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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.05.2003
Aktenzeichen: 12 Sa 52/02
Rechtsgebiete: SGB VII


Vorschriften:

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1
SGB VII § 8 Abs. 1
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1
SGB VII § 104 Abs. 1 Satz 1
Ein Unfall, den ein Arbeitnehmer im Rahmen eines vom Arbeitgeber organisierten Sammeltransportes zu oder von einer Baustelle erleidet, ist jedenfalls dann kein Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, sondern ein das Haftungsprivileg von § 104 SGB VII auslösender Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII, wenn die Fahrtzeit als Arbeitszeit vergütet wird.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 12 Sa 52/02

Verkündet laut Protokoll am 23. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 12, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 04. April 2003 durch den Richter am Arbeitsgericht ... Griebeling als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Schottler und und die ehrenamtliche Richterin Brehm als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 26. Juli 2001 - 3 Ca 426/00 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall auf der Rückfahrt von einer Baustelle.

Die in ... ansässige Beklagte zu 1) befasst sich mit dem Aufbau und der Montage von Messeständen im In- und Ausland. Sie organisiert den Transport ihrer Arbeitnehmer zu den Messeorten mit eigenen Kraftfahrzeugen. Die Fahrtzeiten werden als Arbeitszeit behandelt und entsprechend vergütet. Die Beklagte zu 1) setzte den im Jahr 1959 geborenen, seit Februar 1997 bei ihr als Messebauer tätigen Kläger bis 14. September 1999 auf einer Messe in ein und transportierte ihn an diesem Tag mit einem in ihrem Eigentum stehenden, bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Transporter aus zurück. Der Kläger saß auf der hinteren Sitzbank hinter dem Fahrer. Die Bank war mit mangels Schlössern funktionsunfähigen Sicherheitsgurten ausgestattet. Während der Fahrt platzte der rechte Hinterreifen des Fahrzeugs. Dieses geriet ins Schleudern, prallte gegen die linke Leitplanke und überschlug sich mehrfach. Der Kläger wurde durch die Frontscheibe auf die Fahrbahn geschleudert und zog sich schwerwiegende Verletzungen zu.

