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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 13 Ta 203/06
Rechtsgebiete: ZPO, RVG


Vorschriften:

ZPO § 91
ZPO § 100
RVG § 7 Abs. 2 S. 2
1) Mehrkosten für mehrere Rechtsanwälte sind, abgesehen von dem Fall des Vorliegens sachlicher Gründe, nicht erstattungsfähig.

Für in einer Sozietät zusammengeschlossene Rechtsanwälte, die gesamtschuldnerisch als Streitgenossenen verklagt werden, bedeutet dies, dass sie hinsichtlich der Kostenerstattung so zu behandeln sind, wie wenn sie einen gemeinsamen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten bestellt hätten.

2) Haben mehrere Streitgenossen in einem Rechtsstreit teilweise oder ganz obsiegt, kann jeder Streitgenosse nur den seiner Beteiligung entsprechenden Bruchteil der Anwaltskosten erstattet verlangen, es sei denn, der Erstattungsberechtigte macht glaubhaft, dass er tatsächlich bereits die Anwaltskosten (voll) bezahlt hat oder zwangsläufig wird zahlen müssen (Anschluss an BGH vom 30. April 2004 -VIII ZB 100/02 -, NJW 2003, 3419).


13 Ta 202/06 13 Ta 203/06

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin vom 13. Februar 2006 werden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Arbeitsgerichts Kassel vom 25. Januar 2006 und 26. Januar 2006 - 6 Ca 1117/03 - aufgehoben und an das Arbeitsgericht Kassel zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Gründe:

I.

In dem inzwischen rechtskräftigen Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 09. Februar 2005 - 6 Sa 197/04 - wurde u.a. folgende Kostenentscheidung getroffen:

"Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. zu tragen und 2/5 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 1. hat 3/5 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen."

Die Klägerin hatte die drei Beklagten in den Verfahren gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen.

Die Beklagten zu 2. und 3. beantragten sodann am 11. Februar 2005 getrennt die Kostenfestsetzung gegenüber der Klägerin in Höhe von je € 1.699,60 nebst Zinsen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 362 ff. und Bl. 364 ff. d.A. Bezug genommen.

Am 22. April 2005 beantragte die Klägerin ihrerseits Kostenausgleichung im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 1. beantragte dies unter dem 25. Mai 2005 ebenfalls. Hierüber entschied das Arbeitsgericht durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Januar 2006 (Bl. 412 d.A.). Dieser Beschluss ist rechtskräftig.

Der Beklagte zu 1. vertrat in dem Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht immer auch die Beklagten zu 2. und 3. Seine Verteidigungsanzeige vom 11. Februar 2004 ist formuliert:

"... wird für die Beklagten zu 1., 2. und 3. beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen."

Sämtliche Schriftsätze sind von dem Beklagten zu 1. unterzeichnet. In dem Termin vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht am 08. Dezember 2004 trat der Beklagte zu 1. ausweislich des Protokolls "auch für die Beklagten zu 2. und 3." auf, schloss dort einen Widerrufsvergleich, den er auch seinerzeit allein widerrief. Auch das im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde bemühte Bundesarbeitsgericht verstand dies ausweislich des dortigen Beschlussrubrums vom 31. Mai 2005 (Az.: 5 AZN 423/05) nicht anders.

Durch die Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 25. Januar 2006 und 26. Januar 2006 (Bl. 406 und 409 d.A.) setzte der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht auf die Kostenfestsetzungsanträge der Beklagten zu 2. und 3. vom 11. Februar 2005 die Kosten auf je € 1.139,73 nebst Zinsen fest bei Reduzierung der u.a. begehrten Verhandlungsgebühr auf je 1/3. Hiergegen legte die Klägerin nach Zustellung am 13. Februar 2006 in beiden Verfahren sofortige Beschwerde ein, denen der Rechtspfleger am 13. März 2006 und 05. April 2006 nicht abhalf. Er hat die Sache vielmehr dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die sofortigen Beschwerden der Klägerin sind gem. den §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 ZPO; § 11 Abs. 1 RPflG; § 78 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere sind sie form- und fristgerecht eingelegt. Der Rechtspfleger hat den sofortigen Beschwerden nicht abgeholfen (§ 572 Abs. 1 ZPO).

Die sofortigen Beschwerden sind jedoch begründet und führen zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Arbeitsgericht (§ 572 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 4 RPflG).

Entgegen der Ansicht der Beklagten waren sämtliche Beklagten in dem Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht von dem Beklagten zu 1. vertreten. Sie haben sich nicht jeweils selbst vertreten. Hierfür gibt es nach der Aktenlage nicht den geringsten Anhaltspunkt. Es war, wie oben unter I. zitiert, immer der Beklagte zu 1., der auch für die Beklagten zu 2. und 3. auftrat. Demgemäß geht es allein um die durch dessen Vertretung angefallenen Ansprüche auf Gebühren und Auslagen.

