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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: 3 Bs 611/03
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 68
VwGO § 73
AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 1
1. Hat die Ausgangsbehörde die Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung wegen falscher Angaben über den Bestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft auf die zuletzt erteilte Aufenthaltsgenehmigung beschränkt, ist die Widerspruchsbehörde nicht durch die Begrenzung auf den Verfahrensgegenstand des Widerspruchsverfahrens gehindert, die Rücknahme auf sämtliche vorangegangenen Aufenthaltsgenehmigungen zu erstrecken, die dem Widerspruchsführer aus demselben Grund fehlerhaft erteilt wurden.

Der Anwendungsbereich einer verfahrensrechtlich zulässigen reformatio in peius wird zu eng bestimmt, wenn zur Abgrenzung des Verfahrensgegenstandes allein auf die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung und nicht auch auf den Gegenstandsbereich abgestellt wird, auf den diese sich bezieht.

2. Bei bestehender Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ist die Widerspruchsbehörde wegen der übereinstimmenden sachlichen Zuständigkeit nicht auf die Zurückweisung des unbegründeten Widerspruchs beschränkt.

3. Der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG greift nicht mehr ein, wenn der Ausländer nach einer Einreise ohne das erforderliche Visum bereits eine Aufenthaltsgenehmigung für einen entsprechenden Zweck erhalten hat. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist indes anwendbar, wenn die erteilte Aufenthaltsgenehmigung wegen falscher Angaben mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.


3 Bs 611/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Fligge und Kollak am 6. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. November 2003 geändert. Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 18. Oktober 2002 (8 VG 4480/2002) wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragsteller wenden sich gegen die Rücknahme der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse und begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage.

Die am 27. Februar 1973 geborene Antragstellerin zu 1) ist jugoslawische Staatsangehörige. Sie reiste mit ihren Eltern im April 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Dieses und ein weiteres Asylbegehren vom April 1995 blieben erfolglos. - Am 13. Februar 1992 heiratete die Antragstellerin zu 1) in Hamburg den jugoslawischen Staatsangehörigen T. . Aus der Ehe gingen zwei Kinder, die Antragsteller zu 2) und zu 3), hervor. Die Antragstellerin zu 2) wurde am 30. April 1992 in B. geboren, der Antragsteller zu 3) kam am 3. Dezember 1993 in Hamburg zur Welt. Die Ehe wurde im Januar 1994 geschieden. Am 18. August 1994 heiratete die Antragstellerin zu 1) in Hamburg den deutschen Staatsangehörigen P. . Diese Ehe wurde im Dezember 1994 geschieden. Am 15. Juni 1995 heiratete die Antragstellerin zu 1) den deutschen Staatsangehörigen Ma. . Die Ehe mit Herrn Ma. wurde am 19. Juli 2002 geschieden. Seit dem 22. November 2002 ist die Antragstellerin zu 1) mit dem deutschen Staatsangehörigen Mi. verheiratet.

Die Antragstellerin zu 1) erhielt am 8. August 1995 auf ihren Antrag vom 22. Juni 1995 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis wurde am 9. August 1996 bis zum 8. August 1997 und am 5. August 1997 bis zum 4. August 2000 verlängert. Die Antragstellerin zu 1) unterschrieb jeweils eine Erklärung, wonach sie darauf hingewiesen worden war, dass ihr die Aufenthaltserlaubnis nur aufgrund der Eheschließung mit Herrn Ma. erteilt wurde und sie grundsätzlich nur dann mit einer Verlängerung rechnen kann, wenn die Ehe weiterhin besteht und sie mit ihrem Ehemann zusammenlebt. - Am 29. September 1999 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1) auf den Antrag vom 13. August 1999 hin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Herr Ma. erstattete unter dem Datum des 28. Oktober 1999 bei der Antragsgegnerin eine "Selbstanzeige wegen Schein-Ehe". Er erklärte darin, mit der Antragstellerin zu 1) im Juni 1995 eine Scheinehe eingegangen zu sein, und stellte in einer "Erläuterung" die Umstände der Eheschließung sowie das Verhalten gegenüber der Ausländerbehörde dar. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zu 1) legte der Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung vom 11. November 1999 vor, in der Herr Ma. die vorgenannte Erklärung widerrief. - Das Amtsgericht Hamburg (142 Ds 146/01) verurteilte Herrn Ma. und die Antragstellerin zu 1) am 23. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz - unrichtige Angaben zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) - jeweils zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen. Das Urteil ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) rechtskräftig. Als Taten abgeurteilt wurden die Angaben gegenüber der Antragsgegnerin am 11. August 1999 und 29. September 1999, in der gemeinsamen ehelichen Wohnung D weg 10 zu leben, obwohl spätestens ab Beginn 1999 keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestand. In Bezug auf die beiden weiteren Anklagepunkte, unrichtige Angaben bei den Anhörungen durch die Antragsgegnerin am 22. Juni 1995 und 9. August 1996 gemacht zu haben, wurde das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. - Gegen den früheren Ehegatten der Antragstellerin zu 1), Herrn T. , ist am 5. Juni 2002 ein - nicht rechtskräftiges - Strafurteil wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Ausländergesetz (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) ergangen (Amtsgericht Hamburg , Urt. v. 5.6.2002 - - ). Diesem wird vorgeworfen, im Juli 2000 bei der Ausländerabteilung des Bezirksamts Hamburg wahrheitswidrig erklärt zu haben, mit seiner Ehefrau, einer deutschen Staatsangehörigen, gemeinsam in ehelicher Wohnung zu wohnen, um dadurch die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen. Das Urteil enthält u.a. die Feststellung, dass Herr T. und die Antragstellerin zu 1) Mitte 1996 mit den gemeinsamen Kindern eine Wohnung im D weg 10 bezogen.

