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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 26.06.2007
Aktenzeichen: 13 Sa 1977/06
Rechtsgebiete: ATG, EStG


Vorschriften:

ATG § 3
ATG § 4
EStG § 3 Nr. 28
EStG § 32 b Abs. 1 S. 1 g
Der Arbeitnehmer hat ohne besondere Absprache in der Freistellungsphase der Altersteilzeit keinen Anspruch auf Freistellung von der Belastung aus dem Steuerprogressionsvorbehalt.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 25. Oktober 2006 - 1 Ca 227/06 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Erstattung einer dem Kläger aufgegebenen Einkommenssteuernachzahlung für das Kalenderjahr 2004.

Der am XX.XX.19XX geborene Kläger war bei der Beklagten als Ausstellungsschreiner beschäftigt. Unter dem 30. April 2002 schlossen die Parteien den in Kopie (Bl. 4 ff. d. A.) zu den Akten gereichten Altersteilzeitvertrag, mit dem die Parteien das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 01. Mai 2002 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis fortführten.

§ 3 "Vergütung" dieser Vereinbarung lautet:

"Für Ihre Tätigkeit erhalten Sie eine nachträglich zahlbare, feste Netto-Vergütung in Höhe von:

1.468,00 €.

Mit dieser Vergütung sind sämtliche Sonderzahlungen abgegolten.

Unabhängig von dem oben genannten Festgehalt sind Zahlungen für Überstunden und die damit verbundenen Zuschläge.

Eine Erhöhung oder Absenkung des Festgehaltes ist für den gesamten Zeitraum der Laufzeit der Vereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen."

§ 4 "Besondere Vereinbarungen" lautet in seinem ersten Absatz:

"Die Altersteilzeit wird auf insgesamt 4 Jahre vereinbart.

Als Modell der Altersteilzeit wird das Blockfreizeitmodell gewählt. Vom 01.05.2002 bis zum 30.04.2004 werden Sie Ihre Tätigkeit in Vollzeit fortführen. Der Beginn der Blockfreizeit ist der 01.05.2004. Die Freistellungsphase endet am 30.04.2006."

Die Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis in den Monaten Januar bis Dezember 2004, wie aus den in Ablichtung (Bl. 21 ff. d. A.) eingereichten Entgeltabrechnungen ersichtlich, unter Zugrundelegung der Steuerdaten des Klägers und unter Abführung der entsprechenden Steuern und Sozialabgaben jeweils mit einer monatlichen Nettovergütung in Höhe von € 1.468,00 ab. Dabei wurde auch ein sog. Aufstockungsbetrag in Höhe von € 332,88 pro Monat steuer- und sozialversicherungsfrei abgerechnet und an den Kläger ausgezahlt.

Nach dem - rechtskräftigen - Einkommenssteuerbescheid des Finanzamts Gelnhausen vom 23. Dezember 2005 (Bl. 6 d. A.) muss der Kläger jetzt für das Kalenderjahr 2004 noch insgesamt € 514,94 an Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag nachzahlen. In dem Steuerbescheid ist unter Absatz 2 der Erläuterungen ausgeführt, dass der vorgenannte Aufstockungsbetrag in Höhe von insgesamt € 3.994,00 nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 EStG in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen wurde (Progressionsvorbehalt).

Mit der am 21. Juni 2006 nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung eingereichten und am 23. Juni 2006 zugestellten Klage hat der Kläger die Erstattung des festgesetzten Betrags verlangt.

Er ist der Auffassung gewesen, mit der am 30. April 2002 getroffenen "Nettolohnvereinbarung" habe sich die Beklagte verpflichtet, alle anfallenden Steuer- und Sozialabgaben abzuführen. Die Beklagte habe deshalb auch für das Jahr 2004 die arbeitgeberseitigen Aufstockungsbeträge einer Besteuerung zuführen müssen, um die jetzt von ihm verlangte Steuernachzahlung zu vermeiden. Da sie dies nicht getan habe, so hat der Kläger gemeint, schulde sie die Erstattung der Steuernachforderung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm € 514,94 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung gewesen, das vereinbarte Nettoentgelt monatlich jeweils ordnungsgemäß abgerechnet und gezahlt zu haben. Die sog. Aufstockungsbeträge seien steuerfrei und nicht dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen. Weitergehende Verpflichtungen habe sie, die Beklagte, in der Altersteilzeitvereinbarung vom 30. April 2002 nicht übernommen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2006 hat das Arbeitsgericht die Klage unter ausdrücklicher Zulassung der Berufung abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, die Altersteilzeitvereinbarung der Parteien verpflichte die Beklagte nicht, auch die Einkommenssteuer und die Solidaritätszuschläge zu übernehmen, die für das steuerpflichtige Einkommen des Klägers allein durch die in den Progressionsvorbehalt fallenden Aufstockungsbeträge entstünden. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 42 - 45 d. A.).

Gegen dieses dem Kläger am 31. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat dieser mit einem beim erkennenden Gericht am 20. November 2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31. Januar 2007 mit einem am 24. Januar 2007 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist weiter der Meinung, aus der getroffenen "Nettolohnvereinbarung" folge die Verpflichtung der Beklagten, ihm die streitbefangene Steuernachzahlung zu erstatten. Die Zahlung eines Aufstockungsbetrags sei nicht ausdrücklich vereinbart worden. Wenn die Beklagte diesen bei der Errechnung der Altersteilzeitvergütung eingesetzt habe, könnten die steuerlichen Nachteile daraus nicht zu seinen Lasten gehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 25. Oktober 2006 - 1 Ca 227/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm € 514,94 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Ansicht, durch die monatlichen Abrechnungen und Nettozahlungen ihrer Verpflichtung aus dem Altersteilzeitvertrag genügt zu haben. Die Steuernachzahlung, die der Kläger wegen der in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Aufstockungsbeträge getroffen hat, habe sie nicht zu ersetzen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 26. Juni 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. den §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet nach ausdrücklicher Zulassung der Berufung durch das Arbeitsgericht hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken (§ 64 Abs. 2 a ArbGG). Die Berufung ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache ist die Berufung erfolglos.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der streitbefangenen Summe, insbesondere folgt ein solcher Anspruch weder aus dem Altersteilzeitvertrag vom 30. April 2002 noch aus der Verletzung entsprechender Aufklärungspflichten.

Die Zusage eines Arbeitgebers wie hier der Beklagten, einem Arbeitnehmer im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung einen bestimmten Geldbetrag monatlich "netto" zu zahlen, verpflichtet den Arbeitgeber grundsätzlich nicht, auch eine progressionsbedingte Steuermehrbelastung des Arbeitnehmers zu übernehmen.

Hier kam es zu dieser Mehrbelastung dadurch, dass die Beklagte dem Kläger neben dem vereinbarten Teilbetrag seiner bisherigen Vergütung auch den sog. Aufstockungsbetrag in Höhe von monatlich € 332,88 netto zukommen ließ. Der Aufstockungsbetrag ist essentieller Bestandteil einer jeden Altersteilzeitvereinbarung und im Einzelnen in den §§ 3, 4 ATG geregelt. Diese Aufstockung beruht auf der Überlegung, dass jeder Arbeitnehmer fixe Kosten für den Lebensunterhalt hat. Würde der Lohn entsprechend der halbierten Arbeitszeit im Altersteilzeitverhältnis auf nur noch die Hälfte herabgesetzt, verbliebe den Betroffenen zu wenig für ihre Lebensführung. Damit die Altersteilzeit nicht schon aus diesem Grund unattraktiv ist, wird der Teilzeitlohn aufgestockt. Aus Arbeitnehmersicht ist von Interesse, was in der Altersteilzeit nach Aufstockung unter dem Strich netto verbleibt. Aus Arbeitgebersicht interessant ist die eventuelle Erstattung durch das Arbeitsamt (vgl. dazu im Einzelnen dazu Rittweger/Petri/Schweigert, ATG, 2. Aufl. 2002, § 3 Rz 5).

