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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: 3 Bs 197/05
Rechtsgebiete: EMRK, AufenthG


Vorschriften:

EMRK Art. 3
AufenthG § 60
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
1. Das Aufenthaltsgesetz enthält keine gesetzliche Grundlage für einen Anspruch gegenüber der Ausländerbehörde, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG besteht.

2. Der Beschwerdesenat sieht die Frage als offen an, ob Bosnier, die sich auf eine bürgerkriegsbedingte Traumatisierung berufen und im Falle einer Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina eine erhebliche Verschlimmerung ihres psychischen Gesundheitszustands befürchten, damit eine Gefahr geltend machen, der die Bevölkerungsgruppe der geflüchteten (traumatisierten) Bosnier allgemein ausgesetzt ist mit der Folge, dass die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch die Bestimmung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gesperrt wird (Abgrenzung zu OVG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2004 - 3 Bs 308/04 - zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990).

3. Weil Bosnien und Herzegowina Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, besteht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nur dann, wenn dem Ausländer dort nach seiner Abschiebung schwere und irreparable Menschenrechtsverletzungen drohen (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 7.12.2004, BVerwGE Bd. 122 S. 271 = InfAuslR 2005 S. 276).


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 197/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Kollak und Niemeyer am 10. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit dem Beschwerdevorbringen dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ausschließlich zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts nach Maßgabe des mit der Beschwerde gestellten Antrages zu ändern.

1. Das Verwaltungsgericht hat den dort gestellten Antrag, "die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG zu Gunsten des Antragstellers bestehen", abgelehnt, und zur Begründung (u. a.) ausgeführt:

Der Antrag werde sinngemäß dahin ausgelegt, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt werden solle, den Antragsteller nach Bosnien und Herzegowina abzuschieben. Der so verstandene Antrag habe keinen Erfolg, da es jedenfalls an dem erforderlichen Anordnungsanspruch fehle. Der Antragsteller könne nicht die Aussetzung seiner Abschiebung verlangen. Seine Abschiebung sei weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Dies gelte auch im Hinblick auf die seinerseits geltend gemachte psychische Erkrankung. Nach der ärztlichen Bescheinigung vom 3. Dezember 2004 sei er flugreisefähig; das Gericht habe keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Einschätzung, welche die Ärztin nach einer Untersuchung des Antragstellers und unter Heranziehung der bis dahin erstellten ärztlichen Befunde getroffen habe, zu zweifeln. Auch das zuletzt vorgelegte nervenärztliche Attest vom 8. Februar 2005 gebiete keine andere Sichtweise. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller durch eine Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten psychischen Beeinträchtigungen ausgesetzt werde. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass eine posttraumatische Belastungsstörung in Bosnien und Herzegowina generell nicht behandelt werden könne. Der Antragsteller befinde sich seit Jahren lediglich in ambulanter psychiatrischer Behandlung und eine gewisse Stabilisierung sei bereits eingetreten. Es sei nicht davon auszugehen, dass im Falle seiner Abschiebung in sein Heimatland eine unerträgliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes eintreten werde. Er müsse nicht in seinen Heimatort Brzicane, aus dem er vertrieben worden sei, zurückkehren, sondern könne sich auch in den Raum Sarajevo begeben und sich dort behandeln lassen. Soweit im Bundesgebiet verschriebene Medikamente im Heimatland nicht erhältlich seien, wolle ihm die Antragsgegnerin für eine Übergangszeit einen Vorrat mitgeben. Seiner Abschiebung stehe auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht entgegen, weil er mit der bürgerkriegsbedingten Traumatisierung eine Gefahr geltend mache, der im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Bevölkerungsgruppe der von Serben vertriebenen Moslems in Bosnien und Herzegowina allgemein ausgesetzt sei.

