Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: 3 Bs 298/05
Rechtsgebiete: StVG, OWiG, StPO


Vorschriften:

StVG § 2 a Abs. 2 Satz 2
OWiG § 85 Abs. 1
StPO § 359 Nr. 5
1. Eine Ausnahme von der in § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG gesetzlich bestimmten Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an die rechtskräftige Entscheidung über die innerhalb der Probezeit begangene Ordnungswidrigkeit ist verfassungsrechtlich jedenfalls dann nicht geboten, wenn es der Betroffene trotz bestehenden Anlasses unterlassen hat, rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einzulegen.

2. Der Fall, dass ein Verkehrsteilnehmer zu Unrecht mit einem Bußgeldbescheid belegt wird, weil die Ordnungswidrigkeit von einer anderen Person begangen worden ist, macht den Bußgeldbescheid nicht nichtig, sondern ist nach Maßgabe von § 85 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 359 Nr. 5 StPO lediglich als Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens ausgestaltet.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 298/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Jahnke, Kollak und Larsen am 18. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. September 2005 geändert.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 21 K 2556/05 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und - insoweit unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts - für das Verfahren erster Instanz auf jeweils 1.250,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Durch Verfügung vom 4. Februar 2005 hat die Antragsgegnerin aufgrund des rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheides vom 10. Dezember 2004 gemäß § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG die Teilnahme der Antragstellerin an einem Aufbauseminar nach § 35 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) angeordnet; zugleich hat die Antragsgegnerin festgelegt, dass die Antragstellerin an dem Aufbauseminar bis zum 18. März 2005 teilnehmen müsse und dass die Bescheinigung des betreffenden Kursleiters über die Kursteilnahme bis zum 25. März 2005 bei der Antragsgegnerin vorliegen müsse. Nachdem die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Verfügung vom 4. Februar 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2005 zurückgewiesen hat, hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben (21 K 2556/05) und zugleich beantragt, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Diesem Antrag hat das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 7. September 2005 mit der Begründung stattgegeben, dass die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtswidrig sein dürfte, weil die Antragstellerin die durch den rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 geahndete Verkehrsordnungswidrigkeit nicht begangen habe und der Bußgeldbescheid an einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel leide mit der Folge, dass die Vorschrift des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten gebunden ist, im vorliegenden Fall zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen und rechtsstaatswidrigen Ergebnisses ausnahmsweise keine Anwendung finden dürfe. Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass von der Anwendung der Vorschrift des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG - jedenfalls hier - keine Ausnahme gemacht werden dürfe.

B.

I.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ist der Antrag der Antragstellerin abzulehnen, die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 2556/05 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 anzuordnen.

Bei der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gebotenen Prüfung der von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe ergibt sich, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts mit der darin gegebenen Begründung keinen Bestand haben kann (1.). In einem derartigen Fall ist das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde in eigener Kompetenz zu entscheiden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 16.9.2002, NordÖR 2003 5. 67; Beschl. v. 9.12.2003 - 3 Bs 415/02 -; Beschl. v. 6.7.2006 - 3 Bs 404/04 -). Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen ist (2.).

1. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben hat, nicht tragfähig ist.

a) Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss wie folgt begründet: Eine Korrektur der Vorschrift des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit gebunden ist, sei geboten, wenn sich die Anwendung der Vorschrift im Einzelfall wegen besonderer Umstände als unangemessen erweise. Dies sei der Fall, wenn der Bußgeldbescheid an einem derart schwerwiegenden und offenkundigen Mangel leide, dass er - würde es sich um einen Verwaltungsakt handeln - nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig wäre. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung müsse dort ihre Grenze finden, wo sich diese Entscheidung - wie hier beim Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 - auch ohne weitere eigene Ermittlungen in der Sache ganz offensichtlich als rechtswidrig erweise und ihr damit nach den Maßstäben des Verfahrensrechts (§ 44 Abs. 1 VwVfG) keine Rechtswirkung zukommen könne.

b) Ob die Antragsgegnerin sich demgegenüber zu Recht darauf beruft, dass die Vorschrift des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG ausnahmslos anzuwenden sei, kann dahingestellt bleiben, weil es hierauf nicht ankommt.

c) Denn die Antragsgegnerin wendet zu Recht ein, dass § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG hier jedenfalls deshalb anzuwenden sei, weil die Antragstellerin es unterlassen habe, rechtzeitig im Rahmen des Bußgeldverfahrens bei der Bußgeldstelle um Einsichtnahme in das Fotomaterial nachzusuchen und erforderlichenfalls rechtzeitig Einspruch (§ 67 OWiG) einzulegen.

