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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 3 Bs 257/06
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 91/439/EWG, StVG, FeV, IntKfzV


Vorschriften:

EG Art. 234
Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1) - Führerscheinrichtlinie - Art. 1
Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1) - Führerscheinrichtlinie - Art. 7
Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1) - Führerscheinrichtlinie - Art. 8
StVG § 3
FeV § 28
FeV § 46
IntKfzV § 11
1. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie stehen in der Auslegung, die diese Vorschriften durch den Europäischen Gerichtshof (Urt. v. 29.4.2004, Rechtssache C-476/01 - Kapper - , NJW 2004, 1725; Beschl. v. 6.4.2006, Rechtssache C- 227/05 - Halbritter -, NJW 2006, 2173) gefunden hat, der Anwendung von § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV entgegen, wenn der ausstellende Mitgliedstaat die EU-Fahrerlaubnis nach dem Ablauf der Sperrfrist für die Wiedererteilung einer entzogenen nationalen Fahrerlaubnis erteilt hat.

2. Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts in Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs entfaltet für letztinstanzliche Gerichte im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EG und damit auch für das Beschwerdegericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine faktische Präjudizwirkung.

3. Die Aberkennung des Rechts, von der nach dem Ablauf einer Sperrfrist für die Wiedererteilung erteilten EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, darf wegen des Anwendungsvorrangs der Vorschriften in Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie nicht gemäß § 46 Abs. 1 und 3 FeV auf Grund von Tatsachen erfolgen, die bereits vor der Erteilung der Fahrerlaubnis durch den anderen Mitgliedstaat vorlagen.

Das Gemeinschaftsrecht sperrt insoweit den Rückgriff auf die Rechtsprechung des Beschwerdegerichts, wonach in Anwendung von § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis auch dann entzogen werden kann, wenn die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt hat und die aus diesem Grunde rechtswidrige Erlaubnis ohne eine Änderung der Sach- und Rechtslage mit Wirkung für die Zukunft zum Erlöschen gebracht werden soll (OVG Hamburg, Beschl. v. 30.1.2002, NJW 2002, 2123).

4. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann nicht allein auf Zweifel an der Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Führerscheinrichtlinie oder die Erwägung gestützt werden, der Betroffene habe sich die unterschiedlichen Ausstellungsbedingungen für einen Führerschein in den Mitgliedstaaten zu Nutze gemacht.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 257/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Niemeyer und Albers am 22. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Juli 2006 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15. März 2006 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf EUR 2.500,-- festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist wiederherzustellen.

I. Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg setzte gegen den Antragsteller mit Strafbefehl vom 5. April 2004 wegen Gefährdung des Straßenverkehrs eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen fest. Außerdem sprach es die Entziehung der Fahrerlaubnis, den Einzug des Führerscheins und das Verbot für die Verwaltungsbehörde aus, vor Ablauf des 7. November 2004 eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Amtsgericht stellte hierzu fest, dass der Antragsteller am 7. Dezember 2003 seinen Pkw trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,87 Promille im Straßenverkehr geführt und dadurch einen Signalgebermast beschädigt habe. Auf Grund eines Polizeiberichtes wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass der Antragsteller seit dem 26. November 2004 eine polnische Fahrerlaubnis besitzt. Sie ordnete daraufhin ihm gegenüber mit Schreiben vom 17. Oktober 2005 erfolglos die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Mit Bescheid vom 15. März 2006 erkannte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 2 der Verordnung über internationalen Kraftfahrzeugverkehr vom 12. November 1934 (RGBl. I S. 1137; zwischenzeitlich zuletzt geändert durch Art. 10 der VO vom 25.4.2006 (BGBl. I S. 988) - IntKfzV) i.V. mit § 46 FeV dem Antragsteller das Recht ab, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Außerdem ordnete sie gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO die sofortige Vollziehung des Bescheides an.

