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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.01.2007
Aktenzeichen: 2 Bs 332/06
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 15 Abs. 1
Schöpft die auf einem Grundstück aufgrund eines früheren Bebauungsplans errichtete Bebauung das im aktuell geltenden Bebauungsplan zugelassene Maß der Bebauung nicht aus, verstößt ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück grundsätzlich nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, wenn dieses die Festsetzungen des neuen Bebauungsplans in Einklang mit dessen planerischer Zielsetzung ausnutzt.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

2 Bs 332/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter Dr. Ungerbieler und Probst sowie die Richterin Sternal am 8. Januar 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. November 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Aus den Ausführungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Überprüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden ist, in der es den Antrag abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungsbescheid vom 6. Oktober 2006 anzuordnen.

I.

Im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung ergeben sich im vorliegenden Fall keine nachbarrechtlichen Abwehrrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben besitzt das Bauplanungsrecht in Gestalt insbesondere der §§ 31 und 34 BauGB sowie des § 15 BauNVO Regelungen, die Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend bestimmen. Welche Beeinträchtigungen seines Grundeigentums der Nachbar hinnehmen muss und wann er sich erfolgreich gegen ein Bauvorhaben wehren kann, richtet sich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots, das in den genannten Vorschriften enthalten ist. Für weitergehende Abwehransprüche aus Art. 14 Abs. 1 GG ist daneben kein Raum (vgl. ausführlich BVerwG, Urt. v. 26.9.1991, ZfBR 1992 S. 79, 82 f.).

II.

Auch aus dem Rücksichtnahmegebot kann der Antragsteller nichts für sich herleiten.

1. Ein Nachbarschutz eröffnender Verstoß gegen dieses Gebot ergibt sich nicht daraus, dass die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Baugenehmigungsbescheid vom 6. Oktober 2006 zwei, wie es heißt: "viergeschossige" Mehrfamilienhäuser mit einem Giebel direkt an der Grenze zum Grundstück des Antragstellers genehmigt hat.

a) Der Beschwerdesenat verkennt ebensowenig wie das Verwaltungsgericht, dass die genehmigte Lage des Baukörpers mit Nachteilen für das Grundstück des Antragstellers verbunden sein kann. Die Genehmigung eines viergeschossigen, grenzständigen Wohngebäudes ist indes mit der sowohl das Baugrundstück als auch das Grundstück des Antragstellers treffenden Ausweisung "WR IV g" im Bebauungsplan Schnelsen 33 vom 22. Juni 1994 (GVBl. 1994 S. 185) einschließlich der dort festgesetzten Baugrenzen planungsrechtlich vereinbar. Die möglichen Beeinträchtigungen des Antragstellers ergeben sich daraus, dass das Gebäude auf seinem Grundstück die Ausweisung des nunmehr maßgeblichen Bebauungsplanes Schnelsen 33 nicht ausnutzt und der Antragsteller auch ganz offensichtlich nicht vorhat, dies in absehbarer Zeit zu tun. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann er daraus nicht herleiten. Schöpft nämlich die in einem Baugebiet vorhandene Bebauung die Festsetzungen eines (aktuellen) Bebauungsplanes nicht aus, sondern bleibt sie dahinter zurück, so verstößt ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück, welche das im Plan zugelassene und den Planzielen entsprechenden Nutzungsmaß ausnutzt, nicht gegen dieses Gebot. Anderenfalls könnte ein Grundstückseigentümer, der an seiner geringeren Bebauung festhalten möchte, die plangemäße und vom Plangeber gewollte, dichtere Bebauung auf dem Nachbargrundstück verhindern und die Realisierung des Bebauungsplanes damit in Frage stellen (Beschl. d. Senats v. 3.2.1998, 2 Bs 38/98). Dies entspricht im Übrigen nicht nur der Rechtsprechung des Beschwerdesenats, sondern auch der Auffassung im Schrifttum und sonstiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl. 2002, § 15 Rn. 8; Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Bd. 5, Stand 7. 2006, § 15 BauNVO Rn. 24 jew. m.w.N.). Ohne Bedeutung ist dabei, dass der Bebauungsplan im vorliegenden Fall eine viergeschossige Bebauung vorsieht, wohingegen der auch in der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erwähnte Beschluss des Beschwerdegerichts vom 3. Februar 1998 eine dreigeschossige Ausweisung auf dem Nachbargrundstück betraf. Entscheidend ist in Konstellationen der vorliegenden Art vielmehr nur, dass das auf dem Nachbargrundstück genehmigte Gebäude die jeweilige Festsetzung einhält und dann nicht von dem benachbarten Grundstückseigentümer, der an der geringeren Ausnutzung seines Grundstückes festhalten will, unter Berufung auf das Rücksichtnahmegebot blockiert werden kann. Dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist nichts ersichtlich.

