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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.09.2003
Aktenzeichen: 4 So 81/03
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
1) Die Grundsätze bei der Entscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch über den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung und für die Bedürftigkeit der Partei im Klageverfahren (vgl. dazu Beschl. des Senats vom 6.8.2003 - 4 So 3/02 m.w.N.) gelten auch für das gerichtliche Eilverfahren.

2) Zur Bestimmung des Zeitpunkts der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs in einem Eilverfahren.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

4. Senat

Beschluss

Beschluss vom 10. September 2003

4 So 81/03

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Sinhuber und Pauly sowie die Richterin Haase am 10. September 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 30. Juni 2003 geändert.

Der Antragstellerin wird für den mit dem Schriftsatz vom 26. Juni 2003 gestellten Antrag mit Wirkung vom 27. Juni 2003 für die erste Instanz Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwältin zur Vertretung beigeordnet.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Mit einem am selben Tage per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26. Juni 2003 hat die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragsstellerin ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 73,25 Euro für den Monat Juni zu gewähren, und insoweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten begehrt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Juni 2003 das Prozesskostenhilfegesuch mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt: Ungeachtet des inzwischen weggefallenen Anordnungsgrundes - die Antragstellerin habe inzwischen die gesamte ihr bewilligte Arbeitslosenhilfe für den Monat Juni erhalten - fehle es am Anordnungsanspruch. Mit dem ihr gewährten Wohngeld von 108,-- Euro und der ihr für Juni zustehenden Arbeitslosenhilfe von 547,-- Euro verfüge sie über ein Einkommen, das ihren sozialhilferechtlichen Bedarf für diesen Monat übersteige. Gegen den ihr am 4. Juli 2003 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin von 15. Juli 2003, mit der sie u.a. geltend macht: Als Einkommen für den Monat Juni habe ihr neben dem Wohngeld lediglich die am 30. Mai 2003 auf ihrem Konto eingegangene Arbeitslosenhilfe für Mai in Höhe von rund 310,-- Euro zur Verfügung gestanden. Die erst zum Monatsende eingegangene Arbeitslosenhilfe für Juni dürfe ihr nicht angerechnet werden.

- Eine Sachentscheidung hat das Verwaltungsgericht noch nicht getroffen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1) Der erkennende Senat hat nunmehr grundsätzlich entschieden, dass im Klageverfahren bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung maßgeblich nicht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bzw. des Beschwerdegerichts, sondern diejenige im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Gesuchs ist (vgl. hierzu und zum folgenden Beschluss des Senats vom 6.8.2003 - 4 So 3/02 - m.w.N.). Das ist indiziert durch die - verfassungsrechtlich fundierte - Funktion der Prozesskostenhilfe sowie die gesetzgeberische Wertung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. § 124 ZPO) und entspricht dem Wesen der Prozesskostenhilfe als einer spezialgesetzlich geregelten Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege. Demgegenüber ist - wegen der Änderungsbefugnisse des Gerichts nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Änderung u.a. der wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 120 Abs. 4 ZPO - für die Beurteilung der Mittellosigkeit bzw. Bedürftigkeit der Partei regelmäßig auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.

Diese Maßstäbe müssen uneingeschränkt auch für das gerichtliche Eilverfahren gelten, in dem die Prozesskostenhilfe dieselbe Funktion hat und abweichende rechtliche Regelungen nicht bestehen. Es kann deshalb insoweit insbesondere auch nicht darauf ankommen, dass etwa in gerichtskostenfreien Verfahren mit dem anwaltlichen gestellten Eilantrag regelmäßig bereits alle Gebühren für den Rechtsanwalt entstanden sind, die sich nachträglich nicht reduzieren lassen. Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung eine andere Rechtsauffassung vertreten hat (vgl. z.B. Beschluss vom 24.8.1999, NordÖR 2000 S. 191), hält er daran nicht mehr fest.

2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist der Antragstellerin die begehrte Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Zur Entscheidung reif ist das Prozesskostenhilfegesuch, wenn die Partei die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den entsprechenden Belegen vorgelegt (§ 117 Abs. 2 - 4 ZPO) sowie das Streitverhältnis - nämlich ihr Begehren - unter Angabe gegebenenfalls notwendiger Beweise dargelegt hat (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und der Prozessgegner gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 6.8.2003 a.a.O.). Ob und gegebenenfalls innerhalb welcher Frist in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Äußerung zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - die im Übrigen regelmäßig mit der auch in derartigen Verfahren durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebotenen Anhörung zur Sache zusammenfallen dürfte - zu gewähren ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles bestimmen. Dabei werden etwa das Maß der Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung, die Komplexität der zu entscheidenden Rechts- bzw. Tatsachenfragen zu berücksichtigen und kann etwa auch von Bedeutung sein, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin bereits zuvor mit dem Streitstoff befasst war.

