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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 3 Nc 23/06
Rechtsgebiete: KapVO, VwGO


Vorschriften:

KapVO § 11
VwGO § 146 Abs. 4
1. Zulassung zum Studium der Medizin an der Universität Hamburg zum Wintersemester 2006/2007.

2. Hat das Verwaltungsgericht ein Nachrückverfahren nicht angeordnet, wird mit dem (zutreffenden) Beschwerdevorbringen, dass nicht sämtliche in der ersten Instanz erfolgreichen Antragsteller von den erlassenen einstweiligen Anordnungen zur vorläufigen Zulassung zum Studium Gebrauch gemacht haben, ein Grund im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dargelegt, der die angefochtene Entscheidung erschüttert und zu einer unbeschränkten Prüfung durch das Beschwerdegericht führt.

3. Ein Dienstleistungsbedarf besteht nicht länger, wenn in den der Lehreinheit nicht zugeordneten Studiengang keine Studienanfänger mehr aufgenommen werden.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Nc 23/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Jahnke und Niemeyer am 10. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. November 2006 geändert:

Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig einen Studienplatz des 1. Fachsemesters im Studiengang Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2006/2007 zuzuweisen, sofern die Antragstellerin die vorläufige Einschreibung bis zum 19. Oktober 2007 beantragt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.

I.

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Zulassung zum Studium der Medizin an der Universität Hamburg außerhalb der festgesetzten Kapazität nach den Verhältnissen des Berechnungszeitraums 2006/2007.

Durch die Verordnung über Zulassungszahlen für die Universität Hamburg für das Wintersemester 2006/2007 vom 3. August 2006 (HmbGVBl. 2006 S. 459, 461) wurde die Zahl der Studienplätze für Studienanfängerinnen und -anfänger für den Studiengang Humanmedizin auf 406 festgesetzt. Tatsächlich hat die Antragsgegnerin darüber hinaus zwei weitere Studienbewerber im ersten Fachsemester zu diesem Studium zugelassen. Mit Beschluss vom 3. November 2006 hat das Verwaltungsgericht Hamburg den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Nach seinen Feststellungen besteht im Studiengang Humanmedizin für das Wintersemester 2006/2007 eine Aufnahmekapazität von 442 Studienplätzen. Die 34 verbleibenden Studienplätze hat das Verwaltungsgericht in Anlehnung an die Kriterien der ZVS-Vergabeordnung verteilt - auf die Antragstellerin entfiel keiner dieser Plätze. Ein Nachrückverfahren ist nicht angeordnet worden.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Antragstellerin hat mit dem Vorbringen, dass nicht sämtliche erfolgreichen Antragsteller von der einstweiligen Anordnung Gebrauch gemacht haben, im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO einen Grund dargelegt, aus dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern ist. Der ablehnende Beschluss ist erschüttert, weil entgegen der Annahme des Verwaltungs-gerichts die erlassenen einstweiligen Anordnungen nicht genügt haben, die von ihm festgestellte Kapazität tatsächlich auszuschöpfen (1). Es besteht auch ein Anordnungs-anspruch der Antragstellerin auf vorläufige Zulassung zum Studium (2).

1. Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren eine Immatrikulationsliste in Tabellenform für das Wintersemester 2006/2007 übermittelt, in der - nach eigener Zählung des Gerichts - 440 Studierende für das Studium der Humanmedizin im 1. Fachsemester verzeichnet sind. Nach ihrer ergänzenden Erklärung vom 3. September 2007 lassen sich der Tabelle unter der Rubrik "exmdat" die exmatrikulierten Studenten mit dem jeweiligen Exmatrikulationsdatum entnehmen. Die Spalte "res4" führt die Fälle auf, in denen die Immatrikulation aufgrund eines Vergleichs erfolgt ist, wobei in den hand-schriftlich vermerkten Fällen die Vergleiche zum Wintersemester 2006/2007 geschlossen worden sind, während in den übrigen Fällen die vergleichsweise Zulassung nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2005/2006 erfolgt ist.

Die Auswertung der Immatrikulationsliste unter Berücksichtigung der Erklärung der Antragsgegnerin ergibt, dass lediglich 1 Studierender (O ) nach den Rechts-verhältnissen des Wintersemesters 2005/2006 immatrikuliert worden ist. Zwei andere Studienanfänger sind schon kurz nach Beginn der Lehrveranstaltungen am 26. Oktober 2006 (A ) und am 1. November 2006 (B ) wieder exmatrikuliert worden. Aber der Beschwerdesenat berücksichtigt nur solche Immatrikulationen nicht als kapazitäts-deckend, bei denen die Exmatrikulation bereits wieder vor Beginn der Lehrveran-staltungen erfolgt ist, weil diese Studierenden weder Lehrkapazität verbrauchen noch in den von der Antragsgegnerin praktizierten Schwundausgleich eingehen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 26.10.2005 - 3 Nc 75/05 -, Juris).

