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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 01.09.2005
Aktenzeichen: 4 Bf 441/01
Rechtsgebiete: BSHG, SBG XII


Vorschriften:

BSHG § 97 Abs. 2 Satz 4
SBG XII § 98 Abs. 2 Satz 4
§ 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG (jetzt § 98 Abs. 2 Satz 4 SGB XII) ist nach seinem Sinn und Zweck schon dann anzuwenden, wenn eine Mutter ihr Kind auf dem Weg zur (bzw. kurz vor Erreichen) der (Geburts-)Klinik zur Welt bringt.
4 Bf 441/01

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel, Pauly und Wiemann sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Kaufhold und Hinze für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. November 2001 geändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten, die er dem Hilfeempfänger K. in der Zeit ab dem 28. Juni 1995 während des Aufenthalts in der Familienpflegestelle S. in Wedel, längstens bis zum Eintritt der Volljährigkeit, geleistet hat.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die dem Hilfeempfänger K. während seines Aufenthalts in einer Familienpflegestelle gewährten Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten.

Der Hilfeempfänger wurde am 29. April 1985 in einem Rettungswagen auf dem Weg in das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) geboren. Er blieb mit seinem Zwillingsbruder zunächst auf der Säuglingsstation des UKE. Am 15. Juli 1985 wurden beide in das Säuglingsheim Großborstel in Hamburg verlegt. Auf Grund einer Rötelninfektion der im Bereich der Beklagten lebenden Mutter während der Schwangerschaft bestehen bei dem Hilfeempfänger Herzfehler, Hirnschäden, beidseitige Taubheit und eine autistische Erkrankung. Seit dem 5. September 1987 wurde der Hilfeempfänger gemeinsam mit seinem Bruder in der Familienpflegestelle S. in Wedel (Kreis Pinneberg, Schleswig-Holstein) betreut. Seit April 2003 befindet sich der Hilfeempfänger in einer stationären Einrichtung im Kreis Pinneberg. Der Kläger gewährte dem Hilfeempfänger während der Unterbringung in der Pflegestelle S. Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG. Daneben bewilligte die Beklagte Jugendhilfe nach §§ 27, 33 SGB VIII (Vollzeitpflege).

Mit Schreiben vom 28. Juni 1996 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Kostenerstattung für die gewährten Leistungen gemäß § 104 BSHG geltend. Die Beklagte erkannte den Erstattungsanspruch zunächst an und bat um eine Kostenaufstellung. Der Kläger bezifferte die Kosten für die gastweise Unterbringung des Hilfeempfängers in der F. Stiftung im Juli 1995 sowie die Kosten für therapeutische Sitzungen im Hamburger A Institut von Juni 1995 bis Juni 1997 auf insgesamt 23.938,64 DM.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11. September 1997 mit, dass der Kostenbetrag nicht angewiesen werde. Sie sei seit dem 1. Januar 1994 für derartige Kosten nicht mehr für erstattungspflichtig. Das Anerkenntnis vom 28. April 1997 werde zurückgezogen.

Der Kläger hat am 6. April 1999 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Hilfeempfänger habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in der Pflegestelle im Bereich der Beklagten begründet. Bei dem Hilfeempfänger liege eine Behinderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG vor, die ergänzende Hilfemaßnahmen erforderlich mache. Die Kosten hierfür habe er, der Kläger, im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen. Dabei sei zunächst die Tatsache übersehen worden, dass der Hilfeempfänger seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Beklagten begründet habe. Nach geänderter Rechtsauffassung handele es sich bei § 104 BSHG um eine den § 97 Abs. 2 BSHG ergänzende Zuständigkeitsnorm, die die Zuständigkeit der Beklagten begründet habe.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Sozialhilfeaufwendungen für das Kind K., geboren am 29. April 1985, gemäß § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I, hilfsweise gemäß § 105 SGB X ab dem 28. Juni 1995 bis auf Weiteres zu erstatten;