Die Antragsteller zu 2) und zu 3) erhielten seit 1995 befristete Aufenthaltserlaubnisse, die Antragstellerin zu 2) zuletzt am 31. Juli 2000 bis zum 30. April 2008, der Antragsteller zu 3) zuletzt am 31. Juli 2000 bis zum 3. Dezember 2001.

Mit Verfügungen des Bezirksamtes Hamburg- , Ortsamt , vom 22. April 2002 nahm die Antragsgegnerin die der Antragstellerin zu 1) am 29. September 1999 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis sowie die den Antragstellern zu 2) und zu 3) zuletzt erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück; zugleich lehnte sie eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers zu 3) ab. Den Antragstellern wurde unter Setzung einer Ausreisefrist die Abschiebung nach Jugoslawien angedroht. Die Widersprüche der Antragsteller wies der Widerspruchsausschuss des Bezirksamtes Hamburg- mit Widerspruchsbescheiden vom 17. September 2002 zurück. Zugleich wurden darin die den Antragstellern seit 1995 erteilten früheren Aufenthaltserlaubnisse mit Wirkung für die Vergangenheit unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurückgenommen. Die bereits ergangenen Vollziehungsanordnungen blieben aufrechterhalten.

Mit Verfügung vom 28. August 2002 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 1) wegen des Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG aus. Über den Widerspruch ist nach Aktenlage bisher nicht entschieden.

Die Antragsteller haben Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung der Verfügungen vom 22. April 2002 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 17. September 2002 sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehren, die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers zu 3) zu verlängern. Zugleich haben sie beantragt, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 20. November 2003 entsprochen. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde der Antragsgegnerin.

B.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat nach Maßgabe der dargelegten Gründe Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller zu Unrecht wiederhergestellt. Deren Antrag ist abzulehnen. Die vom Verwaltungsgericht geäußerten kompetenzrechtlichen Bedenken daran, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid auch die früheren befristeten Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller zurückgenommen hat, tragen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht.

I. Antrag der Antragstellerin zu 1).

1. Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.

a) Die Antragsgegnerin hat die unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 48 HmbVwVfG aller Voraussicht nach rechtsfehlerfrei zurückgenommen.

Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 29. September 1999 ist der Antragstellerin zu 1) rechtswidrig erteilt worden. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG waren nicht gegeben, weil eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn Ma. nicht (mehr) bestand. Die Antragstellerin zu 1) hat in dem Strafverfahren, das mit der ihr gegenüber rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg vom 23. Mai 2001 abgeschlossen worden ist, gestanden, im August und September 1999 vor der Ausländerbehörde zum (Fort-) Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft falsche Angaben gemacht zu haben.

Die Ausübung des Rücknahmeermessens dahin, die unbefristete Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, dürfte nicht zu beanstanden sein. Die Ermessenserwägungen im Widerspruchsbescheid (S. 12 - 15) sind umfassend und begründen den Vorrang des öffentlichen Interesses an der Rücknahme. Zur Dauer des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts ist hilfsweise ausgeführt (S. 14), dieser könne eine Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin zu 1) wegen der vorsätzlichen Falschangaben im Jahr 1999 selbst dann nicht rechtfertigen, wenn die seit 1995 erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse nicht zurückgenommen würden. - Auf den Schutz der neuen Ehe mit Herrn Mi. konnte der Widerspruchsbescheid nicht eingehen, weil diese erst später, am 22. November 2002, geschlossen wurde.

