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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.12.2003
Aktenzeichen: 4 Bs 525/03
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 2 Abs. 1
BSHG § 18
BSHG § 25
1. § 25 Abs. 1 BSHG erfasst alle Fälle der Verweigerung einer zumutbaren Arbeit bzw. der Verweigerung einer zumutbaren Maßnahme nach §§ 19 und 20 BSHG sowie der unzureichenden Arbeitssuche (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

2. Daneben bleibt - unabhängig von den Gründen für das sozialhilferechtliche Fehlverhalten des Hilfesuchenden im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheiten - für die unmittelbare Anwendung des Nachranggrundsatzes des § 2 Abs. 1 BSHG und einen allein daraus abgeleiteten Hilfeausschluss kein Raum


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

vom 12. Dezember 2003

4 Bs 525/03

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Sinhuber, Pauly und Wiemann am 12. Dezember 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Aus den von der Antragsgegnerin dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), ist die angefochtene Entscheidung weder abzuändern noch aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller laufende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für die Dauer eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses sowie Hilfe zum Lebensunterhalt für die Kosten der Unterkunft für den Monat Oktober 2003 zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsgegnerin, die dem mittellosen 43jährigen Antragsteller bis September dieses Jahres Sozialhilfe gewährt habe, habe diese Leistungen nicht unter Hinweis auf das Selbsthilfegebot nach §§ 2 Abs. 1, 18 Abs. 1 BSHG gänzlich und ohne vorherige Belehrung über die Folgen unzureichender Arbeitsbemühungen einstellen dürfen. Soweit sich ein Hilfesuchender - wie hier unterstellt werden könne - nicht hinreichend um Aufnahme einer unselbstständigen Tätigkeit bemühe oder sich weigere, eine angebotene Erwerbstätigkeit anzunehmen, werde § 2 Abs. 1 BSHG durch die speziellere Norm des § 25 Abs. 1 BSHG verdrängt. Die letztgenannte (Sanktions-)Norm erlaube allerdings - zunächst - nicht die gänzliche Einstellung der laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt; die Hilfe sei vielmehr nach § 25 Abs. 1 Satz 2 und 3 BSHG erst nach entsprechender Belehrung des Hilfesuchenden, die hier unterblieben sei, in einem ersten Schritt lediglich um 25 % des maßgeblichen Regelsatzes zu kürzen.

Die dagegen eingelegte Beschwerde muss ohne Erfolg bleiben. Damit rechtfertigt die Antragsgegnerin die Hilfeeinstellung weiter mit dem Hinweis auf den Vorrang des Selbsthilfegebots nach §§ 2 Abs. 1, 18 Abs. 1 BSHG. Ferner macht sie geltend, § 25 Abs. 1 BSHG könne (nur) dann Anwendung finden, wenn die Arbeitsverweigerung bzw. das Fehlen ausreichender Arbeitsbemühungen auf einen - hier nicht erkennbaren - Bedarf des Hilfesuchenden an Hilfe zur Arbeit nach den §§ 18 ff BSHG schließen lasse. Diese Gründe rechtfertigen eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht.

