Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.05.2006
Aktenzeichen: 4 Bs 129/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 a Abs. 2
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Abschiebung eines bestandskräftig ausgewiesenen ausländischen Vaters, der mit einem deutschen Kleinkind in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, nach § 60 a Abs. 2 AufenthG auszusetzen ist.
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

4 Bs 129/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel und Wiemann sowie die Richterin Carstensen am 15. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 11. Mai 2006 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. April 2006 auszusetzen.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des gesamten Verfahrens je zur Hälfte.

Gründe:

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat teilweise Erfolg.

1. Der 1981 geborene Antragsteller, der nach eigenen Angaben aus Burkina Faso stammt, reiste Anfang 2000 in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt im Februar desselben Jahres als offensichtlich unbegründet ab; zugleich drohte es ihm die Abschiebung in den Herkunftsstaat an. Die Antragsgegnerin, die den Antragsteller nach Anklageerhebung wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz mit Bescheid vom 16. Juni 2001 bestandskräftig ausgewiesen hatte, erteilte ihm wegen fehlender Reisedokumente jeweils befristete Duldungen. Der Antragsteller lebt nach eigenen Angaben seit August 2002 mit der deutschen Staatsangehörigen K zusammen, mit der er ein (im November 2004 geborenes) gemeinsames Kind hat. Die Antragsgegnerin, die den im Januar 2005 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung zwischenzeitlich mit Bescheid vom 3. April 2006 abgelehnt hat, beabsichtigt, den Antragsteller am 16. Mai 2006 nach Guinea abzuschieben. Seinen am 30. März 2006 gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt: Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nicht glaubhaft gemacht. Dass die Antragsgegnerin Guinea als Zielstaat der Abschiebung erst nachträglich festgelegt habe, hindere die bevorstehende Aufenthaltsbeendigung nicht. Das gelte auch für die Behauptung des Antragstellers, er besitze die Staatsangehörigkeit des Zielstaates Guinea nicht. Dieser Umstand stelle kein tatsächliches Abschiebungshindernis dar, da Guinea der Einreise des Antragstellers zwischenzeitlich zugestimmt habe. Die Abschiebung sei auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Dem Wunsch des Antragstellers nach Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Kind habe die Antragsgegnerin bei der Entscheidung über seine Abschiebung - wie bei einer zu unterstellenden Ermessensentscheidung über eine Ausweisung - den Nachrang einräumen dürfen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung neuer Straftaten. Der Antragsteller habe seit seiner Einreise fortlaufend Straftaten aus dem Bereich der Gewalt- und Betäubungsmittelkriminalität begangen. Er sei deshalb im September 2001 vom Landgericht Hamburg zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe sowie im März 2005 (gemeint ist: 2006) vom Amtsgericht Hamburg zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Schon daraus - und unabhängig von weiteren Anzeigen und staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren - ergebe sich eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Die günstige Sozialprognose des Amtsgerichts, das die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt habe, sei insoweit nicht nachvollziehbar. Angesichts der Gefahren, die danach von dem Antragsteller ausgingen, seien ihm und seinem Kind die für den Fall der Abschiebung zu erwartenden Nachteile zuzumuten.

2. Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) keinen Bestand haben. Sie ist auf den Antrag des Antragstellers abzuändern, und ihm ist der begehrte einstweilige Abschiebungsschutz jedenfalls für die Dauer des Widerspruchsverfahrens betreffend die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis vom gewähren (a.). Dagegen muss die Beschwerde ohne Erfolg bleiben, soweit der Antragsteller darüber hinaus die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aussetzung der Abschiebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag begehrt (b.).