2. festzustellen, dass in diesem Fall die Zuständigkeit der Beklagten gemäß §§ 104, 97 Abs. 2 BSHG gegeben sei.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages im Wesentlichen vorgetragen: § 104 BSHG erfasse keine teilstationären und ambulanten Maßnahmen. Die Zuständigkeit für diese Hilfen richte sich bei einer Pflegestellenunterbringung allein nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort des Hilfeempfängers. Insoweit habe der Kläger die streitigen Sozialhilfeleistungen als örtlich zuständiger Träger erbracht. Hierfür könne er keine Kostenerstattung verlangen. Zwar habe § 103 Abs. 1 BSHG a.F. die Regelung enthalten, dass alle "im Zusammenhang" mit einer Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung aufgewendeten Kosten zu erstatten seien. Da nach § 104 BSHG a.F. die Vorschrift des § 103 BSHG a.F. entsprechend gegolten habe, seien deshalb neben den Kosten für die Unterbringung in einer Pflegestelle auch die Kosten für eine teilstationäre oder ambulante Betreuung zu erstatten. Die Neufassung des § 103 Abs. 1 BSHG spreche dagegen nicht mehr ausdrücklich von den "im Zusammenhang" mit einer Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung aufgewendeten Kosten. Daraus ergebe sich, dass ab 1. Januar 1994 eine Rechtsgrundlage für eine Erstattung solcher Kosten neben der Hauptmaßnahme "Hilfe zur Erziehung in einer Pflegestelle" weggefallen sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. November 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei gemäß § 97 Abs. 1 BSHG für die Bewilligung ambulanter Eingliederungshilfe örtlich zuständig. Zwar sei § 104 BSHG eine Zuständigkeitsnorm; sie erfasse jedoch nur die Kosten der Unterbringung in einer Familienpflegestelle selbst, nicht aber (auch) die im Zusammenhang damit stehenden Kosten. Das gelte insbesondere für während des Aufenthalts in einer Pflegefamilie anfallende zusätzliche Kosten für ambulante oder teilstationäre Hilfemaßnahmen. Diese Beschränkung ergebe sich aus der Neufassung der § 103 Abs. 1 BSHG und § 97 Abs. 2 BSHG, in denen die "im Zusammenhang" mit dem Aufenthalt in einer Einrichtung aufgewendeten Kosten nicht (mehr) erwähnt seien. Deshalb richte sich die Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG nach dem Ort seines tatsächlichen Aufenthalts des Hilfeempfängers, so dass der Kläger für diese Leistungen zuständig (gewesen) sei.

Der Kläger trägt zur Begründung der vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts würden in Familienpflegefällen auch sog. Zusammenhangskosten von §§ 97 Abs. 2, 104 BSHG erfasst. Das sei zwischenzeitlich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2003 (BVerwGE 119, 356) entschieden. Nach dieser Entscheidung sei davon auszugehen, dass die Beklagte nach § 104 i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG für die von ihm gegenüber dem Hilfeempfänger erbrachten Sozialhilfeleistungen örtlich zuständig gewesen sei. Dieser habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem ersten Einrichtungsaufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehabt. Soweit die Beklagte das mit dem Hinweis darauf bestreite, der Hilfeempfänger sei auf dem Weg zum UKE in einem Rettungswagen geboren worden, sei dem nicht zu folgen. Insoweit stehe der Hilfeempfänger einem anstaltsgeborenen Kind gleich. Bei diesem sei nach § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG darauf abzustellen, wo die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe. Das sei hier Hamburg gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. November 2001 zu ändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten, die er dem Hilfeempfänger K. in der Zeit ab dem 28. Juni 1995 während des Aufenthalts in der Familienpflegestelle S. in Wedel, längstens bis zum Eintritt der Volljährigkeit, geleistet hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) sei zwar geklärt, dass in den Fällen des § 104 BSHG die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für Zusammenhangskosten sich nach § 97 Abs. 2 BSHG bestimme. Voraussetzung für ihre Zuständigkeit sei aber, dass der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG tatsächlich in Hamburg gehabt bzw. überhaupt einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Daran fehle es. Der Hilfeempfänger sei nicht in einer Einrichtung im Sinne des § 105 BSHG (alt) bzw. des § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG geboren worden, sondern im Rettungswagen auf dem Weg in das Krankenhaus. Vom Krankenhaus sei er in ein Kinderheim verlegt worden und von dort in die Pflegestelle S. übergetreten. Somit habe der Hilfeempfänger zu keiner Zeit bei seiner Mutter in Hamburg gelebt und in ihrem Zuständigkeitsbereich keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. In einem solchen Fall sei der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhalte. Dies sei vorliegend der Bereich des Klägers.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Der Kläger kann unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts die Feststellung beanspruchen, dass die Beklagte ihm zur Erstattung der Sozialhilfeleistungen verpflichten ist, die er dem Hilfeempfänger ab dem 28. Juni 1995 während seines Aufenthalt in der Familienpflegestelle S. gewährt hat. Diese Aufwendungen hat der Kläger als unzuständiger Träger der Sozialhilfe erbracht.