Der Kläger befand sich bis 20. September 1999 in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus in ... Daran schloss sich ein Krankenhausaufenthalt in einer Klinik der Berufsgenossenschaft bis 12. Oktober 1999 an. In den Zeiten vom 25. Januar bis zum 21. Februar 2000, vom 7. Dezember bis 22. Dezember 2000 sowie vom 26. Januar bis 21. Februar 2001 wurde der Kläger erneut stationär behandelt. Er wurde mehrfach operiert und wird Dauerschäden davontragen. Er ist berufsunfähig und lässt sich derzeit zum Bürokaufmann umschulen. Wegen der Einzelheiten der Befunde und der ärztlichen Behandlung wird auf die in der Anlage zu den Schriftsätzen vom 19. Juli 2000 und 11. Juli 2001 (Bl. 6 - 11 und 51 - 53 d.A.) ersichtlichen ärztlichen Berichte Bezug genommen. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden aufgrund des Unfalls.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Haftung sei nicht durch § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen, da der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den Versicherungsfall billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich herbeigeführt habe. Zudem handele es sich um einen Unfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Der Kläger hat behauptet, ihm sei das Fehlen der Anschnallmöglichkeit nicht gleichgültig gewesen. Gurtschlösser und Haltevorrichtungen seien jedoch nicht vorhanden gewesen. Eine ordnungsgemäße Montage der Gurte sei nur in einer Fachwerkstatt möglich gewesen. Dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) sei der Zustand des Fahrzeugs bekannt gewesen. Der Kläger habe mit dem Fahrer des Unfallfahrzeugs vereinbart gehabt, ihn nicht zum Betrieb zurückzubringen, sondern an seinem Wohnsitz in ... abzusetzen. Dementsprechend habe die Ehefrau des Klägers das Privatfahrzeug des Klägers das Privatfahrzeug des Klägers vorher vom Firmenparkplatz abgeholt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von DM 60.000,00 nebst 8,42 % Zinsen hieraus seit 25.05.2000 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 14.09.1999 zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben eine Haftung als durch § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen angesehen und behauptet, die Pflege und Wartung der Firmenfahrzeuge habe den jeweiligen Nutzern der Fahrzeuge oblegen. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, Gurtschlösser zu montieren oder montieren zu lassen. Dies sei ihm aber offensichtlich gleichgültig gewesen. Dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) sei bis zu dem Unfall das Fehlen der Gurtschlösser nicht bekannt gewesen. Der Kläger habe nicht direkt zu Hause abgesetzt werden sollen. Sein Privatfahrzeug habe sich während der Rückfahrt noch auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) befunden.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 60 - 62 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Hanau hat mit Urteil vom 26. Juli 2001 - 3 Ca 426/00 - die Klage abgewiesen und zur Begründung - kurz zusammengefasst - ausgeführt, die Haftung sei durch § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen. Trotz der Teilnahme am Straßenverkehr handele es sich nicht um einen Unfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, da der Transport vergütet worden und eng mit dem Unternehmenszweck der Beklagten zu 1) verbunden gewesen sei. Die Frage, ob der Kläger direkt nach Hause gebracht werden sollte oder nicht, sei bedeutungslos, da die Haftungsfreistellung nicht von derartigen Zufällen abhängen könne. Der Ausnahmetatbestand der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles komme schon deshalb nicht zum Tragen, weil eine juristische Person nicht für vorsätzlich von einem Organmitglied herbeigeführte Arbeitsunfälle hafte. Auch sei ein vorsätzliches Handeln des Geschäftsführers der Beklagten zu 1) nicht dargelegt, da der Kläger selbst nicht behaupte, den Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf das Fehlen der Gurtschlösser aufmerksam gemacht zu haben.

Der Kläger hat gegen das ihm am 12. Dezember 2001 zugestellte Urteil am 10. Januar 2002 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 11. März 2001 am 11. März 2001 begründet.

Der Kläger hält an seiner Sachdarstellung und an seiner Auffassung fest, dass es sich um einen Wegeunfall gehandelt habe. Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sei ..., nicht aber die Rückfahrt gewesen. Da der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den verkehrswidrigen Zustand des Fahrzeuges gekannt habe, habe es eines Hinweises des Klägers nicht bedurft. Durch die Zulassung der Nutzung des Fahrzeuges habe der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) Personenschäden zumindest billigend in Kauf genommen. Der Kläger behauptet, das Unfallfahrzeug sei wie die anderen Fahrzeuge der Beklagten nur mit runderneuerten Reifen ausgestattet gewesen. Die Pflege und Wartung des Fahrzeuges habe nicht den Nutzern oblegen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Klägers wird auf die Schriftsätze vom 11. März 2002 und vom 8. Januar 2003 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 26. Juli 2001 - 3 Ca 426/00 - abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, das die Höhe von € 30.677,51 nicht unterschreiten sollte, sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25. Mai 2000 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 14. September 1999 zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten machen sich die Argumentation des Arbeitsgerichts zu eigen und behaupten, das Unfallfahrzeug sei nicht mit runderneuerten Reifen bestückt gewesen. Es sei vor der Fahrt nach ... zu einem Einsatz in Berlin gewesen. Dort habe ein Hinterreifen Luft verloren, der deshalb ausgewechselt worden sei. Aus diesem Grund habe die Polizei später auf der Hinterachse zwei Reifen mit unterschiedlichen Profilen festgestellt. Dies habe allerdings keinerlei Sicherheitsrisiko dargestellt und sei in keiner Weise für den Unfall mitursächlich gewesen seien, da ein Vorderreifen geplatzt sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 27. März 2002 und 29. Januar 2003 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist nach §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthaft. Sie wurde im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG a.F., 518 ZPO a.F. frist- und formgerecht eingelegt und gemäß §§ 66 Abs. 1 ArbGG a.F., 519 ZPO a.F. rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet und ist daher zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen.

