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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.11.2005
Aktenzeichen: 11 Sa 1890/04
Rechtsgebiete: AÜG, BGB, BertrVG


Vorschriften:

AÜG § 9 1
AÜG § 10 I 1
BGB § 242
BertrVG § 102 I
Einem Arbeitnehmer ist die Berufung auf ein fingiertes Arbeitsverhältnis nicht deshalb verwehrt, weil er zeitgleich Kündigungsschutzklage gegen seinen Vertragsarbeitgeber erhebt. Vorliegend war Arbeitnehmerüberlassung zu bejahen. Das fingierte Arbeitsverhältnis endete weder durch Befristung noch Kündigung.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 07. Oktober 2004, Az. 2 Ca 24/04, abgeändert.

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht und dieses durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Juli 2004 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Produktionsmitarbeiter in Wechselschicht in der Entgeltgruppe V weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Partei streiten auch in der zweiten Instanz darüber, ob zwischen ihnen nach den Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, dieses trotz Kündigung durch die Beklagte fortbesteht und das Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers.

Der Kläger schloss mit der A am 5.3.2003 einen Arbeitsvertrag, im Rahmen dessen er im Betrieb der Beklagten, die mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, zunächst im Bereich Y eingesetzt wurde.

Die A verfügt über keine Erlaubnis zur Überlassung von Arbeitnehmern.

Nachdem die A dem Kläger aus verhaltensbedingten Gründen am 22.12.2003 die Kündigung erklärt hatte, hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 13.1.2004 sowohl hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben, als auch die Beklagte unter Berufung auf das AÜG verklagt. Das Kündigungsschutzverfahren gegen die A ist durch gerichtlichen Vergleich am 22.4.2005 vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht beendet worden (17 Sa 1154/04).

Die Beklagte hat - nach behaupteter Information des bei ihr bestehenden Betriebsrats - das möglicherweise bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30.7.2004 zum 31.8.2004 gekündigt.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht;

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.7.2004 nicht beendet wurde;

die Beklagte zu verurteilen, ihn für die Dauer des Rechtsstreits als Produktionsmitarbeiter in Wechselschicht in der Entgeltgruppe V zu den im Übrigen unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Hanau hat mit Urteil vom 7.10.2004 die Klage abgewiesen, da dem Kläger schon nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sei, ein fingiertes Arbeitsverhältnis zur Beklagten geltend zu machen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt; hinsichtlich der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erheblichen Daten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.11.2005 verwiesen.

Der Kläger wendet sich gegen das arbeitsgerichtliche Urteil. Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass zwischen den Parteien gemäß § 10 I 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis entstanden sei und er nicht gemäß § 242 BGB daran gehindert sei, den Bestand des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen; auch habe die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis nicht beendet und sei die Beklagte dementsprechend zur Weiterbeschäftigung verpflichtet.

Im übrigen verweist der Kläger auf seinen erstinstanzlich Vortrag. Wegen weiterer Einzelheiten seiner Berufungsbegründung wird ergänzend auf die Schriftsätze des Klägers vom 3.11.2004 und 13.1.2005 Bezug genommen.

Der Berufungskläger und Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Berufungsbeklagte und Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten ihrer Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 19.11.2004 Bezug genommen.

Die nachfolgenden Entscheidungsgründe werden, soweit es geboten ist, auf das Berufungsvorbringen der Parteien im Einzelnen eingehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 I, II, 8 II ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 I , 64 VI ArbGG, 519, 520 ZPO.

Auch in der Sache hat das Rechtsmittel des Klägers vollumfänglich Erfolg.

Die allgemeine Feststellungsklage ist gemäß § 256 I ZPO zulässig und begründet, weil zwischen den Parteien seit dem Beginn der Tätigkeit des Klägers in der Produktion der Beklagten gemäß §§ 10 I 1, 9 Nr. 1 AÜG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt. Dieses ist auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.7.2004 oder durch andere Umstände beendet worden, so dass der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers bis zur Rechtskraft des Kündigungsschutzverfahrens besteht.