Die Rücknahmeentscheidung begegnet nicht dem rechtlichen Einwand, dass ein Aufenthaltstitel entzogen wird, den die Antragsgegnerin nach einem anderen Rechtsgrund sogleich erneut erteilen müsste. Die Antragstellerin zu 1) konnte im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht gemäß § 24 Abs. 1 AuslG beanspruchen, weil sie nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) war. Selbst wenn infolge der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis die am 5. August 1997 erteilte und bis zum 4. August 2000 befristeten Aufenthaltserlaubnis wieder aufgelebt wäre, ergäbe sich zum einen kein zusammenhängender Erlaubniszeitraum von fünf Jahren, weil die Ersterteilung nicht bereits am 5. August 1995, sondern erst am 8. August 1995 erfolgt war. Zum anderen war die bis zum 4. August 2000 verlängerte Aufenthaltserlaubnis mit Fristablauf erloschen, bestand also bei Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht mehr. Einem Anspruch nach § 24 Abs. 1 AuslG stand zudem entgegen, dass in der Person der Antragstellerin zu 1) ein Ausweisungsgrund vorlag (§ 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Mit der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG hat die Antragstellerin zu 1) einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG begangen.

b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO und wird von einem vorrangigen öffentlichen Interesse getragen. Die Antragsgegnerin hat in hinreichender Weise die für die Anordnung bedeutsamen Umstände des Einzelfalles gekennzeichnet und das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung aufgezeigt, das über das Interesse hinausgeht, welches die Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis selbst rechtfertigt. Die zur Begründung für eine schnellstmögliche Beendigung des Aufenthalts herangezogenen spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkte haben Gewicht. Wird eine Aufenthaltserlaubnis durch gesetzwidriges Handeln erlangt, dient die Herstellung der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG dem nach der Rechtsprechung des Beschwerdesenats anzuerkennenden Ziel, zu verhindern, dass der zu Unrecht erlangte Status faktisch noch für einen nicht unerheblichen Zeitraum ausgenutzt werden kann (Beschl. v. 17.4.1996, EZAR 019 Nr. 11; v. 6.4.1999 - OVG Bs VI 137/96 -; v. 26.2.2000 - 3 Bs 68/00 -; ebenso für den Sofortvollzug einer Ausweisung wegen unrichtiger Angaben Beschl. v. 4.1.2000 - 3 Bs 218/99 -).

2. Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse vom 8. August 1995, 9. August 1996 und 5. August 1997.

a) Ob für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse vom 8. August 1995, 9. August 1996 und 5. August 1997 ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, begegnet Zweifeln, kann aber dahinstehen. Im Hinblick auf den Eintritt und die sofortige Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht fehlt ein solches Bedürfnis, weil diese Rechtslage unabhängig von der Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse bereits durch die sofort vollziehbare Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis eingetreten ist (§ 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 AuslG). Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung könnte der Antragstellerin zu 1) aber im Verfahren der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die neue Ehe mit Herrn Mi. von Nutzen sein. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist jedenfalls der Sache nach nicht gerechtfertigt.

b) Die vom Verwaltungsgericht geäußerten kompetenzrechtlichen Bedenken daran, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid - über den Bescheid vom 22. April 2002 hinaus - auch die vorangegangenen befristeten Aufenthaltserlaubnisse zurücknehmen durfte, teilt das Beschwerdegericht nicht.