Die Antragstellerin hat damit dargelegt, dass die vom Verwaltungsgericht ermittelte Kapazität von 442 Studienplätzen nicht ausgeschöpft ist, weil sich nur 439 Studien-anfänger nach den Verhältnissen des Wintersemesters 2006/2007 immatrikuliert haben.

2. Die Antragstellerin hat nach der bei Erschütterung der angefochtenen Entscheidung von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung durch das Beschwerdegericht auch einen Anspruch auf die begehrte Zulassung zum Studium der Medizin bei der Antragsgegnerin nach den Verhältnissen des Berechnungszeitraums 2006/2007 glaubhaft gemacht, weil in diesem Studiengang hinreichend wahrscheinlich im Berechnungszeitraum mindestens 451 Studienplätze zur Verfügung stehen dürften. Für die Verteilung in den noch anhängigen Beschwerdeverfahren stehen damit 12 Studienplätze zur Verfügung, von denen einer der Antragstellerin zugeteilt werden kann.

a) Die Antragsgegnerin hat in ihrem Kapazitätsbericht 2006/2007 für die Lehreinheit Vorklinische Medizin zum Wintersemester 2006/2007 eine Aufnahmekapazität von 406 Studienplätzen errechnet. Mit seinem Beschluss vom 3. November 2006 hat das Verwaltungsgericht diese Berechnung zu Gunsten der Studienbewerber korrigiert. Die Antragsgegnerin hat diese Korrektur mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2006 in den eigenen Beschwerdeverfahren mit zwei Ausnahmen akzeptiert. Sie ist der Auffassung, dass die zum Berechnungsstichtag unbesetzten Stellen Nr. 30002761 und Nr. 30000551 für wissenschaftliche Mitarbeiter im Angestelltenverhältnis entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit 9 SWS, sondern nur mit 4 SWS in die Berechnung einzustellen seien. Die Aufnahmekapazität betrage deshalb lediglich 430 Studienplätze. Das Beschwerdegericht kann für das vorliegende Beschwerdeverfahren offen lassen, ob für diese Stellen ein höheres Deputat als 4 SWS anzusetzen ist. Nach dem Erkenntnis-stand des Beschwerdeverfahrens besteht aus anderen Gründen - aufbauend auf der von der Antragsgegnerin akzeptierten Kapazitätsberechnung des Verwaltungsgerichts - eine noch nicht ausgeschöpfte Kapazität.

b) Aus dem von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren eingereichten Schreiben der Antragsgegnerin an ihre Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2007 ergibt sich, dass nach der Auflösung des Instituts für Zellbiochemie und Klinische Neurobiologie, das in der Kapazitätsberechnung zuletzt mit 19 SWS berücksichtigt wurde, mit Wirkung vom 1. Januar 2006 zwei Stellen in die Vorklinik verlagert worden sind. Die Stelle der wissenschaftlichen Angestellten Dr. (Planstelle Nr. 8759146) wird seitdem im Institut für Anatomie I und die Stelle C 2 des Professors Dr. (Planstelle Nr. 9347879) im Institut für Biochemie und Molekularbiologie II geführt. Beide Stellen sind in der Kapazitätsberechnung mit mindestens 4 SWS zu berücksichtigten.

c) Eine weitere Korrektur der Kapazitätsberechnung folgt aus dem Umstand, dass für den Diplom-Studiengang Biochemie-Molekularbiologie kein Dienstleistungsexport mehr anzusetzen ist. Ausweislich des Kapazitätsberichts 2006/2007 (S. 313 f.) wird dieser Studiengang von der Lehreinheit Biochemie/Molekularbiologie seit dem Wintersemester 2006/2007 im Hinblick auf neue Bachelor- und Masterstudiengänge nicht mehr für Studienanfänger angeboten. Die neuen "Molekular Life Sciences"-Studiengänge nehmen Curricularanteile der Lehreinheit Vorklinische Medizin nicht mehr in Anspruch (vgl. Kapazitätsbericht S. 318).

d) Schon diese in der Kapazitätsberechnung des Verwaltungsgerichts noch nicht berücksichtigten Umstände führen zu einer Kapazität von mindestens 451 Studienplätzen, so dass die übrigen zwischen den Beteiligten streitigen Fragen zur Aufnahmekapazität dahin gestellt bleiben können:

3. Für das Bestehen eines klinischen Engpasses nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 6, 18 KapVO, der zu einer Verminderung der Zulassungszahl führt, sind keine Anhaltspunkte gegeben. Nach der Berechnung im Kapazitätsbericht könnten bei einer Aufnahme von 377 Studenten in das 1. Klinische Semester unter Berücksichtigung der endgültigen Misserfolgsquote bei der Ärztlichen Vorprüfung von 3,88% und des vorklinischen Schwundes von 21,24% sogar 498 Studenten im 1. Fachsemester zugelassen werden.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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