Zu diesem Ergebnis gelangt das Berufungsgericht gemäß § 313 III ZPO auf der Grundlage folgender Erwägungen:

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und mit der Ansicht des Klägers in seiner Berufungsbegründung ist es dem Kläger nicht gemäß § 242 BGB verwehrt, gegenüber der Beklagten ein gesetzlich fingiertes Arbeitsverhältnis geltend zu machen. Sein Verhalten ist nämlich nicht wegen des zeitgleichen Prozessierens gegen seine Vertragsarbeitgeberin rechtsmissbräuchlich. Die streitige Frage, ob die Voraussetzungen des § 10 I 1 AÜG vorliegen, kann also nicht dahinstehen.

Die Rechtsordnung lässt grundsätzlich widersprüchliches Verhalten zu; Treu und Glauben gebieten nur dort eine Grenze, wo die Rechtsausübung missbräuchlich ist, wenn zum Beispiel für den anderen Teil durch das Verhalten des Anspruchsstellers ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist und der andere im Hinblick hierauf Dispositionen getroffen hat beziehungsweise sich hierauf einrichten durfte (Palandt-Heinrichs, BGB, 64. A. 2005, § 242 RN 55 f, 38; Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 11.12.1996, 5 AZR 708 und 855/95, dokumentiert in juris = DB 1997, 1778). Ein solcher Fall des rechtsmissbräuchlich widersprüchlichen Verhaltens liegt hier jedoch nicht vor.

Zwar hat der Kläger zeitgleich zur Klage gegen die Beklagte ein Kündigungsschutzverfahren gegen seine Vertragsarbeitgeberin, die A erhoben, und im dortigen Prozess deren Kündigung vom 22.12.2003 zum 31.1.2004 angegriffen, ohne das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu dieser in Frage zustellen; schließlich hat er durch gerichtlichen Vergleich vom 22.8.2005 (im Verfahren 17 Sa 1154/04) "das Arbeitsverhältnis" mit der A beendet. Gegenüber der Beklagten hat der Kläger jedoch von Beginn des Rechtsstreits an deutlich gemacht, dass er zwar Kündigungsschutzklage gegen die A erhoben hat, jedoch davon ausgehe, dass diese keine Kündigungsberechtigung besessen habe, weil nach § 10 AÜG das Arbeitsverhältnis zu der Beklagten entstanden sei. Es liegt also kein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten vor, sondern die Beklagte kannte die Prioritäten des Klägers, wusste noch vor tatsächlicher Beendigung des Einsatzes zum Ablauf der Kündigungsfrist, dass dieser sich ihr gegenüber auf das Bestehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses beruft. Der Kläger hat - anders als im vom Arbeitsgericht zitierten Fall (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4.12.1997, AP Nr. 141 zu § 626 BGB) - keinen Vertrauenstatbestand zugunsten der Beklagten geschaffen.

Allein der Umstand, dass der Kläger letztlich in einem der beiden Rechtsstreite unterliegen muss, weil er vor dem Hintergrund der §§ 10 I 1, 9 Nr. 1 AÜG nur Arbeitnehmer der Beklagten oder der A (gewesen) sein kann, ändert nichts an der prozessualen Zulässigkeit seines Handelns. Dieses zweigleisige Vorgehen des unbedingten Verklagens ist im Falle der Unsicherheit, mit wem das Arbeitsverhältnis besteht, vielmehr ein sinnvoller Weg. Die Situation ist vergleichbar der, dass ein Arbeitnehmer nicht sicher weiß, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat beziehungsweise wer der Erwerber ist. Auch hier wird es als sinnvoll erachtet, alle in Betracht kommenden Erwerber unbedingt zu verklagen, weil zum einen das nur hilfsweise, bedingte Verklagen unzulässig ist, zum anderen der Weg der Streitverkündung den Nachteil hat, dass im Falle des Unterliegens gegenüber dem (ersten) Prozessgegner zeitverzögert ein weiterer Prozess gegen den früheren Streitverkündungsempfänger geführt werden müsste (vgl. Kittner/Däubler/ Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. A. 2004, § 613 a BGB RN 148 ; APS-Steffan, 2. A. 2004, § 613 a BGB RN 254; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht / Preis, 5. A. 2005, § 613 a BGB RN 172).

