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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: 13 Sa 537/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 612 a
Beruft sich ein Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess auf das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, können ihm Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zugute kommen.

Gelingt der Beweis des ersten Anscheins, kann der Arbeitgeber ihn dadurch erschüttern, dass er die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs beweist.

Erfolgt eine Kündigung 10 Tage, nachdeem sich der Arbeitnehmer anwaltlich gegen eine Abmahnung gewährt hat, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Maßregelung im Sinne des § 612a BGB.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 20. Februar 2007 - 6 Ca 451/06 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer dem Kläger von dem Beklagten am 30. Oktober 2006 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte ist als Subunternehmerin bzw. zum Teil als "verlängerte Werkbank" im Bereich Warenprüfung tätig, überwiegend für A (Achswerk). Sie beschäftigt regelmäßig weniger als 10 Arbeitnehmer.

Der Kläger ist seit 01. Januar 2006 bei der Beklagten als Warenprüfer tätig zu einem Stundenlohn von 7, 00 EUR brutto.

Am 10. Oktober 2006 erhielt der Kläger eine Abmahnung, mit der ihm vorgeworfen wurde, ein unangemessenes Verhalten gegenüber Vorgesetzten an den Tag gelegt zu haben, die Minusstunden im Arbeitszeitkonto nicht rechtzeitig abzubauen, keine der Auftragslage entsprechende hinreichende Flexibilität zu zeigen und Kritik an der Bezahlung geübt zu haben. Der Kläger reagierte darauf mit einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Oktober 2006, mit dem er sich gegen die abgemahnten Vorwürfe zur Wehr setzte und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangte (Bl. 9, 10 d. A.).

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 (Bl. 4 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. November 2006.

Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung hat sich der Kläger mit der am 08. November 2006 erhobenen und alsbald zugestellten Klage gewandt und die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot nichtig. Die Kündigung, so hat er behauptet, sei nur als Reaktion auf sein Anwaltsschreiben vom 19. Oktober 2006 erklärbar. Andere Kündigungsgründe, insbesondere betriebsbedingte im weiteren Sinne, gebe es nicht. Er und sein Arbeitskollege Er hätten Überstunden geleistet, die Beklagte habe ihren Geschäftsbetrieb auch nicht aufgeben oder verkaufen wollen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat einen Zusammenhang zwischen dem Anwaltsschreiben des Klägers vom 19. Oktober 2006 und ihrer Kündigung vom 30. Oktober 2006 zurückgewiesen. Ende Oktober 2006 habe sich eine "nicht mehr gesicherte Auftragslage für die zweite Hälfte des vierten Quartals 2006 abgezeichnet". Sie, die Beklagte, sei sehr stark von ihrem Hauptkunden A (Achswerk) abhängig und deshalb zur Erlangung von Folgeaufträgen darauf angewiesen, die Wünsche des Kunden hinsichtlich einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung zu berücksichtigen. Darüber hinaus beabsichtige sie die Veräußerung ihres Geschäftsbetriebs an einen Dritten im Hinblick auf ihr nunmehr erreichtes Rentenalter. Im Hinblick auf mögliche Gespräche mit Übernahmeinteressenten im vierten Quartal 2006 habe auf keinen Fall ein Personalüberhang bestehen sollen. Die Kündigung sei gegenüber dem Kläger auch ausgesprochen worden, weil seine Kollegen Herrn B und Herr C weit eigenverantwortlicher, flexibler und qualifizierter eingesetzt werden könnten.

Durch Urteil vom 20. Februar 2007 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, im Wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte habe den gegen sie sprechenden Anschein einer verbotenen Maßregelung des Klägers durch die streitbefangene Kündigung nach dessen Anwaltsschreiben vom 19. Oktober 2006 nicht entkräften können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 55 - 59 d. A.).

