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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 13 Sa 724/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 612 a
Es stellt eine verbotene Maßregelung dar, wenn der Arbeitgeber in Ansehung der Erkrankung des Arbeitnehmers diesen zur Arbeitsleistung auffordert und ihm kündigt, weil der Arbeitnehmer sich weigert.
Tenor:

Auf Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 06. März 2007 - 6 Ca 470/06 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Oktober 2006 zum 15. November 2006 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte betreibt ein Abschlepp-Unternehmen; er beschäftigt nicht mehr als 10 Arbeitnehmer. Der 35 Jahre alte, ledige Kläger ist bei ihm seit 07. November 2005 als Kfz-Mechaniker, Fahrer, Pannenservice-Techniker und Notdiensttechniker zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von € 1.600,00 beschäftigt; wegen Einzelheiten des Arbeitsvertrages vom 07. November 2005 wird auf Bl. 5 - 13 d. A. Bezug genommen.

Am 24. Oktober 2006 legte der Kläger dem Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, nach der der Kläger bis 27. Oktober 2006 arbeitsunfähig erkrankt war. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte dann noch bis zum 03. November 2006.

Am 24. Oktober 2006, 18.02 Uhr, erhielt der Kläger eine SMS des Beklagten mit folgendem Inhalt:

"A, kommt nicht auf die Idee, dein Bereitschaftswochenende und Woche krank zu machen, das wäre absolut schäbig gegenüber B. Solltest du es unerwartet machen, gibt es ab dem 06.11. nach deiner Bereitschaftswoche keine 14 Tage Urlaub, den du normalerweise nach deiner Bereitschaftswoche ab dem 06.11. 14 Tage machen solltest. Denn dann geht B."

Am 25. Oktober 2006 erhielt der Kläger folgende weitere SMS:

"Aber hau den B nicht in die Pfanne und lass dich krankschreiben, der kann nicht schon wieder Wochenende machen. Wie gesagt Spritze rein und eine Kniebandage drum."

Sodann forderte der Beklagte den Kläger auf, am 31. Oktober 2006 im Betrieb zu erscheinen und Handy und Schlüssel mitzubringen. Dem Kläger, der dieser Aufforderung zunächst nachkam, wurde sodann ein Aufhebungsvertrag vorgelegt, den er unterschreiben sollte. Der Kläger lehnte dies ab, musste aber bereits Handy und Schlüssel im Betrieb lassen.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2006 (Bl. 15 d. A.), dem Kläger zugegangen am 01. November 2006, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis sodann zum Ablauf des 15. November 2006.

Mit der am 21. November 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 24. November 2006 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt, die er für sozial ungerechtfertigt und für eine verbotene Maßregelung hält. Die Kündigung sei erfolgt, so hat der Kläger gemeint, weil er trotz belegter Arbeitsunfähigkeit nicht zur Arbeit erschienen sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 31. Oktober 2006 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, er sei schon seit einiger Zeit mit der Arbeitsleistung des Klägers nicht zufrieden gewesen. Beispielsweise habe der Kläger mit einem Fahrzeug des Beklagten grob fahrlässig einen Unfall auf dem Gelände der Firma C verursacht. Aufgrund der häufigen Fehlzeiten des Klägers sei auch bei seinen Arbeitskollegen Unzufriedenheit entstanden, da diese in mehreren Fällen kurzfristig die Schicht des Klägers hätten übernehmen müssen.

Mit Urteil vom 06. März 2007 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG sei im Umkehrschluss zu entnehmen, dass Kündigungen aus Anlass einer Erkrankung ausgesprochen werden dürften. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 58 - 60 d. A.).

Gegen dieses dem Kläger am 16. April 2007 zugestellte Urteil hat dieser mit einem beim erkennenden Gericht am 09. Mai 2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 18. Juni 2007, eingegangen am selben Tag, einem Montag, begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 06. März 2007 - 6 Ca 470/06 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 31. Oktober 2006 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Kündigung sei erfolgt, weil er mit der Arbeitsleistung des Klägers nicht zufrieden gewesen sei und die nicht unerheblichen Fehlzeiten des Klägers zu Unzufriedenheiten bei den Kollegen geführt hätten. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 13. November 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 lit. c ArbGG) keinen Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

Auch in der Sache ist die Berufung erfolgreich.

