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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: 13 Sa 692/04
Rechtsgebiete: BGB, TVG


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
TVG § 4
Auch die Formulierung: "Ich würde Sie daher bitten zu bestätigen, dass Sie von der Rückforderung von ... Euro absehen", stellt eine Ablehnung der Erfüllung dar und setzt die 2. Stufe einer eventuell zu beachtenden entsprechenden Ausschlussfrist (gerichtliche Geltendmachung) in Lauf.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 04. Dezember 2003 - 7/1 Ca 298/01 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rückforderung überzahlter Arbeitsvergütung.

Der Beklagte ist Mitglied der A, die Klägerin ist Mitglied im B.

Der Beklagte war bei der Klägerin beschäftigt und schied mit Wirkung zum 30. April 2001 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Mit Schreiben vom 10. Mai 2001 forderte die Klägerin den Beklagten auf, € 1.599,04 wegen einer Lohnüberzahlung infolge eines negativen Arbeitszeitkontos zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 22. Mai 2001 ließ der Beklagte über das Mainzer Büro der C GmbH das Aufforderungsschreiben beantworten. Das Schreiben hat im Wesentlichen folgenden Wortlaut:

"Mit Schreiben vom 10.05.01 fordern Sie meinen Mandanten auf, bis spätestens 15.06.01 € 1.599,05 an Lohnüberzahlung zu überweisen. Sie nehmen Bezug auf das Arbeitszeitkonto, welches ein Minus von 343,09 Stunden zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis aufweist. Mir liegen die Lohnabrechnungen für die Monate Februar bis einschließlich April 2001 vor. Laut Februarabrechnung beträgt das Minus 120 Stunden. Laut Märzabrechnung ebenfalls 120 Stunden und laut Aprilabrechnung 103,09 Stunden. Wieso in der Aprilabrechnung der Lohn um weitere 36 Stunden gekürzt worden ist, bleibt unerfindlich. Im Übrigen liegt meinem Mandanten nicht die Rechtsgrundlage für den Barausgleich des Zeitkontos vor. Nach Mitteilung meines Mandanten hatte er keine Möglichkeit, in den letzten beiden Jahren ein Arbeitszeitguthaben zu erwerben. So hatte sich das Minus auf dem Arbeitszeitkonto kontinuierlich aufgebaut. Die mir bekannten Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge aus anderen Branchen sehen vor, dass an einem bestimmten Stichtag das Arbeitszeitkonto ausgeglichen wird, bzw. dem Arbeitnehmer auch die Möglichkeit eingeräumt werden muss, das Arbeitszeitkonto auszugleichen.

Die in der D geübte Praxis führt faktisch dazu, dass ein Arbeitnehmer ohne hohe Geldverluste nicht kündigen kann. Dies dürfte einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl darstellen. Die Freiheit der Berufswahl ist verfassungsrechtlich geschützt und als höherrangiges Recht zu bezeichnen.

In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass Herr Kohn bereits dadurch das Arbeitszeitkonto in erheblichem Umfang abgebaut hat, dass das Aprilgehalt nicht zur Auszahlung kam.

Ich würde Sie daher bitten zu bestätigen, dass Sie von der Rückforderung von € 1.599,05 absehen."

Mit Schreiben vom 11. Juni 2001 teilte die Klägerin der C GmbH mit, dass sie keine Veranlassung sehe, von der Forderung abzurücken. Sodann wurde der Beklagte mit einem weiteren Schreiben vom 20. Juni 2001 aufgefordert, nach Überprüfung und Neuberechnung nunmehr den Betrag von € 1.341,32 zurückzuzahlen.

Die vorliegende Klage auf Rückzahlung des vorzitierten Betrages ging am 10. Dezember 2001 beim Arbeitsgericht Darmstadt ein und wurde dem Beklagten am 10. Januar 2002 zugestellt.

§ 27 des zwischen den Parteien geltenden gemeinsamen Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 in der Fassung vom 14. November 2002 lautet wie folgt:

"Erlöschen von Ansprüchen

1. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind wie folgt geltend zu machen:

a) ...

b) Alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.

2. ...

3. Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die Gegenseite seine Erfüllung ab, so ist der Anspruch innerhalb von drei Monaten seit der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen."

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass ihr infolge Lohnüberzahlung der geltend gemachte Betrag zustehe. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens und der Berechnung wird auf die Klageschrift vom 07. Dezember 2001 (Bl. 1 - 5 d.A.) sowie auf ihren Schriftsatz vom 04. Oktober 2002 (Bl. 18 - 25 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie € 1.341,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2001 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung gewesen, die Klägerin könne eine Rückzahlung schon deswegen nicht verlangen, weil ein etwaiger Anspruch gem. § 27 des zitierten gemeinsamen Manteltarifvertrages verfallen sei.

Mit Urteil vom 04. Dezember 2003 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Forderung der Klägerin sei gem. § 27 des zitierten gemeinsamen MTV verfallen. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 47 - 51 d.A.).

