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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: 11 Sa 1562/04
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 2
Eine Änderungskündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber entschließt, die Lage der Arbeitzeit sämtlicher Arbeitnehmer aus nachvollziehbaren Gründen zu verändern.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 27. Juli 2004 (Az.: 5 Ca 119/04) wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist 54 Jahre alt, verheiratet und seit dem 01. April 1987 bei der Beklagten in einem Lebensmittelmarkt als teilzeitbeschäftigte Verkäuferin und Kassiererin mit derzeit 25 Wochenstunden zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von € 1.382,62 beschäftigt. Sie war in der Vergangenheit vorrangig mit der Entgegennahme und dem Einräumen der Molkereiprodukte betraut.

In Ziff. 1 des Arbeitsvertrages ist vereinbart, dass die Klägerin als Verkäuferin / Kassiererin in V X H. / E. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von sieben Stunden an sechs Tagen in der Woche beschäftigt ist.

In Ziff. 8 des Arbeitsvertrages heißt es:

"Der Firma bleibt es vorbehalten, dem Mitarbeiter eine anderweitige, den Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende zumutbare Tätigkeit zuzuweisen."

Gegenstand des Arbeitsverhältnisses ist ferner eine schriftlich vereinbarte Arbeitszeit für Teilzeitbeschäftigte, wonach die Klägerin zuletzt von Montag bis Freitag in der Zeit von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr und Samstag von 7.30 Uhr bis 13.00 Uhr (jeder zweite Samstag frei), im Durchschnitt 25 Wochenstunden beschäftigt wurde.

Nach Änderung des Ladenschlussgesetzes zum 01. Juli 2003 machte die Beklagte von der Möglichkeit Gebrauch, das Geschäft werktags bis 20.00 Uhr geöffnet zu halten. Die Mitarbeiter wurden in ein Arbeitszeitsystem eingebunden, wonach die Arbeitszeit im wöchentlichen Wechsel entsprechend der vereinbarten Wochenstunden, am Vormittag oder Nachmittag (bzw. Abendstunden) zu erbringen ist. Mit Ausnahme der Klägerin haben die in der Filiale V X beschäftigten Mitarbeiter den geänderten Arbeitszeiten ab Februar 2004 zugestimmt.

Mit Schreiben der Beklagten vom 16. März 2004 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Änderungskündigung mit Wirkung zum 31. Oktober 2004 aus und bot ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 01. November 2004 mit der Maßgabe an, die Arbeitszeit im wöchentlichen Wechsel von 7.00 Uhr bis 12.30 Uhr bzw. 14.45 Uhr bis 20.15 Uhr zu erbringen. Die Klägerin hat die Änderungskündigung nicht unter Vorbehalt angenommen.

Die Klägerin hat behauptet, die von ihr in der Vergangenheit zu verrichtende Tätigkeit könne nach wie vor in der bisherigen Arbeitszeit verrichtet werden, ohne dass es in den Nachmittags- und Abendstunden zu Engpässen komme. Auch sei es unverständlich, wenn die Beklagte beabsichtige, sie bei stärkerem Kundenandrang auch an der Kasse einzusetzen. Dies sei aufgrund des Arbeitsanfalles in der von ihr ausgeübten Tätigkeit nicht möglich. Dies zeige auch die Tatsache, dass die Beklagte ihr eine zusätzliche Aushilfe zur Seite gestellt habe, um die Molkereiprodukte ordnungsgemäß zu bearbeiten. Da sich die angelieferte Ware im Kühlhaus befinde, sei es auch gleichgültig, ob die Ware am Vor- oder Nachmittag einsortiert werde. Die Änderungskündigung stelle daher eine Willkürmaßnahme dar.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 16. März 2004 zum 31. Oktober 2004 aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, das Einkaufsverhalten der Kunden habe sich dergestalt verändert, dass sich die umsatzstarken Zeiten auf die späten Nachmittags- und Abendstunden und auf freitags und samstags verschoben habe. Dem müsse sie aus Wettbewerbsgründen Rechnung tragen. Da die Arbeitszeiten am späten Nachmittag und am Abend und dies insbesondere auch am Freitag und Samstag von allen Mitarbeitern als unangenehm empfunden werde, habe sie die unternehmerische Entscheidung getroffen, alle Mitarbeiter im wöchentlichen Wechsel an Vormittagen und Nachmittagen einzusetzen. Aufgrund des mit der Klägerin geschlossenen Arbeitsvertrages behalte sie sich auch vor, die Klägerin bei starkem Kundenandrang an der Kasse einzusetzen. Da der Markt, in dem die Klägerin eingesetzt sei, auch nachmittags mit frischen Molkereiprodukten beliefert werde, sei es zur Vermeidung von Lücken erforderlich, diese auch nachmittags in die Regale einzuräumen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen das ihr am 02. September 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. September 2004 Berufung eingelegt und diese am 20. September 2004 begründet.