Außerdem muss zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, dass nach allgemeiner Ansicht Widersprüche im prozessualen Vorbringen nichts mit der Schlüssigkeit zu tun haben, eine Partei im Eventualverhältnis widersprüchliche Behauptungen aufstellen darf, sich auch hilfsweise das mit ihrem Hauptvorbringen unvereinbare Vorbringen der Gegenpartei zu eigen machen darf (Thomas/Putzo, ZPO, 24. A. 2002, § 138 RN 6 mit weiteren Nachweisen; Zöller/Greger, ZPO, 24. A. 2004, § 138 RN 4).

Abschließend zu diesem Thema soll noch auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.2.2003, 3 AZR 160/02 hingewiesen werden (dokumentiert in juris = DB 2003, 2181), in dem dieses erstmals in Frage gestellt hat, ob das Recht eines Arbeitnehmers, sich auf ein gesetzlich zwingend fingiertes Arbeitsverhältnis zu berufen, verwirken kann, also gemäß § 242 BGB das Berufen hierauf unzulässige Rechtsausübung darstellen kann, oder nur einzelne Rechte aus dem fingierten Arbeitsverhältnis verwirken können. Dieselbe Frage würde sich bei anderen Fallgruppen der unzulässigen Rechtsausübung stellen.

Nach § 10 I 1 AÜG gilt zwischen den Parteien, nämlich zwischen Entleiher (Beklagte) und Leiharbeitnehmer (Kläger) ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen, weil der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer, also zwischen A und Kläger, nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, da die A unstreitig nicht die erforderliche Erlaubnis nach § 1 AÜG hat.

Nach dem Parteivortrag ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten auf der Grundlage einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG erfolgt ist.

Eine Überlassung zur Arbeitsleistung im Sinne des § 1 II AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die voll in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen. Demgegenüber behält ein Werkunternehmer, der mit Arbeitnehmern bei einem Werkbesteller tätig ist, das Weisungsrecht hinsichtlich dieser Arbeitnehmer und die Verantwortung für das zu erstellende Werk. Über die Qualifizierung der vertraglichen Grundlage eines drittbezogenen Arbeitnehmereinsatzes als Arbeitnehmerüberlassung oder Werkvertrag entscheidet die tatsächliche Durchführung, nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge, auch wenn sie schriftlich fixiert ist (ständige Rechtssprechung, zum Beispiel Bundesarbeitsgericht, 30.1.1991, 7 AZR 497/89, DB 1991, 2342; 9.11.1994, 7 AZR 217/94, DB 1995, 1566; 18.2.2003, 3 AZR 160/02, DB 2003, 2181 = dokumentiert in juris).

Kommt es - wie hier - auf die praktische Durchführung der Vereinbarung an, weil der zwischen Vertragsarbeitgeber und behauptetem Werkbesteller abgeschlossene Vertrag nicht vorgelegt wird, der Geschäftsinhalt also nicht anhand schriftlicher Absprachen überprüft werden kann, ist zu würdigen, ob arbeitsbezogene Weisungen allein vom Vertragsarbeitgeber, und Weisungen des behaupteten Bestellers nur in Ausübung einer werkvertraglichen Anweisungsbefugnis aufgrund des § 645 BGB erfolgen. Fehlt es an einem abgrenzbaren, dem Werkunternehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werk, deutet dies auf Arbeitnehmerüberlassung hin, weil der Besteller dann durch seine Anweisungen den Gegenstand der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz für ihn bindend organisiert (Bundesarbeitsgericht 9.11.1994 und 30.1.1991, aa0 sowie Urteil vom selben Tag, 7 AZR 51/90, dokumentiert in juris). Außerdem muss auf die Unternehmensstrukur des Vertragsarbeitgebers abgestellt werden; dieser muss über die betrieblichen und organisatorischen Voraussetzungen verfügen, um eine vertraglich vereinbarte Dienst- oder Werkleistung zu erbringen und den hierfür eingesetzten Erfüllungsgehilfen arbeitsvertragliche Weisungen zu erteilen. Die Struktur muss ihm also Tätigkeiten ermöglichen, die über die bloße Zurverfügungstellung von Arbeitnehmer hinausgehen, ihn in die Lage versetzten, die für ein Arbeitsverhältnis typischen Entscheidungen zu treffen (Bundesarbeitsgericht, 9.11.1994, aa0).