a. Der Antragsteller hat mit seiner Beschwerdebegründung die Annahme des Verwaltungsgerichts ausreichend widerlegt, dass seine Abschiebung trotz bestehender familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Kleinkind deshalb nicht nach § 60 a Abs. 2 AufenthG auszusetzen sei, weil eine erhebliche Gefahr bestehe, dass er bei einem Verbleib im Bundesgebiet schwere Straftaten aus dem Bereich der Gewalt- und Drogenkriminalität begehen werde. Dabei kann dahinstehen, ob dem rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, wonach ein aus Art. 6 GG folgender Abschiebungsschutz - nur - in Betracht komme, wenn aus Gründen des Familienschutzes eine Ausweisung des ausländischen Elternteils eines deutschen Kindes keinen Bestand haben könne. Das könnte insbesondere dann nicht ausreichend sein, wenn das Verwaltungsgericht eine - wie hier - nach § 54 Nr. 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 5 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisungsverfügung einer bloßen fiktiven Überprüfung auf etwaige Ermessensfehler unterzieht. Denn im vorliegenden Fall liegt die Entscheidung der maßgeblichen Frage, ob die Abschiebung des Antragstellers aus rechtlichen Gründen im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG unmöglich ist - und deshalb die Abschiebung für die Dauer des Vorliegens dieses Abschiebungshindernisses auszusetzen ist - nicht im Ermessen der Ausländerbehörde. Vielmehr ist die Versagung der Duldung durch die Antragsgegnerin einer vollen gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Im Übrigen würde die (fiktive) Annahme einer fehlerfrei möglichen Ausweisung nicht in jedem Fall und zwangsläufig zu der Feststellung führen, dass deshalb zugleich die Abschiebung nicht nach § 60 a Abs. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen, insbesondere wegen eines nach Art. 6 GG gebotenen Familienschutzes vorläufig auszusetzen ist. Das könnte etwa dann anzunehmen sein, wenn nach Verwirkung eines Ausweisungstatbestandes nach § 53 AufenthG dem öffentlichen Interesse an der Ausweisung des ausländischen Elternteils gegenüber familiären Gründen der Vorrang einzuräumen ist, gleichwohl aber auf Grund besonderer Umstände (wie etwa bei einem vorübergehenden krankheitsbedingten Ausfall eines Elternteils) das deutsche Kind in ganz besonderem Maße und für einen überschaubaren Zeitraum die Lebenshilfe des ausgewiesenen Elternteils benötigt (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung bei einem tatsächlichen Abschiebungshindernis OVG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2002, AuAS 2002, 139 = EzAR 033 Nr. 14).

Bei der danach gebotenen vollen Überprüfung der Frage, ob die Antragsgegnerin die Abschiebung des Antragstellers wegen des ggf. vorrangigen Schutzes der familiären Lebensgemeinschaft mit einem deutschen (Klein-)Kind nach § 60 a Abs. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen aussetzen muss, geht das Beschwerdegericht von den Grundsätzen aus, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 8. Dezember 2005 (FamRZ 2006, 187 ff.) und vom 23. Januar 2006 (2 BvR 1935/05, Juris) zu vergleichbaren Fallgestaltungen entwickelt hat. Es hat insoweit zunächst darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankomme, ob die von einem ausländischen Elternteil tatsächlich geleistete Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könne. Denn bei einer Vater-Kind-Beziehung komme hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich werde, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben könne. Das ist nach Auffassung des Beschwerdegerichts insbesondere auch dann von besonderer Bedeutung, wenn - wie hier - das deutsche (Klein-)Kind wegen seiner dunklen Hautfarbe zu seiner Selbstfindung und wegen dieser "Besonderheit" in Bezug auf seine Umgebung in der Regel auf die Anwesenheit und den Beistand des farbigen Elternteils angewiesen ist. Weiter hat das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen betont, dass bei der Auslegung und Anwendung der ausländerrechtlichen Vorschriften - hier insbesondere der §§ 25 Abs. 5, 60 a Abs. 2 AufenthG - auch angemessen zu berücksichtigen sei, dass durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) die Rechtspositionen des Kindes und seiner Eltern sowohl hinsichtlich des gemeinsamen Sorgerechts als auch hinsichtlich des Umgangsrechts gestärkt worden seien. Seither sei deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei. Dabei seien die Belange der Eltern und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, a.a.O.; v. 23.1.2006, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 20.2.2003, BVerwGE 117, 380, 390 f.). Ferner hat das Bundesverfassungsgericht in dem zitierten Beschluss vom 23. Januar 2006 (a.a.O.), der ebenfalls die Duldung eines wegen Betäubungsmittelhandels (dort Heroin) abgeurteilten und bestandskräftig ausgewiesenen Vaters eines deutschen Kindes betraf, ausdrücklich betont, dass bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Duldungsversagung trotz Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft auch Feststellungen hinsichtlich des Trennungszeitraums geboten seien und dass besonders bei noch sehr kleinen Kindern eine räumliche Trennung von dem ausländischen Elternteil im Einzelfall unzumutbar lang sein könne. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ebenfalls ausgeführt, dass auch gewichtige familiäre Belange sich nicht stets und ausnahmslos gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen müssten. Insoweit sei ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt des Ausländers sprechenden Gründen dann in Betracht zu ziehen, sofern der ausländische Elternteil, der wegen Betäubungsmitteldelikten oder anderer erheblicher Straftaten verurteilt und ausgewiesen worden sei, sich insbesondere nach der Geburt eines Kindes nicht in seiner Lebensführung gewandelt habe und wenn von ihm weiterhin die Gefahr neuer Straftaten ausgehe (vgl. Beschl. v. 23.1.2006, a.a.O.).