1. Die Klage ist allerdings auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 2) zulässig. Der Kläger hat ein Interesse an alsbaldiger Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Zur Begründung eines Interesses an alsbaldiger Feststellung eines zukünftigen Rechtsverhältnisses genügt es, dass aus dem Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstanden sind oder noch entstehen können. Bei schweren Körperverletzungen kann dies nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen (BGH 15.07.1997 - VI ZR 184/96 - NJW 1998/160, zu II; 24.05.2000 - I ZR 222/97 - NJW 2001/73, zu II 2; 20.03.20,01 - VI ZR 325/99 - NJW 2001/3414, zu II 3 a). Hier ist bereits wegen der durch den Unfall ausgelösten Erwerbsunfähigkeit des Klägers mit weiteren materiellen Schäden zu rechnen. Gleichzeitig können in Zukunft entstehende, nach § 847 BGB ausgleichsfähige immaterielle Schäden nicht ausgeschlossen werden.

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII haftet der Arbeitgeber seinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitnehmern für Personenschäden, die ein Versicherungsfall im Sinne der §§ 7 - 9 SGB VII verursacht hat, nur dann, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt hat. Der Haftungsausschluss umfasst materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche einschließlich des von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht abgedeckten Anspruchs auf Schmerzensgeld (BAG 14.12.2000 - 8 AZR 92/00 - AP SGB VII § 105 Nr. 1, zu 2; 10.10.2002 - 8 AZR 103/02 - AP SGB VII § 104 Nr. 1, zu II 3). Entgegen der Ansicht des Klägers sind alle Voraussetzungen des Haftungsausschlusses erfüllt.

a) Der Unfall war ein Versicherungsfall im Sinne der §§ 7, 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII in der Form des Arbeitsunfalles gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII und nicht etwa in der Form eines Wegeunfalls nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle infolge einer den Versicherungsschutz unter anderem nach § 2 SGB VII begründenden Tätigkeit. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII erfasst dagegen Unfälle beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit.

Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII und einem Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 SGB VII ist im Normalfall das Betreten und Verlassen des Betriebssitzes, also das Durchschreiten des Betriebstores (BAG 14.12.2000 a.a.O., zu 3 c). Auch betriebsexterne Tätigkeiten unterliegen jedoch dem Versicherungsschutz nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII, wenn ein Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit besteht. So ist eine Dienstreise betriebliche Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmungen (BAG 14.12.2000 a.a.O., zu 3 c, Hauck-Keller SGB VII Stand Februar 2003 § 8 Randnr. 32; MünchArbR-Blomeyer2. Aufl. § 61 Randnr. 27; ErfK-Rolfs 3. Aufl. § 104 SGB VII Randnr. 23). Voraussetzung ist, dass es sich um sog. Betriebs- oder Arbeitswege handelt, die unmittelbar der versicherten Tätigkeit dienen (Hauck-Keller a.a.O. § 8 Randnr. 32; MünchArbR-Blomeyer a.a.O. § 61 Randnr. 27; ErfK-Rolfs a.a.O. § 104 SGB VII Randnr. 23). Die Fahrt zu einer betriebsextern gelegenen Arbeitsstätte ist grundsätzlich Privatsache des Arbeitnehmers und deshalb nicht versicherte Tätigkeit im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII, sondern die Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (BGH 12.10.2000 - III ZR 39/00 - BGHZ 145/311, zu II 2 b bb).