Es überzeugt bereits die Ausgangserwägung nicht, die Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse liege dergestalt außerhalb des Verfahrensgegenstandes des Widerspruchsverfahrens, dass die Grundsätze einer verfahrensrechtlich zulässigen Verschlechterung der Ausgangsentscheidung zu Lasten des Widerspruchsführers (reformatio in peius) nicht herangezogen werden könnten. Der Verfahrensgegenstand wird hier durch die ausländerbehördlichen Maßnahmen bestimmt, die die Antragsgegnerin im Zuständigkeitsbereich des Bezirksamts Hamburg- wegen der nachträglichen Erkenntnis ergreift, dass der Antragstellerin zu 1) Aufenthaltgenehmigungen wegen der Ehe mit Herrn Ma. nicht erteilt werden durften, weil eine schutzwürdige eheliche Lebensgemeinschaft nicht bestand. Zu dem durch diesen Sachverhalt geprägten Regelungsbereich gehört die Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse nicht anders als die der zuletzt erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Dem entspricht es, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 1) mit Schreiben vom 13. November 2001 zu der Absicht angehört hat, sämtliche ihr seit dem 8. August 1995 wegen der Ehe mit Herrn Mar. erteilten Aufenthaltserlaubnisse zurückzunehmen. Die Beschränkung der Rücknahme auf die unbefristete Aufenthaltserlaubnis im Bescheid vom 22. April 2002 hinderte die Antragsgegnerin nicht, die Rücknahme im Widerspruchsverfahren zu verbösern und auf sämtliche Aufenthaltserlaubnisse zu erstrecken, die aus demselben Grund fehlerhaft erteilt wurden. Der Anwendungsbereich einer verfahrensrechtlich zulässigen reformatio in peius wird zu eng bestimmt, wenn zur Abgrenzung des maßgeblichen Verfahrensgegenstands allein auf die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung und nicht auch auf den Gegenstandsbereich abgestellt wird, auf den diese sich bezieht.

Der Widerspruchsausschuss des Bezirksamts Hamburg-Mitte war nicht auf die Entscheidung beschränkt, den als unbegründet erachteten Widerspruch der Antragstellerin zu 1) zurückzuweisen. Die Zulässigkeit der Verböserung im Widerspruchsverfahren richtet sich, weil die Verwaltungsgerichtsordnung dazu keine Regelung trifft, nach dem jeweils anzuwendenden Bundes- und Landesrecht einschließlich seiner Zuständigkeitsvorschriften (BVerwG, Urt. v. 29.8.1986, NVwZ 1987 S. 215; OVG Hamburg Urt. v. 24.4.1990, GewArch 1990 S. 405). Das Ausländergesetz und das Hamburgische Verwaltungsverfahrensgesetz beschränken die Befugnis der Widerspruchsbehörde nicht. Die volle Sachentscheidungskompetenz des Widerspruchsausschusses des Bezirksamtes Hamburg- ergibt sich daraus, dass mit ihm - abweichend von § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO - nicht die nächsthöhere Behörde, sondern gemäß § 7 Abs. 1 AGVwGO die Stelle über den Widerspruch entscheidet, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Sowohl die Ausländerabteilung des Ortsamtes als auch der Widerspruchsausschuss des Rechtsamtes sind Teil des für die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse zuständigen Bezirksamtes . Bei bestehender Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde gibt es im Hinblick auf die übereinstimmende sachliche Zuständigkeit keinen Grund, die Widerspruchsbehörde auf die Zurückweisung des unbegründeten Widerspruchs zu beschränken. Damit würde einer solchen Behörde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eine Befugnis abgesprochen, die ihr außerhalb dieses Verfahrens, insbesondere also nach dessen Abschluss, zusteht (BVerwG, Beschl. v. 10.9.1957, DÖV 1957 S. 782; OVG Hamburg, Urt. v. 24.4.1990, a.a.O., S. 406; OVG Koblenz, Urt. v. 2.10.1991, NVwZ 1992 S. 386; zur Zulässigkeit der reformatio in peius bei Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand September 2003, § 68 Rdnr. 51; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 68 Rdnr. 13; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 73 Rdnr. 20; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Aufl. 2000, § 40 Rdnrn. 20, 24). Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin (Urt. v. 7.1.1977, NJW 1977 S. 1166) bezieht sich nicht auf den Fall der Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde. Dass dem Verlust einer Verwaltungsinstanz, auf den das Verwaltungsgericht weiter hinweist, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, zeigt die Vorschrift in § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit der Regelung des Falles, dass der Widerspruchsbescheid gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält.

c) Die Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse mit Wirkung für die Vergangenheit dürfte auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden sein.

