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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.02.2009
Aktenzeichen: 5 E 4/08.P
Rechtsgebiete: VwGO, UmwRechtsbehG


Vorschriften:

VwGO § 65 Abs. 1
UmwRechtsbehG § 2 Abs. 1
Seit Einführung der altruistischen Verbandsklage in § 61 BNatSchG und §§ 1 ff. UmwRechtsbehG kommt auch eine Beiladung von anerkannten Naturschutz- bzw. Umweltvereinen in Betracht, soweit diese geltend machen können, es seien Interessen berührt, die nach den genannten Vorschriften rechtlichen Schutz genießen.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

5 E 4/08.P

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 5. Senat, durch den Richter Prof. Dr. Ramsauer am 9. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Der , Landesverband Hamburg e.V., vertreten durch den Landesvorsitzenden , , Hamburg, Prozessbevollmächtigte , , Hamburg, wird zu dem Verfahren beigeladen, soweit es darin um die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis geht. Im übrigen wird der Antrag auf Beiladung abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist ein gem. § 40a HmbNatSchG anerkannter Naturschutzverein. Er beantragt die Beiladung zu einem Klageverfahren, mit dem die Klägerin zunächst im Wege der Untätigkeitsklage die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und später auch einer wasserrechtlichen Erlaubnis für Errichtung und Betrieb eines Steinkohlekraftwerks an der Süderelbe bei Moorburg erstrebt hatte. Nachdem sowohl die Genehmigung als auch die Erlaubnis erteilt worden waren, richtet sich die Klage derzeit gegen die mit der wasserrechtlichen Erlaubnis verbundenen Einschränkungen und Nebenbestimmungen. Hinsichtlich der Beschränkungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hat die Klägerin zunächst Widerspruch eingelegt, ohne die Untätigkeitsklage insoweit für erledigt zu erklären.

Der Antragsteller selbst hat gegen die mit Einschränkungen und Nebenbestimmungen versehene wasserrechtliche Erlaubnis vor demselben Gericht eine Anfechtungsklage erhoben (5 E 11/08). Er möchte darüber hinaus an dem vorliegenden Verfahren beteiligt werden, weil seine rechtlichen Interessen durch dessen Ausgang berührt würden. Die Klägerin hält eine Beiladung für unzulässig: Weder das Naturschutzrecht noch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vermittelten dem Antragsteller Rechtspositionen, die durch das vorliegende Gerichtsverfahren berührt werden könnten. In jedem Falle habe der Antragsteller ausreichend Gelegenheit, etwaige rechtliche Interessen im Rahmen der von ihm selbst erhobenen Anfechtungsklage gegen die von der Beklagten erteilte eingeschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zu verfolgen.

II.

Die Beiladung erfolgt insoweit, als sich die Klage gegen Einschränkungen und Nebenbestimmungen zur wasserrechtlichen Erlaubnis richtet. Für eine weitergehende Beiladung besteht derzeit kein Anlass, weil die beanstandeten Einschränkungen und Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens sind, dessen Ausgang abzuwarten sein wird.

1. Die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 VwGO liegen vor. Die Entscheidung über die von der Beklagten in Bezug auf die wasserrechtliche Erlaubnis verfügten Einschränkungen und Nebenbestimmungen kann rechtliche Interessen des Antragstellers berühren. Dass der Antragsteller nicht über materielle Rechtspositionen verfügt und dementsprechend auch keine hieraus folgenden materiell-rechtlichen Interessen geltend machen kann, steht der Beiladung nicht entgegen. Zwar wurden als "rechtliche Interessen" i.S. des § 65 Abs. 1 VwGO in der Vergangenheit zumeist nur solche angesehen, die ihre Grundlage in materiellen Rechtspositionen haben (vgl. VGH Mannheim, Beschl. vom 4.3.1985, NVwZ 1986, 320). Jedenfalls seit der Zulassung altruistischer Verbands- bzw. Vereinsklagen in § 61 BNatSchG und in § 2 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (URG) v. 7.12.2006 (BGBl. I S. 2816) erscheint diese Begrenzung aber nicht mehr gerechtfertigt. Wenn das Gesetz Umweltvereinen bzw. -verbänden sogar Klagemöglichkeiten ohne materiell-rechtliche Grundlage einräumt, dann erscheint es nur konsequent, dass insoweit auch eine Beiladung zulässig ist. Deshalb ist anzunehmen, dass auch solche Interessen eine Beiladung rechtfertigen können, die ihre Grundlage nicht in materiellen Rechtspositionen, sondern in den durch entsprechende Klagemöglichkeiten zugewiesenen Wahrnehmungszuständigkeiten haben (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2005, § 65 Rn. 87; Kintz, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 65 Rn. 9; Bier, in: Schoch/Pietzner/Schmidt-Aßmann, VwGO § 65 Rn. 13, Fn. 57).