Soweit der Antragsteller - was die Beschwerde nicht in Zweifel zieht und deshalb gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO hier auch nicht zu prüfen ist - seinen notwendigen Lebensunterhalt derzeit nicht aus eigenem Einkommen und/oder Vermögen beschaffen kann, ist ihm Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren (§§ 11 Abs. 1, 12 BSHG). Dem steht der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG nicht entgegen. Danach erhält zwar Sozialhilfe u.a. derjenige nicht, der sich selbst helfen kann, und es muss nach § 18 Abs. 1 BSHG jeder Hilfesuchende seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen. Dazu wird in § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG näher bestimmt, dass keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach §§ 19 und 20 BSHG nachzukommen. Die weiteren Sätze 2 und 3 dieser Norm regeln, dass die Hilfe nach vorheriger Belehrung in einer ersten Stufe um mindestens 25 % des maßgeblichen Regelsatzes zu kürzen ist.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Regelungen in § 25 Abs. 1 BSHG über den Ausschluss des Leistungsanspruchs und die Einschränkung der Leistung im Fall der Verletzung von Erwerbsobliegenheiten durch den Hilfesuchenden eine Konkretisierung des Nachranggrundsatzes nach § 2 Abs. 1 BSHG darstellen und insoweit lex spezialis gegenüber dieser Vorschrift sind (nunmehr ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung [vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 11.12.2000, FEVS Bd. 52 S. 269, 270; OVG Lüneburg, Beschl. 15.2.2000 - 12 M 483/00 - ; v. 13. 11.2002 - 12 PA 736/02 - , jeweils juris; OVG Münster, Beschl. v. 9.1.2001, FEVS Bd. 52 S. 327 = ZfSH/SGB 2001 S. 738; VG Hamburg, Beschl. v. 19.3.1998 - 8 VG 1453/98 - ; v. 3.2.2003 - 4 VG 5229/2002 - jeweils juris] und Literatur [Fichtner, BSHG, 2. Aufl. § 25 Rdnr. 4; Kramer in LPK-BSHG, § 25 Rdnr. 1; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 16. Aufl. § 25 Rdnr. 5 ff.; Michel, NDV 1997 S. 9293; Schoch, ZfF 1999 S. 127; 128; Spindler, info also 2001 S. 63, 66; Berlit, info also 2003 S. 198]). Soweit das Beschwerdegericht in früheren Entscheidungen (Beschl. v. 29.8.1990, FEVS Bd. 41 S. 417, 418 ff.; ausführlich zuletzt im Beschl. v. 14.4.1998, FEVS Bd. 49 S. 44 = NordÖR 1998 S. 208) insoweit eine andere Ansicht vertreten hat, gibt es diese im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und einer einheitlichen Verwaltungspraxis in den verschiedenen Bezirken der Freien und Hansestadt Hamburg auf.

Auch der Senat geht nunmehr davon aus, dass von § 25 Abs. 1 BSHG alle Fälle der Verweigerung einer zumutbaren Arbeit bzw. der Verweigerung einer zumutbaren Maßnahme nach §§ 19 und 20 BSHG sowie der unzureichenden Arbeitssuche erfasst werden. Daneben bleibt - unabhängig von den Gründen für das sozialhilferechtliche Fehlverhalten des Hilfesuchenden im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheiten - für die unmittelbare Anwendung des Nachranggrundsatzes des § 2 Abs. 1 BSHG und einen allein daraus abgeleiteten Hilfeausschluss kein Raum. Die Folgen der Verletzung der Selbsthilfeverpflichtung durch Arbeit werden vielmehr abschließend in § 25 Abs. 1 BSHG geregelt. Diese Vorschrift eröffnet dem Sozialhilfeträger insoweit die Möglichkeit - nach Belehrung des Hilfesuchenden im Sinne von Satz 3 der Norm und nach einer ersten verbindlich geregelten Hilfekürzung um mindestens 25 % des maßgeblichen Regelsatzes - , nach seinem pflichtgemäßen Ermessen und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles die Leistung in angemessen Zeiträumen und Schritten weiter zu kürzen und die Hilfe ggf. ganz einzustellen.

Als Arbeitsverweigerung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung insoweit auch zutreffend das Fehlen sozialhilferechtlich ausreichender Bemühungen des Hilfesuchenden um Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit angesehen. Das entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (Beschl. v. 29.8.1990 u. v. 14.4.1998, jeweils a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 17.5.1995, BVerwGE Bd. 98 S. 203). Hieran ist ebenso festzuhalten wie an Umfang und Inhalt der einem Hilfesuchenden obliegenden Verpflichtung, sich eine Arbeit zu suchen. Insoweit muss derjenige, der um Hilfe zum Lebensunterhalt nachsucht, gleichsam täglich darum bemüht sein, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken (vgl. § 18 Abs. 1 BSHG). Dabei ist ihm im Grundsatz jede Tätigkeit, die seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht übersteigt, zumutbar (vgl. § 18 Abs. 3 BSHG). Zu den zumutbaren Tätigkeiten zählen regelmäßig auch Aushilfstätigkeiten, Urlaubsvertretungen und Gelegenheitsarbeiten jeglicher Art (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 29.8.1990, a.a.O., S. 418) . Daran ist - unabhängig davon, dass sich die Folgen der Verletzung dieser sozialhilferechtlichen Erwerbsobliegenheit ausschließlich nach § 25 BSHG richten - unverändert festzuhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2VwGO.



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