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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.09.2004
Aktenzeichen: 3 Bf 175/03
Rechtsgebiete: VwGO, HmbVwVfG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
HmbVwVfG § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a
1. Die auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichtete Klage ist unbegründet, wenn der Ausländer zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bezirk der beklagten Ausländerbehörde hat oder zuletzt hatte und diese deshalb gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a HmbVwVfG nicht örtlich zuständig ist .

2. Die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an seiner Richtigkeit zuzulassen, wenn die beklagte Ausländerbehörde zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils durch das Verwaltungsgericht nicht örtlich zuständig war und sie auch zu dem - maßgeblichen - Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts über den Zulassungsantrag nicht örtlich zuständig ist. Dass in der Zwischenzeit, etwa zum Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag, vorübergehend eine örtliche Zuständigkeit der beklagten Ausländerbehörde bestand, ist unerheblich.


3 Bf 175/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Kollak und Niemeyer am 9. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 11. Februar 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 4.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Aus den Ausführungen in der Begründung des Zulassungsantrags, die nicht ausdrücklich einen der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO benennen, aber sinngemäß die Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestreiten, ergeben sich diesbezüglich keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Klägerin hat mit der Begründung ihres Zulassungsantrags vom 19. Mai 2003 im wesentlichen vortragen lassen, sie habe sich in dem Zeitraum ab ihrer zum 16. September 2002 erfolgten Zulassung zum Studium an der FH Lübeck "zeitweilig in Hamburg und Lübeck bei Freunden ohne Anmeldung aufgehalten" und damit "keinen ständigen Wohnsitz" gehabt; seit dem 10. März 2003 wohne sie ausweislich einer beigefügten Meldebescheinigung des Bezirksamts H. vom 11. März 2003 "wieder in 21075 Hamburg" und fahre "jetzt täglich mit dem Zug von Harburg nach Lübeck und zurück". Daraus ergeben sich - nach dem, wie noch auszuführen sein wird, insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts über den Zulassungsantrag - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts, welches entscheidend darauf abgestellt hat, dass die Klägerin am 11. Februar 2003, dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung, ihren Wohnsitz in Lübeck gehabt habe und die Beklagte deshalb für die Entscheidung über ihr Begehren nicht mehr örtlich zuständig gewesen sei.

a) Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zum Zeitpunkt seiner Verkündung richtig gewesen. Einem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG stand seinerzeit bereits entgegen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht (mehr) örtlich zuständig war. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit in dem vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren ist die Bestimmung in § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) HmbVwVfG, die mit der bundesrechtlichen Regelung in § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VwVfG identisch ist. Danach ist - mangels speziellerer Regelungen im AuslG 1990 - in ausländerrechtlichen Verfahren die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte; für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist wiederum auf die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997, NVwZ-RR 1997 S. 751; OVG Hamburg, Beschl. v. 25.11.2003 - 3 Bs 447/03). Nach dieser Vorschrift hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Nach diesem Maßstab hatte die Klägerin am 11. Februar 2003 ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Hamburg, sondern in Lübeck: Dorthin war sie laut Schreiben des Klägervertreters an das Verwaltungsgericht vom 8. November 2002 "Ende August 2002 verzogen", nachdem sie dort seit dem 16. September 2002 als Studentin an der Fachhochschule eingeschrieben war, und dort war sie laut der Mitteilung der Beklagten vom 7. Juli 2003, der die Klägerin trotz Bitte des Berufungsgerichts um Erklärung nicht entgegen getreten ist, seit dem 15. September 2002 unter der Anschrift "P. str. 2" gemeldet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11. Februar 2003 hat sie laut dem Sitzungsprotokoll (S. 2 oben) geäußert, sie werde "dann ..." (nach dem Bezug einer Wohnung in Hamburg) "... täglich von Hamburg nach Lübeck fahren", was ebenfalls verdeutlicht, dass sie an jenem Tag noch in Lübeck gewohnt hat.

