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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.10.2005
Aktenzeichen: 3 Nc 37/05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 70 Abs. 1
VwGO § 70 Abs. 2
VwGO § 60 Abs. 4
1. Die Beweislast des Widerspruchsführers für den Zugang des Widerspruchs kehrt sich mit dem glaubhaft gemachten oder bewiesenen Absenden des Widerspruchsschreibens durch die Übergabe an die Post als einfacher Brief nicht um. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten für den Zugang nicht.

2. Hat die Behörde die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist (§§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 4 VwGO) bisher nicht getroffen, nimmt in einem anhängigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Gericht eine Prüfung der Erfolgsaussichten für eine Wiedereinsetzung vor.


3 Nc 37/05

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Jahnke und Fligge am 24. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. April 2005 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig.

Die Beschwerde ist fristgerecht erhoben. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist der Antragsgegnerin am 13. Mai 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Diese Datumsangabe in dem Empfangsbekenntnis ist für den Nachweis der Zustellung und deren Zeitpunkt maßgeblich, §§ 56 Abs. 2 VwGO, 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Die Beschwerde ist im Namen der richtigen Antragsgegnerin, nämlich der Universität Hamburg, und nicht etwa der Körperschaft "Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf" - UKE - erhoben worden. Sie ging fristgemäß innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO) am 25. Mai 2005 bei dem Verwaltungsgericht ein.

Die Beschwerde entspricht den Erfordernissen des § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Frau Dr. W. , die sie unterschrieben hat, ist zur Vertretung der Antragsgegnerin vor dem Beschwerdegericht befugt gewesen. Sie besitzt nach der Erklärung des Leiters der Rechtsabteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 27. Juli 2005 die Befähigung zum Richteramt. Der Präsident der Universität Hamburg hat Frau Dr. W. gemäß Vollmachtsurkunde vom 3. Januar 2005 bevollmächtigt, die Universität Hamburg in allen laufenden und künftigen Streitigkeiten betreffend die Zulassung zu den Studiengängen Humanmedizin und/oder Zahnmedizin sowie betreffend die Zulassung zu einzelnen Lehrveranstaltungen dieser Studiengänge gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Dass Frau Dr. W. Angestellte der rechtsfähigen Körperschaft "Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf" ist, schließt eine Vertretung der Universität Hamburg durch sie nicht aus. § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO ist auch nach der Änderung durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (v. 20.12.2001, BGBl. I S. 3987) nicht dahin zu verstehen, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts sich nur durch eigene Beamte oder Angestellte vertreten lassen kann. Streng genommen könnte sich die Universität Hamburg dann nicht einmal durch die bei ihr tätigen Beamten oder Angestellten mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen, weil diese Personen Bedienstete der Freien und Hansestadt sind. Die Vertretungsbefugnis ist hier wegen folgender besonderer Umstän-de gegeben: Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist eine Gliedkörperschaft der Universität Hamburg (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung der Körperschaft "Universitäts-klinikum Hamburg-Eppendorf" - UKEG - vom 12.9.2001, HmbGVBl. S. 375). Die Studien-gänge Medizin und Zahnmedizin sind solche der Universität Hamburg und nicht des Univer-sitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (vgl. § 1 der Verordnung über Zulassungsbeschränkun-gen an der Universität Hamburg v. 12.7.2005, HmbGVBl. S. 282). In Bezug auf Streitverfah-ren betreffend die Zulassung zu diesen Studiengängen nehmen die in der Rechtsabteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf tätigen Bediensteten materiell Aufgaben der Universität Hamburg wahr.

Die Beschwerde ist fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden. Die Beschwerdebegründung ist per Telefax am 13. Juni 2005 bei dem Beschwerdegericht eingegangen. Die Bevollmächtigung der Rechtsanwälte , , ist durch die Vorlage der von dem Präsidenten der Universität Hamburg unterzeichneten Prozessvollmacht vom 17. Mai 2005 nachgewiesen.

2. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat aus dem von ihr in der Beschwerdebegründung (S. 5) dargelegten Grund (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) des Eintritts der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides Erfolg. Weil nach dem Ergebnis summarischer Prüfung eine Pflicht der Antragsgegnerin zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist nicht besteht, ist auch ein mittels einstweiliger Anordnung durchsetzbarer Anspruch des Antragstellers auf Zulassung zum Studium der Zahnmedizin bei der Antragsgegnerin zum Wintersemester 2004/2005 nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit gegeben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. April 2005 ist deshalb zu ändern und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