Am 22. März 2006 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 21. März 2006 gestellt. Mit Beschluss vom 31. Juli 2006 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, Ermächtigungsgrundlage für die Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, seien § 11 Abs. 2 IntKfzV, § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 FeV. Die Antragsgegnerin sei gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV befugt gewesen, von dem Antragsteller die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern, weil er am 7. Dezember 2003 ein Fahrzeug im Straßenverkehr trotz einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille geführt habe. Da der Antragsteller dieses Gutachten nicht vorgelegt habe, sei gemäß § 46 Abs. 3 i.V. mit § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zu schließen. Die Vorschrift des § 46 Abs. 5 FeV sei mit Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1; im Folgenden kurz: Führerscheinrichtlinie) vereinbar. Denn weder die Führerscheinrichtlinie noch die Rechtsprechung des EuGH verböten es einer deutschen Fahrerlaubnisbehörde, einem als ungeeignet erkannten Kraftfahrer das Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet zu untersagen. Art. 8 Abs. 2 und 4 der Führerscheinrichtlinie sei zwar nach der Rechtsprechung des EuGH als Ausnahmevorschrift zu dem in Art. 1 Abs. 2 geregelten Anerkennungsgrundsatz grundsätzlich eng auszulegen. Der EuGH habe demgegenüber aber auch klargestellt, dass die Absätze 2 und 4 von Art. 8 der Führerscheinrichtlinie gerade den Zweck verfolgten, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, in ihrem Hoheitsgebiet ihre nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Vor diesem Hintergrund stehe Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie angesichts der ausdrücklichen nationalen Vorbehaltsregelung in Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie einer nationalen Regelung wie in § 46 Abs. 5 FeV nicht entgegen. Nur auf diese Weise könne das Ziel der Führerscheinrichtlinie, der Sicherheit des Straßenverkehrs zu dienen, erreicht werden. Der Antragsteller könne sich außerdem nicht auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Halbritter berufen, da dieser zweifelsfrei seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt und nach den dort geltenden Vorschriften ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt habe. Hier sprächen aber gewichtige Hinweise dafür, dass der Antragsteller die nationalen Bestimmungen über die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis habe umgehen wollen und der Erwerb der EU-Fahrerlaubnis nicht im Zusammenhang mit der Ausübung der durch das EU-Recht gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Niederlassungsfreiheit erfolgt sei. Nach den Angaben im Polizeibericht sei der Antragsteller zumindest seit dem Jahre 2001 durchgehend unter einer Hamburger Adresse gemeldet gewesen. Er habe nicht behauptet, dass er seinen Wohnsitz zumindest zeitweise - etwa im Jahre 2005 - nach Polen verlegt oder sich dort aus beruflichen Gründen länger aufgehalten habe. Ein Unionsbürger dürfe sich jedoch auf die durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte nicht berufen, wenn er diese rechtsmissbräuchlich erlangt habe.

Am 18. August 2006 hat der Antragsteller Beschwerde erhoben. Zur Begründung macht er geltend, aus Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie folge, dass die von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheine ohne Wenn und Aber gegenseitig anzuerkennen seien. Der den Führerschein ausstellende Staat habe die ausschließliche Zuständigkeit für die Überprüfung der Erteilungsvoraussetzungen. Sollten insoweit nachhaltige Verstöße auftreten, so sei der aufnehmende Mitgliedstaat gehalten, dies mitzuteilen bzw. ein Vertragsverletzungsverfahren anzustrengen. Die persönliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen würde jedoch in Polen - wie auch in seinem Fall - gründlich geprüft. Die Antragsgegnerin sei deshalb nicht befugt, seine Fahreignung zu verneinen. Dies käme einer Aberkennung der Fahrerlaubnis des ausstellenden EU-Mitgliedstaates gleich. Im Übrigen gingen auch die Strafgerichte mittlerweile davon aus, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine strafbare Handlung, das Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, nicht vorliege.

II. Die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe ergibt, dass der angefochtene Beschluss mit der dort gegebenen Begründung keinen Bestand haben kann. Damit ist das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde in eigener Kompetenz zu entscheiden (siehe zu dieser Folge OVG Hamburg, Beschl. v. 9.12.2003 - 3 Bs 415/02). Auf dieser Grundlage hat der Eilantrag des Antragstellers Erfolg.

Die Beschwerde erschüttert die entscheidungserhebliche Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es mit Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1) vereinbar sei, Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers auf Ereignisse zu stützen, die vor dem Erwerb seiner polnischen Fahrerlaubnis liegen, wenn dieser nach Ablauf der verhängten Sperrfrist erfolgte (siehe dazu nachfolgend unter III.2.b).

III. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen, ist zulässig (1.). Der Antrag ist auch begründet, da kein besonderes öffentliches Interesse an der von der Antragsgegnerin angeordneten sofortigen Vollziehung des Bescheides besteht. Denn der Widerspruch des Antragstellers wird nach summarischer Prüfung aller Voraussicht nach Erfolg haben, da die verfügte Aberkennung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (2.) und der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nicht durchgreift (3.).

1. Die Zulässigkeit des Antrags lässt sich nicht mit dem Fehlen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses verneinen. Insoweit wird allerdings die Auffassung vertreten, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs dem Rechtsschutzsuchenden keinen Vorteil brächte, wenn die Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, sich unabhängig von der behördlich verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis bereits unmittelbar aus § 28 Abs. 4 FeV, der die grundsätzlich nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV bestehende Berechtigung einschränke, ergäbe (in diesem Sinne OVG Greifswald, Beschl. v. 29.8.2006 - 1 M 46/06 -, Juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 21.7.2006, zfs 2006, 596; OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.10.2005, NJW 2006, 1158, 1159). Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, ebenso wie die Anordnung einer Maßnahme nach § 46 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 FeV das Vorhandensein einer gültigen, gemäß § 28 FeV zur Teilnahme am inländischen Kraftfahrzeugverkehr berechtigenden Fahrerlaubnis voraussetzt (so zutreffend Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 46 FeV Rdnr. 13). Dies wiederum hängt von der umstrittenen Anwendbarkeit des § 28 Abs. 4 FeV ab. Die materiellen Fragen der Begründetheit des Antrags sind aber nicht vollständig innerhalb der Zulässigkeitsprüfung abzuhandeln. Hinzu kommt hier, dass die gerichtliche Kontrolle der Aberkennungsentscheidung dem Antragsteller jedenfalls den Vorteil bringen kann, dass es nicht zu den ihn belastenden Aberkennungsfolgen kommt, die in § 11 Abs. 2 Satz 4 IntKfzV bestimmt sind.

2. Die Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von der polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist aller Voraussicht nach rechtswidrig, da sie mit Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie nicht vereinbar sein dürfte (b). Der Senat geht dabei - wie zunächst auch die Antragsgegnerin - von der rechtlichen Würdigung aus, dass der Antragsteller Inhaber einer gültigen, nach § 28 FeV zur Teilnahme am inländischen Kraftfahrzeugverkehr berechtigenden Fahrerlaubnis ist (a).

a) Das Recht des Antragstellers, der seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis ist, gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV im Umfang dieser Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, wird nicht durch § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV beschränkt. Denn diese Regelungen dürften, soweit sie eine EU-Fahrerlaubnis betreffen, die erteilt wurde, nachdem die Sperrfrist für die Wiedererteilung einer entzogenen nationalen Fahrerlaubnis abgelaufen war, mit Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie unvereinbar sein (ebenso OVG Lüneburg, a.a.O, 1159 f.; OVG Greifswald, a.a.O.; vgl. außerdem OVG Koblenz, Beschl. v. 15.8.2005, NJW 2005, 3228 ff. für den Fall der vorangegangenen verwaltungsbehördlichen Entziehung der Fahrerlaubnis; einschränkend VGH Mannheim, a.a.O., 596 f.).

Nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt die in § 28 Abs. 1 FeV genannte Berechtigung, auf Grund einer EU-Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, u.a. nicht für Fahrerlaubnisinhaber, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist. Nach § 28 Abs. 5 FeV wird in diesen Fällen das Recht, von einer EU-Fahrerlaubnis wieder im Inland Gebrauch machen zu dürfen, auf Antrag in einem sog. Zuerteilungsverfahren erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Diese Regelungen stützen sich auf Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie, wonach es ein Mitgliedstaat ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie genannten Maßnahmen angewendet wurde. Zu diesen Maßnahmen zählt insbesondere der Entzug der Fahrerlaubnis.

Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV greift tatbestandlich ein: Dem Antragsteller wurde seine deutsche Fahrerlaubnis unter Verhängung einer Sperrfrist bis zum 7. November 2004 durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg-St.Georg vom 5. April 2004 entzogen. Auch hat er einen Antrag auf Zuerteilung der Berechtigung nicht gestellt. In Anwendung von Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie ist gleichwohl die Berechtigung des Antragstellers gegeben, mit seiner polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen. Das Gemeinschaftsrecht ist insoweit gegenüber den entgegenstehenden Bestimmungen der FahrerlaubnisVerordnung vorrangig anzuwenden (näher zum Grundsatz des Anwendungsvorrangs EuGH, Urt. v. 9.3.1978, NJW 1978, 1741).