Dieser Umstand hat dazu geführt, dass der Klägerin gegenüber der Beklagten zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2003 der dort geltend gemachte Verpflichtungsanspruch (vgl. den dort gestellten Antrag, S. 2 des Sitzungsprotokolls) schon deshalb nicht zustehen konnte, weil die Beklagte für dieses Begehren örtlich unzuständig war, was dazu geführt hat, dass ihr für die Erfüllung dieses Anspruchs die erforderliche Passivlegitimation fehlte (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.5.1995, BVerwGE Bd. 98 S. 313, 315 f.; Urt. v. 10.12.1996, InfAuslR 1997 S. 239, 240). Auch aus § 3 Abs. 4 HmbVwVfG ergab sich nichts anderes, weil es ausweislich der vorgelegten Sachakte kein Einvernehmen zwischen der Ausländerbehörde in Lübeck und der Beklagten gab, dass diese das vorliegende ausländerrechtliche Verfahren trotz des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit weiterführen sollte.

Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der Frage der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten auch zutreffend auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abgestellt und nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Berufungsgericht folgt, ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen, soweit es um die Frage geht, ob schon aus Rechtsgründen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt oder versagt werden muss (BVerwG, Urt. v. 28.1.1997, InfAuslR 1997 S. 240, 241). So liegt es hier im Hinblick auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde: Fehlt sie, so darf die angegangene Ausländerbehörde die beantragte Aufenthaltsgenehmigung schon aus diesem Grund nicht erteilen; andernfalls leidet der betreffende Bescheid nicht nur an einem Zuständigkeitsmangel, sondern verstößt auch gegen materielles Recht, das bei einem Anspruch den richtigen Anspruchsgegner einbezieht (BVerwG, Urt. v. 10.12.1996, InfAuslR 1997 S. 239, 240).

b) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das zum Zeitpunkt seiner Verkündung richtig gewesene Urteil weiterhin richtig ist.

Zwar kommt es, wenn man ausschließlich das Vorbringen im Zulassungsantrag in Verbindung mit der vorgelegten Anmeldebestätigung des Bezirksamts Harburg vom 11. März 2003 berücksichtigen würde, in Betracht, dass die Klägerin zu jenem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt wieder nach Hamburg verlegt hatte, und die Beklagte somit seinerzeit wieder örtlich zuständig geworden war. Ein solcher Umstand wäre - trotz der Tatsache, dass er erst nach der Verkündung des Urteils des Verwaltungsgerichts eingetreten wäre - nach dem bereits dargestellten Grundsatz, wonach es bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der (ggf. noch durchzuführenden) letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ankommt, an sich auch im Rahmen eines Antragsverfahrens auf Zulassung der Berufung noch zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.11.2002, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 31 = NVwZ 2003 S. 90; OVG Hamburg, Beschl. v. 17.2.1998, NVwZ 1998 S. 863), was wiederum zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils führen könnte. Im vorliegenden Fall kommt es dazu jedoch nicht, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Hamburg hat bzw. ihn dort auch nicht mehr zuletzt hatte.

aa) Bei der Beurteilung, ob der dargelegte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt, sind Änderungen der Sach- und Rechtslage, sofern es - wie hier - nach materiellem Recht auf den Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ankommt, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag zu berücksichtigen (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, § 124, Rn 142; § 124 a, Rn 137; Meyer-Ladewig in Schoch, VwGO, § 124 a, Rn 71). Dem steht nicht entgegen, dass die seitens des Berufungsgerichts vorzunehmende Prüfung auf die im Rahmen der Begründungsfrist (§ 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO) vorgebrachten Gründe beschränkt ist, da die Änderungen der Sach- und Rechtslage allein in diesem vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen sind (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, § 124 a, Rn 137). Innerhalb dieses Rahmens allerdings ist der Zweck des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die Ergebnisrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Beschl. 11.11.2002, a. a. O.), von ausschlaggebender Bedeutung: § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren in den Fällen eröffnen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (BVerwG, Beschl. v. 11.11.2002, a. a. O.). Diesem Zweck nicht dienlich und letztlich für keinen Beteiligten hilfreich wäre es demgegenüber, wenn das Berufungsgericht eine Berufung zulassen müsste, die es daraufhin nach der jedenfalls dann maßgeblichen Sach- und Rechtslage zurückzuweisen hätte. Dieser Rechtsgedanke liegt auch der (im Berufungszulassungsverfahren entsprechend anwendbaren, vgl. dazu Meyer-Ladewig in Schoch, VwGO, § 124 a, Rn 72) Bestimmung in § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde.