a) Die Antragsgegnerin hat den Antrag des Antragstellers auf Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang Zahnmedizin zum Wintersemester 2004/2005 außerhalb der durch die Zulassungszahl festgesetzten Aufnahmekapazität mit Bescheid vom 7. Oktober 2004 abgelehnt. Den Ablehnungsbescheid hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers am 16. Oktober 2004 erhalten. Nach der Erklärung der Antragsgegnerin ist ein Widerspruchsschreiben vom 16. Oktober 2004, das die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstel-lers nach ihren Angaben am Abend des 18. Oktober 2004 mit einfacher Post abgesandt hat, bei ihr nicht eingegangen.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben. Ein schriftlicher Widerspruch wird mit dem Zugang bei der Behörde wirksam. Der Nachweis des Zugangs des Widerspruchsschreibens obliegt dem Widerspruchsführer. Der Antragsteller hat diesen Nachweis nicht geführt. Das Absenden des Widerspruchsschreibens auf dem Postweg, das der Beschwerdesenat als glaubhaft gemacht ansieht, löst entgegen der Ansicht des Antragstellers keine Zugangsfiktion und auch keine Umkehr der Beweislast aus. Die Vorschrift in § 149 BGB über verspätet zugegangene Annahmeerklärungen betrifft den Abschluss von Verträgen und ist schon darum nicht einschlägig. § 57 Abs. 2 VwGO verweist auf diese Vorschrift nicht. Die Beweislast des Widerspruchsführers für den Zugang des Widerspruchs kehrt sich mit dem glaubhaft gemachten oder bewiesenen Absenden des Widerspruchsschreibens nicht um. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten für den Zugang nicht. Es reicht deshalb nicht aus, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein der Post übergebener Brief den Empfänger auch erreicht. Dem Empfänger wäre es unmöglich, den Nichtzugang zu beweisen. Der Widerspruchsführer hat demgegenüber die Möglichkeit, Beweisvorsorge durch die Wahl entsprechender Versendungsformen zu treffen. Macht er hiervon keinen Gebrauch, trägt er die Gefahr, den Zugangsbeweis nicht erbringen zu können (vgl. zur entsprechenden Beweislast des Rechtsbehelfsführers nach der Abgabenordnung FG Hamburg, Urt. v. 7.5.1996 - II 100/95 -, Juris).

b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist kann dem Antragsteller nicht gemäß § 60 VwGO im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht gewährt werden. Zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist gemäß §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 4 VwGO die Antragsgegnerin berufen, die über den Widerspruch zu befinden hat. Die Beteiligten sind auf diese Rechtslage hingewiesen worden (Verfügung vom 7. Oktober 2005). Die Antragsgegnerin hat bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde über eine Wiedereinsetzung nicht entschieden. Das Beschwerdegericht prüft deshalb zur Gewährleistung des Rechtsschutzes im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahrens die Erfolgsaussichten für eine Wiedereinsetzung (vgl. zum Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO OVG Koblenz, Beschl. v. 11.9.1975 - 1 B 24/75 -, Juris).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung im Schriftsatz vom 12. August 2005 bietet nach dem Maßstab summarischer Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

(1) Der Wiedereinsetzungsantrag ist entgegen dem Erfordernis der §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz VwGO nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden. Diese Frist begann spätestens am 19. Juli 2005 und lief (spätestens) am 2. August 2005 ab.

Das Hindernis für das Einhalten der Widerspruchsfrist hatte darin bestanden, dass der Antragsteller den Zugang des Widerspruchsschreibens bei der Antragsgegnerin im Rahmen regelmäßiger Postlaufzeiten annahm. Dieser Annahme war mit dem Erhalt des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 5. Juli 2005 die Grundlage entzogen, weil diese darin die Einlegung eines Widerspruchs ausdrücklich bestritt. Damit war das bisherige Hindernis entfallen. Der Antragsteller bzw. seine Prozessbevollmächtigte wusste, dass der Zugangsnachweis wegen der Versendung des Widerspruchsschreibens mit einfacher Post nicht würde geführt werden können. Der Schriftsatz vom 5. Juli 2005 lag der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers spätestens bei der Verfertigung des Antwortschriftsatzes vom 19. Juli 2005 vor. Die Zwei-Wochenfrist für den Wiedereinsetzungsantrag lief danach am 2. August 2005 ab. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Antragsteller erst mit dem Schriftsatz vom 12. August 2005 beantragt. Der Schriftsatz vom 19. Juli 2005 enthielt ein Wiedereinsetzungsbegehren nicht.

(2) Eine Wiedereinsetzung ohne Antrag (§§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO) wird voraussichtlich nicht zu gewähren sein. Sie kann erfolgen, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist. Daran dürfte es hier fehlen. Der Antragsteller hat bis zum Ablauf der Zwei-Wochen-Frist am 2. August 2005 bei der Antragsgegnerin keinen förmlichen schriftlichen Widerspruch erhoben. Ein entsprechender Erklärungsgehalt wird auch nicht den Schriftsätzen vom 28. Juni 2005 und 19. Juli 2005 an das Beschwerdegericht zu entnehmen sein. Allerdings ist ein Nachholen der versäumten Rechts-handlung auch dann beachtlich, wenn dies schon vor Beginn der Antragsfrist geschehen ist (BVerwG, Urt. v. 28.11.1986, VBlBW 1987, S. 332). Ein Nachholen des Widerspruchs ist indes nicht dadurch erfolgt, dass mit dem Schriftsatz vom 28. Juni 2005 als Anlage ein Aus-druck des Textes des Widerspruchsschreibens vom 16. Oktober 2004 vorgelegt worden ist. Diese Anlage sollte das Vorbringen des Antragstellers belegen, dass im Oktober 2004 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid erhoben worden ist; ein erneutes Erheben des Widerspruchs liegt darin nicht. Gleiches gilt für den Schriftsatz vom 19. Juli 2005, mit dem der Vorgang der Widerspruchserhebung im Oktober 2004 näher dargestellt worden ist; auch dieser enthält keine Anhaltspunkte für eine gleichzeitige erneute Vornahme der versäumten Rechtshandlung, die im Übrigen gegenüber der Antragsgegnerin und nicht gegenüber dem Gericht vorzunehmen gewesen wäre.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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