Zum Teil wird angenommen, dies gelte im Unterschied zu der früheren Rechtsprechung zu den Vorgängerregelungen (vgl. BGH 16.01.1953 - VI ZR 161/52 - BGHZ 8/330, zu III; 23.11.1955 - VI ZR 193/54 - BGHZ 19/114, zu I; 05.11.1991 - VI ZR 20/91 - BGHZ 116/30, zu II 2 a) auch für vom Arbeitgeber organisierte Sammeltransporte (so etwa Hauck-Keller a.a.O. § 8 Randnr. 32, 194; Hauck-Nehls a.a.O. § 104 Randnr. 30; Rolfs NJW 1996/3177, 3179). Dieser Auffassung ist mit der Gegenmeinung (etwa BGH 12.10.2000 a.a.O., zu II 2 b; LAG Sachsen 26.06.2002 - 2 Sa 597/01 - n.v., zu A II 2; OLG Brandenburg 07.03.2001 - 14 U 44/00 - n.v., zu I 1; Waltermann NJW 1997/3401, 3402) zumindest in Fällen nicht zu folgen, in denen der Sammeltransport vom Arbeitgeber während der vergüteten Arbeitszeit durchgeführt wird.

Bei der Auslegung ist zunächst davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit § 104 SGB VII eine § 636 RVO entsprechende Regelung schaffen wollte. Daher kann zur Auslegung von § 104 SGB VII die zu § 636 RVO ergangene Rechtsprechung herangezogen werden (BGH 12.10.2000 a.a.O., zu II 2 b aa). Auch der Normzweck rechtfertigt keine andere Auslegung. Nicht anders als bei § 636 RVO ist für die Beschränkung des Haftungsausschlusses maßgeblich, dass bei Unfällen auf den § 8 Abs. 2 SGB VII unterfallenden Wegen sich nicht das vom Arbeitgeber durch die Betriebsorganisation ausgelöste Betriebsrisiko, sondern das allgemeine Risiko der Teilnahme am Straßenverkehr realisiert. Vor der Verwirklichung dieses Haftungsrisikos soll der Arbeitgeber nicht geschützt werden; insoweit fehlt ein sachlicher Grund für das Haftungsprivileg. Der betrieblichen - und damit der gesetzlich privilegierten - Risikosphäre zugeordnet sind dagegen vom Arbeitgeber organisierte und durchgeführte Sammeltransporte. Sie verlassen nicht den betrieblichen Organisationsbereich und sind daher der privilegierten Risikosphäre zuzuordnen (ähnlich bereits BGH 16.01.1953 a.a.O., zu III). Dies gilt zumindest in Fällen, in denen die Arbeitsvertragsparteien dadurch, dass die Fahrtzeit als Arbeitszeit vergütet wird, zum Ausdruck bringen, dass die Teilnahme an dem Transport Teil der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten des Arbeitnehmers ist. Das Zurücklegen des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist nämlich im Normalfall nicht Teil der die Vergütungspflicht des Arbeitgebers auslösenden Arbeitszeit (BAG 25.05.2000 - 8 AZR 518/99 - AP BGB § 611 Parkplatz Nr. 8, zu II 2; 14.12.2000 a.a.O., zu 3 c).

Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des Arbeitsgerichts, dass es für die Qualifikation der Fahrt als Betriebsweg unerheblich ist, ob der Kläger zum Sitz der Beklagten zu 1) oder direkt nach Hause gebracht werden sollte. Auch ein Betriebsweg kann von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten und zu diesem zurückgelegt werden, wenn bereits die Fahrt im betrieblichen Interesse liegt (Hauck-Keller a.a.O. § 8 Randnr. 33; ErfK-Rolfs a.a.O. § 104 SGB VII Randnr. 23). Ausgangs- und Endpunkt der Reise sind daher nicht konstitutiv für den Charakter der Reise als Betriebsweg.

b) Der Kläger beruft sich auch vergeblich auf den Ausnahmetatbestand der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles. Dahinstehen kann, ob mit dem Arbeitsgericht der Auffassung gefolgt werden kann, dass juristische Personen für den Vorsatz ihrer Organmitglieder nicht zu haften haben (so etwa ErfK-Rolfs a.a.O. § 104 SGB VII Randnr. 20). Dies ist angesichts der Verschuldenszurechnung nach der Regelung von § 31 BGB, die über ihren unmittelbaren Geltungsbereich auf andere juristische Personen als rechtsfähige Vereine analog anzuwenden ist (vgl. BGH 12.11.1998 - IX ZR 145/98 - NJW 1999/284, zu V 2 a), problematisch und könnte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung von Kapitalgesellschaften führen. Dies kann jedoch offen bleiben, weil der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auch dann nicht vorsätzlich handelte, wenn ihm gemäß der Darstellung des Klägers der Zustand des Unfallfahrzeuges vor dem Unfall bekannt gewesen sein sollte.

