Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.03.2003
Aktenzeichen: 12 SaGa 1744/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 630
BGB § 242
BGB § 280
BGB § 318
Der gesetzlich nicht positiv geregelte, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist anlassbezogen und gegenüber dem gesetzlichen Zeugnisanspruch subsidiär. Mit dem Ablauf der Kündigungsfrist einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung kann der Arbeitnehmer die Erteilung eines Zwischenzeugnisses lediglich im Kündigungsschutzverfahren für den Fall der Stattgabe der Kündigungsschutzklage, nicht, aber in einem selbständigen Verfahren einklagen.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 12 SaGa 1744/02

Verkündet laut Protokoll am 28. März 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 12, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2003 durch den Richter am Arbeitsgericht ... Griebeling als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Lotze und Maus als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Oktober 2002 - 5 Ga 206/02 - zum Teil abgeändert:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird insgesamt zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Der Verfügungskläger (im Folgenden: Kläger) war seit Juni 2001 als General Manager für die Schuldnerin tätig. Die Schuldnerin stellte im April 2002 ihre Arbeitnehmer einschließlich des Klägers unter Fortzahlung ihrer Bezüge von der Arbeitsleistung frei und beantragte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Der Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagter) wurde zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter und mit Beschluss vom 05. August 2001 zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 06. August 2002 kündigte er das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. November 2002. Gegen die Kündigung erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen - 5 Ca 8853/02 - beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main anhängige Kündigungsschutzklage, in der am 17. Juni 2003 Kammertermin anberaumt ist. Der Kläger, der bereits im Juli 2002 von dem seinerzeitigen Geschäftsführer der Schuldnerin ein Zwischenzeugnis verlangt hatte, forderte vom Beklagten mit Schreiben vom 03., 09. und 18. August sowie vom 23. September und 05. Oktober 2002 die Erteilung eines derartigen Zeugnisses. Nachdem der Beklagte nicht reagierte, reichte der Kläger am 17. Oktober 2002 den vorliegenden, auf die Erteilung eines Zwischenzeugnisses durch den Beklagten gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein.

Der Kläger hat behauptet, er benötige das Zwischenzeugnis dringend, um sich anderweitig bewerben zu können. Durch die Untätigkeit des Beklagten werde er stark in seinem beruflichen Fortkommen behindert.

Der Kläger hat mit seinem erstinstanzlichen Hauptantrag beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm ein im Einzelnen vorformuliertes Zwischenzeugnis mit dem auf den Seiten 2 - 4 des angefochtenen Urteils (Bl. 22 - 24 d.A.) ersichtlichen Wortlaut auszustellen, und hilfsweise beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollend formuliertes qualifiziertes Zwischenzeugnis auszustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, er sei nicht passivlegitimiert, da er den Kläger niemals persönlich kennenlernte und deshalb dessen Arbeitsleistungen nicht beurteilen könne.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 21 - 24 d.A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 29. Oktober 2002 - 5 Ga 206/02 - den Hauptantrag zurückgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei aufgrund seiner Kündigung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses, wenn auch nicht mit dem vom Kläger vorgegebenen Wortlaut, verpflichtet. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei der Insolvenzverwalter Schuldner des Zeugnisanspruchs. Die für die Beurteilung des Arbeitnehmers erforderliche Angaben müsse er sich aus den Personalakten und durch das Befragen von Vorgesetzten des Arbeitnehmers beschaffen. Auch sei der Verfügungsgrund der Eilbedürftigkeit gegeben, weil der Kläger dringend auf das Zeugnis angewiesen sei und eine Verweisung des Klägers auf ein Hauptsacheverfahren angesichts der Terminsspannen von mehreren Monaten das berufliche Fortkommen des Klägers in nicht akzeptabler Weise behindere.