Bei der nach diesen Grundsätzen gebotene Abwägung des Schutzes der Familie des Antragstellers einerseits und den von der Antragsgegnerin geltend gemachten öffentlichen Interessen an seiner Aufenthaltsbeendigung andererseits ist nach derzeitigem Erkenntnisstand den geltend gemachten privaten Belangen der Vorzug einzuräumen. Dementsprechend sind der Antragsteller und seine Familie zunächst von den schwerwiegenden und voraussichtlich irreparablen Folgen einer Abschiebung nach Guinea zu verschonen. Dazu im Einzelnen:

In die Abwägung sind zunächst wie ausgeführt (neben der von den Beteiligten nicht bestrittenen Tatsache des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft als solcher) der tatsächliche Umfang der Unterstützung und der Betreuungsleistungen des Antragstellers sowie die sich daraus ergebende konkrete Intensität der Vater-Kind-Bindung einzustellen. Dazu hat der Antragsteller vorgetragen, dass er seit Jahren mit Frau K, der Mutter seines Kindes, zusammenlebe, und dass er seine Verlobte nach Erhalt der notwendigen Papiere heiraten wolle. Um seinen Sohn kümmere er sich intensiv seit dessen Geburt im November 2004. Er wolle das gemeinsame Kind weiterhin betreuen und die Familie unterstützen, in der noch ein siebenjähriges Kind aus einer früheren Beziehung von Frau K lebe. Auch dieses Kind werde von ihm betreut und auch zu ihm bestehe eine intensive Bindung. Diese Angaben hat die Verlobte des Antragstellers in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 30. März 2006 im Wesentlichen bestätigt. Insoweit ist nach derzeitigem Erkenntnisstand von familiären Lebensverhältnissen auszugehen, in denen insbesondere das erst eineinhalb Jahre alte Kind zu seinem Wohl auf die ununterbrochene Anwesenheit und den persönlichen Beistand des Antragstellers angewiesen ist.

Sofern die Antragsgegnerin gleichwohl (etwa auf Grund neuer Erkenntnisse) Zweifel an einer familiären Verbundenheit hegen sollte, bleibt es ihr unbenommen, dies im Lauf des anhängigen Widerspruchsverfahrens weiter aufzuklären. Dazu könnte sie ggf. eine entsprechende schriftliche Auskunft der Erziehungsberatungsstelle einholen, welche die Verlobte des Antragstellers in ihrer eidesstattlichen Versicherung genannt hat und die die Eltern nach Angaben von Frau K. in der Vergangenheit gemeinsam aufgesucht haben.

Auf der Grundlage der danach gegenwärtig anzunehmenden intensiven Vater-Kind-Bindung und entsprechender Lebenshilfe durch den Antragsteller sind sodann die Folgen seiner Abschiebung in den vorgesehenen Zielstaat Guinea für die Familie und insbesondere für sein Kind zu prognostizieren. Diese Folgen hängen ihrerseits (neben dem Alter des Kindes) vorrangig von dem voraussichtlichen Trennungszeitraum ab und können - etwa bei gänzlich ungewisser Rückkehrperspektive - in der endgültigen und irreparablen Auflösung der Familieneinheit für den Fall der Abschiebung des Antragstellers bestehen. Hiervon ist nach derzeitigen Kenntnisstand auszugehen.

Zunächst ist schon ungewiss, welches Schicksal den Antragsteller erwartet, sofern die Antragsgegnerin ihn tatsächlich nach Guinea abschieben sollte. Sie hat dazu vorgetragen, dass Angehörige der Botschaft dieses Staates (nach Durchführung eines Sammelinterviews) es für möglich gehalten hätten, dass der Antragsteller aus Guinea stamme und dass dieser Staat ihm zunächst die Einreise mit einem von der Botschaft ausgestellten Passersatz erlaube. Der Antragsteller hat jedoch stets an seiner Behauptung festgehalten, nicht Angehöriger des Staates Guinea zu sein. Dazu hat er nunmehr (in Ablichtung) einen Ausweis und eine Geburtsurkunde aus Burkina Faso eingereicht. Das lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass die Behörden Guineas nach Einreise des Antragsteller dessen Staatsangehörigkeit verneinen und ihm den weiteren Verbleib in ihrem Land nicht erlauben werden. Zu der Frage, wie Guinea in diesen Fall mit der Antragsteller verfahren wird, insbesondere ob und in welchen Staat er sodann abgeschoben werden wird, hat sich die Antragsgegnerin bisher nicht geäußert.