Hierzu wird in dem von der Antragsgegnerin genannten Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 12. April 2005 ausgeführt: Die Antragstellerin habe die Einspruchsfrist nicht unverschuldet versäumt, da sie innerhalb der Einspruchsfrist Gelegenheit gehabt habe, nachzuvollziehen, ob sie zu dem im Bußgeldbescheid angegebenen Begehungszeitpunkt am Tatort gewesen sei. Dies sei dem Verkehrsteilnehmer, gegen den ein Bußgeldverfahren wegen des Vorwurfs der Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit geführt werde, regelmäßig zumutbar, wobei er bei verbleibendem Zweifel gehalten sei, zur Interessenwahrung fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einzulegen. Besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung rechtfertigen würden, seien demgegenüber nicht ersichtlich, zumal die Antragstellerin gewusst habe, dass das im Bußgeldbescheid bezeichnete Kraftfahrzeug von mehreren Personen benutzt werde, und von daher besonderen Anlass gehabt habe, ihre Verantwortlichkeit für die Begehung der Ordnungswidrigkeit in Frage zu stellen.

Diesen Ausführungen ist zu folgen.

Soweit die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 12. Oktober 2005 im Gegensatz zu ihrem früheren Vorbringen nunmehr behauptet, von ihrer Mutter erst viel zu spät von dem Anhörungsbogen und dem Bußgeldbescheid erfahren zu haben, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Antragstellerin hat Derartiges im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht vorgebracht, und es ist - nach dem Rechtsgedanken des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG - nicht die Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und der Verwaltungsgerichte, ein solches sich auf das rechtskräftig abgeschlossene Ordnungswidrigkeitenverfahren beziehende Vorbringen zu prüfen. Das Amtsgericht hat im Beschluss vom 12. April 2005 rechtskräftig festgestellt, dass die Antragstellerin gegen den Bußgeldbescheid nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt und die Einspruchsfrist nicht unverschuldet versäumt hat. Anzumerken ist noch, dass die Antragstellerin hätte wissen müssen, dass im Falle des Eintritts der Rechtskraft des Bußgeldbescheides vom 10. Dezember 2004 die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar drohte.

Da somit davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin die Möglichkeit und auch Anlass gehabt hat, rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einzulegen, besteht kein Grund, hier eine Ausnahme von der strikten gesetzlichen Regelung des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG anzuerkennen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 1.8.2006 - 3 Bs 346/05 -; Bouska, Fahrerlaubnisrecht, 2. Aufl. 2000, § 2 a StVG Anm. 25). Insbesondere ist eine Korrektur des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes, namentlich eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht geboten, weil bei der Antragstellerin von einer fahrlässigen Unterlassung rechtzeitiger Rechtsmitteleinlegung im Ordnungswidrigkeitenverfahren auszugehen ist (vgl. in diesem Zusammenhang den im Urteil des OVG Hamburg v. 4.11.2003 - 3 Bf 23/03 -, DAR 2004 S. 543, 545, in Bezug genommenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 16.2.2000, BVerfGE Bd. 102 S. 1, 21 f.). Vielmehr ist die Anwendung des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG auch im vorliegenden Fall durch den Grundsatz der Rechtssicherheit gerechtfertigt, der sich ebenso wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt.