Gegen das ihm am 13. November 2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 19. November 2002 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Beklagte meint, der Antrag des Klägers sei nicht zulässig, da der Kläger das Zeugnis von der Schuldnerin erhalten könne und daher ein Rechtsschutzinteresse für ein Vorgehen gegen ihn fehle. Wegen der seit dem Beginn der Freistellung des Klägers vergangenen Zeit fehle ein Verfügungsgrund. Überdies führe die Stattgabe des Antrags zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache. In Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts hält der Beklagte an seiner Ansicht fest, dass er wegen der Freistellung des Klägers vor Insolvenzeröffnung nicht passivlegitimiert sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 19. November 2002 verwiesen.

Der Beklagte beantragt:

Das am 29. Oktober 2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt, 5 Ga 206/02, wird aufgehoben und der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger macht geltend, die Erstellung eines Zwischenzeugnisses werde umso dringlicher, je näher der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rücke. Es drohe keine Vorwegnahme der Hauptsache. Der Kläger behauptet, er könne nicht problemlos von den Geschäftsführern der Schuldnerin das Zeugnis erlangen, da diese ausgeschieden und nicht mehr bereit seien, Zeugnisse auszustellen. Eine entsprechende Anfrage Ende Oktober 2002 sei erfolglos geblieben.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Klägers wird auf den Schriftsatz vom 11. Dezember 2002 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthaft. Sie wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und gleichzeitig im Sinne von § 520 ZPO ordnungsgemäß begründet.

II.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

Das Rechtsschutzinteresse für einen Leistungsantrag ergibt sich aus der Nichterfüllung eines materiellrechtlichen Anspruchs. Zur Begründung eines Rechtsschutzinteresses genügt regelmäßig die Behauptung des Antragstellers, dass der von ihm begehrte Anspruch bestehe und nicht erfüllt sei. Ob diese Behauptung zutreffend ist, ist nicht eine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrags (BAG 15. April 1999 - 7 AZR 716/97 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 22, zu I 2). Danach begründet bereits die Behauptung des Klägers, dass ihm gegen den Beklagten ein unerfüllter Anspruch auf ein Zwischenzeugnis zustehe, das Rechtsschutzinteresse. Ob der Kläger auch von anderen, etwa von der Schuldnerin, diese Leistung fordern kann, spielt keine Rolle.

2. Der Antrag ist jedoch nicht (mehr) begründet, da der Kläger jedenfalls inzwischen keinen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis mehr hat.

Es spricht allerdings viel dafür, dass das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Beklagte Schuldner des Zeugnisanspruchs ist. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 31. Januar 1991 (- 5 AZR 32/90 - AP BGB § 630 Nr. 18, zu I) unter ablehnender Auseinandersetzung mit der Gegenansicht angenommen, mit der Eröffnung des Konkursverfahrens sei der Konkursverwalter unabhängig davon, wie lange das Arbeitsverhältnis noch fortgesetzt wird, Schuldner des Zeugnisanspruchs für die gesamte Laufzeit des Arbeitsverhältnisses, da er in die Rechtsstellung des Schuldners eintrete. Auf die Dauer und die Intensität der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Konkurseröffnung komme es im Interesse der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten nicht an. Die für die Erstellung eines qualifizierten Zeugnisses notwendigen Informationen müsse der Konkursverwalter sich durch die Auswertung der Personalakten und durch das Befragen von Vorgesetzten des Arbeitnehmers beschaffen. Für die Zeit vor Konkurseröffnung müsse er Auskünfte des Schuldners einholen. Es besteht kein Grund, diese überzeugende Rechtsprechung nach dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung nicht fortzuführen (anders allerdings LAG Nürnberg 05. Dezember 2002 - 2 Ta 137/02 - n.v.). Auch der Insolvenzverwalter tritt nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO in die Rechtsstellung des Schuldners ein.