Darüber hinaus ist eine Rückkehr des Antragstellers in das Bundesgebiet auch deshalb gänzlich ungewiss, weil er vor einer Wiedereinreise zunächst das Verfahren zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung sowie vom Ausland aus das Sichtvermerksverfahren durchführen müsste. Die dafür anzusetzende Zeitspanne ist bei einer Abschiebung nach Guinea zum einen schon deshalb ungewiss, weil (wie oben dargelegt) ein Verbleib des Antragstellers in diesem Staat nicht gesichert ist. Zum anderen hat die Antragsgegnerin selbst keinen Zeitraum angegeben, innerhalb dessen die o.g. Verfahren abgeschlossen und dem Antragsteller ein Sichtvermerk für eine Wiedereinreise erteilt werden könnte. Sie hat lediglich ausgeführt, dass die Fernhaltung des Antragstellers, den sie als "notorischen Straftäter" bezeichnet, für eine gewisse Zeit unerlässlich sei (Schriftsatz vom 10.5.2006 an das Verwaltungsgericht). Bei diesem Sachstand ist deshalb davon auszugehen, dass durch die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Abschiebung die familiäre Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem deutschen (Klein-)Kind für eine nicht absehbare Zeit aufgehoben und damit im Ergebnis dauerhaft beendet würde.

Die damit für den Antragsteller und sein Kind verbundenen schwerwiegenden Folgen sind von diesen nach gegenwärtigem Erkenntnistand auch nicht deshalb hinzunehmen, weil ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft hinter einem etwaigen öffentlichen Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers zurücktreten muss. Das könnte zwar nach den oben genannten Grundsätzen dann in Betracht kommen, wenn ausreichende Anhaltspunkte eine erhebliche Gefahr dafür begründeten, dass der Antragsteller bei einem Verbleib im Bundesgebiet schwere Straftaten begehen wird. Für eine entsprechende Prognose liegen derzeit ausreichende Erkenntnisse nicht vor.

Allerdings ist das Verwaltungsgericht, das den Antragsteller in der angefochtenen Entscheidung als "unbelehrbaren gewaltbereiten Drogenstraftäter" bezeichnet hat, bei seiner Entscheidung von einer entsprechenden (Wiederholungs-)Gefahr ausgegangen. Die Beschwerde macht jedoch zutreffend geltend, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Strafurteile aus den Jahren 2001 und 2006 hierfür keine ausreichende Grundlage darstellen. Aus den dort abgeurteilten Taten lässt sich die Prognose des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller werde zukünftig schwere Straftaten aus dem Bereich der Gewalt- und Drogenkriminalität begehen, nicht mit der notwendigen Verlässlichkeit ableiten.

Der Verurteilung des Antragstellers durch das Landgericht Hamburg vom 24. September 2001 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten lagen im Wesentlichen Straftaten zugrunde, die der Antragsteller im Januar und März 2000 (unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln) und im Januar 2001 (schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) noch als Heranwachsender gegangen hat. Die drei Betäubungsmitteldelikte aus dem Jahr 2000 bezogen sich jeweils auf geringe Mengen (Verkaufserlöse jeweils unter 100 DM). Diese Straftaten, die das Landgericht auch (nur) nach dem Jugendstrafrecht geahndet hat, liegen nunmehr fünf bzw. sechs Jahre zurück. Die Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe hat das Amtsgericht Hamburg zudem mit Beschluss vom 25. Juli 2002 zur (zweijährigen) Bewährung ausgesetzt, und der Strafrest ist dem Antragsteller nach deren Ablauf erlassen worden.

Die vom Verwaltungsgericht weiter aufgeführte Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg vom 20. März 2006 (sieben Monate Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung) betraf eine Tat, die der Antragsteller am 5. August 2005 in einem Hamburger Lokal in erheblich alkoholisiertem Zustand begangen hat. Zwischen dieser Tat und der letzten, vom Landgericht Hamburg im September 2001 abgeurteilten Tat lag ein Zeitraum von mehr als vier Jahren. Von daher begegnet die - für die negative Prognose offenbar ausschlaggebende - Annahme des Verwaltungsgerichts erheblichen Bedenken, der Antragsteller habe im Bundesgebiet fortlaufend Straftaten aus dem Bereich der Gewalt- und Betäubungsmittelkriminalität begangen.

Die Beschwerde macht zudem geltend, dass sich das Verwaltungsgericht nicht über die günstige Sozialprognose des Amtsgerichts habe hinweg setzen dürfen, ohne seinerseits nachvollziehbare Gründe bzw. ausreichende Erkenntnisse für die von ihm angenommene Wiederholungsgefahr zu anzugeben. Dieser Einwand ist zutreffend.