Im Streitfall muss vor diesem rechtlichen Hintergrund sowie aufgrund des Sachvortrags der Parteien davon ausgegangen werden, dass die vertraglichen Beziehungen der Beklagten mit der A, denen zufolge der Kläger im Betrieb der Beklagten an deren Y-maschinen tätig geworden ist, ihrem Geschäftsinhalt nach auf Arbeitnehmerüberlassung gerichtet waren. Insofern liegt der Sachverhalt vergleichbar dem beim Arbeitsgericht Hanau unter dem Aktenzeichen 1 Ca 193/04 geführten Verfahren, das mit Urteil vom 21.7.2004 (nach Berufungsrücknahme durch die Beklagte) rechtskräftig abgeschlossen worden ist.

Die Beklagte trägt selbst - auch noch zweitinstanzlich - vor, dass der Bereich "Y" zu Beginn der Tätigkeit des Kläger und weiterer A-Mitarbeiter im März 2003 lediglich zu einem Drittel testweise an A vergeben worden sei und "als Zeitpunkt für den Beginn der selbständigen Durchführung dieses Gewerks war März 2004 vorgesehen". Dass bereits zu Beginn der Tätigkeit des Klägers ein abgrenzbares, der A als eigene Leistung zurechenbares und abnahmefähiges Gewerk vorgelegen haben soll, ist nach dem Vorbringender Beklagten nicht erkennbar. Ihr pauschaler Vortrag mit Schriftsatz vom 10.5.2004, zwischen ihr und der A sei ein Werkvertrag geschlossen, in dem sich A verpflichtet habe, einzelne abgrenzbare und abnahmefähige Gewerke zu erfüllen, stellt mangels einlassungsfähigen, einer Beweisaufnahme zugänglichen Tatsachenvortrags eine nicht nachvollziehbare und unerhebliche Rechtsbehauptung dar.