Auch aus Rechtsgründen müssten sich die Beklagten als allein von dem Beklagten zu 1. vertreten behandeln lassen. Grundsätzlich sind nämlich Mehrkosten für mehrere Rechtanwälte nicht erstattungsfähig, es sei denn es bestünden für die Beauftragung unterschiedlicher Rechtsanwälte sachliche Gründe (vgl. etwa MüKommZPO-Belz, § 91 Rdz. 89 m.w.N.; LAG Baden-Württemberg vom 10. November 2004, -3 Ta 181/04 -, unveröffentlicht). Dies folgt aus den Grundsätzen des § 91 Abs. 2 ZPO. Für in einer Sozietät zusammengeschlossene Rechtsanwälte, die gesamtschuldnerisch als Streitgenossen verklagt werden, bedeutet dies, dass sie hinsichtlich der Kostenerstattung so zu behandeln sind, wie wenn sie einen gemeinsamen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten bestellt hätten (LAG Baden-Württemberg, a.a.O.; OLG Stuttgart vom 31. Januar 1980, Rpfleger 1980, 194).

Die Beklagten zu 2. und 3. können die dem Beklagten zu 1. geschuldeten Gebühren und Auslagen aber nicht jeweils in voller Höhe gegenüber der Klägerin geltend machen, auch wenn sie nach der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 09. Februar 2005 gegenüber der Klägerin voll obsiegt haben.

Die Erstattungsfähigkeit der Kosten im Zivilverfahren richtet sich grundsätzlich nach den §§ 91 ff. ZPO. In § 100 ZPO ist der Fall geregelt, dass der unterlegene Teil aus mehreren Personen besteht. Der hier vorliegende Fall des Obsiegens oder teilweisen Obsiegens mehrerer Streitgenossen ist in § 100 ZPO oder auch sonst nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch besteht Einigkeit darüber, dass obsiegende Streitgenossen wie unterliegende hinsichtlich der Kosten nach Kopfteilen haften, genauer: nach dem Anteil an der Hauptsache, also nicht stets zu gleichen Teilen.

Die Frage, ob der obsiegende Streitgenosse unabhängig von der Haftung im Innenverhältnis gegenüber dem Gegner die vollen Kosten, die durch Beauftragung eines gemeinsamen Anwalts entstanden sind und für die er dem Anwalt als Gesamtschuldner haftet, festsetzen lassen kann, oder ob ihm ein Erstattungsanspruch nur in Höhe seiner wertmäßigen Beteiligung an dem Rechtsstreit zusteht, ist allerdings seit langem höchst umstritten.

Während eine Ansicht die Auffassung vertrat, der obsiegende Beklagte könne stets dasjenige, was er seinem Rechtsanwalt nach § 6 Abs. 2 BRAGO bzw. jetzt § 7 Abs. 2 RVG schuldet, in vollem Umfang nach Maßgabe der Kostengrundentscheidung von dem unterlegenen Gegner erstattet verlangen ohne Rücksicht darauf, ob er diesen Betrag tatsächlich voll zu zahlen hat, wurde andererseits vertreten, dass der obsiegende Streitgenosse nur den seiner Beteiligung entsprechenden Bruchteil der Anwaltskosten erstattet verlangen kann (vgl. dazu allein die 30! bei Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 6 Rz 63 zitierten Entscheidungen). Der letztgenannten Auffassung hat sich inzwischen der BGH angeschlossen (Beschluss vom 30. April 2003 - VIII ZB 100/02 - NJW 2003, 3419 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung, vgl. BGH vom 12. Februar 1954 - 1 ZR 106/51 - JurBüro 1954, 941). Die Beschwerdekammer hat sich bereits in ihrer Entscheidung vom 17. Januar 2005 - 13 Ta 591/04 - dieser Ansicht angeschlossen (vgl. jetzt auch LAG München vom 15. September 2005, -10 Ta 388/03 -, zit. nach juris).