Der Senat stützt insoweit seine Auffassung auf die beiden Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Kapper (Urt. v. 29.4.2004, NJW 2004, 1725 ff.) und Halbritter (Beschl. v. 6.4.2006, NJW 2006, 2173 ff.). Die auf Grund des Art. 234 EG ergangenen Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs binden zwar grundsätzlich nur die im Ausgangsverfahren befassten Gerichte. Im Interesse einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sind aber die letztinstanzlichen Gerichte i.S. des Art. 234 Abs. 3 EG gehalten, das Gemeinschaftsrecht in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung anzuwenden, wenn sie den Europäischen Gerichtshof nicht selbst anrufen (BGH, Urt. v. 21.4.1994 - BGHZ 125, 382, 388 f. im Anschluss an EuGH, Urt. v. 6.10.1982, NJW 1983, 1257 f.; BGH, Urt. v. 10.4. 1997, EuZW 1997, 476, 479). Die Auslegungsentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs entfalten deshalb auch für das Beschwerdegericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine faktische Präjudizwirkung (vgl. Borchardt, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 4. Aufl. 2006, Art. 234 EGV Rdnr. 61; Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz (EVR) Rdnr. 140 f.).

Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache Kapper Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie so ausgelegt, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist (so die Antwort des Gerichtshofs auf die zweite Vorlagefrage). Der Gerichtshof begründet dies damit, dass Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 als Ausnahme zu dem in Art. 1 Abs. 2 enthaltenen allgemeinen Anerkennungsgrundsatz eng auszulegen sei. Art. 1 Abs. 2 sehe die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Da Art. 8 Abs. 4 eng auszulegen sei, könne sich ein Mitgliedstaat nicht auf diese Ausnahmebestimmung berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet worden sei, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt werde. Sei nämlich die zusätzlich zu der fraglichen Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbiete es Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie diesem Mitgliedstaat, weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sei, abzulehnen (so der Gerichtshof unter Rdnr. 76).

In der Rechtssache Halbritter hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, dass Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Führerscheinrichtlinie es einem Mitgliedstaat verwehre, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs auf Grund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet deshalb nicht anzuerkennen, weil sich sein Inhaber, dem in dem erstgenannten Staat eine vorher erteilte Fahrerlaubnis entzogen worden war, nicht der nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach dem genannten Entzug erforderlichen Fahreignungsprüfung unterzogen hat, wenn die mit diesem Entzug verbundene Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis abgelaufen war, als der Führerschein in dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde (so die Antwort des Gerichtshofs auf die erste Vorlagefrage). In den Entscheidungsgründen hat der Gerichtshof bekräftigt, dass nach Ablauf der Sperrfrist für den Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis in Deutschland die Bundesrepublik ihre Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb der EU-Fahrerlaubnis ausüben könne (Rdnr. 38). Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gem. Art. 1 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie ausgestellt hätten, seien die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu überprüfen (Rdnr. 34).

Mit dieser gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zur Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis, die nach Ablauf der Sperrfrist von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, ist die Anwendung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV auf den Fall des Antragstellers nicht vereinbar. Ihn auf einen Antrag nach § 28 Abs. 5 FeV zu verweisen, würde bedeuten, dass in Deutschland überprüft wird, ob die polnische Fahrerlaubnisbehörde die Ausstellungsbedingungen für den Führerschein beachtet hat. Denn die polnische Fahrerlaubnisbehörde war bei der Ausstellung des Führerscheins gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a i.V. mit Anhang III Nr. 14 der Führerscheinrichtlinie im Interesse der Verkehrssicherheit verpflichtet, auch die gesundheitlichen Anforderungen an den Antragsteller in Bezug auf Alkoholgenuss zu prüfen. Dass der Europäische Gerichtshof maßgeblich auf den Ablauf der gemäß § 69a Abs. 1 StGB verhängten Sperrfrist abstellt, ist im Übrigen mit der Konzeption des deutschen Rechtes ohne weiteres vereinbar, da die Bemessung dieser Frist allein von der voraussichtlichen Dauer der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen abhängig ist (so Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 69 a Rdnr. 10). Die Geltungskraft des Anerkennungsgrundsatzes in Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie hängt außerdem nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht davon ab, ob es um die Überprüfung von formellen oder inhaltlichen Ausstellungsbedingungen für den Führerschein geht. Denn nach dem Anerkennungsgrundsatz muss die Verwaltung jedes Mitgliedstaates eine Verwaltungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates anerkennen, als hätte sie selbst diesen Verwaltungsakt erlassen (näher dazu Nessler, NVwZ 1995, 863, 864 f.).