Einen überzeugenden Einwand in diesem Zusammenhang bildet hier auch nicht die Erwägung, dass eine nicht hinnehmbare Unwägbarkeit bestünde, wenn die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung von dem Zeitpunkt der (möglicherweise verzögerlichen) Entscheidung des Zulassungsgerichts abhinge (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 3.11.1998, DVBl 1999 S. 476, 477; OVG Koblenz, Beschl. v. 15.9.1997, DVBl 1998 S. 241, 242). Denn diese Unwägbarkeit kennzeichnet sämtliche Fallkonstellationen, in denen es nach dem materiellen Recht auf den Zeitpunkt einer gerichtlichen Entscheidung ankommt. Führen im Laufe eines Gerichtsverfahrens eintretende Änderungen der Sach- und Rechtslage zu einer Änderung der jeweiligen Erfolgsaussichten der Beteiligten, so obliegt es ihnen, darauf mit entsprechenden Prozesserklärungen (Erledigungs- oder Anerkenntniserklärungen) zu reagieren.

bb) Zu dem somit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts über den vorliegenden Zulassungsantrag bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Beklagte für das Begehren der Klägerin (weiterhin oder erneut) örtlich unzuständig ist.

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) HmbVwVfG ist im vorliegenden Fall diejenige Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin derzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt (noch) in Hamburg hätte. Soweit sie mit der Begründung des Zulassungsantrags unter Bezugnahme auf die dort beigefügte Meldebestätigung vom 11. März 2003 vorgebracht hat, in Hamburg unter der Anschrift G. Straße 45 "bei H. S. zu wohnen, ist dies überholt angesichts der Mitteilung der Beklagten vom 18. Juni 2004, dass die Klägerin offenbar "untergetaucht" sei, und dass die genannte Wohnung, unter der sie melderechtlich noch erfasst sei, seit längerer Zeit leer gestanden habe und inzwischen anderweitig vermietet worden sei. Dieser Sachverhalt darf als zutreffend angesehen werden, weil der Klägervertreter sich dazu trotz entsprechender Aufforderung des Berufungsgerichts vom 6. Juli 2004 nicht geäußert hat. Da auch ein anderer derzeitiger gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, kommt es nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) HmbVwVfG somit darauf an, wo sie "zuletzt" ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach den vorgetragenen und sonst ersichtlichen Umständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin zuletzt, nämlich im Sommer 2003, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Lübeck gehabt hat, was sich daraus ergibt, dass die dortige Ausländerbehörde bei der Beklagten die Ausländerakte der Klägerin angefordert hat (vgl. den Schriftsatz der Beklagten vom 18.6.2003, zu dem sich der Klägervertreter trotz entsprechender Bitte des Berufungsgerichts vom 24.6.2003 ebenfalls nicht geäußert hat), und sie dort nach wie vor unter der Anschrift "P. str. 2" gemeldet war. Damit bestehen nach der maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Beklagte, wie es bereits das Verwaltungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat, für das hier streitgegenständliche Begehren der Klägerin örtlich nicht zuständig ist.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 13 Abs. 1, 14 Abs. 3 GKG (a. F.).

Ende der Entscheidung

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