d) Ebenfalls zu Recht wendet sich die Antragsgegnerin gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Vorschrift des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG sei ausnahmsweise deshalb nicht anzuwenden, weil der Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 an einem derart schwerwiegenden und offenkundigen Mangel leide, dass er - würde es sich um einen Verwaltungsakt handeln - nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig wäre. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift des § 44 Abs. 1 VwVfG hier nicht analog oder nach ihrem Rechtsgedanken herangezogen werden kann. Denn der Fall, dass ein Verkehrsteilnehmer zu Unrecht mit einem Bußgeldbescheid belegt wird, weil die Ordnungswidrigkeit von einer anderen Person begangen worden ist, macht den Bußgeldbescheid nicht nichtig, sondern ist - die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides gerade voraussetzend - lediglich als Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens ausgestaltet (§ 85 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 359 Nr. 5 StPO; vgl. zu § 359 Nr. 5 StPO Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 359 Rdnr. 38; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. 2005, § 359 Rdnr. 12). Dass die Wiederaufnahme des Ordnungswidrigkeitsverfahrens nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht zulässig wäre, weil lediglich eine Geldbuße von 50,-- Euro festgesetzt worden ist, ändert an der vom Gesetzgeber gewollten Wirksamkeit des Bußgeldbescheides nichts, unterstreicht sie vielmehr.

Ohne dass es noch darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass schon nicht offenkundig ist, dass die Antragstellerin die Verkehrsordnungswidrigkeit vom 24. Oktober 2004 nicht begangen hat. Das in der Bußgeldakte vorhandene Tatfoto ist recht unscharf, und der betreffende Mitarbeiter der Bußgeldstelle hat nicht etwa erklärt, die Antragstellerin sei mit der auf dem Foto abgebildeten Fahrerin nicht identisch, sondern hat lediglich vermerkt, dass eine Ähnlichkeit von ihm nicht habe festgestellt werden können. Ob die von der Antragstellerin benannte Freundin ihres Bruders tatsächlich mit der auf dem Foto abgebildeten Person identisch ist, ist nicht geklärt worden. Es entspricht gerade der Absicht des Gesetzgebers, derartige Schwierigkeiten in der Beurteilung, ob ein Bußgeldbescheid offenkundig gegenüber einer falschen Person ergangen ist, von vornherein dadurch zu vermeiden, dass die Fahrerlaubnisbehörde an das Vorliegen eines rechtskräftigen Bußgeldbescheides gebunden ist. Außerdem wird durch die möglichst strikte Anwendung des § 2 a Abs. 2 Satz 2 StVG von vornherein verhindert, dass der im Bußgeldbescheid genannte Fahrerlaubnisinhaber zunächst bewusst kein Rechtsmittel einlegt und erst nach Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG) geltend macht, den Verkehrsverstoß nicht begangen zu haben.

2. Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung ergibt sich, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung des Aufbauseminars (§ 2 a Abs. 6 StVG) Vorrang hat vor dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Denn die Verfügung der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 ist aller Voraussicht nach rechtmäßig, und es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ein ungewöhnlich hohes schützenswertes Interesse daran hat, von der Teilnahme am Aufbauseminar einstweilen verschont zu bleiben.

Die Voraussetzungen des § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG für die Anordnung der Teilnahme der Antragstellerin an einem Aufbauseminar haben vorgelegen. Mit dem rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 ist gegen die Antragstellerin wegen einer innerhalb der Probezeit am 24. Oktober 2004 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 3 Nr. 4, 41 Abs. 2 StVO (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h) eine Geldbuße in Höhe von 50 Euro festgesetzt worden. Der rechtskräftige Bußgeldbescheid ist nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen, und die dem Bußgeldbescheid zu Grunde liegende Geschwindigkeitsüberschreitung stellt nach Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (zu § 34 Abs. 1 FeV) eine schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne des § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG dar. Der Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004, der der Antragstellerin laut Postzustellungsurkunde am 14. Dezember 2004 zugestellt worden ist, ist nach dem ungenutzten Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG am 29. Dezember 2004 rechtskräftig geworden (siehe den oben erwähnten Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 12.4.2005). Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch eine angemessene Frist (§ 34 Abs. 2 FeV) für die Teilnahme am Aufbauseminar gesetzt, indem sie angeordnet hat, dass die Antragstellerin bis zum 18. März 2005 am Aufbauseminar teilnehmen müsse. Zusätzlich hat die Antragsgegnerin auf die Möglichkeit einer Fristverlängerung hingewiesen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fristsetzung rechtswidrig wäre, wenn der Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 nicht durchgängig rechtskräftig geblieben wäre, sondern wenn die Rechtskraft zwischenzeitlich entfallen wäre. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. An der Rechtskraft des Bußgeldbescheides hat sich nichts dadurch geändert, dass die Antragstellerin nach Einsichtnahme in das Tatfoto bei der Bußgeldstelle am 14. Februar 2005 Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat. Denn die Bußgeldstelle hat durch Bescheid vom 24. Februar 2005 sowohl den Wiedereinsetzungsantrag als auch den Einspruch verworfen; das Amtsgericht Hamburg-Altona hat durch seinen genannten Beschluss vom 12. April 2005 den Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid vom 24. Februar 2005 verworfen. Durch eine verspätete Einlegung des Einspruchs und durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist wird die Rechtskraft des betreffenden Bußgeldbescheides nicht beseitigt; die infolge der Versäumnis der Einspruchsfrist eingetretene Rechtskraft des Bußgeldbescheides entfällt nur und erst dann, wenn dem Wiedereinsetzungsantrag (Gleiches gilt für einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 85 OWiG) stattgegeben wird (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl. 2006, § 52 Rdnr. 45, § 89 Rdnrn. 2 und 3 a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 52 Rdnr. 36, § 89 Rdnrn. 3 f.; Karlsruher Kommentar zum OWiG, 2. Aufl. 2000, § 52 Rdnr. 47, § 89 Rdnrn. 52 und 57). An den Voraussetzungen des § 2 a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVG würde es allerdings fehlen, wenn die Bußgeldstelle gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 2 StVG zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten die dauerhafte Tilgung der Eintragung des Bußgeldbescheides vom 10. Dezember 2004 im Verkehrszentralregister angeordnet hätte. Dies hat sie jedoch nicht getan, sondern das Kraftfahrt-Bundesamt in ihrem Schreiben vom 16. Februar 2005 lediglich gebeten, ihre Mitteilung über den Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2004 als gegenstandslos zu betrachten, weil das Verfahren wieder aufgenommen worden sei. Offenbar ist die Bußgeldstelle von der nach dem oben Ausgeführten unzutreffenden Rechtsansicht ausgegangen, dass durch den Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die bereits eingetretene Rechtskraft des Bußgeldbescheides wieder beseitigt worden sei. Selbst wenn das Kraftfahrt-Bundesamt sich dieser Rechtsansicht angeschlossen und die Eintragung des Bußgeldbescheides vom 10. Dezember 2004 vorübergehend getilgt hätte, wäre dies unerheblich, weil es nach § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht darauf ankommt, ob die betreffende Ordnungswidrigkeit eingetragen ist, sondern allein darauf, ob sie einzutragen ist (vgl. Bouska, a.a.O., § 2 a StVG Anm. 12); letzteres ist hier durchgängig der Fall gewesen. Durch ihr Schreiben vom 16. Februar 2005 an das Kraftfahrt-Bundesamt hat die Bußgeldstelle schon inhaltlich nicht etwa die Aussetzung der Vollziehung des Bußgeldbescheides angeordnet. Im Übrigen stellt die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG keine Vollziehung des Bußgeldbescheides dar (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 7.7.1997, DAR 1997 S. 410). Die Anordnung setzt lediglich die Rechtskraft des Bußgeldbescheides voraus.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 GKG. In Nr. 46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 wird empfohlen, den Streitwert für die Anordnung der Teilnahme am Aufbauseminar im Hauptsacheverfahren mit 2.500,-- Euro zu bemessen, wobei dieser Wert nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel zu halbieren ist (DVBl. 2004 S. 1525, 1526, 1530). Dieser Empfehlung ist hier zu folgen.

Ende der Entscheidung

Zurück