Die Antragstellerin zu 1) erhielt diese Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG als Ehegattin eines Deutschen im Hinblick auf den Schutz der ehelichen Lebensgemeinschaft. Sie waren ohne diese Voraussetzung rechtswidrig. Nach Aktenlage ist es aus den im Widerspruchsbescheid aufgeführten Gründen (S. 16-20) weit überwiegend wahrscheinlich, dass die Eheschließung zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn Ma. allein dem Zweck diente, der Antragstellerin zu 1) eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen, und eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht aufgenommen wurde. Maßgebliche Bedeutung ist insoweit den Angaben beizumessen, die Herr Ma. bei seiner verantwortlichen Vernehmung durch das Landeskriminalamt am 1. November 2000 gemacht hat und diesen Sachverhalt vor Augen führen. Dass die Angaben der Wahrheit entsprechen, darf nach dem bisherigen Ergebnis der Strafverfahren, die gegen die Antragstellerin zu 1) und Herrn Ma. vor dem Amtsgericht Hamburg sowie gegen Herrn T. und dessen deutsche Ehefrau L. vor dem Amtsgericht Hamburg- durchgeführt worden sind, als in einem so hohen Maße als wahrscheinlich angesehen werden, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse nicht im Hinblick auf die ausstehende abschließende Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren zu gewähren ist. So hat es das Amtsgericht Hamburg- in seinem Urteil vom 5. Juni 2002 als festgestellt angesehen, dass die Antragstellerin zu 1) im Juni 1995 mit Herrn Ma. eine Scheinehe einging und sie und Herr T. Mitte 1996 zusammen mit den gemeinsamen Kindern die Wohnung im D weg 10 bezogen (UA S. 3). Für diese Feststellungen zieht das Urteil u.a. die Angaben von Herrn Ma. in der Vernehmung am 1. November 2000 heran (UA S. 6 f.). Die fehlende Rechtskraft des Urteils gegenüber Herrn T. macht diese Beweiswürdigung des Strafgerichts nicht wertlos. Für die summarische Prüfung behält der Umstand Gewicht, dass das Strafgericht den Wahrheitsgehalt der Angaben von Herrn Ma. anerkannt hat. Die Würdigung, dass dessen Angaben Glauben verdienen, liegt ersichtlich auch dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 23. Mai 2001 zugrunde. Anderenfalls wäre darin nicht als festgestellter Sachverhalt angesehen worden, dass die Antragstellerin zu 1) Herrn Ma. für die Eheschließung die Zahlung von 3.000,-- DM zugesagt hatte, und hätte im Rahmen der Strafzumessung nicht der Gesichtpunkt Bedeutung erlangt, dass dem Eingehen von "Scheinehen" zur Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen mit empfindlichen Strafen entgegengewirkt werden müsse (UA S. 5).

Die Antragsgegnerin hat ihr Rücknahmeermessen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG ausgeübt. Die im Widerspruchsbescheid enthaltenen Erwägungen (S. 20 f.) lassen einen Ermessensfehler nicht erkennen. Auf Vertrauensschutz kann sich die Antragstellerin zu 1) nicht berufen, weil sie die Aufenthaltserlaubnisse durch wissentlich falsche Angaben erlangt hat.

d) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Widerspruchsbescheid S. 25) genügt nach den bereits dargestellten Anforderungen (oben I 1 b) der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

3. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung der Abschiebung der Antragstellerin zu 1) - sie ist nicht ausdrücklich begehrt, vom Rechtsschutzbegehren aber wohl der Sache nach umfasst - scheidet aus. Die Abschiebungsandrohung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 50 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2 Satz 2 AuslG.

a) Weil gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG das Vorliegen von Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen nach § 55 AuslG dem Erlass der Abschiebungsandrohung - und deren Fortbestand - nicht entgegensteht, braucht das Beschwerdegericht nicht zu prüfen, ob die Abschiebung der Antragstellerin zu 1) im Hinblick auf die im November 2002 geschlossene Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen Mi. nach § 55 Abs. 2 AuslG zeitweise auszusetzen ist oder nach § 55 Abs. 3 AuslG ausgesetzt werden kann.

b) Die Abschiebungsandrohung und deren Fortbestehen sind nicht mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar. Die Antragstellerin zu 1) hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer neuen befristeten Aufenthaltserlaubnis, den sie ohne ein Visumsverfahren durchsetzen könnte.

Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 AuslG hat die Antragstellerin zu 1) aller Voraussicht nach nicht erworben. Welche Ehebestandszeit dafür maßgeblich ist, kann offen bleiben, weil es an einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit Herrn Ma. überhaupt gefehlt haben dürfte. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen die Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19 Abs. 2 AuslG gestützt auf § 19 Abs. 3 AuslG hilfsweise im Ermessenswege versagt (Widerspruchsbescheid S. 22 f.). Das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 46 Nr. 2 AuslG hat sie zu Recht in der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gesehen. Die daran anschließenden Ermessenserwägungen dürften nicht zu beanstanden sein. Ermessensfehler haben die Antragsteller insoweit nicht aufgezeigt.

