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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 10.04.2007
Aktenzeichen: 13 Ta 70/07
Rechtsgebiete: ZPO, RVG VV


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
RVG VV Nr. 3201

Entscheidung wurde am 28.07.2009 korrigiert: der Leitsatz wurde aus dem Volltext entfernt
Auch bei einem zunächst nur "fristwahrend" eingelegten Rechtsmittel darf der Rechtsmittelgegner sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung beauftragen, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen

Dies gilt nicht, wenn die Parteien ein sogenanntes "Stillhalteabkommen" geschlossen haben. Ein solches kommt aber nicht durch Schweigen des Rechtsmittelgegners auf eine entsprechende Bitte des Rechtsmittelführers zustande. Daran ändert auch ein im Gerichtsbezirk eingeführte Brauch unter Rechtsanwälten nichts.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 07. Februar 2007 - 6 Ca 10710/05 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Nach erstinstanzlichem Prozessverlust legte die Beklagte beim erkennenden Gericht am 30. Juni 2006 Berufung ein (Az: 15 Sa 1081/06). Mit gleichem Datum schrieben die Beklagtenvertreter an den Vertreter des Klägers mit der Bitte, sich einstweilen nicht im Berufungsverfahren zu legitimieren, da noch nicht feststehe, ob die Berufung durchgeführt wird. Der Klägervertreter reagierte darauf nicht.

Am 18. Juli 2006 nahm die Beklagte sodann die Berufung zurück. Entsprechend wurden ihr durch Beschluss vom 15 August 2006 die Kosten der Berufung auferlegt. Am 5. Oktober 2006 wurde der Gerichtsgebührenwert auf 37.397,52 € festgesetzt.

Am 20. September 2006 beantragte der Kläger die Kostenfestsetzung gegen die Beklagte wie folgt:

 Gegenstandswert:37.397,52 € Betrag
1,1 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG992,20 €
Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002 VV RVG20,00 €
Umsatzsteuer 16 % gem. Nr. 7008 VV RVG161,95 €
Gesamtsumme Honorar1.174,15 €

Zugleich wurde Verzinsung seit Antragseingang (21.September 2006) beantragt.

Auf "Widerspruch" der Beklagtenvertreter erklärte der Klägervertreter, er habe unmittelbar nach Erhalt der Berufungsschrift mit dem Kläger die Berufung erörtert und ihn über die Folgen aufgeklärt. Zugleich legte der Klägervertreter eine schriftliche Erklärung des Klägers wie folgt vor:

"Ich habe Herrn Rechtsanwalt A beauftragt, mich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu vertreten. Insbesondere habe ich im Juli 2006 und zwar unmittelbar nach Erhalt der Berufungsschrift vom 29.06.2006, Herrn A beauftragt, meine Rechte auch im Berufungsverfahren wahrzunehmen und mich zu vertreten."

Durch Beschluss vom 7. Februar 2007 erließ der Rechtspfleger den begehrten Kostenfestsetzungsantrag nach Antrag. Nach Zustellung dieses Beschlusses am 8. Februar 2007 legte die Beklagte, eingegangen am 13. Februar 2007, sofortige Beschwerde ein mit Ansicht, durch das Schweigen auf die Stillhaltebitte habe sich der Klägervertreter seines Rechtes begeben, für das Berufungsverfahren Gebühren geltend machen zu können. Dies entspreche auch einem Brauch im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde am 14. Februar 2007 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gemäß den §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 ZPO; 11 Abs. 1 RPflegerG; 78 ArbGG statthaft, der Beschwerdewert von mehr als 200,00 EUR ist erreicht. Auch im Übrigen ist die Beschwerde zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (§ 572 Abs. 1 ZPO).

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Der Kläger kann von der Beklagten die Erstattung der begehrten Kosten verlangen. Der Rechtspfleger hat dem Kostenfestsetzungsantrag des Klägers zu Recht und auch in zutreffender Höhe (1,1-fache Gebühr gemäß Nr. 3201 VVRVG, zu Recht nicht eine 1,6-fache Gebühr gemäß Nr. 3200 VVRVG!) entsprochen.