Die Beschwerde trägt dagegen unter Wiederholung des o. g., bereits erstinstanzlich gestellten Antrags vor: Der Antragsteller habe Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe sich bei der Verneinung von Abschiebungshindernissen im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Antragstellers zu Unrecht auf die Flugreisetauglichkeitsbescheinigung vom 3. Dezember 2004 gestützt. Es sei nicht erkennbar, dass die Ärztin, die diese Bescheinigung ausgestellt habe, über die erforderliche Qualifikation in den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie verfüge; außerdem sei die Bescheinigung bar jeder Substanz, was den Zusammenhang zwischen Untersuchungsmethodik, Befunderhebung und Untersuchungsergebnis angehe. Zudem genüge es nicht, allein auf eine bloße Flugreisetauglichkeit abzustellen. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte reiche bereits eine bloße Verschlechterung der Lebenssituation eines Ausländers als Folge unzureichender medizinischer und sozialer Versorgung für eine Verletzung von Art. 3 EMRK; somit würde der mit einer Abschiebung verbundene Entzug medizinischer Ressourcen eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen. Soweit das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die posttraumatische Belastungsstörung des Antragstellers in Bosnien und Herzegowina nicht behandelt werden könne, ignoriere es den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. Februar 2005, nach dem eine sinnvolle Therapie von Traumatisierten in Bosnien und Herzegowina derzeit kaum möglich sei. Schließlich sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Abschiebung des Antragstellers nicht entgegenstehen solle. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werde durchbrochen, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände, wie z. B. besondere gesundheitliche Risiken oder spezifische Gefahren aus der Vorgeschichte eines Rückkehrers, vorlägen, und den Rückkehrer aufgrund der besonderen Begebenheiten im Zielstaat aus dem Kreis der allgemeinen Bevölkerung heraushöben. Dies sei bei dem Antragsteller der Fall: Ausweislich der vorgelegten Atteste bestehe bei ihm eine extreme individuelle Gefahrenlage in der Weise, dass sich seine schwere psychische Krankheit in Bosnien und Herzegowina verschlimmere, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend seien.

2. Die Beschwerdegründe greifen nicht durch. Sie rechtfertigen keinen Erfolg des Beschwerdeantrags (a) und begründen keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (b).

a) Der mit Beschwerde - trotz der insoweit bereits vom Verwaltungsgericht einleuchtenderweise vorgenommenen korrigierenden Auslegung des gleich lautenden erstinstanzlichen Begehrens - erneut gestellte Antrag, "die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG zu Gunsten des Antragstellers bestehen", kann keinen Erfolg haben. Er zielt auf eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, worauf der Antragsteller - erst recht im Wege der einstweiligen Anordnung - keinen Anspruch hat. Das Aufenthaltsgesetz sieht - anders als das Asylverfahrensgesetz in § 31 Abs. 3 bei Entscheidungen des Bundesamtes über Asylanträge - nicht vor, dass die Ausländerbehörden förmliche Feststellungen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten treffen. Auch wenn es im Prinzip möglich sein kann, ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage feststellende Verwaltungsakte zu erlassen, bedeutet dies nicht, dass jeder mögliche Adressat eines Verwaltungsakts, wenn er eine verbindliche Regelung durch einen Verwaltungsakt für wünschenswert hält, ohne weiteres den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts verlangen könnte. Nicht jeder rechtlich erhebliche Umstand kann - ohne entsprechende Rechtsgrundlage - im Rahmen öffentlich-rechtlicher Beziehungen einer Feststellung durch Verwaltungsakt zugänglich sein; andernfalls könnten diese Beziehungen mit einem mehr oder weniger dichten Netz von feststellenden Verwaltungsakten überzogen werden, was einerseits eine unerwünschte Ausweitung des gegenwärtigen Verwaltungshandelns bedeuten, andererseits im Fall der Änderung der maßgeblichen Umstände zu einer häufig nicht sachgerechten Bindung und Erschwerung künftigen Verwaltungshandelns führen würde (vgl. VGH München, Urt. v. 2.9.1986, BayVBl. 1987 S. 499; Stelkens, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 35, Rdnr. 143). Angesichts dessen erscheint es nicht einleuchtend, dass Ausländer gegenüber den Ausländerbehörden die förmliche Feststellung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten beanspruchen könnten; vielmehr sind sie, sofern sie kein Asylverfahren betreiben, grundsätzlich gehalten, Abschiebungsverbote im Rahmen von Anträgen auf die Erteilung von Duldungen oder Aufenthaltserlaubnissen geltend zu machen, damit die Ausländerbehörden bei der Entscheidung über diese Anträge - inzident - über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der vorgetragenen Abschiebungsverbote befinden können (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Erst recht kommt es nicht in Betracht, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zum Erlass des genannten feststellenden Verwaltungsakts zu verpflichten. Damit würde die Hauptsache vollständig vorweggenommen, was mit dem vorläufigen Charakter einstweiliger Anordnungen regelmäßig - und so auch hier - nicht zu vereinbaren ist (zu möglichen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 123 Rdnrn. 14 ff.).

