Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.10.2002
Aktenzeichen: 4 Bs 257/02
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 44 a
VwGO § 91
VwGO § 146 Abs. 4
VwVfG § 29 Abs. 1 Satz 1
VwVfG § 29 Abs. 1 Satz 2
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes abweichend von § 44 a VwGO gegen behördliche Verfahrenshandlungen (hier: Akteneinsicht) isoliert Rechtsschutz begehrt werden kann.

2. Es spricht viel dafür, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Antragsänderung entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Beschränkungen dieses Rechtsmittels durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20 Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) - vgl. § 146 Abs. 4 VwGO n.F. - nicht zulässig ist.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

4 Bs 257/02

4. Senat

Beschluß vom 02. Oktober 2002

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Sinhuber und Pauly sowie die Richterin Haase am 2. Oktober 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 2. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es das Gericht unter Hinweis auf § 44 a VwGO abgelehnt hat, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Einsicht in die vollständige über sie geführte Ausländerakte zu gewähren, hat keinen Erfolg.

Mit ihrer Beschwerde legt die Antragstellerin keine Gründe dar, aus denen die angegriffene verwaltungsgerichtliche Entscheidung aufzuheben oder abzuändern ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).

In dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin, die einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gestellt hat, über den noch nicht entschieden worden ist, nicht selbstständig gegen die im Rahmen dieses Verfahrens verweigerte Akteneinsicht in die vollständige Ausländerakte vorgehen könne, sondern einen Rechtsbehelf hiergegen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen könne. Etwas anderes gelte erst dann, wenn die Verwehrung der Einsicht in die vollständige Akte, die auch die von der Antragsgegnerin eingeholte medizinische Bewertung von der Abteilung EL/A 3 umfasse, das Grundrecht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz verletze, so dass der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung zu Nachteilen führe, die in einem späteren gerichtlichen Verfahren nicht mehr vollständig zu beseitigen seien. Dieses sei aber in dem vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.

Mit ihrer Beschwerde rügt die Antragstellerin lediglich, dass das Verwaltungsgericht "nicht hinreichend" geprüft habe, ob sie in einem späteren Hauptsacheverfahren überhaupt noch effektiven Rechtsschutz zu erlangen vermag. Sie trägt aber nicht vor, worin konkret eine Beschränkung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz bestehen könnte. Insbesondere legt die Antragstellerin keine Nachteile dar, die sie erleiden könnte, wenn sie auf ein Vorgehen (erst) gegen die Sachentscheidung (über die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis) verwiesen wird. Sollte die Antragsgegnerin die Ablehnung einer Aufenthaltsbefugnis nunmehr - anders als in dem Bescheid vom 18. Januar 2001, in dem sie die Ablehnung auf § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gestützt hat - damit begründen, dass keine Duldungsgründe mehr vorlägen, weil die Gesundheit der Antragstellerin eine Abschiebung zulasse, so sind die für diesen ablehnenden Verwaltungsakt maßgeblichen medizinischen Bewertungen der Antragsgegnerin nicht mehr vorbereitende Arbeiten i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, sondern selbstverständlich als Verfahrensbestandteil zur Ausländerakte der Antragstellerin zu nehmen und sie unterliegen damit dem Akteneinsichtsrecht gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Hiervon geht auch - wie sich aus der von der Antragstellerin eingereichten Verfügung des Leiters des Sachgebiets E 440 vom 14. Februar 2002 (Bl. 80 der Akte) ergibt - die Antragsgegnerin aus. Die Antragstellerin legt mit ihrer Beschwerde nicht dar, dass der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung der Gewährung von Akteneinsicht in die vollständige Ausländerakte derzeit dazu führt, dass sie unzumutbare Nachteile erleidet, die in einem späteren Prozess nicht mehr beseitigt werden können. Sie zeigt keine Gründe dafür auf, dass der effektive Rechtsschutz gegen eine Ablehnung einer Aufenthaltsbefugnis für sie ohne Akteneinsicht vor einer ablehnenden Entscheidung unzumutbar erschwert wird.

Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang befürchtet, dass sie ohne Vorankündigung abgeschoben werden könnte, ist bereits zweifelhaft, ob diese Befürchtung im Zusammenhang mit ihrem Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis steht. Jedenfalls ist sie im Besitz einer Duldung, die in der Vergangenheit mehrfach verlängert wurde und nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin zur Zeit bis zum 21. Oktober 2002 befristet ist. Die Antragstellerin kann vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Duldung deren weitere Verlängerung beantragen und im Rahmen dieses Verfahrens neue aktuelle ärztliche Stellungnahmen zu der Frage ihrer Reisefähigkeit einreichen. Soweit die Antragsgegnerin zu einer anderen medizinischen Bewertung gelangen sollte, wird sie dies im Rahmen des Verfahrens auf Verlängerung der Duldung darlegen müssen. Wie sich aus dem Vermerk vom 1. Juli 2002 (Bl. 24 R der Akte) ergibt, hat die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren auf telefonische Nachfrage gegenüber dem Gericht erklärt, dass eine Abschiebung der Antragstellerin nicht ohne vorherigen Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung erfolgen werde. Jedenfalls kann die Antragstellerin, die seit mehr als einem Jahr im Besitz einer Duldung ist, nicht unverzüglich nach Erlöschen ihrer Duldung abgeschoben werden (§ 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG), so dass sie über ausreichende Zeit für die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz verfügt.

Die Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg, soweit die Antragstellerin mit ihr erstmals begehrt,

festzustellen, dass ihre Abschiebung vorläufig aus gesundheitlichen Gründen nicht verantwortet werden kann, so dass die Abschiebung derzeit gemäß § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG rechtlich unmöglich ist,

und

festzustellen, daß die Vorgehensweise entsprechend der "Dienstanweisung zum Umgang mit ärztlichen Attesten" vom 11.12.2001 - EL/V - rechtswidrig ist und der Antragsgegnerin zu untersagen, die Antragstellerin entsprechend Ziff. 7 der Dienstanweisung "ohne vorherige Ankündigung des konkreten Reisetermins" " in den frühen Morgenstunden festzunehmen, um sie mit Begleitung durch - E 4 - " abzuschieben.

Es spricht bereits viel dafür, dass eine derartige Erweiterung des Streitgegenstandes entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren unzulässig ist, weil sie nicht im Einklang steht mit den Vorschriften über das Beschwerdeverfahren in Eilsachen, wie sie durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) in Kraft getreten sind. Der Gesetzgeber hat, da die Einführung der Zulassungsbeschwerde mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626, 6. VwGOÄndG) nicht zu der gewünschten Beschleunigung der Beschwerdeverfahren geführt hat, diese wieder entfallen lassen (vgl. hierzu Begründung zum Entwurf der Bundesregierung BR-Drucksache 405/01 unter A. Zielsetzung und zu Nummer 14 b) und dafür in § 146 Abs. 4 VwGO nunmehr bestimmt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - zum einen - die Beschwerde begründet werden und der Beschwerdeführer die Gründe für eine Änderung bzw. Aufhebung der angefochtenen Entscheidung aufzeigen und sich mit ihr auseinander setzen muss (Sätze 1 und 3), und dass - zum anderen - das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung nur die dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese Vorschriften verdeutlichen, dass nach dem gesetzgeberischen Willen das Beschwerdeverfahren in Eilsachen möglichst zügig und beschränkt auf die Gründe durchgeführt werden soll, die in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem erstinstanzlichen Streitgegenstand von dem Beschwerdeführer geltend gemacht werden können. Eine Erweiterung des Streitgegenstandes im Beschwerdeverfahren um im erstinstanzlichen Verfahren nicht behandelte Begehren würde diesem Zweck entgegen stehen. Es kann dahin stehen, ob in den Fällen, in denen effektiver Rechtsschutz auf andere Weise nicht mehr rechtzeitig zu erlangen ist, das Beschwerdegericht ausnahmsweise auch über einen erweiterten Streitgegenstand mitentscheiden darf, ohne dass insoweit eine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt, da ein solcher Fall vorliegend - wie oben ausgeführt - nicht gegeben ist.

Darüber hinaus können die im Beschwerdeverfahren erstmals von der Antragstellerin gestellten Anträge - auf die die Antragsgegnerin sich in der Beschwerdeerwiderung vom 26. August 2002 eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO) - auch deshalb keinen Erfolg haben, da es jedenfalls an einem Anordnungsgrund fehlt. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der begehrten Feststellung, dass die Antragstellerin vorläufig aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden dürfe, besteht derzeit keine Nowendigkeit, weil die Antragstellerin im Besitz einer bis zum 21. Oktober 2002 befristeten Duldung ist, die in der Vergangenheit fortlaufend verlängert wurde. Sie ist zunächst gehalten, bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Verlängerung ihrer Duldung zu stellen. Wie oben ausgeführt, hätte sie auch bei einer Ablehnung der Verlängerung ihrer Duldung eine unmittelbare Abschiebung nicht zu befürchten. Deshalb fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, soweit die Antragstellerin schließlich die vorläufige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Dienstanweisung zum Umgang mit ärztlichen Attesten und die Untersagung ihrer Abschiebung ohne vorherige Ankündigung in den frühen Morgenstunden begehrt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück