Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 28.04.2009
Aktenzeichen: 13 Ta 115/09
Rechtsgebiete: RVG VV, RVG, ZPO


Vorschriften:

RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
RVG VV Nr. 2300
RVG VV Nr. 3100
RVG § 58 Abs. 2
ZPO § 122 Abs. 1 S. 3
Eine angefallene Geschäftsgebühr nach VV RVG Nr. 2300 ist unabhängig davon, ob sie tatsächlich gezahlt worden ist oder nicht, auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen.

Auch eine vorrangige Verrechnung auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung findet nicht statt.


Tenor:

Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 29. Januar 2009 - 5 Ca 132/08 - wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit wurde der Klägerin durch Beschluss vom 10. Juni 2008 für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet. Gegenstand des Rechtsstreits war die Zahlung von Arbeitsentgelt in Höhe von 18.180 €. Der Rechtsstreit endete durch prozessbeendenden Vergleich am 4. Juli 2008. Der Klägervertreter hatte die Forderung bereits außergerichtlich geltend gemacht.

Mit Schriftsatz vom 12. August 2008 beantragte der Klägervertreter die Festsetzung seiner Gebühren gegenüber der Staatskasse in Höhe von 1156,68 €. Wegen des Festsetzungsantrages wird auf Blatt B 33 ff. der Akten Bezug genommen. Mit Beschluss vom 21. August 2008 (Blatt B 29 der Akten) setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu zahlende Vergütung antragsgemäß auf 1156,68 € fest. Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2008 teilte der Klägervertreter mit, dass er von der Klägerin eine außergerichtliche Geschäftsgebühr in Höhe von 961,28 € erhalten habe. Am 21. November 2008 nahm die Bezirksrevisorin hierzu wie folgt Stellung:

Urschriftlich mit Akte 5 Ca 132/08 dem Arbeitsgericht Offenbach

Im Verfahren zur Festsetzung der Pkw-Vergütung nehme ich wie folgt Stellung:

Es ist eine Anrechnung einer 0,65 Geschäftsgebühr auf die 1,3 Verfahrensgebühr vorzunehmen.

Ausweislich der im Rahmen des PKH-Antrages eingereichten Unterlagen ist erkennbar, dass der Klägervertreter zum gleichen Gegenstand (Lohnforderung über 18.100,00 € außergerichtlich für die Klägerin tätig geworden ist. Es ist zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr entstanden. Das ist maßgebend und nicht, ob die Geschäftsgebühr auch gezahlt wird. Hierzu Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Eine Mitteilung darüber hätte im Festsetzungsantrag erfolgen müssen.

Allerdings erfolgt eine Anrechnung nur in Höhe der sich aus § 49 RVG ergebenden PKH-Gebühr. Die Anrechnung erfolgt auch nicht auf die Differenzgebühren zu den Gebühren nach § 13 RVG, sondern auf die "PKH-Verfahrensgebühr". Diese Ansicht basiert auf der überwiegenden aktuellen Rechtsprechung zur Anrechnung der Geschäftsgebühr, der sich die Bezirksrevisoren der hessischen ordentlichen und der Fachgerichtsbarkeiten auf ihrer Fachtagung von 20. bis 22.10.2008 angeschlossen haben.

Es ist eine Anrechnung in Höhe einer Gebühr von 176,80 € zzgl. 19 % MWSt. = 210,39 € vorzunehmen und dieser Betrag vom Klägervertreter zurück zu fordern.

Ich bitte um Übersendung einer Entscheidungsabschrift

Mit Beschluss vom 23. Dezember 2008 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dann unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr die zu zahlende Vergütung auf 946,29 € fest unter Verweis auf die beigefügte Stellungnahme der Bezirksrevisorin (Blatt B 48 der Akten).

Gegen diese Festsetzung von 23. Dezember 2008 wandte sich der Klägervertreter mit seiner Erinnerung vom 5. Januar 2009. Er vertrat die Auffassung, die nachträgliche Herabsetzung der festgesetzten Gebühren sei rechtswidrig.