Die Klägerin vertieft ihr Vorbringen erster Instanz und macht geltend, die Stoßzeiten mögen sich verändert haben, die Menge der verkauften Artikel dagegen nicht. Daher könnten die Molkereiprodukte auch nach wie vor morgens von ihr eingeräumt werden, ohne dass Lücken entständen. Die Änderungskündigung sei einzig und allein deshalb ausgesprochen worden, da die Beklagte genau gewusst habe, dass aufgrund der familiären Situation und aufgrund ihres Alters eine veränderte Arbeitszeit nicht in Betracht komme und sie durch eine neue jüngere und billigere Arbeitskraft ersetzt werden solle.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 27.07.2004 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Gießen festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die der Klägerin am 23.03.2004 zugegangene Kündigung vom 16.03.2004 zum 31.10.2004 nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie macht geltend, die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, ausschließlich mit dem Verräumen von Molkereiprodukten beschäftigt zu werden. Eine Tätigkeit der Klägerin an der Kasse sei auch nicht regelmäßig vorgesehen, aber es gebe Aushilfssituationen, in denen es sinnvoll sei.

Zur Ergänzung des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die von den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Streitgegenstandes statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden.

In der Sache selbst ist die Berufung nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Änderungskündigung für sozial gerechtfertigt gehalten. Auch das Berufungsvorbringen der Parteien rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Es ist zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist. Die die ordentliche Änderungskündigung rechtfertigenden dringenden betrieblichen Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1, § 2 KSchG setzen voraus, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb überhaupt oder zu den bisherigen Arbeitsbedingungen entfallen ist. Dies kann auf einer unternehmerischen Entscheidung zur Umstrukturierung des gesamten oder von Teilen eines Betriebes oder einzelner Arbeitsplätze beruhen. Betriebliche Gründe können auch eine organisatorische Veränderung bedingen, die zu einer anderen zeitlichen Lage der Arbeitszeit führt. Eine solche Organisationsentscheidung des Arbeitgebers zur Änderung der Arbeitszeitgestaltung unterliegt im Kündigungsschutzverfahren nur einer Missbrauchskontrolle. Sie ist lediglich dahingehend zu überprüfen, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist und ob sie ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Änderungsbedarf ist. Die Missbrauchskontrolle bei der unternehmerischen Entscheidung zielt weder darauf ab, dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben zu machen noch darf sie dazu dienen, die Stichhaltigkeit der Erwägungen zu prüfen, die den Arbeitgeber gerade zu dem von ihm gewählten und keinem anderen Konzept geführt haben. Es geht vielmehr um die Verhinderung von Missbrauch. Da für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung die Vermutung spricht, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist, Rechtsmissbrauch also die Ausnahme ist, hat im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und im Streitfalle zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene innerbetriebliche Strukturmaßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Als missbräuchlich könnte es angesehen werden, wenn ohne Änderung der realen Abläufe abstrakte Änderungen von Organisationsstrukturen benutzt würden, um den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zum Nachteil von Arbeitnehmern so zu ändern, dass für die betroffenen Arbeitnehmer unzumutbare Arbeitsbedingungen entstehen und sie de facto aus dem Betrieb gedrängt werden, weil sie aus wirtschaftlichen Gründen zu den geänderten Bedingungen nicht weiterarbeiten können (vgl. BAG, U. v. 22.04.2004 - 2 AZR 385/03 - DB 2004 S. 1890).

Hierauf beruft sich die Klägerin zwar. Die Kammer konnte aber Umstände, die für einen Missbrauch der unternehmerischen Entscheidung gegenüber der Klägerin hätten sprechen können, nicht erkennen. Die Beklagte hat bedingt durch veränderte Geschäftsöffnungszeiten für alle Mitarbeiter neue Arbeitszeiten festgelegt. Schon aus diesem Grunde ist eine Schikane gerade gegenüber der Klägerin nicht erkennbar. Die Beklagte hat zudem sachlich nachvollziehbare Gründe dargelegt, die dagegen sprechen, allein die Arbeitszeiten der Klägerin unverändert zu lassen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass sich die Haupteinkaufszeit auf den Nachmittag und frühen Abend verschoben hat, sodass notwendig sein kann, abverkaufte Molkereiprodukte später am Tag in die Regale nachzufüllen. Es erscheint vernünftig, eine Organisation vorzuhalten, die auf eine solche Situation in der Lage ist zu reagieren. Auch ist der gegenüber der Klägerin arbeitsvertraglich zulässige Wunsch der Beklagten, sie in Ausnahmefällen auch am späten Nachmittag bzw. frühen Abend an der Kasse einzusetzen, sachlich berechtigt, da die bisherigen Mitarbeiter über längere Ladenöffnungszeiten verteilt arbeiten und zu Spitzenzeiten auch weitere Kassenkräfte benötigt werden.

Die zunächst von der Klägerin aufgestellte Behauptung, ihrer Nachfolgerin seien die bisherigen starren Arbeitszeiten eingeräumt worden, also könne es keine sachlichen Gründe für eine Veränderung der Arbeitszeiten der Klägerin geben, hat sich in der mündlichen Verhandlung als unzutreffend herausgestellt.

Es bedurfte keiner abschließenden Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine sachlich begründete, nicht willkürliche Organisationsentscheidung des Arbeitgebers dennoch gegenüber einem Arbeitnehmer unwirksam ist, weil dieser die neuen arbeitsvertraglichen Bedingungen aus individuell persönlichen Gründen nicht erfüllen kann. Im Streitfalle hat die Klägerin keinerlei Umstände vorgetragen, warum ihr die neuen Arbeitszeiten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis praktisch unmöglich machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht ersichtlich (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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