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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.10.2008
Aktenzeichen: 3 Bs 182/08
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 34 a
AsylVfG § 80
VwGO § 152 a
Eine "außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit" ist in Verwaltungsstreitverfahren nicht statthaft. Dies gilt auch für nach § 80 AsylVfG unanfechtbare Entscheidungen des Verwaltungsgerichts im Anwendungsbereich von § 34 a AsylVfG.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 182/08

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Niemeyer und Bertram am 2. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. August 2008 wird verworfen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit einer "außerordentlichen" Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg, mit dem es sie im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland zur dortigen Prüfung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags vorläufig für die Dauer von 6 Monaten auszusetzen.

Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Er bezeichnet sich als Kurde und Yezide. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 31. März 2008 stellte er hier am 4. April 2008 einen Asylantrag. Die Antragsgegnerin hörte ihn an diesem Tag und sodann am 7. April 2008 ausführlich an. Die Anhörung erstreckte sich auch auf das Verfolgungsschicksal und die Asylgründe. Ein Abgleich der Fingerabdrücke mit der EURODAC-Datei ergab, dass der Antragsteller am 4. Dezember 2007 in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte und dort erkennungsdienstlich behandelt worden war. Die Antragsgegnerin ersuchte Griechenland am 10. April 2008 auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (ABl. L 50 v. 25.2.2003, S. 1 - VO Dublin II -), um die Aufnahme des Antragstellers. Das Ersuchen blieb - nach dem Vortrag der Antragsgegnerin in der Beschwerdeinstanz - unbeantwortet. Mit Schreiben vom 7. August 2008 teilte sie dem Antragsteller mit, dass er nach Griechenland überstellt werden solle; dieser Staat sei nach der vorgenannten Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Der Antragsteller beantragte am 7. August 2008 bei dem Verwaltungsgericht Hamburg, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verpflichten, Maßnahmen zum Vollzug (der Überstellung/Abschiebung) des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von 6 Monaten auszusetzen, bzw. soweit bereits eine Abschiebungsanordnung erlassen und der zuständigen Ausländerbehörde übergeben wurde, der Antragsgegnerin aufzugeben, dieser mitzuteilen, dass eine Abschiebung nach Griechenland vorläufig für die Dauer von 6 Monaten nicht durchgeführt werden könne. Zur Begründung führte er aus: Als Yezide unterliege er der Gruppenverfolgung. Eine Überstellung an Griechenland sei unzulässig. In diesem Staat sei ein fairer und effektiver Zugang zum Asylverfahren für ihn nicht gewährleistet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 20. August 2008 entsprochen: Das Begehren sei statthaft. Der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG greife nicht, wenn der Asylantragsteller in einen nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht zuständigen Staat abgeschoben werden solle. Griechenland sei nicht (mehr) nach Art. 13 VO Dublin II für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig, weil die Antragsgegnerin dessen Asylantrag über die Ermittlung des Reisewegs hinaus sachlich-inhaltlich geprüft und dadurch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 VO Dublin II Gebrauch gemacht habe. Dem Antragsteller drohten durch eine Abschiebung in den für sein Asylverfahren unzuständigen Staat Griechenland unzumutbare Nachteile, nämlich menschenrechtswidrige Verhältnisse in den dortigen Asylbewerberlagern und ein auch nicht annähernd rechtlichen Mindeststandards entsprechendes Asylverfahren.

Den in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO gestellten Antrag der Antragsgegnerin, diesen Beschluss aufzuheben, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. August 2008 ab. Insoweit ist ein weiteres Beschwerdeverfahren (3 Bs 183/08) anhängig geworden.

Die Antragsgegnerin hat gegen den Beschluss vom 20. August 2008 am 12. September 2008 "außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit" erhoben. Sie bringt vor: Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entbehre jeder gesetzlichen Grundlage. Nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG dürfe die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht ausgesetzt werden. Einer der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzuerkennenden Sonderfälle im Rahmen des Konzepts der Drittstaatenregelung liege nicht vor. Im Hinblick auf die aktuelle Situation von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Griechenland sei ein genereller Überstellungsstopp nicht angezeigt. Eine konkrete individuelle Gefährdungslage des Antragstellers habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft. Von ihrem Selbsteintrittsrecht habe die Antragsgegnerin keinen Gebrauch gemacht. Sie entscheide darüber erst auf der Grundlage sämtlicher Informationen, die sie durch die Anhörung und die Prüfung vorgelegter Dokumente gewinne.

Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen: Wenn Griechenland wegen des Selbsteintritts der Antragsgegnerin für das Asylverfahren des Antragstellers nicht mehr zuständig sei, sei für seine Überstellung/Abschiebung dorthin keine Rechtsgrundlage ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. August 2008 ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.

1. § 80 AsylVfG schließt die Beschwerde gegen "Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz" aus; davon ausgenommen ist allein die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 133 Abs. 1 VwGO).