Aus dem Fehlen einer dem § 42 Abs. 2 VwGO entsprechenden Öffnungsklausel in § 65 Abs. 1 VwGO lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Die Vorschrift lässt für eine Beiladung die Berührung von "rechtliche(n) Interessen" ausreichen und verlangt nicht die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten. Eine materielle Qualifizierung der Interessen lässt sich weder dem Wortlaut der Norm noch ihrer systematischen Stellung, ihrer Entstehungsgeschichte oder der Zweckbestimmung entnehmen. Die Beiladung dient der Wahrung der rechtlichen Interessen des Beigeladenen sowie - aufgrund der Erstreckung der Rechtskraft - der Prozessökonomie. Beide Ziele lassen sich auch für nicht-materielle rechtliche Interessen erreichen, auch wenn das für die Vereins- bzw. Verbandsklagen geltende sog. Zweitklageverbot (§ 61 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG, § 1 Abs. 1 Satz 4 URG) eine Beiladung zum Zweck der Rechtskrafterstreckung entbehrlich werden lässt. Aus den Regelungen über ein Zweitklageverbot lässt sich nicht herleiten, dass eine Beiladung habe ausgeschlossen werden sollen. Deren Ziel besteht vornehmlich darin, eine Doppelbefassung zu verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 - NuR 2008, 633, Rn. 24 - Hess. Lichtenau).

Es kommt ernsthaft in Betracht, dass die mit dem Beiladungsantrag geltend gemachten Interessen rechtlichen Schutz genießen und dass der Antragsteller berechtigt ist, diese Interessen im vorliegenden Klageverfahren zu vertreten. Dies ergibt sich aus den Regelungen des URG. Die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen der Antragsteller derartige Interessen aufgrund des URG gerichtlich geltend machen kann, liegen vor: Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 URG findet das Gesetz Anwendung auf Rechtsbehelfe gegen Erlaubnisse nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WHG i.V.m. den aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 3 WHG erlassenen landesrechtlichen Vorschriften. Hierzu zählt auch die im vorliegenden Klageverfahren umstrittene wasserrechtliche Erlaubnis, da sie sich auf eine in Nr. 1.1 des Anhangs I zu Art. 1 der Richtlinie 96/61/EG des Rates v. 24.9.1996 (Abl. EG Nr. L 257 S. 26 - IVU-RL) aufgeführte Anlage bezieht. Als anerkannter Naturschutzverband gilt der Antragsteller gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 URG zugleich als nach § 3 Abs. 1 Satz 1 URG anerkannt. Es ist weiter davon auszugehen, dass die Förderung der Ziele des Umweltschutzes zu seinem satzungsmäßigen Aufgabenbereich i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 URG gehört.

Der Antragsteller war auch i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 URG zur Beteiligung in dem Erlaubnisverfahren nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 URG berechtigt und hat sich in der Sache geäußert. Die Gewässerbenutzung dient einem Vorhaben, das nach dem UVPG einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt. Die von der Klägerin geplante Anlage ist nämlich nach Nr. 1.1 der Anlage 2 zur 4. BImSchV einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Das hiernach gebotene Verfahren zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung umfasst auch die Auswirkungen der für die Anlage erforderlichen wasserrechtlichen Erlaubnis. Es ist für die sog. IVU-Anlagen - um eine solche handelt es sich hier - durch § 95 HWaG näher ausgestaltet. Danach ist die vollständige Koordinierung von immissionsschutzrechtlichem und wasserrechtlichem Verfahren sicherzustellen. In der auf dieser Grundlage durchgeführten integrierten Umweltverträglichkeitsprüfung war dem Antragsteller gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 6 Satz 2 UVPG als Teil der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zur Äußerung zu geben; hiervon hat er u. a. mit Schreiben vom 12. Juli 2007, das am selben Tag und damit innerhalb der Einwendungsfrist bei der Beklagten einging, Gebrauch gemacht.