Weder den die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch das Arbeitsgericht haben der Erinnerung des Klägervertreters abgeholfen, letzteres durch Beschluss vom 29. Januar 2009 (Blatt B 67 ff. der Akten), der dem Klägervertreter am 7. Februar 2009 zugestellt worden ist.

Der am 7. Februar 2009 eingegangenen Beschwerde des Klägervertreters hat das Arbeitsgericht am 17. Februar 2009 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 6 RVG nach der Art des Rechtsbehelfs statthafte Beschwerde des Klägervertreters ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt. Der Beschwerdewert von mehr als 200 € ist erreicht (§ 33 Abs. 3 S. 2 RVG).

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 29. Januar 2009 die Erinnerung des Klägervertreters zu recht zurückgewiesen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch ihren Beschluss vom 23. Dezember 2008 die dem Klägervertreter aus der Staatskasse zu erstattenden Kosten zutreffend auf 946,29 € festgesetzt. Hierzu war sie berechtigt, obwohl sie durch Beschluss vom 21. August 2008 die Kosten bereits auf 1156,68 € festgesetzt hatte. Die oben angeführte Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 21. November 2008 ist nämlich nach Inhalt, Zielsetzung und den Umständen als Erinnerung auszulegen, der die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle durch ihren Beschluss vom 23. Dezember 2008 teilweise abgeholfen hat. Die Bezirksrevisorin macht ihrer Stellungnahme vom 20. März 2009 (Bl. 80 d.A.)selbst deutlich, dass sie ihre Stellungnahme vom 21. November 2008 als Erinnerung gemeint hatte. Auch das Arbeitsgericht hat dies in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 17. Februar 2009 so gesehen. Die Stellungnahme der Bezirksrevisorin ist dem Klägervertreter auch übermittelt worden. Es ist allgemein anerkannt, dass auch Rechtsbehelfe und Rechtsmittel in analoger Anwendung des § 140 BGB der Auslegung zugänglich sind, wenn sich Erklärtes und Beabsichtigtes nach Ziel und Wirkung entsprechen (BGH vom 19. November 1997, NJW-RR 98, 507; BGH vom 6. Dezember 2000, WM 2001, 539; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 519 Rdz. 14). Es darf auch hier nicht isoliert am Wortlaut gehaftet werden darf. Die nur fälschliche Benennung eines Rechtsmittels ist immer unschädlich.

Entgegen der Ansicht des Klägervertreters ist die so verstandene Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 21. November 2008 auch im übrigen zulässig. Sie bedarf insbesondere keiner Mindestbeschwer und keiner Frist, denn die Verweisung des § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG auf § 33 Abs. 3 bis 8 RVG bezieht sich allein auf das Beschwerdeverfahren (Gerold/Schmidt/... RVG, 18. Aufl. 2008, § 56 Rdz. 7,8). Angesichts der eigenständigen Regelung für die Erinnerung in § 56 Abs. 1 RVG findet auch § 573 Abs. 1 ZPO keine Anwendung.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die dem Klägervertreter zweifelsfrei zustehenden Verfahrensgebühr in Höhe eines Gebührensatzes von 1,3 zu Recht um die Hälfte (Gebührensatz von 0,65) aus einem Gegenstandswert von 18.180 € auf (353 € -176,80 € =) 176,80 € gekürzt und so zutreffend unter Berücksichtigung der unbestrittenen 1,2 fachen Terminsgebühr (326,40 €) und der ebenfalls unbezweifelten 1,0 fachen Einigungsgebühr (272 €) unter Zusatz von 20 € als Telekommunikationspauschale und 19% Mehrwertsteuer einen Endbetrag von 946,29 € ermittelt, die dem Klägervertreter aus der Landeskasse zu erstatten ist.

Die Erstattung folgt zunächst aus den §§ 55, 45, 49 RVG; die Verfahrensgebühr ergibt sich aus Nr. 3100 VV RVG, die Terminsgebühr aus Nr. 3104 VV RVG, die Einigungsgebühr aus Nr. 1003 VV RVG, die Telekommunikationspauschale aus Nr. 7002 VV RVG und die Mehrwertsteuer aus Nr. 7008 VV RVG.