Gegen dieses der Klägerin am 19. März 2004 zugestellte Urteil hat diese mit einem beim erkennenden Gericht am 16. April 2004 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 19. Mai 2004, eingegangen am gleichen Tage (Montag), begründet.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie hält ihren Anspruch nach wie vor für begründet, insbesondere sei er rechtzeitig geltend gemacht. Sie habe auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung gewahrt, denn der Beklagte habe die Erfüllung der begehrten Forderung nie im Sinne von § 27 Nr. 3 MTV abgelehnt. Sein Schreiben vom 22. Mai 2001 sei nicht als Ablehnung zu verstehen sondern als Hinweis auf rechtliche Bedenken und als Bitte um Kulanz.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 04. Dezember 2003 - 7/1 Ca 298/01 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr € 1.341,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2001 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt weiter die Auffassung, etwaige Rückforderungsansprüche der Klägerin seien verfallen, weil die Klägerin nach der aus seiner Sicht eindeutigen Ablehnung der Forderung mit Schreiben vom 22. Mai 2001 die 3-monatige Klagefrist gem. § 27 des gemeinsamen MTV versäumt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 07. Dezember 2004 (Bl. 74 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 ArbGG) keinen Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache ist die Berufung erfolglos.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Die Klage ist unbegründet. Dem Begehren der Klägerin steht § 27 Abs. 3 des zitierten gemeinsamen MTV entgegen, der wegen der beiderseitigen Verbandszugehörigkeit der Parteien gem. § 4 Abs. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet.

Das Berufungsgericht macht sich insoweit die Begründung des Arbeitsgerichts zu Eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie.

Die Klägerin hat die zweite Stufe der zitierten tariflichen Ausschlussfrist von drei Monaten versäumt, deren Lauf der Beklagte durch sein Ablehnungsschreiben vom 22. Mai 2001 in Gang gesetzt hatte. Danach hätte die Klägerin ihre Forderung bereits spätestens am 11. September 2001 gerichtlich geltend machen müssen und nicht erst am 10. Dezember 2001. Dabei wird zugunsten der Klägerin noch davon ausgegangen, dass sie das Ablehnungsschreiben des Beklagten vom 22. Mai 2001 erst am Tag der Formulierung ihres Rückschreibens vom 11. Juni 2001 erhalten hat.

Entgegen der Ansicht der Klägerin können auch keine Zweifel daran bestehen, dass der Beklagte die Forderung der Klägerin mit seinem Schreiben vom 22. Mai 2001 tatsächlich im Sinne der Ausschlussfrist abgelehnt und nicht nur allgemein auf rechtliche Bedenken hingewiesen hat. Dies ergibt die Auslegung des Schreibens vom 22. Mai 2001. Bei der Ablehnung einer erhobenen Forderung handelt es sich um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Auch auf sie sind die Vorschriften über Willenserklärungen regelmäßig entsprechend anzuwenden und damit auch die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB. Danach bestimmt sich die Auslegung nach dem Empfängerhorizont. Der Anspruchsteller muss die Handlungen des Ablehnenden so gegen sich gelten lassen, wie sie unter Berücksichtigung der Verkehrssitte nach Treu und Glauben zu verstehen sind (BAG vom 11. Dezember 2001, EzA Nr. 145 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).

Nach diesen Kriterien musste der Klägerin nach Erhalt des Schreibens vom 22. Mai 2001 klar sein, dass der Beklagte die Forderung nicht begleichen will. Das Schreiben kritisiert nicht nur die Berechnungsweise als solche sondern zeigt auch grundsätzliche Bedenken auf an der Berechtigung solcher Rückforderungen von angeblich überzahlter Vergütung. Nicht zuletzt werden sogar verfassungsrechtliche Gesichtspunkte bemüht, um die Unbegründetheit der Forderung zu untermauern. Wenn dann im Schlusssatz um die Bestätigung gebeten wird, dass die Klägerin von der Rückforderung absehen möge, so kann das auch der Sicht der Klägerin im vorgenannten Zusammenhang nichts anderes bedeuten, als dass der Beklagte die Forderung nicht begleichen will und um eine entsprechende Bestätigung bittet. Die Ablehnung im Sinne der oben zitierten tariflichen Verfallklausel mag besonders freundlich und konziliant formuliert sein, ihr eigentlicher Erklärungswert bleibt dennoch zweifelsfrei. Sogar dann, wenn die Klägerin das Schreiben als eine "Bitte um Kulanz" verstanden haben sollte, so wie dies die Klägervertreterin in ihrer Berufungsbegründung ausgeführt hat, änderte sich an dem gefundenen Ergebnis nichts. Mit dem Begriff der Kulanz wird allgemein die Vorstellung verbunden, dass eine Leistung gewährt oder auf eine solche verzichtet werden soll, auch wenn darauf kein Anspruch bestehen mag. Dies würde aber als Ablehnung im tariflichen Sinne genügen, wenn auch der um Kulanz Bittende meinte, er habe keinen Anspruch, macht er doch deutlich, dass er Kulanz in Anspruch nehmen will und die Gegenseite im begehrten Sinne handeln soll, hier also, auf die Forderung verzichten soll. Damit ist der Unwille zur Erfüllung, d.h. die Ablehnung der Forderung, hinreichend deutlich. Die Ablehnung einer Forderung ist nämlich nicht davon abhängig, von welcher rechtlichen Begründung sie aus der Sicht des Ablehnenden getragen wird.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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