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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.02.2005
Aktenzeichen: 4 Bs 518/04
Rechtsgebiete: VwGO, StPO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 b
StPO § 456 a
1. Die Vermeidung der weiteren Strafvollstreckung aus fiskalischen Gründen bzw. zum Zweck der Entlastung begrenzter Haftplatzkapazitäten begründet regelmäßig kein besonderes öffentliches Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, das über das öffentliche Interesse an der Ausweisung selbst hinaus geht und dem der Vorrang gegenüber dem Interesse des Ausländers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gebührt (a.A. OVG Bremen, Beschl. v. 25.3.1999, NordÖR 1999, 284 = InfAuslR 1999, 409).

2. Durch eine Verfügung nach § 456 a StPO wird lediglich ein der Aufenthaltsbeendigung des ausgewiesenen Ausländers entgegenstehendes Strafvollstreckungshindernis beseitigt. Damit wird nicht zugleich das für den Sofortvollzug der Ausweisung notwendige besondere (Vollzugs-)Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begründet, mit dem der Rechtsschutzanspruch des ausgewiesenen Ausländers nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO ohne weiteres überwunden werden könnte.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

4 Bs 518/04

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel, Pauly und Wiemann am 4. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. November 2004 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage 11 K 5210/04 gegen die Verfügung vom 7. Juli 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt 2/3, der Antragsteller 1/3 der Kosten des gesamten Verfahrens

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat überwiegend Erfolg.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Diese Wirkung reicht allerdings nicht - wie dies der Antragsteller der Sache nach begehrt - bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klagverfahrens, sondern endet zu dem in § 80 b Abs. 1 VwGO bestimmten Zeitpunkt.

1. Aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO ist die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und ist ihm der begehrte einstweilige Rechtsschutz zu gewähren. Offenbleiben kann, ob sich die Ausweisung im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird (a.). Der Antragsteller hat nämlich ausreichend dargelegt, dass es derzeit an einem besonderen öffentlichen (Vollzugs-)Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO fehlt, hinter dem sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückzutreten hätte (b.)

a. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller nach der Verurteilung durch das Landgericht Verden zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung unter Anordnung des Sofortvollzugs ausgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die gegen die Ausweisung erhobene Klage des Antragstellers, der 1980 in Hamburg als Kind türkischer Eltern geboren worden ist und der durchgehend im Bundesgebiet gelebt hat, wahrscheinlich ohne Erfolg bleiben werde. Hierauf kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

b. Denn der Antragsteller macht in der Sache zutreffend geltend, dass die aufschiebende Wirkung der Klage jedenfalls deshalb wiederherzustellen sei, weil es an dem nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderlichen besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vorziehung der Ausweisung fehlt. Er trägt vor, er werde voraussichtlich erst Anfang 2007 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen, und es sei schon deshalb nicht mit weiteren Straftaten während des Klageverfahrens zu rechnen. Sollte dagegen ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, werde dies erst nach Einholung eines (neuen) Gutachtens und auf der Grundlage einer positiven Prognose der Strafvollstreckungskammer geschehen. Auch bei dieser Alternative sei deshalb nicht mit neuen Straftaten zu rechnen.

Damit macht der Antragsteller, dessen Aufenthaltserlaubnis durch die Ausweisung erloschen und der durch die Anordnung des Sofortvollzugs dieser Maßnahme vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist (§ 42 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), in der Sache zutreffend geltend, dass seinem Interesse, das Klageverfahren vom Bundesgebiet aus betreiben zu können, derzeit ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung seines Aufenthalts nicht entgegensteht. Das gilt sowohl unter dem Gesichtpunkt einer möglichen Wiederholungsgefahr (aa.) als auch für die von der Antragsgegnerin weiter genannten Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs, durch die Abschiebung des Antragstellers noch vor dem Haftende Vollstreckungskosten zu sparen bzw. Haftplatzkapazitäten zu entlasten (bb.).