Nach dem Gesetz (§ 91 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese Pflicht reicht so weit, wie die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Es entspricht inzwischen höchstrichterlicher Rechtsansicht - hierauf ist die Beklagte mehrfach hingewiesen worden - ,dass der Berufungsgegner, selbst wenn ein Rechtsmittel ausdrücklich nur "fristwahrend" eingelegt wurde, grundsätzlich sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragen kann, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen (BGH v. 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02 -, JurBüro 2003, 257; BAG v. 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02 -, NZA 2003, 1293). Dem folgt die erkennende Kammer seit langem (vgl. Kammerbeschlüsse. v. 20. Oktober 2003 - 13 Ta 387/03 und 13 Ta 388/03 -, vom 30. Oktober 2003 -13 Ta397/03-, vom 29. März 2004 - 13 Ta 61/04 -, vom 17. Juni 2004 - 13 Ta 197/04 -; vom 4. Oktober 2005 - 13 Ta 339/05 - und vom 15. März 2006 -13 Ta 80/06-; ebenso auch LAG Berlin vom 20. August 2003, - 17 Ta 6060/03 -, MDR 2004, 58; KG vom 9. Mai 2005 -1 W 20/05- JurBüro 2005, 418; LAG Düsseldorf vom 8. November 2006 -16 Ta 596/05- MDR 2006,659; vgl. auch: Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 91, Stichwort "Berufung" m.w.N.). Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen.

Eine derartige Einschränkung lässt sich auch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entnehmen. Es muss genügen, dass der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf (BGH, a.a.O.).

Diese Grundsätze gelten jedoch dann nicht, wenn die Parteien ein so genanntes Stillhalteabkommen geschlossen haben, also eine Vereinbarung, nach der sich der Vertreter des Berufungsbeklagten so lange nicht zu den Akten der zweiten Instanz legitimieren soll, bis sich der Berufungskläger darüber klar geworden ist, ob er die Berufung tatsächlich durchführen will oder nicht. Auch hierüber besteht weitgehende Einigkeit (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Auflage 2006, Nr. 3200 VV Randziffer 65 m. w. N.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 65. Auflage 2007, § 91 Randziffer 160; KG vom 09. Mai 2005 a.a.O.; OLG Zweibrücken vom 12. November 2001 - 4 W 60/01 -, zitiert nach Juris; Sächsisches LAG vom 04. April 2000 - 9 Sa 64/00 -, zitiert nach Juris; OLG Karlsruhe vom 28. April 1999, NJW - RR 2000, 512; OLG Karlsruhe vom 02. Juni 1998 - 3 W 29/98-, zitiert nach Juris; OLG Düsseldorf vom 09. Februar 1995, NJW - RR 1996, 54). Streit herrscht allenfalls insoweit noch über die Frage, ob das Schweigen des Rechtsmittelbeklagten auf eine entsprechende "Stillhaltebitte" schon bindend wirkt oder nicht (vgl. dazu Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, a. a. O., Randziffer 68 m. w. N. und OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dies ist mit der h.M. abzulehnen (ebenso z. B. BGH vom 9. Oktober 2003, NJW 2004, 73; LAG Thüringen AGS 2001, 286; v. Eicken/.../, a.a.O.; a. A. OLG Bamberg AGS 2000, 170; BayVGH JurBüro 1994, 349). Allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre folgend kann in bloßem Schweigen auf ein Angebot keine Zustimmung erkannt werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht ein angeblich im Bezirk des OLG Frankfurt am Main anerkannter Brauch unter Rechtsanwälten auch nicht aus, um dem Kläger die Kostenerstattung zu verwehren. Dieser ist nämlich durch eine solche Übung unter Anwälten nicht gehindert, seine eigenen Interessen durch Mandatierung eines Rechtsanwaltes zu wahren (ebenso BGH vom 9. Oktober 2003, NJW 2004, 73; Madert, NJW 2003,1496).

Spätestens nach Vorlage der oben zitierten Erklärung des Klägers kann auch am Entstehen der Verfahrensgebühr kein Zweifel mehr bestehen. Bekanntlich verdient der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200/3201 VV RVG schon mit der Entgegennahme der Information und dem entsprechenden Auftrag. Eine Tätigkeit "nach außen" ist hierzu nicht notwendig (vgl. statt vieler: v. Eicken/.../ a.a.O. Nr. 3200 VV RVG Rdn. 18 m.w.N; KG vom 9. Mai 2005, a.a.O.) Mit der oben zitierten Erklärung des Klägers und den entsprechenden schriftsätzlichen Erläuterungen des Klägervertreters ist eine ausreichende Tätigkeit des Klägervertreters glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung für die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 8613 der Anlage 1 zu § 34 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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