Die geltend gemachten Erstattungsansprüche für die streitigen Sozialhilfeaufwendungen ergeben sich aus § 102 Abs. 1 Satz 1 SGB X, soweit der Kläger auf Grund gesetzlicher Verpflichtung - hier als zuerst angegangener Sozialhilfeträger nach § 43 SGB I - die Leistungen wegen des Zuständigkeitsstreits mit der Beklagten vorläufig erbracht hat. Soweit der Erstattungsanspruch des Klägers den streitigen Zeitraum vor Beginn des Zuständigkeitsstreits umfasst, ist das Erstattungsbegehren aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X begründet. Für beide Zeiträume ist festzustellen, dass der Kläger die Eingliederungshilfe, die der Hilfeempfänger unstreitig beanspruchen konnte, als unzuständiger Leistungsträger erbracht hat. Unstreitig ist, dass es sich bei den Hilfen, die der Kläger dem minderjährigen, körperlich und geistig behinderten Hilfeempfänger gewährt hat (u.a. Sitzungen im Hamburger A Institut, pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum durch die Träger "L e.V.") um Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG) und nicht um Jugendhilfeleistungen nach § 35 a SGB VIII handelte. Örtlich zuständig und zur Leistungsgewährung verpflichtet war die Beklagte. Ihre örtliche Zuständigkeit ergab sich aus § 104 i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG. Dazu im Einzelnen:

Für den Fall, dass wie hier ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht ist, gelten gemäß § 104 BSHG die Vorschriften des § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG entsprechend. Insoweit ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2003 (a.a.0.) § 104 BSHG (neben der Regelung der Kostenerstattung) auch eine Zuständigkeitsregelung. Dabei setzt die in entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG begründete Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe des Herkunftsortes nicht voraus, dass die Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen bereits ihrerseits eine sozialhilferechtliche Maßnahme ist, und erfasst diese Zuständigkeit alle Sozialhilfeleistungen in der Zeit, in der das Kind oder der Jugendliche in einer Pflegefamilie oder bei einer Pflegeperson untergebracht ist. Dem steht nicht entgegen, dass es sich in dem vorliegenden Fall (teilweise) um sog. Zusammenhangskosten (Eingliederungshilfe für Kinder oder Jugendliche, die neben bzw. außerhalb der Hilfe in der Familienpflegestelle erbracht wird) handelt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem o.g. Urteil vom 17. Dezember 2003 entschieden, dass jedenfalls für den Fall einer - hier über § 104 BSHG - entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG die Vorschrift auch für Zusammenhangskosten anzuwenden ist (vgl. auch Urt. v. 16.12.2004 - 5 C 25.04 - , juris, dort zur Zuständigkeit für die Blindenhilfe [als "Zusammenhangskosten"] bei stationäre Unterbringung). Dieser Auslegung des § 104 BSHG durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schließt sich das Berufungsgericht an. Soweit es im Urteil vom 1. Februar 2002 (NDV-RD 2002, 44 = ZfJ 2002, 434 = NordÖR 2003, 42) die Auffassung vertreten hat, diese Vorschrift sei keine (§ 97 BSHG ergänzende) Zuständigkeitsregelung, bzw. im weiteren Urteil vom 14. Januar 2004 (ZFSH/SGB 2004, 428 = NordÖR 2004, 305) bei Familienpflegefällen sog. Zusammenhangskosten nicht als erstattungsfähig angesehen hat, wird hieran nicht festgehalten.

Danach war die Beklagte für die dem Hilfeempfänger in der Familienpflegestelle gewährte Eingliederungshilfe nach §§ 97 Abs. 2, 104 BSHG örtlich zuständig. Denn dem Hilfeempfänger war gemäß § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG der gewöhnliche Aufenthalt seiner Mutter als eigener gewöhnlicher Aufenthalt zuzurechnen. Die von der Beklagten dagegen im Berufungsverfahren vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

Die Zuständigkeit der Beklagten für die streitigen Sozialhilfeleistungen wird insbesondere nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass der Hilfeempfänger, dessen Mutter unstreitig ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg hatte , in einem Rettungswagen geboren worden ist und dass er sich danach bis zu seiner Aufnahme in der Pflegestelle S. durchgängig in vollstationären Einrichtungen (zunächst Säuglingsstation des UKE, danach Säuglingsheim Hamburg-Großborstel) aufgehalten hat. Zwar hat der Hilfeempfänger in den Hamburger Einrichtungen nach § 109 BSHG keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen können. Insoweit ist jedoch von einer sog. Einrichtungskette im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 2 BSHG auszugehen, nach der für die örtliche Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthaltsort des Hilfeempfängers maßgeblich ist, den er vor der Aufnahme in die erste Einrichtung hatte. Das war im vorliegende Fall Hamburg.