Gegen dieses der Beklagten am 19. März 2007 zugestellte Urteil hat diese mit einem beim erkennenden Gericht am 28. März 2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 25. April 2007 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zwischen dem Anwaltsschreiben des Klägers am 19. Oktober 2006 und der ausgespro€chenen Kündigung vom 30. Oktober 2006 gebe es keinerlei Ursachenzusammenhang. Es gebe, so meint die Beklagte, schon keinen ersten Anschein hierfür. Jedenfalls sei der Anschein entkräftet, weil sich eine schwierigere Auftragslage abzeichnete und sie, die Beklagte, die Absicht hatte, ihren Betrieb aufzugeben oder zu verkaufen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 20. Februar 2007 - 6 Ca 451/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Aus seiner Sicht ergibt sich der Ursachenzusammenhang zwischen seinem Anwaltsschreiben vom 19. Oktober 2006 und der Kündigung vom 30. Oktober 2006 schon aus dem kurzen zeitlichen Abstand. Die dagegen vorgetragenen tatsächlichen Gesichtspunkte seien nicht tragfähig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 21. August 2007 Bezug genommen.

Die Akte des Arbeitsgerichts Kassel Az. 6 Ca 471/06 war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 lit. c ArbGG) keinen Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache ist die Berufung erfolglos. Das Arbeitsgericht hat der Klage nach rechtzeitiger Klageerhebung (§ 4 KSchG) im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 2006 zum 30. November 2006 nicht aufgelöst worden.

Die Kündigung der Beklagten beruht auf rechtsmißbräuchlichem Verhalten mit der Folge ihrer Nichtigkeit (§ 134 BGB).

Die §§ 242, 138 Abs. 1 BGB schützen den Arbeitnehmer auch außerhalb des hier zweifelsfrei nicht zur Anwendung kommenden Kündigungsschutzgesetzes vor rechstmißbräuchlichen, sittenwidrigen oder willkürlichen Kündigungen. Im Bereich des Arbeitsrechts findet sich eine Ausprägung dieses Grundsatzes in § 612a BGB. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht mit einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als "Maßnahmen" in diesem Sinne kommen auch Kündigungen in Betracht (BAG vom 22. Mai 2003, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; BAG vom 20. April 1989, RzK I 8 L Nr. 15; BAG vom 02. April 1987, AP Nr. 1 zu § 612a BGB; ErfK-Preis, 7. Aufl. 2007 § 612a BGB Randziffer 13). Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet (BAG vom 12. Juni 2002, AP Nr. 8 zu § 612a BGB; ErfK-Preis, a. a. O., Randziffer 11). Ist die zulässige Rechtsausübung das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme, ist die Kausalkette für andere Gründe, die den Entschluss des Arbeitgebers zu der benachteiligenden Maßnahme, hier der Kündigung, nicht bestimmt haben, abgeschnitten. Für diese Kündigung kausal ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung. Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist (BAG vom 20. April 1989, a. a. O.; LAG Schleswig Holstein vom 28. Juni 2005, AiB 2006, 61).

Der Kläger hat folglich neben der Benachteiligung, die bei einer Kündigung auf der Hand liegt, den Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG vom 02. April 1987 a.a.O.; BAG vom 25. November 1993, AP Nr. 3 zu § 14 KSchG 1969). Im Rahmen des § 612a BGB sind dem Arbeitnehmer allerdings Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu gewähren (BAG vom 11. August 1992, AP Nr. 124 zu Artikel 9 GG Arbeitskampf) und zwar insbesondere dann, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Rechtsausübung besteht (LAG Schleswig Holstein vom 25. Juli 1989, LAGE Nr. 4 zu § 612a BGB: LAG Hamm vom 15. Januar 1985, LAGE Nr. 5 zu § 20 BetrVG 1972; ErfK-Preis, a. a. O., § 612a Randziffer 22 m. w. N.). Den Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber sodann seinerseits durch substantiierten Vortrag erschüttern mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer den Vollbeweis führen muss.