aa. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung und entfällt diese Wirkung nur in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch entschieden hat, besonderes angeordnet wird. Im Hinblick hierauf hat das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschl. v. 18.7.1973, BVerfGE 35, 382, 404; Beschl. v. 12.9.1995, DVBl. 1995, 1297; Beschl. v. 25.1.1996, AuAS 1996, 62) zu den Anforderungen an den Sofortvollzug von Ausweisungsentscheidungen ausgeführt, dass die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Aktenlage vorgenommene summarische und vorläufige Prüfung zwar ein wesentliches Element der Interessenabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Sofortvollzuges darstelle, aber nicht die Prüfung ersetze, ob überhaupt ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug vorliege. Solle die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf spezialpräventive Gesichtspunkte gestützt werden, bedürfe es daher der Feststellung begründeter Anhaltspunkte, dass - unter Berücksichtigung der Pflicht der Widerspruchsbehörde und der Verwaltungsgerichte, das Hauptsacheverfahren beschleunigt zu betreiben - die Gefahr erneuter Straftaten in der Zeitspanne bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens bestehe; davon könne nur abgesehen werden, wenn sich schon aus den Feststellungen der Fachgerichte zur Wiederholungsgefahr im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ergebe, dass insoweit auch begründete Anhaltspunkte für einen Rückfall des Beschwerdeführers in der vorerwähnten Zeitspanne bestehe. Hieran gemessen vermag die Gefahr neuer Straftaten den Sofortvollzug der Ausweisung nicht zu rechtfertigen.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die vom Bundesverfassungsgericht genannte Zeitspanne, in der ein Ausländer aufgrund der gegen die Ausweisung eingelegten Rechtsmittel grundsätzlich nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen ist und für die insoweit die Gefahr neuer Straftaten zu beurteilen war, durch § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO (eingefügt durch Art. 1 Nr. 13 des 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996 [BGBl. I S. 1626], in Kraft getreten am 1.1.1997) erheblich verkürzt hat. Nunmehr endet die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage nicht erst - wovon die Antragsgegnerin in der Begründung des Sofortvollzugs noch ausdrücklich ausgegangen ist - mit dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (d.h. ggf. erst nach dem Berufungs- oder Revisionsverfahren); vielmehr endet die aufschiebende Wirkung bzw. tritt infolge dessen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des ausgewiesenen Ausländers (bereits) ein, wenn die Anfechtungsklage gegen die Ausweisung im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist und drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungspflicht des gegen die ablehnende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels verstrichen sind (d.h. hier fünf Monate nach Zustellung einer klagabweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts, soweit die Berufung nicht zugelassen wird).

Hier bestehen keine begründeten Anhaltspunkte für die Annahme, der Antragsteller werde in der danach maßgeblichen Zeitspanne erneut Straftaten begehen. Denn er wird nach aller Voraussicht während des Klageverfahrens und bis zum Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht in Strafhaft bleiben (Strafende 27.1.2007). Insoweit bedarf es der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zur Vermeidung von weiteren Straftaten nicht (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 5.11.2003 - 3 Bs 353/03). Denn solche Taten sind in der Haft bzw. aus der Vollzugsanstalt heraus im Normalfall (und auch hier) nicht zu erwarten und eine sofortige Aufenthaltsbeendigung ist aus diesem Grund nicht erforderlich. Mit der Haftbeendigung kann der Kläger, dessen Anfechtungsklage bis dahin nach aller Voraussicht erstinstanzlich abgewiesen worden und der deshalb vollziehbar ausreisepflichtig sein wird, sogleich abgeschoben werden. Bei dieser Sachlage muss deshalb das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage nicht zurücktreten hinter ein öffentliches Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten (vgl. zum Fehlen eines öffentlichen Interesses am Sofortvollzug bei Abschiebung aus der Haft: BVerfG, Kammerbeschl. v. 12.11.1998, InfAuslR 1998, 490).

Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf mögliche zukünftige Änderungen in den strafvollstreckungsrechtlichen Verhältnissen oder wegen möglicher Verzögerungen des erstinstanzlichen Verfahrens. Soweit sich die Dauer der Strafhaft verkürzen sollte - etwa weil die Strafvollstreckungskammer nach § 57 StGB einen Strafrest zur Bewährung aussetzt und deshalb im Zeitpunkt einer (früheren) Haftentlassung das erstinstanzliche Verfahren voraussichtlich noch nicht abgeschlossen sein wird (einschließlich der o.g. Fünfmonatsfrist nach § 80 b VwGO), bliebe es der Ausländerbehörde unbenommen, auf Grund dieser veränderten Umstände die sofortige Vollziehung der Ausweisung zum Zweck der Herstellung der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht anzuordnen. Insoweit ist das Vollzugsinteresse jeweils nach den bei Erlass der Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bestehenden Umständen zu beurteilen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 5.11.2003, a.a.O.). Das gilt auch, falls - was hier derzeit nicht zu erwarten ist - Vollzugslockerungen erfolgen bzw. konkret in Aussicht stehen. Soweit eine Aussetzung des Strafrestes erfolgen sollte - wofür nach gegenwärtigem Sachstand wenig spricht - , hätte sich die Antragsgegnerin dann mit der (positiven) Prognose der Strafvollstreckungskammer auseinander zu setzen und darzulegen, aus welchen Gründen gleichwohl die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung gerechtfertig ist (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 18.2.2004, 4 Bs 532/03, Beschlussausfertigung S. 10, m.w.N.).