Die vorliegende Streitsache ist eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der (angekündigten) Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland. Diese Maßnahme soll auf der Grundlage von § 34 a Abs. 1 AsylVfG erfolgen. Der Antragsteller hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt. Die Antragsgegnerin sieht Griechenland als den auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, § 27a AsylVfG; sie zieht insoweit die Vorschriften in Art. 13 und 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (ABl. L 50 v. 25.2.2003, S. 1 - VO Dublin II -), heran. Das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz, hier also über die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung auf der Grundlage von § 34 a Abs. 1 AsylVfG, hängt nicht darüber hinaus noch davon ab, dass die Zuständigkeit des anderen Staates tatsächlich besteht; diese Frage macht den Rechtsstreit vielmehr gerade aus.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss eine Entscheidung in der vorbezeichneten Rechtsstreitigkeit getroffen. Zu den "Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten" im Sinne von § 80 AsylVfG gehören selbstverständlich auch die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes getroffenen Entscheidungen nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO. Ob die angefochtene Entscheidung in der Sache falsch ist oder ob vorläufiger Rechtsschutz nach der Vorschrift in § 34 a Abs. 2 AsylVfG von Gesetzes wegen überhaupt ausscheidet, berührt die Feststellung nicht, dass hier eine Entscheidung in einer Rechtstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz ergangen ist.

2. Zweifel an der Gültigkeit von § 80 AsylVfG bestehen nicht. Der Beschwerdeausschluss ist mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip gewährleisten einen Instanzenzug (BVerfG, Beschl. v. 7.7.1992, BVerfGE 87, 48 zu § 10 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG Fassung 1990; Kammerbeschluss v. 9.6.1993, 1 BvR 983/93, juris).

3. Die von der Antragsgegnerin erhobene "außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit" ist nicht statthaft.

a) Nach früher verbreiterter Ansicht ließen die Prozessordnungen der einzelnen Gerichtsbarkeiten Raum für eine außerordentliche Beschwerde gegen nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidungen, wenn ein Verfahrensgrundrecht verletzt oder die Entscheidung aus sonstigen Gründen greifbar gesetzwidrig war (vgl. BGH, Beschl. v. 4.3. 1993, BGHZ 121, 397; Beschl. v. 8.10.1992, BGHZ 119, 372; BVerwG, Beschl. v. 31.1.2000, Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 25; BFH, Beschl. v. 22.11.1994, BFH/NV 1995, 791; nach diesen Grundsätzen hat auch das Beschwerdegericht judiziert, vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 14.12.2000, DVBl. 2001, 1225). Unter den vorgenannten Voraussetzungen sind außerordentliche Beschwerden auch gegen nach § 80 AsylVfG unanfechtbare Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Anwendungsbereich von § 34 a AsylVfG als zulässig angesehen worden (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 4.1.2000, 2 B 453/99.A, juris; VGH München, Beschl. v. 28.10.1993, DVBl. 1994, 61; OVG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 30.3.1994, 4 B 7/94.A, juris).

b) Für die außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit ist nach der gegenwärtigen Gesetzeslage und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Raum mehr.

Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, 1902) hat der Bundesgerichtshof nicht mehr an seiner Rechtsprechung festgehalten, die bei greifbar gesetzwidrigen Entscheidungen in eng begrenzten Ausnahmefällen eine außerordentliche Beschwerde für zulässig gehalten hat (BGH, Beschl. v. 7.3.2002, BGHZ 150, 133). Maßgeblich dafür ist die Erwägung, dass der Gesetzgeber mit § 321 a ZPO nunmehr eine Abhilfemöglichkeit für Verfahren vorgesehen hat, in denen eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung bislang nicht möglich war. Damit ist die Grundentscheidung getroffen, dass der Verfassungsverstoß der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht behoben werden soll, das ihn begangen hat. Räumt das Gericht einen Verfassungsverstoß nicht aus, kommt allein die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Wege der Verfassungsbeschwerde in Betracht. Diese Systementscheidung gilt auch für das Verwaltungsprozessrecht und ist inzwischen für Fälle der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in § 152 a VwGO geregelt. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit für eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit kein Raum mehr (BVerwG Beschl. v. 5.10.2004, NVwZ 2005, 232; Beschl. v. 7.8.2007, 3 B 43/07, juris). Die Auffassung, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 2004, 3220) generell die Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde (auch) in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit abzulehnen ist, vertreten ebenso der Bundesfinanzhof (BFH, Beschl. v. 30.11.2005, BFHE 211, 37) und das Bundessozialgericht (BSG, Beschl. v. 15.8.2005, B 1 A 1/04 S, juris). Dieser Judikatur hat sich das Beschwerdegericht angeschlossen (OVG Hamburg, Beschl. v. 23.1.2004, NordÖR 2004, 583; Beschl. v. 4.7.2008, 3 So 13/08, juris).

Eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung eröffnete außerordentliche Beschwerde widerspräche darüber hinaus den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit (BVerfG, Beschluss des Plenums v. 30.4.2003, BVerfGE 107, 395; Kammerbeschluss v. 16.1.2007, NJW 2007, 2538). Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Rechtsmittelklarheit steht einer Zulassung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen, die den geschriebenen Verfahrensgesetzen nicht zu entnehmen sind, entgegen.

c) Das Asylgrundrecht und das Rechtsstaatsprinzip gebieten es nicht, diese Grundsätze für den Bereich des Asylrechts einzuschränken. Nach § 80 AsylVfG unanfechtbare Gerichtsentscheidungen, die das Asylgrundrecht verletzen und die nicht im Wege der Selbstkorrektur aufgehoben werden, kann der Asylantragsteller mit der Verfassungsbeschwerde angreifen. Dem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unterlegenen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge steht zur Durchsetzung seiner Rechtsauffassung der Instanzenzug des Hauptsacheverfahrens zur Verfügung.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und aus § 83 b AsylVfG.

Ende der Entscheidung

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