Der Kläger hat jedoch wegen des zwischenzeitlichen Ablaufs der Kündigungsfrist keinen Anspruch auf die Erteilung eines Zwischenzeugnisses mehr. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses verlangen kann, sind gesetzlich nicht positiv geregelt. Lediglich einige Tarifverträge enthalten einschlägige Bestimmungen. Nach § 630 BGB bzw. nach der zum 01. Januar 2003 in Kraft getretenen Bestimmung von § 109 GewO kann der Arbeitnehmer ein (Abschluss-) Zeugnis nur bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangen. Es ist allerdings anerkannt, dass nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch während eines laufenden Arbeitsverhältnisses ausnahmsweise ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis bestehen kann, wenn zugunsten des Arbeitnehmers ein triftiger Grund für dessen Erteilung besteht, etwa bei einem Vorgesetztenwechsel, bei einer Versetzung des Arbeitnehmers oder nach dem Ausspruch einer Kündigung mit längerer Kündigungsfrist (Staudinger-Preis BGB Neubearb. 2002 § 630 Rdnr. 19, 20; ErfK-Müller-Glöge 3. Aufl. § 630 BGB Rdnr. 102; MünchArbR-Wank 2. Aufl. § 128 Rdnr. 11; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler Kündigungsschutzrecht 5. Aufl., § 630 BGB Rdnr. 21, 22; Kittner/Zwanziger-Appel Arbeitsrecht § 106 Rdnr. 7; Schaub-Linck Arbeitsrechtshandbuch 10. Aufl. § 146 Rdnr. 5; Schlesmann Das Arbeitszeugnis 16. Aufl. S. 51 - 55). Wegen des nicht abschließenden Charakters der gesetzlichen Zeugnisregelungen wird damit der Rechtsgedanke von § 61 Abs. 2 BAT zur Lückenfüllung entsprechend herangezogen.

Aus dieser Funktion folgt, dass der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis gegenüber dem allgemeinen Zeugnisanspruch subsidiär ist. Er kommt nur in Betracht, wenn kein Anspruch des Arbeitnehmers auf ein Abschlusszeugnis besteht. Da ein solcher Anspruch jedenfalls mit dem Ablauf der Kündigungsfrist entsteht, entfällt der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis spätestens zu diesem Zeitpunkt. Der Arbeitnehmer kann die Erteilung eines Abschlusszeugnisses mit dem Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich auch dann verlangen, wenn er sich gegen die Kündigung wehrt und Kündigungsschutzklage erhoben hat, ohne sich des Vorwurfs widersprüchlichen Verhaltens auszusetzen (BAG 27. Februar 1987 - 5 AZR 710/85 - AP BGB § 630 Nr. 16). Er bedarf dann des Schutzes durch die Anwendung von § 242 BGB nicht. Zudem würde der von der Wirksamkeit seiner Kündigung ausgehende Arbeitgeber andernfalls gezwungen, eine nach seiner Überzeugung unwahre Tatsache im Zeugnis zu bekunden, nämlich das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses. Eine derartige Rechtspflicht kann in der Regel nur in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis in Verbindung mit der Kündigungsschutzklage einklagt. Wird dieser stattgegeben, steht für das Gericht aufgrund der innerprozessualen Bindung nach § 318 ZPO die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Dann kann der Arbeitnehmer auch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens das Zwischenzeugnis einklagen, da das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses für das entscheidende Gericht gem. § 318 ZPO feststeht.

Außerhalb der Bindungswirkung von § 318 ZPO gibt es bis zum rechtskräftigen Ende des Kündigungsschutzverfahrens jedoch keine Rechtsgrundlage, auf die der Arbeitnehmer nach dem Ablauf der Kündigungsfrist einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis stützen könnte. Etwas anderes kann lediglich in Betracht kommen, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Da der Kläger keinen Anhaltspunkt für eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung des Beklagten aufgezeigt hat, hält er zu Unrecht an seiner Forderung auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses fest.

3. Ein Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Sinne von § 156 ZPO besteht nicht. Die Möglichkeit der Wiedereröffnung dient nicht dazu, einer Partei Gelegenheit zu geben, neue Streitgegenstände in ein Verfahren einzuführen, dessen mündliche Verhandlung bereits geschlossen ist.

III.

Nachdem der Kläger trotz der Anregung der Kammer auch aufgrund der Erörterung im Berufungstermin die Hauptsache nicht für erledigt erklärt hat, hat er als unterliegende Partei gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Ende der Entscheidung

Zurück