An die Darlegungslast der Beklagten, der es im übrigen ein Leichtes gewesen wäre, den nach ihrer Behauptung zugrundeliegenden Werkvertrag zur Einsichtnahme vorzulegen, sind auch deshalb hohe Anforderungen zu stellen, weil es sich bei den vom Kläger und weiteren im Y-Bereich eingesetzten A-Mitarbeitern ausgeführten Arbeiten um solche handelt, die schon zuvor von eigenen Arbeitnehmern der Beklagten erbracht wurden und weiterhin ausgeführt werden. Welche Änderungen in der Arbeitsorganisation und in den Arbeitsabläufen auf der Grundlage des behaupteten Werkvertrags eingetreten sein sollen mit der Folge, dass der Kläger nun als Erfüllungsgehilfe der A im Rahmen eines abgrenzbaren Gewerks tätig wurde, ist in substantiierter Form nicht dargelegt. Der Beklagtenvortrag lässt auch nicht erkennen, welche auf welches konkrete Werk bezogene Weisungen dem Kläger während seines Einsatzes nur erteilt worden sein sollen. Dem entsprechend hat die Beklagte auch nur pauschal behauptet, dass die Organisation der A auf ihrem Betriebsgelände ab März 2003 je einen Niederlassungsleiter, Außenstellenleiter und operativen Leiter sowie vier Schichtleiter umfasst habe, was aber auch angesichts des von ihr selbst mitgeteilten Einsatzes von 40 bis 100 Mitarbeitern der A nicht ausreicht, um nachvollziehbar zu machen, in welcher konkreten Form wer gegenüber dem Kläger und in Abgrenzung zu an derselben Maschine eingesetzten Arbeitnehmern der Beklagten welche Weisungen erteilt haben soll. Dies wäre aber um so notwendiger gewesen, als der Kläger seinerseits konkret behauptet (insbesondere im Schriftsatz vom 28.5.2004), dass die von der Beklagten angestellten, namentlich benannten Vorarbeiter B und C einheitlich sowohl den eigenen Kollegen als auch den A-Mitarbeitern Weisungen bezogen auf den konkreten Arbeitsort und die konkrete Art der Leistung erteilt hätten; nach den betrieblichen Bedürfnissen der Beklagten (Urlaub oder Erkrankung von Stammmitarbeitern oder Produktionsvorgaben) hätten sie dem Kläger jeweils wechselnde Arbeitsplätze an verschiedenen Maschinen zugewiesen. Auch die völlig unkonkrete Behauptung der Beklagten, ab 1.3.2003 seien arbeitsvertragliche Weisungen ausnahmslos durch Herrn D beziehungsweise ihm unterstellte Mitarbeiter erteilt worden, ist daher kein einlassungsfähiger und einem Beweis zugänglicher Tatsachenvortrag. Mangels nachvollziehbarer entgegenstehender, erheblicher Anhaltspunkte muss die Kammer daher annehmen, dass der Geschäftswille der Beklagten und der A nicht über die bloße Zurverfügungstellung des Klägers hinausging. An der danach zu bejahenden Arbeitnehmerüberlassung ändert sich auch nichts dadurch, dass die A dem Kläger und anderen ihrer Vertragsarbeitnehmer Arbeitskleidung zur Verfügung stellte, da dieser Umstand nicht wesentlich für das Vorliegen eines Werkvertrags spricht. Soweit die A im Bereich des WTH-Transports ausschließlich eigene Transportfahrzeuge eingesetzt haben sollte, ist dies aus dem selben Grund und zudem deshalb ebenfalls unerheblich, weil es für die Einordnung der vertraglichen Beziehungen betreffend den Kläger ausschließlich auf den Bereich Y ankommt.

Ob der Kläger, wie die Beklagte behauptet, ab November 2003 nur noch im Bereich WTH-Transport eingesetzt wurde, ist nicht entscheidungserheblich. Vielmehr ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 10 I 1 AÜG bereits aufgrund der anfänglichen Tätigkeiten des Klägers an den Y-maschinen entstanden. Das ab diesem Zeitpunkt fingierte Arbeitsverhältnis steht einem vertraglich begründeten gleich und kann wie dieses nur durch Kündigung oder einvernehmliche Auflösung, nicht aber durch Änderungen in der tatsächlichen Vertragsdurchführung beendet werden (Bundesarbeitsgericht, 30.1.1991, DB 1991, 2342 a.E.).

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch anderweitige Beendigungstatbestände wieder aufgelöst worden; so insbesondere nicht durch die - ins Leere gehende - Kündigung der A vom 22.12.2003, da eine vom Verleiher ausgesprochene Kündigung den Fortbestand des bereits fingierten Arbeitsverhältnisses unberührt lässt (Ulber, 2.A. 2002, § 10 AÜG RN 38 mit weiteren Nachweisen). Ebenso wenig endete das Arbeitsverhältnis der Parteien infolge Befristung zum 31.7.2004 oder aufgrund Kündigung der Beklagten vom 30.7. zum 31.8.2004.

Zwischen den Parteien ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Die Beklagte hat keinen substantiierten Sachverhalt für eine Befristung im Sinne des § 10 I 2 AÜG vorgetragen. Insbesondere behauptet sie selbst, dass zum hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme des Klägers noch vorgesehen gewesen sei, dass die A mit der selbständigen Durchführung des Gewerkes beginne. Dass der Einsatz des Klägers von vornherein befristet gewesen sei und aus einem bestimmten Grund zu einem konkreten Zeitpunkt habe enden sollen, ist nicht nachvollziehbar vorgetragen. Insofern hilft es der Beklagten nicht, wenn sie in der Berufungserwiderung behauptet, dass die Vereinbarung zwischen ihr und A "beginnend ab dem 1.8.2002 eine Laufzeit von 12 Monaten hatte, die sich über den 31.7.2003 hinaus bis zum 31.7.2004 verlängerte". Jedenfalls nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 13.1.2005 bestritten hat, dass die Verträge zwischen der Beklagten und der Firma A befristet abgeschlossen worden seien, hätte die Beklagte konkreten Sachvortrag halten müssen, am einfachsten durch Vorlage der schriftlichen Vertragsunterlagen, wer konkret wann welche Befristungsabrede getroffen haben soll.