Im vorliegenden Falle spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Behauptung des Klägers, dass sein Anwaltsschreiben vom 19. Oktober 2006 kausal geworden ist für die Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 2006. Hiervon zeugt schon der zeitliche Zusammenhang. Zwischen dem zitierten Anwaltsschreiben und der Kündigung lagen 10 Tage (ähnlich ArbGG Hamburg vom 23. Juli 1990, DB 1991, 103; ArbGG Augsburg vom 07. Oktober 1997, NZA-RR 1998, 542; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 612a BGB Randziffer 35). Bei der Auseinandersetzung, die die Parteien ausweislich des Abmahnungsschreibens der Beklagten vom 10. Oktober 2006 miteinander hatten, erscheint es nach der Lebenserfahrung als typischer Geschehensablauf, wenn danach versucht wird, die Differenzen durch den Ausspruch einer Kündigung zu beenden. Entgegen der Ansicht der Beklagten geht es im vorliegenden Falle eben nicht nur um ein "Zeitmoment", vielmehr sprechen auch die tatsächlichen Umstände und die Art des Konflikts der Parteien dafür, dass die Kündigung gerade wegen des Willens des Klägers erfolgte, sich gegen die Abmahnung zur Wehr zu setzen und seine Rechtspositionen zu wahren. Damit ist der Anscheinsbeweis geführt.

Die Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften. An ihr hätte es nun gelegen, den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis zu erschüttern. Hierzu hätte die Beklagte nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen indessen des vollen Beweises, d.h. es muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass es auch die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablauf gegeben haben kann (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, Randziffer 29 vor § 284 ZPO; Thomas-Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 286 Randziffer 12 ff m. w. N.). Gelingt es dem Prozessgegner, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, so fällt die volle Darlegungs- und Beweislast an den Kläger zurück.

Im vorliegenden Fall reichen die von der Beklagten ins Feld geführten Tatsachen nicht aus, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Sie sind unsubstantiiert und zum Teil auch widersprüchlich. So ist für die angeblich beabsichtigte Betriebsaufgabe bzw. der Verkauf des Betriebes nichts außer der entsprechenden Absicht vorgetragen. Es wäre der Beklagten ein Leichtes gewesen, entsprechende Aktivitäten näher darzulegen, z.B. welche Verkaufsbemühungen sie unternommen hat oder sie genau und in welchem zeitlichen Rahmen sie sich eine Stilllegung des Betriebs vorgestellt hat. Entsprechende Schreiben hätten vorgelegt und entsprechende Zeugen (Kaufinteressenten) hätten benannt werden können. Dies ist nicht geschehen. Deshalb kam auch die Vernehmung des Ehemanns der Beklagten als Zeuge für die wie auch immer geartete Verkaufs- oder Stilllegungsabsicht nicht in Betracht. Im Übrigen ist der Betrieb der Beklagten unter deren Leitung bis heute aktiv. Ohne nähere Erläuterung ist auch nicht einleuchtend, warum ein beabsichtigter Verkauf oder eine beabsichtigte Stilllegung unbedingt die "Vorabkündigung" des Klägers und seines Arbeitskollegen Er nötig gemacht haben sollte.

Auch die Ausführungen der Beklagten zur angeblich schlechten Auftragslage sind gänzlich unsubstantiiert. Mehr als die im Tatbestand wörtlich zitierte Formulierung "es zeichnete sich eine schwierige Auftragslage ab", ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Diese in sich schon spekulative Aussage kann als ernsthafte Möglichkeit einer Kündigung aus diesem Grund solange nicht herhalten, wie nicht dargelegt wird, von welcher Auftragslage man ursprünglich ausging und wie sich diese verändert haben sollte. Unklar ist weiter geblieben, woraus die Beklagte auf die angeblich zukünftige schwierige Auftragslage geschlossen hat. Die Berufungskammer kann auch nicht übersehen, dass nach dem Vortrag des Klägers, der ohne weitere Erwiderung blieb, sowohl vor wie nach der Kündigung der Beklagten in dem Betrieb Überstunden ange€fallen sind. Bei dieser Sachlage kommt auch insoweit die angebotene Vernehmung des Ehemanns der Beklagten als Zeuge nicht in Betracht. Die Vernehmung würde auf einen dem Zivilprozess allgemein und damit auch dem arbeitsgerichtlichen Verfahren wesensfremden Ausforschungsbeweis hinauslaufen.

Nach alledem bleibt es bei dem von der Beklagten nicht entkräfteten Anscheinsbeweis dahin, dass die Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 2006 ausgesprochen wurde, weil sich der Kläger in zulässiger Weise gegen die ihm erteilte Abmahnung zur Wehr setzte. Die Kündigung verstößt deshalb gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und ist nichtig, § 134 BGB.

Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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