Das Amtsgericht hat - unter Berücksichtigung der Vorverurteilungen - die gegen den Antragsteller verhängte Freiheitsstrafe von sieben Monaten gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt. Nach dieser Vorschrift kommt eine Strafaussetzung bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr nur in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Ferner hat das Strafgericht dabei namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Es kann nicht ohne Weiteres und ohne die Benennung konkreter Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass das Amtsgericht die danach für eine Strafaussetzung zur Bewährung erforderlichen Feststellungen insbesondere zu der Person des Antragstellers nicht getroffen hat und seine günstige Prognose - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht nachvollziehbar und deshalb unbeachtlich ist (zur Bedeutung der vergleichbaren Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2000, BVerwGE 112, 185 ff.). Vielmehr wird sich das Amtsgericht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben u.a. im Lauf der Verhandlung auch einen persönlichen Eindruck von dem Antragsteller verschafft haben. Davon ist nach der vorliegenden Urteilsbegründung auch hier auszugehen. Im Strafurteil ist u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller (dort: Angeklagter) in der Hauptverhandlung einen vernünftigen Eindruck gemacht habe. Er lebe in weitestgehend stabilen sozialen Verhältnissen, kümmere sich um seine Verlobte und sein Kind, und er bemühe sich um Arbeit (Urteilsausfertigung S. 7). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass für die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit bestand, insbesondere in der Hauptverhandlung etwaige Umstände vorzubringen, die aus ihrer Sicht ggf. bei der Entscheidung nach § 56 StGB hätten berücksichtigt werden müssen.

Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Entscheidung der Frage, ob die mit der Abschiebung des Antragstellers verbundenen schwerwiegenden Folgen für die Familie ausnahmsweise deshalb hinzunehmen sind, weil die Gefahr erheblicher Straffälligkeit besteht, grundsätzlich nur auf gesicherte (strafrechtliche) Erkenntnisse gestützt werden darf und dabei vorrangig auf Feststellungen in strafrechtlichen Verurteilungen abzustellen ist. Insoweit schließt es der oben näher dargelegte Grundrechtsschutz nach Art. 6 GG aus, dass die Ausländerbehörde die Familieneinheit durch Abschiebung des ausländischen Elternteils bereits auf der Grundlage (noch) nicht abgesicherter polizeilicher Mitteilungen, staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder einer (bloßen) Anklageerhebung dauerhaft beendet. Der aus derartigen Vorgängen ggf. folgende Anfangsverdacht betreffend die Begehung bestimmter Straftaten rechtfertigt es regelmäßig noch nicht, insbesondere auch den grundrechtlich geschützten Anspruch des deutschen Kindes auf Beibehaltung der Unterstützung und Betreuung durch seinen ausländischen Elternteil durch Abschiebung zu vereiteln.

Der Antragsgegnerin bleibt es insoweit unbenommen, während des anhängigen Widerspruchsverfahrens den weiteren Fortgang derjenigen Vorgänge zu verfolgen, die in der Aufstellung der Polizei vom 2. Mai 2006 aufgeführt sind. Dazu kann sie ggf. die Akten der Staatsanwaltschaft oder sonstige näheren Auskünfte anfordern. Soweit die im Schreiben der Polizei erwähnten Ermittlungsverfahren zu einer erheblichen Verurteilung des Antragstellers führen sollten, wird die Antragsgegnerin das bei ihrer Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. - sofern die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel auch weiterhin nicht erteilen sollte - bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 a Abs. 2 AufenthG entsprechend der Schwere etwaiger strafrechtlicher Verfehlungen berücksichtigen können.

b. Die Beschwerde bleibt dagegen ohne Erfolg, soweit der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aussetzung der Abschiebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag begehrt. Für einen derart weitreichenden vorläufigen Rechtsschutz besteht kein Anlass. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil sich die Umstände, die gegenwärtig für die Gewährung des begehrten Abschiebungsschutzes nach § 60 a Abs. 2 AufenthG von entscheidungserheblicher Bedeutung sind, im Verlauf des anhängigen Hauptsacheverfahrens ändern können. Das gilt namentlich für die Frage, inwieweit der Antragsteller weiterhin eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Kind aufrechterhält und es betreut bzw. die Familie unterstützt. Ferner könnte die Frage, ob die Gefahr besteht, dass der Antragsteller schwere Straftaten begeht und deshalb der Familienschutz ggf. zurückzutreten hat, dann anders zu beantworten sein, wenn er wegen erheblicher Straftaten verurteilt werden sollte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt in einem besonderen Beschluss.



Ende der Entscheidung

Zurück