Zwar hat der Hilfeempfänger hier vor der Aufnahme in das Universitätskrankenhaus Eppendorf (als erster Einrichtung der "Kette") selbst keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg begründen können, da er nicht in der (Hamburger) Wohnung seiner Mutter zur Welt gekommen, sondern auf dem Weg in die Klinik in einem Rettungswagen geboren worden ist. Das hat entgegen der Auffassung der Beklagten aber nicht zur Folge, dass dem Hilfeempfänger Hamburg nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zugerechnet werden kann. Vielmehr ist hier Satz 4 BSHG dieser Vorschrift anzuwenden. Danach tritt an die Stelle des gewöhnlichen Aufenthalts des Neugeborenen der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter, wenn das Kind in einer Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG geboren wird. Diese Vorschrift ist entgegen der Ansicht der Beklagten hier anzuwenden.

Es ist unstreitig, dass das Universitätskrankenhaus Eppendorf als Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 2 BSHG anzusehen ist (vgl. dazu Abs. 4 der Vorschrift). Diese Regelung ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausschließlich auf Klinkgeburten im engeren Sinne anzuwenden. Bei dieser Auslegung lässt die Beklagte im Übrigen offen, ob sich § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG jedenfalls (noch) auf den gesamten Bereich einer Klinik bezieht - der hier sehr weitläufig ist und im vorliegenden Fall die Möglichkeit einschließt, dass der Hilfeempfänger zwar im Rettungswagen, aber bereits im Bereich des UKE auf die Welt gekommen ist - oder ob die Norm nach ihrer Auffassung Geburten ausschließlich in der Entbindungsstation des Krankenhauses erfasst. Auf diese (räumlichen) Besonderheiten ist hier im Ergebnis nicht entscheidungserheblich abzustellen und ist der Sachverhalt insoweit nicht weiter aufzuklären. Denn § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG ist nach seinem Sinn und Zweck schon dann anzuwenden, wenn eine Mutter ihr Kind auf dem Weg zur (bzw. kurz vor Erreichen) der (Geburts-)Klinik zur Welt bringt. Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

Durch Satz 4 des § 97 Abs. 2 BSHG soll offenkundig - wie durch die Zuständigkeitsvorschrift insgesamt - der Ort der (Geburts-)Einrichtung geschützt werden, soweit sich nach der Geburt die Notwendigkeit eines längeren stationären Aufenthalts des Neugeborenen in der Klinik anschließt. Die Vorschrift ist deshalb nicht eng, d.h. allein auf den räumlichen Bereich der Klinik (oder gar allein auf die Entbindungsstation) auszulegen. Dann würde § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG das vom Gesetzgeber in Verbindung mit Satz 1 dieser Vorschrift verfolgte Ziel verfehlen, dass in Geburtsfällen nicht der Ort der (Geburts-)Einrichtung, sondern der gewöhnliche Aufenthaltsort der Mutter für die örtliche Zuständigkeit - und damit für die entsprechende Lastenverteilung - ausschlaggebend sein soll. Dieses gesetzgeberische Ziel und der aus der Zuständigkeitsverteilung folgende Schutz der Einrichtungsorte wird durch eine Auslegung des § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG sichergestellt, die den sog. anstaltsgeborenen Kindern, die den gewöhnlichen Aufenthalt ihrer Mutter teilen, diejenigen Kinder gleichstellt, die auf dem Weg in die Geburtsklinik geboren werden (ebenso Schoch, in LPK-BSHG, § 97 Rdnr. 47).

Dagegen würde mit der von der Beklagten vorgebrachten Auffassung, § 97 Abs. 2 BSHG Satz 4 erfasse ausschließlich die Geburt in der Klinik bzw. der Entbindungsstation und hier habe der Hilfeempfänger deshalb in ihrem Zuständigkeitsbereich keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, unterstellt, dass der Gesetzgeber es in bestimmten Fällen hat hinnehmen wollen, dass einem neugeborenen Kind, dessen Mutter einen gewöhnlichen Aufenthalt besitzt, bei einem sich unmittelbar an die Geburt anschließenden Einrichtungsaufenthalt gleichwohl kein eigener gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne von § 92 Abs. 2 Satz 1 BSHG zuzurechnen ist. Denn wenn ein Kind durch eine Hausgeburt zur Welt kommt oder danach in eine Klinik eingeliefert wird, erwirbt es grundsätzlich mit der Geburt den gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter (vgl. Bräutigam in: Fichtner, BSHG 2. Aufl., § 97 Rdnr. 35). In diesen Fällen richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die Anstaltsunterbringung (mit dem daraus folgenden Schutz des Einrichtungsortes) unstreitig nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG, soweit die Mutter (und das Neugeborene) ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht am Ort der Einrichtung haben. Wird das Kind dagegen in einer Klinik geboren, greift Satz 4 dieser Vorschrift mit derselben Schutzwirkung ein, soweit auch hier die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht am Ort der Einrichtung hat.