bb. Das Interesse des Antragstellers, das Klageverfahren gegen seine Ausweisung jedenfalls bis zum Ablauf der Frist des § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO vom Bundesgebiet aus betreiben zu können, hat auch nicht deshalb zurückzutreten, weil die Staatsanwaltschaft Verden nach Erlass der Ausweisungsverfügung nach § 456 a StPO erkärt hat, sie werde zum Zeitpunkt der Abschiebung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet (nicht jedoch vor dem 27. Oktober 2004) von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe absehen, und die Antragsgegnerin auf der Grundlage dieser Verfügung durch die sofortige Aufenthaltsbeendigung weitere Haftaufwendungen sparen will. Die Vermeidung der weiteren Strafvollstreckung aus fiskalischen Gründen bzw. zum Zweck der Entlastung begrenzter Haftplatzkapazitäten begründet regelmäßig kein besonderes öffentliches Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO , das über das öffentliche Interesse an der Ausweisung selbst hinaus geht und dem der Vorrang gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gebührt (a.A. OVG Bremen, Beschl. v. 25.3.1999, NordÖR 1999, 284 = InfAuslR 1999, 409).

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade in Bezug auf eine Ausweisung, deren existenzielle Bedeutung es sowohl für den Ausländer als auch für die mitbetroffenen Familienangehörigen mehrfach betont hat, im Einzelnen ausgeführt, dass der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes wesentliche Bedeutung bereits für den einstweiligen Rechtschutz zukomme, und dass insoweit die in § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Klage eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses sei. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung sei daher ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgehe, das die Maßnahme selbst rechtfertige. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen sei um so stärker und dürfe um so weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung sei und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirke (vgl. Beschl. vom 12.9.1995, a.a.O.; Beschl. vom 25.1.1996, a.a.0.). Diesem Maßstab wird der Sofortvollzug der Ausweisung eines Ausländers, die allein mit strafvollstreckungsrechtlichen Erwägungen (Kostenersparnis, Entlastung des Strafvollzugs) begründet wird, von dem ansonsten eine Wiederholungsgefahr für die Dauer der aufschiebenden Wirkung der Klage aber nicht ausgeht, nicht gerecht. Dazu ist auszuführen:

Allein der Umstand, dass wegen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage zunächst Spareffekte für den öffentlichen Haushalt nicht erzielt und öffentliche Ressourcen (insbesondere Personal- und Sachmittel) nicht sogleich geschont werden können, ist nicht ungewöhnlich und rechtfertigt für sich genommen regelmäßig nicht die Anordnung des Sofortvollzugs eines belastenden Verwaltungsaktes. Die durch die Beachtung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln verzögerte Entlastung der öffentlichen Hand tritt auch in anderen öffentlichen Bereichen ein, etwa bei der zwangsweisen Beendigung des Besuchs öffentlicher Schulen oder dem Ausschluss von sonstigen öffentlichen Einrichtungen oder der (Rück-)Forderung von öffentlichen Leistungen. Soweit das fiskalische Interesse an der Vermeidung der Folgen des Eintritts der aufschiebenden Wirkung im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat (wie etwa in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO), ist es für sich genommen und ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ausreichend, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen aus Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu überwinden. Hierauf kann sich auch ein inhaftierter Ausländer berufen, der Anfechtungsklage gegen seine Ausweisung erhoben hat und das Klageverfahren vom Bundesgebiet aus betreiben will.

Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers muss hier auch nicht deshalb zurückstehen, weil die Staatsanwaltschaft Verden nach § 456 a StPO für den Fall seiner Abschiebung von der weiteren Vollstreckung aus dem Strafurteil des Landgerichts absehen will. Die Verfügung der Strafvollstreckungsbehörde erschöpft sich in dem Verzicht darauf, den staatlichen Strafanspruch gegen den Antragsteller (weiter) durchzusetzen und orientiert sich insoweit vorrangig an der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses (siehe dazu BVerwG, Urt. v. 5.5.1998, BVerwGE 106, 351 = InfAuslR 1998, 383, dort zu § 64 Abs. 3 AuslG; Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 456 a Rdnr. 3). Insoweit wird durch eine Verfügung nach § 456 a StPO lediglich ein der Aufenthaltsbeendigung des ausgewiesenen Ausländers entgegenstehendes Strafvollstreckungshindernis beseitigt. Damit wird nicht zugleich das für den Sofortvollzug der Ausweisung notwendige besondere (Vollzugs-)Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begründet, mit dem der Rechtsschutzanspruch des ausgewiesenen Ausländers nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO ohne weiteres überwunden werden könnte. Vielmehr hat die Antragsgegnerin auch bei einem Verzicht auf weitere Strafvollstreckung für den Fall der Abschiebung eigenständige Gründe anzuführen, die es rechtfertigen, den ausgewiesen Ausländer ausnahmsweise schon vor der dem Ende der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage abzuschieben.