Einen etwaigen Anspruch auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 AuslG aufgrund der Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen Mi. muss die Antragstellerin zu 1) nach erfolgter Ausreise im Wege des Visumsverfahrens geltend machen. Der Erteilung im Inland steht der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG entgegen. Die Antragstellerin zu 1) ist ohne das für diesen Aufenthaltszweck erforderliche Visum eingereist. Der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG greift allerdings nicht mehr ein, wenn der Ausländer nach einer Einreise ohne das erforderliche Visum bereits eine Aufenthaltsgenehmigung für einen entsprechenden Zweck erhalten hat (OVG Hamburg, Beschl. v. 29.4.1999, InfAuslR 1999 S. 342 ; OVG Berlin, Beschl. v. 30.7.1998, InfAuslR 1998 S. 471; VGH Mannheim, InfAuslR 1995 S. 104; OVG Bautzen, Beschl. v. 8.1.2004, ZAR 2004 S. 154; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991 S. 121 f.; AuslG-VwV Nr. 8.1.1.7). § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist indes anwendbar, wenn die erteilte Aufenthaltsgenehmigung - wie hier - wegen falscher Angaben mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (Fraenkel, a.a.O., S. 122; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand Dezember 2003, § 8 AuslG Rdnr. 24; Jakober/Lehle/Schwab, Aktuelles Ausländerrecht, Stand August 2002, § 8 AuslG Rdnr. 34; AuslG-VwV Nr. 8.1.1.7).

Ob der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die Ausweisung der Antragstellerin zu 1) weiter der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegen steht, kann offen bleiben. Zwar lässt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung vom 28. August 2002 die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt, § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG. Es erscheint indes zweifelhaft, ob die Ausweisung im Widerspruchsverfahren Bestand hat, in dem der neue Umstand der Eheschließung der Antragstellerin zu 1) mit Herrn Mi. zu berücksichtigen ist.

II. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt auch für die Antragstellerin zu 2) ohne Erfolg.

1. Rücknahme der am 31. Juli 2000 erteilten, bis zum 30. April 2008 befristeten Aufenthaltserlaubnis.

a) Die Rücknahme der bis zum 30. April 2008 befristeten Aufenthaltserlaubnis ist aller Voraussicht nach gemäß § 48 HmbVwVfG rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin zu 2), die gemäß §§ 20 Abs. 2, 17 AuslG im Hinblick auf die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 1) erfolgte, erwies sich als rechtswidrig, nachdem die unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin zu 1) mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden war. Die Antragsgegnerin hat das Rücknahmeermessen betätigt. Die Ermessenserwägungen im Widerspruchsbescheid (S. 3 - 4) beziehen die wesentlichen Umstände, zu denen die erfolgte schulische Integration gehört, ein. Die Antragstellerin zu 2) kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht allein vom dem ihrer Mutter ableitet.

b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO genügend begründet. Der Gesichtspunkt, im Hinblick auf die Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit dieselben Rechtsverhältnisse wie bei der personensorgeberechtigten Antragstellerin zu 1) herbeizuführen, trägt die getroffene Anordnung.

2. Wegen der Rücknahme der vorangegangenen befristeten Aufenthaltserlaubnisse ist die aufschiebende Wirkung der Klage ebenso wenig wiederherzustellen wie bei der Antragstellerin zu 1). Dass die Antragstellerin zu 2) von der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einen rechtlichen Nutzen haben könnte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist die Rücknahme weder kompetenzwidrig noch lässt der Widerspruchsbescheid Ermessensfehler erkennen. Der Grund, der zur Rücknahme der befristeten Aufenthaltserlaubnisse der Antragstellerin zu 1) geführt hat, trägt auch die Rücknahme der ihren Kindern gemäß §§ 20 Abs. 2, 17 AuslG erteilten Aufenthaltserlaubnisse.

3. Die Androhung der Abschiebung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage wie bei der Antragstellerin zu 1) in §§ 50 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2 Satz 2 AuslG. Weil und solange die Antragstellerin zu 1) keine Aufenthaltsgenehmigung erhält, ist auch die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung gegenüber der Antragstellerin zu 2) nicht auszusetzen.

III. Aus den vorstehend unter II genannten Gründen hat auch der Antrag des Antragstellers zu 3) keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin durfte seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnen. Der im Bundesgebiet geborene Antragsteller zu 3) hat nicht gemäß § 21 Abs. 3 AuslG ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangt. Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AuslG besteht für ihn nur, solange die Antragstellerin zu 1) eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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