Die vorgenommene Kürzung der Verfahrensgebühr um die Hälfte findet ihren Rechtsgrund in S. 1 der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, in dem es heißt:

Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinen Urteilen vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - (Rpfleger 2007, 505) und vom 11. Juli 2007 - VIII ZR 310/06 - (AGS 2008, 41) ausgeführt, dass - sofern nach RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist - sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren ebenfalls anfallende Verfahrensgebühr. Mit Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (MDR 2008, 592) hat der BGH seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass die Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3100 wegen der in RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300 von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht.

Ein solcher Fall liegt hier vor, nachdem der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2008 mitgeteilt hat, dass er von der Klägerin bereits eine Geschäftsgebühr von 961,28 € erhalten hat.

Ob sich de lege ferenda an dieser Rechtslage etwas ändert, bleibt abzuwarten (vgl. dazu Pressemitteilung des BMJ vom 28. April 2009 und BR-Drucksache 377/09 vom 24. April 2009).

Die verminderte Verfahrensgebühr entsteht unabhängig davon, ob ein Rechtsanwalt seine Gebühren vom Gegner, seiner eigenen Mandantschaft oder gemäß § 55 RVG von der Staatskasse verlangen kann. Die Kammer folgt in diesem Punkt der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009 - I-10 W 120/08 -, AGS 2009, 123; OLG Düsseldorf vom 27. November 2008 - 10 W 109/08 -, JurBüro 2009, 133; OLG Braunschweig vom 12. September 2008 - 2 W 358/08 -, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf vom 7. August 2008 - 13 Ta 185/08 -, Rpfleger 2009, 158; OLG Bamberg vom 1. Juli 2008 - 2 WF 92/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 12. Juni 2008 - 13 WF 111/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008 - 2 WF 81/08 -, zitiert nach juris; ).

Das Gesetz unterscheidet in der Vorbemerkung 3.4 VV RVG nämlich nicht danach, ob der Partei im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Anrechnung hat vielmehr immer dann zu erfolgen, wenn vorprozessual eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entstanden ist und in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG anfällt, sei es auch in der verminderten Höhe des § 49 RVG.

Es gibt nach Ansicht der Beschwerdekammer in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2009 (a.a.O.) keinen rechtfertigenden Grund dafür, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG eine Anrechnung nur dann vorzunehmen, wenn der Anwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat (so aber OLG Stuttgart vom 15. Januar 2008 - 8 WF 5/08 -, FamRZ 2008, 1013; dagegen auch OLG Frankfurt am Main vom 2. März 2009 - 18 W 373/08 -, zitiert nach juris). Der durch die Kürzung entfallende Teil der Verfahrensgebühr lebt nicht nachträglich wieder auf, sofern es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nicht gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten (oder dem Gegner) zu realisieren. Eine solche Ausnahme lässt sich weder der Anrechnungsvorschrift entnehmen (vergl. OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008, a.a.O.) noch erscheint sie geboten.

Die uneingeschränkte Anrechnung steht auch nicht im Widerspruch zur Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG vor der Prozesskostenhilfebewilligung entstanden ist.

Auch steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen, weil es in den hier fraglichen Fällen nicht um die Verrechnung von Vorschüssen oder Zahlungen geht, sondern um die Frage, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstehen und festzusetzen sind (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.; OLG Braunschweig vom 12. September 2008, a.a.O.).

Die Beschwerdekammer vermag auch nicht der Ansicht zu folgen, nach der gemäß § 58 Abs. 2 RVG Geschäftsgebühren vorrangig auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung zu verrechnen seien (so aber OLG Schleswig vom 3. März 2008 - 15 WF 9/08 -, MDR 2008, 947; Enders, JurBüro 2005, 281). Die nach RVG VV Vorbemerkung 3.4 vorgesehenen Anrechnung würde dann in erster Linie und zulasten der Staatskasse der Deckung der über § 49 RVG hinausgehenden Wahlanwaltsgebühren dienen. Dies erscheint bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Anwalt durch das Einfordern eines Vorschusses oder über die Beratungshilfe die Gefahr hätte ausschließen können, dass er den Gebührenanspruch gegenüber seinem Mandanten nicht realisieren kann (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.

Ende der Entscheidung

Zurück