b) Die von der Antragsgegnerin verfügte Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist aller Voraussicht nach rechtswidrig, da sie ebenfalls mit Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie nicht vereinbar sein dürfte.

Ermächtigungsgrundlage für die Aberkennung ist § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 11 Abs. 2 Satz 1 und 3 IntKfzV, § 46 Abs. 1 und 3 FeV sowie § 13 Nr. 2 lit. b und c i.V. mit § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV. Erweist sich der Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis (§ 4 IntKfzV) als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, ist ihm gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 IntKfzV das Recht abzuerkennen, von der ausländischen Fahrerlaubnis (im Inland) Gebrauch zu machen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, ist die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 FeV unter den Voraussetzungen des § 13 Nr. 2 FeV verpflichtet, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Bringt der Betroffene das von ihr (rechtsfehlerfrei) geforderte Gutachten nicht fristgemäß bei, so darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen.

In Anwendung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie ist die Antragsgegnerin nicht gemäß § 46 Abs. 1 und 3 FeV berechtigt, ihre Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers auf die strafgerichtliche Verurteilung bzw. das Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille zu stützen, da diese Ereignisse vor dem Erwerb seiner polnischen Fahrerlaubnis liegen und die Ausstellung dieses Führerscheins nach Ablauf der Sperrfrist erfolgte.

Der Senat hat keine Zweifel daran (anders OVG Münster, Beschl. v. 13.9.2006 - 16 B 989/06 - Juris), dass die oben unter 2 a) dargestellte Auslegung des Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 4 der Führerscheinrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof nicht nur in den Fällen der Anerkennung der Gültigkeit oder der Umschreibung Platz greift, sondern auch bei der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Aberkennung des Rechts, von dieser im Inland Gebrauch zu machen. Der Europäische Gerichtshof (Beschl. v. 6.4.2006, a.a.O., 2174 unter Rdnr. 29) hat zur Verwirklichung der Grundfreiheiten vorbehaltlos klargestellt, dass die Mitgliedstaaten vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht verlangen können, dass er die Bedingungen erfüllt, die ihr nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrem Entzug aufstellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Mitgliedstaat außerdem nicht berechtigt, einseitig Korrektur- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Missachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken (EuGH, Urt. v. 10.9.1996, EuZW 1996, 718, 720 unter Rdnr. 37 m.w.N.). Hat ein Mitgliedstaat ernsthafte Gründe, die Ordnungsmäßigkeit der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheine zu bezweifeln, so hat er dies vielmehr dem anderen Mitgliedstaat nach Art. 12 Abs. 3 der Führerscheinrichtlinie mitzuteilen. Falls der Ausstellungsmitgliedstaat nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift, könnte der andere Mitgliedstaat gegen diesen Staat gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EG einleiten (so EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., 1727 unter Rdnr. 48). Die Belange der Verkehrssicherheit können deshalb nicht dafür fruchtbar gemacht werden, dass der Antragsgegnerin eine Entscheidungskompetenz für die Fahrerlaubnisentziehung erwächst, die nach Ablauf der verhängten Sperrfrist gemeinschaftsrechtlich allein beim Ausstellungsmitgliedstaat liegt. Der Anerkennungsgrundsatz in Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie schließt es aus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller die polnische Fahrerlaubnis auf Grund von Tatsachen entziehen darf, die bereits vor der Erteilung der Fahrerlaubnis durch einen anderen Mitgliedstaat vorlagen.

In diesem Zusammenhang überzeugt es nicht, die Alkoholproblematik als einen in die Gegenwart fortwirkenden Eignungsmangel zu qualifizieren, der sich im Hinblick auf sein Gefährdungspotenzial ständig - also auch nach dem Zeitpunkt der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis - neu aktualisiere (in diesem Sinne aber OVG Lüneburg, a.a.O., 1161). Denn ein solches abstraktes Gefährdungspotenzial stellt keine konkrete Tatsache dar, wie sie in § 46 Abs. 3 FeV vorausgesetzt wird.