Die Ausländerbehörde ist insoweit auch nicht - worauf hier die Begründung des Sofortvollzugs der Ausweisung schließen lässt - Erfüllungsorgan der Strafvollstreckungsbehörde und insoweit nicht verpflichtet, eine staatsanwaltlichen Verfügung nach § 456 a StPO durch Anordnung des Sofortvollzugs ausländerrechtlicher Maßnahmen "durchzusetzen" bzw. zu verhindern, dass diese Verfügung - durch einen Verzicht auf den Sofortvollzug der Ausweisung - "ad absurdum geführt" wird (so aber Bescheidausfertigung S. 8). Damit verkennt die Antragsgegnerin die Bedeutung dieser Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde, durch die der Ausländerbehörde lediglich die Abschiebung des ausgewiesenen Ausländers trotz Inhaftierung ermöglicht wird und die im Übrigen insoweit auch ihre Wirkung behält, als sich der Ausländer mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung seiner Klage weiterhin in Strafhaft befindet und daraus abgeschoben werden kann. Dagegen ist der von der Antragsgegnerin insoweit herangezogene Beschluss des Beschwerdegerichts vom 18. November 1996 (OVG Bs V 186/96) zur Bedeutung einer Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 456 a StPO für die Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisung für den vorliegenden Fall nicht aussagekräftig. Diese Entscheidung äußert sich lediglich dazu, dass die Erwägung der Ausländerbehörde, mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung die Abschiebung unmittelbar aus der Haft gewährleisten zu wollen, wenn die Staatsanwaltschaft eine Verfügung nach § 456 a StPO erlasse, den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt (vgl. dazu auch OVG Hamburg, Beschl. v. 5.11.2003, a.a.O.).

cc. Da die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage schon aus den genannten Gründen wiederherzustellen ist, kann offen bleiben, ob dem Antragsteller der einstweilige Rechtsschutz nunmehr auch deshalb zu gewähren sein könnte, weil Unionsbürger nach dem - zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen - § 7 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU nur noch bei Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung abgeschoben werden dürfen (vgl. dazu VGH Kassel, Besch. v. 28.9.2004, InfAuslR 2004, 425) und weil assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ggf. auch in Bezug auf die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbeendigung Gemeinschaftsbürgern gleichzustellen sind (siehe dazu EuGH, Urt. v. 11.11.2005, C-467/02, [Cetinkaya], DVBl. 2005, 103 ff.; BVerwG, Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 - ZAR 2004, 289; vgl. aber auch VGH Kassel, Beschl. v. 29.12.2004 - 12 TG 3649/04 - juris).

2. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens begehrt. Dahin ist sein in beiden Instanzen verfolgtes Begehren auszulegen, der Antragsgegnerin zu untersagen, den Antragsteller "vor der Rechtskraft der Ausweisungsverfügung in sein Heimatland Türkei abzuschieben". Wie oben ausgeführt, hat der Gesetzgeber durch das 6. VwGOÄndG das Ende der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage neu bestimmt und jetzt in § 80 b Abs. 1 VwGO in anderer Weise geregelt. Diese Bestimmung ist auch für den Fall der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage maßgebend (§ 80 b Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über diesen Zeitpunkt hinaus kann (erst) im Berufungs(zulassungs)verfahren angeordnet werden (§ 80 b Abs. 2 VwGO).

Sollte das Begehren auf Abschiebungsschutz des Antragstellers dagegen als eigenständiger Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verstehen sein, wäre dieser Antrag ebenfalls abzuweisen. Zum einen wäre insoweit der o.g. Antrag nach § 80 b Abs. 2 VwGO vorrangig zu verfolgen. Im Übrigen ist derzeit ein (zukünftiger) Anspruch auf ein Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen nach dem (zukünftigen) Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausweisung und der Ausreiseverpflichtung weder dargetan noch ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG in der seit dem 1. Juli 2004 geltenden neuen Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718 ff.). Der hiernach für das Beschwerdeverfahren maßgebliche Wert ist mit der Hälfte des in der Hauptsache auf 5.000,-- Euro anzusetzenden Werts zu bemessen.



Ende der Entscheidung

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