Es ist von der Kostengrundentscheidung auszugehen, die nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass jeder obsiegende Streitgenosse die vollen Kosten des gemeinsamen Anwalts beim Gegner liquidiert. Die Gegenmeinung kann auch nicht erklären, warum weitere obsiegende Streitgenossen, die dem gemeinsamen Rechtsanwalt dieselben Gebühren und Auslagen schulden, diese nicht ebenfalls in voller Höhe festgesetzt bekommen können, weil der unterlegene Gegner eben keinesfalls mehr erstatten muss, als der Rechtsanwalt von seinen Auftraggebern nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BRAGO, jetzt § 7 Abs. 2 Satz 2 RVG, insgesamt fordern kann. Hier zeigt sich, dass die "mehrfache" Festsetzung, die das Arbeitsgericht vorgenommen hat, nicht richtig ist, denn sie kann zu einer Bereicherung der Sieger führen. Die hier abgelehnte Rechtsansicht muss außerdem dem weiteren Streitgenossen, auch wenn er nachweist, dass er seine Schuld dem Rechtsanwalt gegenüber voll beglichen hat, auf einen im Prozessweg geltend zu machenden Ausgleichsanspruch verweisen, nimmt ihm also seinen Erstattungsanspruch. Dies widerspricht den Grundregeln des Kostenrechts. Sachgerecht ist es vielmehr, dem einzelnen Streitgenossen nur einen Erstattungsanspruch in Höhe seines Kopfteils an der gemeinsamen Schuld gegenüber dem Rechtsanwalt zu geben. Eine höhere Erstattung könnte ihm nur zugebilligt werden, wenn er nachweist, dass er tatsächlich mehr gezahlt hat oder zwangsläufig wird zahlen müssen. Nur diese Lösung berücksichtigt, dass der voll unterlegene Gegner nicht mehr zu erstatten braucht, als der gemeinsame Rechtsanwalt der Gegenseite von seinen Auftraggebern insgesamt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BRAGO bzw. jetzt § 7 Abs. 2 Satz 2 RVG, fordern kann. Darüber im Erstattungsverfahren sehenden Auges hinwegzugehen und durch den Verweis auf den Ausgleich der Streitgenossen im Innenverhältnis offenbar ungerechte Ergebnisse hinzunehmen käme nach der Ansicht von Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl. 2000, § 6 Rz 57 "einer Bankrotterklärung der Rechtspflege gleich".

Jede Erstattung setzt vom Begriff her voraus, dass der Erstattungsberechtigte notwendigerweise etwas aufgewandt hat oder zwangsläufig wird aufbringen müssen. Das Argument der Gegenansicht, die Streitgenossen hätten ja einen eigenen Rechtsanwalt beauftragen dürfen und die Beauftragung eines gemeinsamen Rechtsanwalts Kosten gespart, ist deshalb erstattungsrechtlich unerheblich. Entscheidend ist, dass die wirklichen Aufwendungen, und zwar auch im eigenen Interesse der Partei zur Begrenzung des Risikos, verringert wurden. Ersparte Aufwendungen sind als solche niemals erstattungsfähig. Auch der einzelne Streitgenosse kann im Rahmen des gemeinsamen Aufwands nicht dasjenige erstattet verlangen, was er hätte aufwenden dürfen, tatsächlich aber nicht aufgewandt hat (so ausdrücklich auch BGH vom 30. April 2003, a.a.O.).

Bei mehreren Auftraggebern desselben Rechtsanwalts besteht im Hinblick auf § 6 Abs. 2 Satz 2 BRAGO bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 RVG auch keine hinreichende Erfahrungsgrundlage für die Annahme, der Rechtsanwalt werde gerade von einem die Zahlung des vollen Betrags fordern, auch wenn dieser nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BRAGO bzw. jetzt § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG, auf den Gesamtbetrag haftet. Die volle Erstattung dieses Betrages setzt deshalb die Glaubhaftmachung voraus, dass der Erstattungsberechtigte tatsächlich gezahlt hat oder aufgrund besonderer Umstände zwangsläufig wird zahlen müssen. Ohne eine solche Glaubhaftmachung kann nur davon ausgegangen werden, dass der einzelne Auftraggeber von dem Rechtsanwalt anteilig, also kopfteilig in Anspruch genommen werden wird (ebenso Gerold/.../, RVG, 16. Aufl., § 7 Rz 25; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 7 RVG Rz 61, 62).

Im vorliegenden Fall wird deshalb der Rechtspfleger zu ermitteln haben, welche Ansprüche der gemeinsame Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der Beklagte zu 1., insgesamt unter Berücksichtigung des § 6 BRAGO gegenüber jedem seiner Auftraggeber geltend machen kann, und auch, ob evtl. einer der drei Beklagten schon selbst in vollem Umfang in Vorlage getreten ist bzw. treten muss.

Der Rechtspfleger wird überdies auch über die Gerichtskosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gem. Nr. 8613 der Anlage 1 GKG zu entscheiden haben, denn derzeit ist das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen im Beschwerdeverfahren noch offen.

Ende der Entscheidung

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