Auch die vorsorgliche Kündigung vom 30.7.2004 hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst; dies schon deshalb nicht, weil die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, die Kündigung daher jedenfalls gemäß § 102 I 3 BetrVG unwirksam ist.

Mit ihrem Schriftsatz vom 4.10.2004 hat die Beklagte einen wesentlich anderen Kündigungssachverhalt in den Prozess eingeführt, da sie zuvor und auch im Schreiben vom 28.7.2004 gegenüber dem Betriebsrat behauptet hat, der Kläger habe "im Januar diesen Jahres von einem Kollegen seine Arbeitszeit am Arbeitszeiterfassungsterminal erfassen" lassen, obwohl er selbst nicht anwesend gewesen sei, nach Ausspruch der Kündigung aber klargestellt, dass Kündigungsgrund ein Vorfall am 5.12.2003 sein soll. Selbst wenn man unterstellt, dass das Nachschieben von Kündigungsgründen (grundlegend hierzu Bundesarbeitsgericht, 11.4.1985, DB 1986, 1726 = NJW 1986, 3159) hier grundsätzlich zulässig wäre, hätte die Beklagte versäumt, die erforderlichen Fakten zur nachträglichen Information des Betriebsrats konkret (zu Art und Weise des Zugangs des Schreibens vom 23.9.2004, zur Wahrung der Anhörungsfrist) und unter Beweisantritt darzulegen. Spätestens nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 6.10.2004 ausdrücklich bestritten hat, dass die Beklagte über die mit Schriftsatz vom 4.10.2004 behaupteten Tatsachen den Betriebsrat nachträglich informiert hat, hätte diese ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nachkommen müssen. Da bereits das Arbeitsgericht am 9.8.2004 hinsichtlich des betriebsverfassungsrechtlichen Anhörungsverfahrens eine konkrete Auflage an die Beklagte gerichtet hat, bedurfte es zweitinstanzlich keiner diesbezüglich erneuten Auflage. Ohne ordnungsgemäße nachträgliche Information des Betriebsrat zu den ergänzenden Kündigungstatsachen aber sind die kündigungsrelevanten Fakten, die die Beklagte erst am 17.9.2004, also nach Zugang der streitgegenständlichen Kündigung, seitens der A erhalten haben will, im Kündigungsschutzverfahren nicht zugunsten der Beklagten verwertbar.

Der Kläger hat nach den vom Großen Senat aufgestellten Grundsätzen (BAG, Urteil vom 27.2.1985, NJW 1985, 2968) auch Anspruch auf vertragsgerechte Weiterbeschäftigung. Nachdem er auf seine Feststellungsklagen ein obsiegendes Urteil erlangt hat, überwiegt nun bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sein Interesse an tatsächlicher Beschäftigung das der Beklagten am Nichteinsatz des Klägers. Für ein ausnahmsweise überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichtbeschäftigung hat die Beklagte keine Umstände vorgetragen. Die Bedingungen der vom Kläger begehrten Beschäftigung wie sie im Klageantrag genannt werden, sind zwischen den Parteien unstreitig, so dass eine entsprechende Tenorierung erfolgen konnte.

Die Beklagte hat gemäß § 91 I ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil sie unterlegen ist.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 II ArbGG liegen nicht vor. Insbesondere besteht keine Divergenz zur Entscheidung der Kammer 6 des Hessischen Landesarbeitsgericht (6 Sa 813 / 04, Urteil vom 1.9.2004), weil dort infolge Klagerücknahme nicht zu prüfen war, ob der Einsatz des dortigen Klägers an der Y-Maschine der Beklagten, der ebenfalls einen Vertrag mit der A hatte, Arbeitnehmerüberlassung darstellte.

Ende der Entscheidung

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