b) Sofern das Vorbringen des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 4. Januar 2007 dahingehend verstanden werden soll, dass er nunmehr geltend macht, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht vier, sondern fünf Geschosse aufweise, verhilft das seiner Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Zum einen erfolgte dies Vorbringen, nachdem der angefochtene Beschluss dem Antragsteller am 10. November 2006 zugestellt worden war, nach Ablauf der einmonatigen Darlegungspflicht aus § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO. Zum anderen ist es ohnehin unsubstantiiert. Die Festsetzung der Geschosszahl im Bebauungsplan mit "IV" bezieht sich, wie sich unter anderem aus der Legende des Planes ergibt, auf Vollgeschosse. Nach den Berechnungen in der Sachakte handelt es sich bei dem oberen Geschoss des Gebäudes der Beigeladenen, gemessen an den Regelungen in § 2 Abs. 6 Satz 3 Hamburgische Bauordnung in der Fassung vom 14. Dezember 2005 (HmbGVBl. S. 525, 563) - HBauO -, jedoch nicht um ein Vollgeschoss. Diese Berechnungen sind vom Antragsteller nicht angegriffen worden.

c) Soweit der Antragsteller die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen damit angreift, dass er die Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Bebauungsplanes wegen eines behaupteten Abwägungsfehlers in Frage stellt, ist das ebenfalls ohne Belang. Das Verwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass die Frist zur Geltendmachung von Abwägungsfehlern zwischenzeitlich verstrichen ist, weil der maßgebliche Bebauungsplan im Jahr 1994 In Kraft getreten ist und § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB seinerzeit vorsah, dass Mängel bei der Abwägung von Bebauungsplänen unbeachtlicht sind, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren geltend gemacht werden. Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller zunächst nicht angegriffen. Wenn er nunmehr in seinem Schriftsatz vom 4. Januar 2007 geltend macht, dass im Bebauungsplan entgegen § 215 Abs. 2 BauGB in der maßgelblichen Fassung nicht auf die fragliche Frist hingewiesen worden sei, führt das ebenfalls nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Denn zum einen ist auch dieses Vorbringen erst nach Ablauf der einmonatigen Darlegungspflicht aus § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO vorgebracht worden. Zum anderen ist es auch inhaltlich unzutreffend. Denn in § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes über den Bebauungsplan Schnelsen 33 ist darauf hingewiesen worden, dass Mängel der Abwägung unbeachtlich sind, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren geltend gemacht werden. Dass dem Antragsteller das Inkrafttreten des im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichten Bebauungsplanes Schnelsen 33 nicht bekannt gewesen ist, ist für die Frage, ob er sich auf Nachbarschutz berufen kann, ohne Bedeutung.

2. Auch unter sonstigen Gesichtspunkten ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht erkennbar. Sie ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Satz 2 HBauO, wonach dann, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Nachbargrenze gebaut werden muss, seitens der Bauaufsichtsbehörde unter Umständen gleichwohl zugelassen oder verlangt werden kann, dass ein Abstand eingehalten wird, das Bauvorhaben der Beigeladenen auch mit einem Grenzabstand zum Grundstücks des Antragstellers hätte genehmigt werden können. Bei der Frage, ob das Rücksichtnahmegebot verletzt ist, ist die gerichtliche Überprüfung an das gegenüber dem Bauherrn konkret genehmigte Vorhaben gebunden. Der Nachbar kann eine Genehmigung deshalb nicht durch einen Hinweis auf seines Erachtens besser geeignete und rechtlich mögliche Alternativstandorte des Bauwerks zu Fall bringen (BVerwG, Beschl. v. 26.6.1997, NVwZ-RR 1998 S. 357; OVG Hamburg, Urt. v. 11.12.1997, Bf II 50/95, juris). Dass das Grundstück des Klägers im Unterschied zu einer Bebauung unter Einhaltung eines seitlichen Mindestabstands nach § 6 Abs. 5 HBauO allein durch die Grenzbebauung zusätzlichen Belastungen ausgesetzt ist, die mit dem Rücksichtnahmegebot unvereinbar sind, lässt sich den Ausführungen des Antragstellers nicht entnehmen und ist auch sonst nicht offenbar.

II.

Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts in seinem angefochtenen Beschluss, wonach der Antragsteller unter anderem die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung entsprach der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, nachdem die Bevollmächtigten der Beigeladenen in ihrem Schriftsatz vom 7. November 2006 an das Verwaltungsgericht einen Antrag gestellt und sich zur Sache geäußert hatten. Dass am darauf folgenden Tag die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erging, mithin der Antragsteller keine Gelegenheit mehr hatte, auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 7. November 2006 zu erwidern, begegnet keinen Bedenken, da die Sache nach Eingang des Schriftsatzes der Beigeladenen ausgeschrieben und entscheidungsreif war.

Das Beschwerdegericht sieht schließlich keinen Anlass, auf eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits hinzuwirken, da ihm weder die Antragsgegnerin noch die Beigeladene eine Verständigungsbereitschaft signalisiert haben.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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