b) Das Beschwerdegericht nimmt zu Gunsten des Antragstellers an, dass die Beschwerde hilfsweise auch in dem - so in erster Instanz bereits vom Verwaltungsgericht verstandenen und sachgerechten - Sinne gemeint sein soll, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien und Herzegowina zu untersagen. Sie bleibt mit diesem Begehren ebenfalls ohne Erfolg. Die Beschwerdegründe lassen nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon abgesehen hätte, eine solche Anordnung zu erlassen; sie machen (wie bereits das erstinstanzliche Vorbringen) nicht glaubhaft, dass der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben werden dürfte.

aa) Soweit die Beschwerde rügt, es sei unzureichend, dass das Verwaltungsgericht das fehlende Vorliegen von Abschiebungsverboten auf die Flugreisetauglich-keitsbescheinigung vom 3. Dezember 2004 gestützt habe, weil die ausstellende Ärztin nicht die erforderliche Qualifikation auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet aufweise, die Bescheinigung keine Substanz habe und es nicht genüge, lediglich die Flugreisetauglichkeit zu prüfen, erfasst dies nicht die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung in ihrer Gesamtheit. Das Verwaltungsgericht hat sich nicht damit begnügt, auf die Flugreisetauglichkeit des Antragstellers einzugehen, sondern diese Frage lediglich in dem Zusammenhang thematisiert, ob der Vorgang der Abschiebung als solcher zu einer erheblichen Gefährdung des Antragstellers führen könnte (Beschlussabdruck S. 4). Auf die weitere Frage, ob die psychische Erkrankung des Antragstellers in Bosnien und Herzegowina behandelbar ist, ihm wegen diesbezüglicher Mängel eine gravierende Beeinträchtigung seiner Gesundheit droht und sich insoweit ein Abschiebungsverbot ergeben könnte, ist das Verwaltungsgericht mit zusätzlichen Ausführungen eingegangen (BA, S. 4 und 5). Die Beurteilung der Ärztin in der Bescheinigung vom 3. Dezember 2004, dass der Antragsteller flugreisetauglich sei, wird durch die Beschwerde nicht durchgreifend in Frage gestellt. Eine besondere Qualifikation auf den Gebieten der Psychiatrie und der Psychotherapie dürfte für eine solche Prüfung nicht erforderlich sein; inwiefern die Bescheinigung zusätzliche "Substanz" im Hinblick auf Untersuchungsmethodik, Befunderhebung und Untersuchungsergebnis enthalten müsste, ist nicht nachvollziehbar. Dem entspricht es, dass der Antragsteller selbst nicht behauptet, aus gesundheitlichen Gründen nicht fliegen zu dürfen.

bb) Soweit die Beschwerde geltend macht, die psychische Erkrankung des Antragstellers könne entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ausweislich der Lageberichte des Auswärtigen Amtes in Bosnien und Herzegowina nicht sinnvoll therapiert werden, und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folge ein Anspruch, die ärztliche Behandlung einer schweren Erkrankung im Bundesgebiet fortsetzen zu können, falls dies im Heimatland des Ausländers nicht möglich sei, führt auch dies nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für ein Abschiebungsverbot anzulegenden Maßstäbe zutreffend dargestellt (BA, S. 4) und eine derartig gravierende Bedrohung der Gesundheit des Antragstellers nicht erkennen können. Diese Einschätzung vermag die Beschwerde nicht zu erschüttern. Sie macht nicht glaubhaft, dass der Antragsteller an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, die bei fehlender Therapie ein solches Gefahrenpotential in sich birgt; auch die in erster Instanz vorgelegten Atteste lassen darauf nicht schließen. Sie lassen vielmehr erkennen, dass der nach seinen Angaben im Juli 1993 aus Bosnien geflohene Antragsteller erstmalig im Jahr 2000 im Anschluss an eine Behandlung von Rückenbeschwerden (vgl. die Atteste von Dr. H. vom 27.7.2000 und vom 11.1.2001) wegen psychischer Probleme ärztlich betreut worden ist, diese gesprächstherapeutische Behandlung aber nicht systematisch erfolgte und längere Zeit keinen Aufschluss darüber verliehen hat, ob die psychischen Probleme "Spätfolgen irgendwelcher Traumatisierungen sind oder Merkmale seiner Kernstruktur" (vgl. das Attest von Dr. H. vom 13.3.2002); eine später eingetretene relative Stabilisierung sei "wohl im Wesentlichen dem Umstand geschuldet", dass der Antragsteller habe arbeiten dürfen und er sich dadurch nicht mehr so stark isoliert und psychosozial depraviert fühle (vgl. das Attest von Dr. H. vom 25.2.2004). Angesichts dessen spricht wenig dafür, dass die psychischen Probleme des Antragstellers durch eine Gesprächstherapie zu heilen sind oder er ohne eine therapeutische Behandlung wegen fehlender Verfügbarkeit im Heimatland in eine gesundheitlich bedrohliche Lage geraten würde. Die außerdem vorgelegten Atteste von Dr. K. stehen diesem Eindruck nicht entgegen. Sie bestehen im wesentlichen aus unspezifischen Allgemeinplätzen; soweit sie konkretere Hintergründe enthalten, ist die betreffende Darstellung unzutreffend oder jedenfalls nicht nachvollziehbar. Dies gilt namentlich für den Hinweis "auf die dominierende Tatsache, dass er als Soldat in Kampfeinsätze (1990-1992) verwickelt worden" sei (vgl. das Attest von Dr. K. vom 24.2.2004): Abgesehen davon, dass es im Jahr 1990 im damaligen Jugoslawien mangels Bürgerkriegs noch keine "Kampfeinsätze" von Soldaten gab, hat der Antragsteller selbst nie vorgetragen, als Soldat gekämpft zu haben (vgl. zuletzt die von ihm selbst unterzeichnete, dem Attest des Dr. K. vom 8.2.2005 beigefügte Sachverhaltsdarstellung).