Keiner abschließenden Entscheidung bedarf die Frage, ob die Beiladung eines Umweltverbandes bzw. -vereins wegen nicht materiell begründeter Interessen auch voraussetzt, dass es im gerichtlichen Verfahren um die Einhaltung von Rechtsvorschriften geht, die nicht nur dem Umweltschutz dienen, sondern zugleich auch Rechte Einzelner begründen können, also drittschützend sind. Dies wird zwar in § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG ausdrücklich zur Voraussetzung einer Vereins- bzw. Verbandsklage gemacht, es ist aber zweifelhaft, ob die Vorschrift insoweit mit den Vorgaben des europäischen Rechts in Einklang steht. Es gibt gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG die Vorgaben der Richtlinie 85/337/EWG des Rates v. 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL - Abl. Nr. L 175 S. 40) in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 (Öffentlichkeits-RL - Abl. Nr. L 156 S. 17) nicht hinreichend berücksichtigt. In Art. 10a Abs. 4 Satz 3 UVP-RL heißt es nämlich, dass "Nichtregierungsorganisationen" i.S.d. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL - hierzu ist auch der Antragsteller zu zählen - als Träger von Rechten "gelten", die im Sinne von Art. 10a Abs. 1 Buchstabe b) verletzt werden können.

Ob sich § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG hiermit vereinbaren lässt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (aus der Fülle der Literatur verneinend etwa Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, 2008, S. 273, Rn. 498, weniger deutlich S. 762 ff., Rn. 321; Ewer, NVwZ 2007, 267, 272; Genth, NuR 2008, 28, 30; Koch, NVwZ 2007, 369, 378; Kment, NVwZ 2007, 274, 278; Schumacher, UPR 2008, 13, 18; für europarechtskonforme Auslegung OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.7.2008 - 1 ME 131/08; Schlacke, NuR 2007, 8, 14; keine Bedenken bei v. Danwitz, NVwZ 2004, 272, 279; Durner, NVwZ 2005, 289). Eine Entscheidung dieser Frage ist im Rahmen der Entscheidung über den Beiladungsantrag nicht veranlasst. Für die Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO ist ausreichend, dass die vom Antragsteller vorgetragenen Interessen rechtlichen Schutz nach dem URG und ggfs. der UVP-RL genießen können, dass also ein solcher Schutz hier ernsthaft in Betracht gezogen werden muss. Es kommt deshalb nicht entscheidend darauf an, ob die für die streitige Erlaubnis beachtlichen Vorschriften des Wasserrechts und des Naturschutzrechts tatsächlich einzelnen Betroffenen subjektive öffentliche Rechte vermitteln, was nur in sehr begrenztem Umfang der Fall ist, zumal Fragen der öffentlichen Wasserversorgung nicht unmittelbar berührt sein dürften.

2. Die Beiladung des Antragstellers im vorliegenden Verfahren ist sachgerecht. Der Antragsteller hat sich im Rahmen seiner satzungsmäßigen Wahrnehmungszuständigkeit für die vom Vorhaben berührten Interessen am Schutz der Umwelt allgemein und der Natur insbesondere im Verwaltungsverfahren sachverständig geäußert und sich mit wichtigen Fragen im einzelnen auseinandergesetzt; es besteht ein Interesse daran, seinen Sachverstand auch im gerichtlichen Verfahren nutzbar zu machen. Der Umstand, dass der Antragsteller selbst gegen die bereits erteilte wasserrechtliche Genehmigung Klage erhoben hat, spricht nicht gegen die Beiladung. Die in den beiden Verfahren aufgeworfenen Fragenkomplexe sind zwar vergleichbar, im vorliegenden Verfahren geht es aber vor allem um Belastungen über das von der Beklagten bereits zugelassene Maß hinaus. Deshalb ist der Konfliktstoff nicht deckungsgleich. Es erscheint sinnvoll, dass der Antragsteller gerade auch insoweit Stellung beziehen kann, als es um die hier streitigen zusätzlichen Effekte geht.

Ende der Entscheidung

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