Die Steuerfreiheit des Aufstockungsbetrages folgt aus § 3 Nr. 28 EStG. Allerdings ist die Einkommenssteuer von einer bestimmten Höhe an progressiv gestaffelt (§ 32 a EStG). Gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 g EStG nimmt der Aufstockungsbetrag an der Steuerprogression teil. Das heißt, der Aufstockungsbetrag selbst unterliegt zwar nicht der Versteuerung, dem steuerlichen Einkommen eines in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmers wird aber der steuerfreie Aufstockungsbetrag zur Berechnung des Steuersatzes hinzugerechnet und erhöht unter Umständen -und auch hier- diesen Steuersatz für das zu versteuernde Einkommen. Dieser erhöhte Steuersatz wirkt sich regelmäßig erst bei der jährlichen Einkommenssteuerveranlagung aus, zu deren Beantragung der Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet ist (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG; vgl. dazu BAG vom 08. September 1998 - 9 AZR 255/97 - AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10; BAG vom 20. Mai 1999 - 6 AZR 451/97 - BAGE 91, 358; BAG vom 25. Juni 2002 - 9 AZR 155/01 - AP Nr. 4 zu § 3 ATG).

Die sich daraus eventuell ergebende nachzuzahlende Steuer gehört nicht zu den "Abzügen", deren Ausgleich der Arbeitgeber mit der Altersteilzeitvereinbarung und der entsprechenden Nettolohnabrede übernommen hat (BAG vom 25. Juni 2002, a. a. O.; BAG vom 18. März 2003 - 9 AZR 61/02 - ZTR 2003, 451; Hess. LAG vom 23. Januar 2001 - 7 Sa 902/00 - LAGE § 3 ATG Nr. 2; Schmidt/ Glanegger/Heinicke, EStG, 25. Aufl. 2006, § 32 b Rz 1; Nimscholz/Oppermann/Ostrowicz, ATG, 4. Aufl. 2004, S. 83; Rittweger/.../, § 3 Rz 68 entgegen Vorauflage). Wäre der Arbeitgeber verpflichtet, die individuelle Steuerschuld, die aufgrund des Progressionsvorbehalts im Rahmen der Einkommenssteuerveranlagung festgesetzt wird, zu berücksichtigen, hätte dies aufgrund der insoweit erhöhten Aufstockungsleistung eine erneute Steuerprogression nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 g EStG zur Folge. Eine derartige Progressionsspirale ist mit dem gesetzlichen Ziel, dem Arbeitgeber durch Pauschalierung die Berechnung des Nettoentgelts zu vereinfachen, nicht zu vereinbaren (BAG vom 01. Oktober 2002 - 9 AZR 298/01 - n. v., zitiert nach juris; Rittweger, ATG 1999, § 3 Rz 39).

Eine solche Verpflichtung ergibt sich nur, wenn dies der Arbeitgeber in der Altersteilzeitvereinbarung ausdrücklich zugesagt hat (BAG vom 25. Juni 2002, a. a. O.; BAG vom 01. Oktober 2002, a. a. O.; Nimscholz/.../, a. a. O., S. 83; ähnlich BAG vom 29. Juli 2003 - 9 AZR 100/02 - AP Nr. 15 zu § 611 BGB Nettolohn).

Der Kläger kann sich hier auch nicht mit Erfolg darauf berufen, mit ihm sei nicht ausdrücklich die Zahlung eines Aufstockungsbetrags vereinbart worden. Darin ist richtig, dass Altersteilzeitvereinbarungen in der Regel auf einem Tarifvertrag beruhen oder eben einzelvertraglich abgesprochen werden. Ein Tarifvertrag steht vorliegend ersichtlich nicht in Rede. Mit dem Kläger ist aber eine einzelvertragliche Vereinbarung getroffen worden. Dass in dieser die Zahlung eines Aufstockungsbetrages nicht ausdrücklich erwähnt ist, erscheint unerheblich. Der Einsatz eines Aufstockungsbetrages in gesetzlicher Mindesthöhe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a ATG) ist integraler Bestandteil jedes Altersteilzeitverhältnisses und, wie oben ausgeführt, auch im Interesse des Arbeitnehmers, der nicht nur "netto" mehr Vergütung erhält als ohne den gesetzlich vorgesehenen Aufstockungsbetrag, sondern auch die Voraussetzungen schafft für den vorzeitigen Bezug der Altersrente (§ 237 SGB VI).

Der Kläger hat auch nichts vorgetragen, was einen eventuellen Schadenersatzanspruch in Höhe des "Progressionsschadens" wegen Verletzung von Aufklärungspflichten rechtfertigen könnte (vgl. dazu BAG vom 25. Juni 2002, a. a. O.; BAG vom 01. Oktober 2002, a. a. O.).

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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