cc) Soweit die Beschwerde geltend macht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werde die Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gesperrt, führt auch dies nicht zum Erfolg. Der Beschwerdesenat lässt offen, ob daran festzuhalten ist, dass Bosnier, die sich auf eine bürgerkriegsbedingte Traumatisierung berufen, eine Gefahr geltend machen, der die Bevölkerungsgruppe der geflüchteten Bosnier in Bosnien und Herzegowina allgemein ausgesetzt ist mit der Folge, dass in diesen Fällen die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch die Bestimmung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gesperrt wird (so OVG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2004 - 3 Bs 308/04 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 und 2 AuslG 1990; vgl. demgegenüber VGH Kassel, Beschl. v. 28.11.2005, EzAR-NF 62 Nr. 7; OVG Münster, Beschl. v. 16.2.2004 - 14 A 548/04.A - JURIS; Beschl. v. 15.4.2005, EzAR-NF 51 Nr. 7). Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Fall nicht an, da - auch nach den sonstigen Ausführungen des Verwaltungsgerichts und den Beschwerdegründen - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nach dem Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von einer Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien und Herzegowina abzusehen wäre, weil sich sein psychischer Gesundheitszustand dort erheblich verschlechtern könnte.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche Gefahr für Leib oder Leben kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine Krankheit des Ausländers im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat erheblich verschlimmert, weil die dortigen Behandlungsmöglichkeiten unzureichend sind, oder weil eine notwendige Behandlung dort zwar im Prinzip geleistet werden kann, sie für den betreffenden Ausländer aber individuell (z. B. aus finanziellen Gründen) tatsächlich nicht zu erlangen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002, DVBl. 2003 S. 463, zur insoweit gleichlautenden Regelung in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). Erheblich im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist eine Gefahr, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers in dem betreffenden Staat wesentlich verschlechtern würde. Konkret ist die Gefahr, wenn sie sich voraussichtlich alsbald nach der Rückkehr des Ausländers realisieren würde.

Dass sich die psychischen Beschwerden des Antragstellers nicht wegen Fehlens therapeutischer Behandlungsversuche erheblich verschlimmern dürften, hat das Beschwerdegericht bereits ausgeführt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintritt, falls er das ihm hier verschriebene Medikament "Gladem" (vgl. die Flugtauglichkeitsbescheinigung vom 3.12.2004) in Bosnien nicht erhalten sollte. Es handelt sich dabei um ein angstlösendes und stimmungsaufhellendes Präparat zur Behandlung depressiver Erkrankungen (vgl. www.netdoctor.de). Dieses Medikament dürfte somit beschwerdelindernd wirken, aber nicht zur Vermeidung erheblicher gesundheitlicher Rückschläge zwingend erforderlich sein. Dem entspricht es, dass der Antragsteller offenbar bereits ab seiner Flucht aus Bosnien im Juli 1993 mehr als 7 Jahre lang ohne das Medikament verbracht hat.

dd) Die Beschwerde dringt schließlich auch nicht durch, soweit sie geltend macht, eine Abschiebung des Antragstellers sei eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, da hierfür laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits eine bloße Verschlechterung der Lebenssituation eines Ausländers als Folge unzureichender medizinischer und sozialer Versorgung genüge und der mit einer Abschiebung verbundene plötzliche Entzug der Ressourcen medizinischer Behandlung im Bundesgebiet zu einer solchen Verschlechterung führe. Daraus ergibt sich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK.