Der Kläger hat nach rechtzeitiger Anrufung des Arbeitsgerichts (§ 4 KSchG) Anspruch auf die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten durch dessen Kündigung vom 31. Oktober 2006 nicht aufgelöst worden ist.

Die Kündigung ist zwar nicht sozial ungerechtfertigt. Das eine solche Feststellung rechtfertigende Kündigungsschutzgesetz ist im Hinblick auf die geringe Beschäftigtenzahl des Beklagten nicht anwendbar (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG).

Die Kündigung des Beklagten beruht jedoch auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten mit der Folge ihrer Nichtigkeit (§ 134 BGB).

Die §§ 242, 138 Abs. 1 BGB schützen den Arbeitnehmer auch außerhalb des hier zweifelsfrei nicht zur Anwendung kommenden Kündigungsschutzgesetzes vor rechtsmissbräuchlichen, sittenwidrigen oder willkürlichen Kündigungen. Im Bereich des Arbeitsgerichts findet sich eine Ausprägung dieses Grundsatzes in § 612 a BGB. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht mit einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in unzulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als "Maßnahmen" in diesem Sinne kommen auch Kündigungen in Betracht (BAG vom 22. Mai 2003, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; BAG vom 20. April 1989, RzK I 8 L Nr. 15; BAG vom 02. April 1987, AP Nr. 1 zu § 612 a BGB; ErfK-Preis, 8. Aufl. 2008, § 612 a BGB Rz 13). Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein (vgl. auch Kammerurteil vom 21. August 2007 - 13 Sa 537/07-). Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch einer Kündigung benachteiligt worden ist (BAG vom 20. April 1989, a. a. O.; LAG Schleswig-Holstein vom 28. Juni 2005, AiB 2006, 61).

Der Kläger hat hier folglich neben der Benachteiligung, die bei einer Kündigung auf der Hand liegt, den Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG vom 02. April 1987, a. a. O.; BAG vom 25. November 1993, AP Nr. 3 zu § 14 KSchG 1969). Im Rahmen des § 612 a BGB sind dem Arbeitnehmer allerdings Beweiserleichterungen durch den Grundsatz des Anscheinsbeweises zu gewähren (BAG vom 11. August 1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), und zwar insbesondere dann, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Rechtsausübung steht (LAG Schleswig-Holstein vom 25. Juli 1989, LAGE Nr. 4 zu § 612 a BGB; LAG Hamm vom 15. Juni 1995, LAGE Nr. 5 zu § 20 BetrVG 1972; ErfK-Preis, a. a. O., § 612 a BGB Rz 22, m. w. N.). Den Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber sodann seinerseits durch substantiierten Vortrag erschüttern mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer den Vollbeweis führen muss.

Im vorliegenden Fall spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins offenkundig für die Behauptung des Klägers, der tragende Beweggrund der Kündigung vom 31. Oktober 2006 sei seine Weigerung gewesen, trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit am Wochenende des 28./29. Oktober 2006 zur Arbeit zu erscheinen. Die Lektüre der beiden SMS vom 24. und 25. Oktober 2006 drängt diesen Schluss geradezu auf. In diesem Verhalten des Beklagten liegt eine verbotene Maßregelung des Klägers gem. § 612 a BGB (ebenso LAG Sachsen-Anhalt vom 27. Juli 1999, LAGE § 612 a BGB Nr. 6; LAG Hamm vom 06. September 2005 - 19 Sa 1045/05, zitiert nach juris; Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR-Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 612 a BGB Rz 13). Der Kläger war nach bescheinigter Arbeitsunfähigkeit berechtigt, zu Hause zu bleiben (§ 3 EFZG). Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts geht es also gerade nicht um eine Kündigung wegen Krankheit, sondern wegen verweigerter Arbeit während einer Erkrankung.

Den sich nach Maßgabe der zitierten SMS vom 24. und 25. Oktober 2006 aufdrängenden Kausalzusammenhang zwischen der verweigerten Arbeitsleistung während der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigung vom 31. Oktober 2006 konnte der Beklagte nicht entkräften. Seine allgemeinen Hinweise auf die angeblich mangelhaften Arbeitsleistungen des Klägers und die Unzufriedenheit der Arbeitskollegen lassen den Aussagewert der zitierten SMS in keinem anderen Licht erscheinen und erschüttern deren indiziellen Beweiswert nicht.

Die Kündigung verstößt deshalb gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB und ist nichtig (§ 134 BGB).

Der Beklagte hat als Unterlegener die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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