Vorliegend war eine Anhörung der Antragsgegnerin zu den Anträgen im Schriftsatz vom 26. Juni 2003 nicht veranlasst, weil den darin zur Anspruchsbegründung angeführten Umstand, dass nämlich der Antragstellerin mit dem Bescheid des Arbeitsamtes vom 16. Mai 2003 bereits seit dem 15. Mai 2003 wiederum Arbeitslosenhilfe bewilligt worden - und deshalb die Kürzung der Regelsatzhilfe gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG für den Monat Juni im Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2003 (Bl. 15 ff. d.A.) rechtswidrig - sei, die Antragstellerin bereits mit ihrem zu Protokoll gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. Juni 2003 geltend gemacht und die Antragsgegnerin Gelegenheit zur Äußerung hierzu hatte (vgl. ihre Stellungnahme vom 19.6.2003 Bl. 14 ff. d.A.). Das Prozesskostenhilfegesuch war danach entscheidungsreif mit dem Eingang des Originals des Schriftsatzes vom 26. Juni 2003 am 27. Juni 2003, mit dem auch eine ordnungsgemäß ausgefüllte Formblatterklärung der Antragstellerin über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Belegen eingereicht worden ist.

Zu diesem Zeitpunkt bot die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es, dass bei der lediglich angezeigten summarischen Prüfung der Erfolg nach den bisher ersichtlichen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Sind in dem Rechtsstreit nicht ohne weiteres zu beantwortende Tatsachen- und/oder Rechtsfragen zu entscheiden, hat dies im Hauptsacheverfahren zu geschehen und ist schon deshalb die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen. Es ist nicht Sinn des Prozesskostenhilfeverfahrens, die Rechtsverfolgung selbst in dieses Nebenverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 10.8.2001, RPfl 2001 S. 554; Beschluss vom 13.3.1990, BVerwGE Bd. 81, S. 347).

Danach waren hier hinreichende Erfolgsaussichten anzunehmen. Die Kürzung der Regelsatzhilfe gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG auch noch für den Monat Juni entsprach nicht der Rechtslage. Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift waren nicht mehr gegeben, nachdem der Antragstellerin vom Arbeitsamt bereits ab 15. Mai 2003 wieder Arbeitslosenhilfe bewilligt worden war. Nicht ohne weiteres zu beantworten ist die Frage, wie in dem vorliegenden Eilverfahren bei der Berechnung des sozialhilferechtlich maßgeblichen Einkommens der Antragstellerin für den Monat Juni neben dem Wohngeld die ihr gewährte Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen ist. Es erscheint nicht zweifelsfrei, ob insoweit - wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss gemeint hat - bereits die ihr erst am Ende des Monats - vermutlich am 30. Juni 2003 - zufließende Zahlung für Juni (30 x 18,23 = 546,90 Euro) angerechnet werden durfte. Denn tatsächlich stand ihr für den Monat lediglich die am 30. Mai 2003 für Mai überwiesene Hilfe in Höhe von 309,91 (17 Tage a 18,23) Euro zur Verfügung (diesen Betrag hat die Antragsgegnerin in dem Bewilligungsbescheid vom 4. Juni 2003 auch nur berücksichtigt). Zwar zählt die Arbeitslosenhilfe zu den "anderen Einkünften" nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 76 BSHG, die "monatlich in unterschiedlicher Höhe erzielt werden" - nämlich jeweils am Monatsende rückwirkend nach der Zahl der Kalendertage gezahlt werden -, so dass sie regelmäßig als Jahreseinkünfte zu berechnen sind und gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 76 BSHG der zwölfte Teil davon als monatliches Einkommen im Sinne des Gesetzes gilt. Diese fiktive Einkommensanrechnung ändert aber nichts an dem Grundsatz der Notwendigkeit der Deckung eines tatsächlich bestehenden Bedarfs, so dass jedenfalls in einem Eilverfahren - ggf. darlehensweise - Hilfe zu gewähren sein kann, wenn das fiktiv anzurechnende Einkommen tatsächlich (noch) nicht vorhanden ist (vgl. dazu LPK-BSHG, 6. Aufl., § 76 Rdnr. 134 m.w.N.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.12.1999 NDV-RD 2000 S. 36). Dass mit dem Eingang der voraussichtlich am 30. Juni 2003 zu erwartenden Arbeitslosenhilfezahlung der Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung entfallen würde - wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss ebenfalls angenommen hat -, muss vorliegend unberücksichtigt bleiben, weil die Erfolgsaussichten hier nach dem Sach- und Streitstand am 27. Juni 2003 als dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs zu beurteilen sind.

Da nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Antragstellerin auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind und im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten der Sache ferner ihre Vertretung durch einen Rechtsanwalt gemäß § 121 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 166 VwGO geboten erscheint, ist der Antragstellerin mit Wirkung vom Tage des Eingangs des vollständigen Prozesskostenhilfegesuchs Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihre Prozessbevollmächtigte zur Vertretung beizuordnen.

Eine Kostenentscheidung ist im Prozesskostenhilfeverfahren - auch in der Beschwerdeinstanz - nicht veranlasst.



Ende der Entscheidung

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