Mit diesem System der Zuständigkeits- und Lastenverteilung in Geburtsfällen ist die von der Beklagten vertretene enge Auslegung des § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG nicht vereinbar. Sie würde zu einer - von dem Gesetzgeber offenbar nicht gewollten - Regelungslücke in den Fällen führen, in denen einerseits eine Hausgeburt nicht stattgefunden hat bzw. abgebrochen und in der Klinik fortgesetzt werden musste, und andererseits das Kind nicht (erst) "in der Klinik", sondern schon auf dem Weg dorthin bzw. vor dem Eintreffen seiner Mutter zur Welt gekommen ist. Insoweit wäre es - wie dargelegt - mit Sinn und Zweck des § 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG nicht vereinbar, diese Regelung in den letztgenannten Geburtsfällen nicht anzuwenden und dem Kind die Zurechnung des gewöhnlichen Aufenthalts seiner Mutter vorzuenthalten.

Auch die weiteren Voraussetzungen des streitigen Erstattungsanspruchs sind nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X bzw. nach § 102 SBG X i.V.m. 43 SGB I für die hier jeweils maßgeblichen Zeiträume gegeben. Der Kläger hat die Sozialhilfe gegenüber dem Hilfeempfänger bis zum Beginn des Zuständigkeitsstreits (Zugang des Schreibens des Klägers vom 28. Juni 1996 bei der Beklagten) zunächst erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorlagen. Der Kläger war bis dahin nicht auf Grund gesetzlicher Verpflichtung zur Vorleistung der Eingliederungshilfe verpflichtet. Weder lag ein Eilfall im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG vor - mit der Folge der dann vorrangigen Erstattung nach § 103 Abs. 1 BSHG - noch war der Kläger wegen eines Zuständigkeitsstreits nach § 43 Abs. 1 SGB I verpflichtet, dem Hilfeempfänger die Eingliederungshilfe vorläufig zu gewähren.

Der Kläger hat bei der Geltendmachung seines Erstattungsanspruchs auch die Ausschlussfrist nach § 111 SGB X beachtet (ein Jahr nach Ablauf des letzten Tages, für den die Hilfe erbracht wurde). Er hat seine Ansprüche auf Aufwendungsersatz für den Hilfeempfänger in dem Schreiben vom 28. Juni 1996 gegenüber der Beklagten auf die Zeit ab dem 28. Juni 1995 beschränkt. Insoweit stand dem Erstattungsanspruch auch § 105 Abs. 3 SGB X nicht entgegen. Die Beklagte, die dem Hilfeempfänger ebenfalls im fraglichen Zeitraum umfangreiche (Jugendhilfe-)Leistungen gewährt hat, hat nicht geltend gemacht - und dies ergibt sich auch nicht aus den beigezogenen Akten - , dass ihr die Voraussetzungen für die Eingliederungshilfe nicht bekannt gewesen sind.

Soweit der Kläger die Erstattung der Sozialhilfeaufwendungen geltend macht, die er nach dem Zuständigkeitsstreit erbracht hat, kann er diesen Anspruch auf § 102 SBG X i.V.m. 43 SGB I stützen. Der Kläger hat insoweit Sozialhilfe gemäß § 43 SGB I (nur) vorläufig erbracht. Auch hinsichtlich dieses Zeitraums ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Hilfeempfänger die Leistungen beanspruchen konnte. Somit konnte der Kläger als zuerst angegangener Träger die Leistungen erbringen. Ihm steht deshalb gemäß § 102 Abs. 1 SGB X ein Erstattungsanspruch zu, da die Beklagte aus den o.g. Gründen als der örtlich zuständige Leistungsträger anzusehen ist.

II.

Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit für das gesamte Verfahren beruht auf § 188 Satz 2 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung. Der Ausschluss der Gerichtskostenfreiheit für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern in § 188 Satz 2 zweiter Halbsatz VwGO durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) ist hier noch nicht anzuwenden, weil der Kläger den Zulassungsantrag noch vor dem Inkrafttreten der Neuregelung gestellt hat (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 5.5.2004, 5 KSt 1/04, 5 KSt 1/04 und 5 C 54/02, juris).

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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