995, BRS 57 Nr. 69). Soweit darüber hinaus in der Literatur für die Einordnung von Bordellen als typische Vergnügungsstätte die Notwendigkeit einer einheitlichen planungsrechtlichen Behandlung aller Betriebe des "Sex-Gewerbes" angeführt und auf anderenfalls bestehende Abgrenzungsschwierigkeiten hingewiesen wird, erscheint auch diese Argumentation jedenfalls nicht zwingend.

Nach diesem Stand in Rechtsprechung und Literatur geht auch das Beschwerdegericht jedenfalls für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass einiges für die allgemeine Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO spricht.

Unter dieser Prämisse kommt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht in Betracht, den Bordellbetrieb gleichwohl als eine durch die Regelung in § 2 Nr. 5 Satz 2 der Verordnung über den Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 ausgeschlossene Vergnügungsstätte anzusehen. Die Regelung bezieht sich zweifelsfrei auf die Zulassung von Vergnügungsstätten im Wege der Ausnahme nach § 8 Abs. 3 BauNVO und kann schon aus diesem Grunde die allgemeine Zulässigkeit des Bordellbetriebs nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO nicht hindern. Hätte der Plangeber Bordellbetriebe ausschließen wollen, so hätte er hierzu im Übrigen nach § 1 Abs. 9 BauNVO ausdrücklich die Möglichkeit gehabt, da Bordelle eine bestimmte Art von Betrieben darstellen, die einer Branchendifferenzierung grundsätzlich zugänglich sind (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 11.5.2005, a.a.O.). Eine solche Vorgehensweise hätte um so näher gelegen, als dem Plangeber der Meinungsstreit um die planungsrechtliche Einordnung von Bordellbetrieben und die damit verbundenen Unwägbarkeiten mit Sicherheit nicht unbekannt war. Ebenso wenig entbehrt es - wie die Antragstellerin meint - jeder Logik, die Ansiedlung von Nachtlokalen, Striptease-Bars, Swinger-Clubs, Peep-Shows und ähnlichen Betrieben durch den Ausschluss von Ausnahmen für Vergnügungsstätten kategorisch zu unterbinden, Bordellbetriebe aber weiterhin zuzulassen. Denn die erstgenannten Betriebe können ohne Weiteres auf ihre allgemeine Zulässigkeit im Kerngebiet (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) verwiesen werden, was - wiederum ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. November 1983 (a.a.O.) - für Bordellbetriebe nicht unbedingt gilt.

b) Die angefochtene Baugenehmigung dürfte ferner nicht das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzen. Das Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die ihm gegenüber als rücksichtslos zu werten sind. Davon kann erst die Rede sein, wenn die mit dem genehmigten Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstücks bei einer Abwägung, in der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigungen und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Nachbarn billigerweise unzumutbar erscheinen (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 5.8.1983, BVerwGE 67, 334; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007, NordÖR 2008, 73, 74). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die Antragstellerin verweist zwar allgemein auf die mit dem Betrieb eines Bordells erfahrungsgemäß einhergehenden Nachteile, Belästigungen und Unzuträglichkeiten, insbesondere den Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs, eine milieubedingte Unruhe, ein mögliches anstößiges Verhalten von Besuchern des Betriebs sowie eine mögliche dem Ansehen anderer Unternehmen in dem Gebiet abträgliche Wirkung. Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Antragstellerin bei der Nutzung ihres Grundstücks von solchen Beeinträchtigungen tatsächlich in unzumutbarer Weise betroffen sein wird.

Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass der Eigentümer eines im Gewerbegebiet gelegenen und auch gewerblich genutzten Grundstücks gegenüber Störungen der hier in Rede stehenden Art nicht dasselbe Maß an Schutz beanspruchen kann, wie es in einem Gebiet mit einem hohen Wohnanteil der Fall ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin auf ihrem Grundstück eine gewerbliche Nutzung betreibt, die sich gegenüber den genannten Beeinträchtigungen als besonders empfindlich darstellt. Nach den Angaben im Schriftsatz vom 9. Juli 2009 ist das Gebäude an die Fa. A vermietet, die dort Karton- und Papierbearbeitung betreibt sowie einen Produktionsbetrieb für Holzbearbeitung (Herstellung von Särgen, Montage für Ikea-Möbel, Verschredderung von Bankbelegen etc.) und ein Lager unterhält. Hinzu kommt, dass der Bordellbetrieb nicht als sehr groß bezeichnet werden kann. Nach den genehmigten Bauvorlagen sind zwar 19 Zimmer vorgesehen. Zugleich ist durch die Nebenbestimmungen in Ziff. 5 und 6 der Anlage 1 zur Baugenehmigung jedoch sichergestellt, dass während der Öffnungszeiten nicht mehr als zehn Mitarbeiterinnen gleichzeitig tätig sind und dass die Mitarbeiterinnen in dem Bordell auch nicht etwa wohnen. Darüber hinaus hat der Beigeladene unwidersprochen vorgetragen, dass der Bordellbetrieb bereits seit Jahren an der Y-Straße in einem Wohngebiet ansässig ist und es dort keine Beanstandungen gegeben hat. Unter diesen Umständen sind jedenfalls keine Beeinträchtigungen zu erwarten, die das Maß des Zumutbaren überschreiten.

Eine etwaige Wertminderung des Grundstücks der Antragstellerin kann nicht zur Begründung der Rücksichtslosigkeit herangezogen werden. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass ein Nachbar im Baurecht einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht. Abwehransprüche sind deshalb nur insoweit gegeben, als sie die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit seines Grundstücks oder der Verletzung einer anderen nachbarschützenden Norm sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.11.1997, NVwZ-RR 1998, 540; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007, a.a.O., S. 75).

c) Neben den vorstehenden Erwägungen zur materiellen Rechtslage fällt bei der Interessenabwägung nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO weiter ins Gewicht, dass die Folgen für den Beigeladenen bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Nachbarklage ungleich schwerer wiegen als dies umgekehrt für die Antragstellerin bei einer Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes der Fall ist. Wie der Beigeladene mit Schriftsatz vom 5. Mai 2009 vorgetragen hat, müsste er im ersteren Falle für das angemietete Geschoss im Gebäude X-Straße weiterhin den Mietzins entrichten ohne zugleich die Räumlichkeiten nutzen und aus der Nutzung einen Ertrag erwirtschaften zu können. Die Verwirklichung seines Vorhaben könnte hierdurch im Ergebnis wesentlich erschwert, wenn nicht gar vereitelt werden. Zudem sind die Umbaumaßnahmen im Gebäude weitgehend abgeschlossen, so dass es hier lediglich noch um die Nutzung geht. Mit der Aufnahme der Nutzung werden jedoch keine Fakten geschaffen, die bei einem Unterliegen des Beigeladenen im Hauptsacheverfahren nicht oder jedenfalls nur schwer wieder rückgängig zu machen wären. Vielmehr könnte die Nutzung der Räumlichkeiten als Bordell ohne Weiteres aufgegeben werden. Demgegenüber sind für die Antragstellerin bei einer Aufnahme der Nutzung für die Dauer des Hauptsacheverfahrens keine schwerwiegenden Nachteile zu erwarten, wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen zum Rücksichtnahmegebot ergibt.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.



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