§ 104 Abs 1 S. 1 SGB VII setzt ein zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten des Arbeitgebers voraus. Der Arbeitgeber muss den Eintritt des Versicherungsfalles, das heißt die Verletzungshandlung und den Verletzungserfolg, zumindest billigend in Kauf genommen haben (BAG 10.10.2002 a.a.O., zu II 4). Zur Annahme von Vorsatz genügt es nicht, wenn der Täter bewusst eine Rechtspflicht verletzt, jedoch hofft, dass dies keine Folgen haben werde, dass sein riskantes Verhalten daher »gut gehen« werde (vgl. Staudinger-Löwisch BGB Neubearbeitung 2001 § 276 Randnr. 18, 19; MünchKomm-BGB-Grundmann 4. Aufl. § 276 Randnr. 161; MünchArbR-Blomeyer a.a.O. § 61 Randnr. 28). Demzufolge rechtfertigt die bloße Mißachtung von Unfallverhütungsvorschriften nicht die Annahme, der Versicherungsfall sei im Sinne von 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII vorsätzlich herbeigeführt worden (BAG 10.10.2002 a.a.O., zu II 4 c aa).

Danach wäre dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auch dann, wenn die Sachdarstellung des Klägers zutreffen sollte, nicht mehr als bewusste Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Es spricht nichts für die Annahme, dass er den Eintritt eines Unfalls und einen Personenschaden billigend in Kauf genommen hat. Allein der Umstand, dass ihm nach dem Vortrag des Klägers die Bereifung des Unfallfahrzeuges mit runderneuerten Reifen und das Fehlen eines funktionsfähigen Sicherheitsgurtes bekannt gewesen sein soll, trägt eine derartige Schlussfolgerung nicht. Hinsichtlich der Reifen ist kein Umstand vorgetragen worden, der die Annahme rechtfertigen könnte, dass der Geschäftsführer der Beklagten 1) auf Grund des Zustands der Reifen mit einem Unfall rechnen musste.

Hinsichtlich der Sicherheitsgurte spricht gegen einen zumindest bedingten Vorsatz, dass Fahrten mit Kraftfahrzeugen in der großen Mehrzahl der Fälle nicht zu einem Verkehrsunfall führen und das Anlegen der Sicherheitsgurte eine Vorsichtsmaßnahme für den Ausnahmefall des Unfalleintritts ist. Mit seiner gegenteiligen Würdigung will der Kläger aus der Missachtung der Unfallverhütungsvorschriften auf eine Inkaufnahme des Eintritts eines Unfalles schließen. Dies ist ohne das Hinzutreten weiterer, auf eine Billigung des Versicherungsfalles hindeutender Indizien nicht möglich. Falls es bei der Vorsatzprüfung überhaupt möglich sein sollte, Erfahrungssätze festzustellen, kann außerhalb gewaltsamer Auseinandersetzungen im Gegenteil allenfalls davon ausgegangen werden, dass niemand die Verletzung anderer Menschen billigend in Kauf nimmt (vgl. LAG Köln 26.07.2002 - 4 Sa 309/02 - MDR 2003/339, zu 114). Den Rückschluss auf eine davon abweichende Einstellung des Geschäftsführers der Beklagten zu 1) zulassende Anhaltspunkte ergeben sich aus dem von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt nicht.

III.

Die Kosten der Berufung hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger als unterlegene Partei zu tragen.

Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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