Schließlich sperrt das Gemeinschaftsrecht auch den Rückgriff auf die Rechtsprechung des Senats, wonach in Anwendung von § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis auch dann entzogen werden kann, wenn die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt hat und die aus diesem Grunde rechtswidrige Erlaubnis ohne eine Änderung der Sach- und Rechtslage mit Wirkung für die Zukunft zum Erlöschen gebracht werden soll (siehe OVG Hamburg, Beschl. v. 30.1.2002, NJW 2002, 2123 ff.).

3. Der Berufung des Antragstellers auf den Anerkennungsgrundsatz in Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie kann nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.

Der Senat muss insoweit nicht im Einzelnen prüfen, unter welchen Voraussetzungen es gemeinschaftsrechtlich zulässig ist, die Wirkungen des Anerkennungsgrundsatzes dadurch wieder einzuschränken, dass die Berufung auf ihn als rechtmissbräuchlich bewertet wird. Jedenfalls kann eine solche Bewertung nicht allein darauf gestützt werden, dass Indizien für die Annahme bestehen, dass die EU-Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen das in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Führerscheinrichtlinie geregelte Wohnsitzerfordernis erworben wurde (übereinstimmend OVG Greifswald, a.a.O.). Der Europäische Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Führerscheinrichtlinie dem Ausstellungsmitgliedstaat eine ausschließliche Zuständigkeit verleiht, sich zu vergewissern, dass die Führerscheine unter Beachtung der in Art. 7 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt werden, so dass es allein Sache dieses Mitgliedstaats ist, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber diese Voraussetzung nicht erfüllt haben (EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., 1727 unter Rdnr. 48). Gegen diese Zuständigkeitsverteilung würde es grundsätzlich verstoßen, wenn die Antragsgegnerin berechtigt oder sogar verpflichtet wäre, den Anerkennungsgrundsatz in allen Fällen nicht anzuwenden, in denen sie meint, dass seine Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das der Richtliniengeber aus Gründen der Verkehrssicherheit erkennbar zu vermeiden gesucht hätte, wenn er beim Erlass der Richtlinie an diese Fälle gedacht hätte. Die Anerkennung eines solchen Grundsatzes wäre geeignet, die volle Entfaltung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu verhindern.

Ebenso wenig tragfähig ist die Erwägung, es sei rechtsmissbräuchlich, die Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat zu erwerben, in dem die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht gefordert werde, wenn die Aussichten auf eine günstige Beurteilung der Fahreignung auf der Grundlage eines in Deutschland erstellten Gutachtens als gering einzuschätzen seien. Denn in der Führerscheinrichtlinie ist bewusst davon abgesehen worden, hinsichtlich der Anforderungen an die körperliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen eine vollständige Harmonisierung herbeizuführen. Vielmehr sind nur Mindestanforderungen bestimmt worden (siehe Erwägungsgrund 8 der Führerscheinrichtlinie). Dann kann es aber nicht schon rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Betroffene sich die unterschiedlichen Ausstellungsbedingungen für einen Führerschein zu Nutze macht. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung kann nicht gerade an solche Merkmale anknüpfen, die den Anerkennungsgrundsatz wesentlich ausmachen, weil sie die Unterschiedlichkeit der Ausstellungsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und deren Verantwortung für eine rechtmäßige Erteilung der Fahrerlaubnis betreffen.

Im vorliegenden Fall sind andere beweiskräftige Indizien, die für eine unzulässige Rechtsausübung des Antragstellers sprechen könnten, weder ermittelt worden noch nach Aktenlage sonst ersichtlich.

4. Das überragende Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs kann ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht mehr begründen, denn die Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von der polnischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit materiell rechtswidrig. An der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht aber grundsätzlich kein überwiegendes Vollzugsinteresse.

5. Da die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aberkennung keinen Bestand hat, ist die von der Antragsgegnerin nach § 11 Abs. 2 Satz 4 IntKfzV i.V. mit § 47 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FeV ausgesprochene Verpflichtung zur unverzüglichen Vorlage des Führerscheins ebenfalls suspendiert.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V. mit § 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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