(1) Die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat, der nicht Mitglied des Europarats und Unterzeichner der EMRK ist, und in welchem dem Ausländer eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht, ist nach § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig. Allerdings stellt nicht die Abschiebung selbst eine unmenschliche Behandlung durch den Vertragsstaat dar; die seinerseits beabsichtigte Abschiebung begründet jedoch dessen Verantwortlichkeit und die Pflicht zum Unterlassen der Abschiebung, wenn dem Ausländer in dem Nicht-Vertragsstaat eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 3 EMRK droht und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.2004, InfAuslR 2005 S. 276, 277). Diese Grundsätze sind allerdings bei einer Abschiebung in einen Vertragsstaat nur eingeschränkt anwendbar: Hier steht die eigene Verantwortung des Zielstaats als Vertragsstaat für die Einhaltung der Konventionsrechte (vgl. Art. 1 EMRK) im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Staats, den menschenrechtlichen Mindeststandard im Zielstaat der Abschiebung zu wahren, besteht demnach nur dann, wenn dem Ausländer dort nach seiner Abschiebung schwere und irreparable Menschenrechtsverletzungen drohen (vgl. BVerwG, a. a. O., S. 278). Bosnien und Herzegowina ist Vertragsstaat der EMRK, die dort seit dem 12. Juli 2002 in Kraft ist (vgl. BGBl. II 2006, Fundstellennachweis B, Stand 31.12.2005 S. 349 ff.). Dementsprechend wäre die Antragsgegnerin nur dann nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK dazu verpflichtet, von einer Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien und Herzegowina abzusehen, wenn ihm dort schwere und irreparable Menschenrechtsverletzungen drohten. Dafür ist nichts ersichtlich.

(2) Im Übrigen legt auch der EGMR strenge Maßstäbe (zu Lasten des abzuschiebenden Ausländers) bei der Frage an, ob bei Erkrankungen eine Abschiebung (in einen Nicht-Vertragsstaat) mit der Verantwortlichkeit des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK noch zu vereinbaren ist. Im Fall eines psychisch kranken Algeriers, der geltend gemacht hatte, in Algerien nicht die erforderliche medikamentöse und ärztliche Versorgung zu erhalten, hat der EGMR ausgeführt (Urt. v. 6.2.2001, InfAuslR 2001 S. 364, 366):

"40 Der Gerichtshof anerkennt den Ernst des medizinischen Zustands des Antragstellers. In Anbetracht der hohen Schwelle des Art. 3 EMRK, insbesondere in jenen Fällen, in denen nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für die Zufügung des Leides betroffen ist, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass keine hinreichende Gefahr besteht, dass die Abschiebung des Antragstellers unter diesen Umständen den Anforderungen des Art. 3 EMRK zuwiderläuft. Der Fall enthält nicht die außergewöhnlichen Umstände des Falles D. (= Urt. v. 2.5.1997, InfAuslR 1997 S. 381, 382, § 49), in dem der Antragsteller im letzten Stadium einer tödlichen Krankheit, AIDS, war und keine Aussicht auf medizinische Behandlung oder familiäre Unterstützung im Fall seiner Abschiebung nach St. Kitts gehabt hätte.

41 Aus diesen Gründen erachtet der Gerichtshof, dass die Vollstreckung der Entscheidung, den Antragsteller nach Algerien zu verbringen, Art. 3 EMRK nicht verletzen würde."

Angesichts dessen ist nicht anzunehmen, dass der EGMR die Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien und Herzegowina als Verletzung von Art. 3 EMRK einstufen würde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Da das mit der Beschwerde verfolgte Rechtsschutzziel in erster Linie auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, ist es im vorliegenden Fall (anders im Regelfall bei Eilanträgen) nicht angebracht, einen Abschlag gegenüber dem Streitwert für ein entsprechendes Hauptsacheverfahren vorzunehmen (vgl. Abschnitt 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004 S. 1327 ff.).

Ende der Entscheidung

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