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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.12.2002
Aktenzeichen: 15 Sa 252/02
Rechtsgebiete: TVG, VTV/Bau


Vorschriften:

TVG § 1
TVG § 4 Abs. 2
TVG § 5 Abs. 4
VTV/Bau § 1 Abs. 2
Zur Frage der Tarifpluralität und zur Frage nach dem spezielleren Tarifvertrag (anders als von BAG Urteil vom 25 Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - § 1 TVG Tarifverträge: Bau hier der VTV-Bau nicht als speziellerer Tarifvertrag gesehen).
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 15 Sa 252/02

Verkündet laut Protokoll am 10.12.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 15, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Dr. B als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... W und ... Z als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Januar 2002 - 1 Ca 2366/00 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nunmehr noch um die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer zu zahlen (DM 11.380,70 = 5.818,86 Euro für den Zeitraum von Januar bis Juni 1997 einschließlich).

Der Kläger in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit ist die tarifvertraglich bestimmte Einzugsstelle aller Sozialkassen des Baugewerbes; er führt das gemeinsame Beitragskonto eines jeden tarifunterworfenen Arbeitgebers.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Betrieb der Beklagten (damals noch: P...) sei in den Jahren 1996 (seit dem Betriebsbeginn am 21. Mai) und 1997 (bis zur Betriebseinstellung am 30. Juni 1997 - danach Übernahme des Betriebes durch den Ex-Ehemann der Beklagten) dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 (VTV) - vgl. § 1 Absatz 2 VTV - in den für den genannten Zeitraum maßgeblichen jeweiligen Fassungen, in welchen der VTV durchgehend für allgemeinverbindlich erklärt worden war, unterfallen. Er hat dazu behauptet, die im genannten Zeitraum beschäftigten Arbeitnehmer hätten zu fast 100 % der jeweiligen persönlichen Arbeitszeit folgende Arbeiten ausgeführt (näher erläutert auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 18. Juni 2001 = Blatt 30 d.A., worauf Bezug genommen wird):

- Trocken - und Montagebauarbeiten im Innenausbaubereich, nämlich Einbau von Wänden und Decken sowie Wand- und Deckenverkleidungen einschließlich des Anbringens von Unterkonstruktionen und Putzträgern und

- Erstellen von Leichtbautrennwänden.

Er hat dementsprechend gemeint, die Beklagte sei zur Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer betreffend den Zeitraum von Mai 1996 bis Juni 1997 einschließlich in Höhe von insgesamt DM 54.185,13 verpflichtet. Eine Mitgliedschaft der Beklagten in der Tischlerinnung Hildesheim-Marienburg werde bestritten (vgl. Antwort der Tischlerinnung auf die Klägeranfrage vom 22. September 2000 in Kopie = Blatt 38 d.A.).

Im Termin vom 24. April 2001 ist die Beklagte auf die am 09. Dezember 2000 zugestellte Klage trotz Ladung mit Zustellungsurkunde am 09. Dezember 2000 (Blatt 5 d.A.) nicht erschienen und nicht vertreten gewesen. Es ist darauf antragsgemäß ein Versäumnisurteil verkündet worden, worin die Beklagte kostenpflichtig verurteilt worden ist, an den Kläger DM 54.185,13 zu zahlen. Dieses Versäumnisurteil ist der Beklagten am 15. Mai 2001 zugestellt worden. Der dagegen gerichtete Einspruch (Blatt 9 ff. d.A.) ist am 17. Mai 2001 beim Arbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger hat erstinstanzlich letztlich beantragt,

das Versäumnisurteil vom 24. April 2001 aufrechtzuerhalten.

Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 24. April 201 aufzuheben und die Klage kostenpflichtig für den Kläger abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, nicht beitragspflichtig zu sein. Sie hat insbesondere darauf verwiesen, dass die "Tischlerei und Trockenbau P... " jedenfalls seit dem 01. Januar 1997 Mitglied der Tischlerinnung gewesen sei (vgl. die Bestätigung der Innung vom 19. März 2001 in Kopie = Blatt 56 d.A.), der VTV werde mithin durch den spezielleren Tarifvertrag für das Tischlerhandwerk verdrängt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15. Januar 2002 (Blatt 193 bis 201 d.A.) das Versäumnisurteil vom 24. April 2001 in Höhe von 42.804,43 DM = 21.855,56 Euro aufrechterhalten und im Übrigen das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits hat es dem Kläger 21 % und der Beklagten 79% auferlegt, mit Ausnahme der Kosten der Säumnis vom 24. April 2001, welche nach dem Urteil die Beklagte zu tragen hat. Der Wert des Streitgegenstandes ist auf 27.704,42 Euro festgesetzt worden. Auf dieses Urteil wird zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und auch bezüglich der Entscheidungsgründe Bezug genommen: Das Arbeitsgericht hat Beitragsansprüche für das Jahr 1997 verneint, weil für die Beklagte ab dem 01. Januar 1997 wegen Innungsmitgliedschaft ein speziellerer Tarifvertrag gegolten habe.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Kläger am 29. Januar 2002 zugestellt worden. Dieser hat dagegen mit Schriftsatz vom 27. Februar 2002, der am 28. Februar 2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 29. April 2002 - eingegangen per Fax am selben Tage - begründet, nachdem auf rechtzeitigen Antrag vom 25. März 2002 hin die Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. April 2002 verlängert worden war.

Der Kläger hält das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit es die Klage abgewiesen hat, für unzutreffend. Er hält an seiner Auffassung fest, dass die Beklagte ihm auch für das Jahr 1997 die eingeklagten Beiträge (in Höhe von 5.818,86 Euro - die Höhe als solche steht nicht im Streit) schulde. Es sei erstens nicht nachgewiesen, dass die Beklagte für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 1997 Mitglied der Tischlerinnung Hildesheim-Marienberg gewesen sei. Zweitens sei hier der VTV als der speziellere Tarifvertrag anzusehen, wie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - ergebe. Für die Einzelheiten des Vortrages des Klägers im Berufungsrechtszug in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 29. April 2002 (Blatt 237 bis 239 d.A.).

Der Kläger beantragt demgemäß im Berufungsrechtszug,

unter teilweiser Abänderung des am 15. Januar 2002 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Wiesbaden - 1 Ca 2366/00 - das Versäumnisurteil vom 24. April 2001 auch in Höhe des zunächst aufgehobenen Teils mit einer Verurteilung zur Zahlung in Höhe von 5.818,86 Euro aufrechtzuerhalten, so dass das Versäumnisurteil in vollem Umfang aufrechterhalten bleibt.

Die Beklagte beantragt demgegenüber,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt im Ergebnis unter Auseinandersetzung mit dem zweitinstanzlichen Klägervortrag das angefochtene Urteil. Sie sieht sich für das Jahr 1997 nach wie vor nicht als beitragspflichtig. Für den Vortrag der Beklagten im Berufungsrechtszug in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (einschließlich der Beweisangebote) im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 20. Juni 2002 (Blatt 249 bis 257 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Einspruch gegen das arbeitsgerichtliche Versäumnisurteil ist nach den Angaben im Tatbestand zulässig. Die Zahlungsklage für das Jahr 1997 erweist sich als unbegründet.

Der Anspruch könnte sich allein auf §§ 24 Abs. 1 und 2, 25 i.V.m. § 29 Abs. 1 VTV (§§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG) gründen, doch lässt sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer nicht festzustellen, dass der Betrieb der Beklagten im Jahre 1997 dem VTV unterfallen wäre: Ein spezieller Tarifvertrag hat den VTV auf Grund von Tarifpluralität verdrängt.

Zwar ist nach dem beiderseitigen Vortrag davon auszugehen, dass der Betrieb der Beklagten im Jahre 1997 dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 2 VTV) unterfallen ist.

Nach § 1 Abs. 2 VTV unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages "Betriebe des Baugewerbes". Das sind u.a. solche Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt I) oder Betriebe, die - soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst - nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt II) oder die gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt III). Zu den erfassten betrieblichen Tätigkeiten zählen u.a. die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV aufgeführten Tätigkeiten.

Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien ist danach ein Betrieb dem Baugewerbe im tariflichen Sinne dann zuzuordnen, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder in der Einzelaufstellung (§ 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV) genannt sind oder unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen (ständige Rechtsprechung seit BAG AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Ob ein Betrieb unter den vorbeschriebenen Geltungsbereich der Bautarifverträge fällt, richtet sich dabei danach, ob arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten oder baufremde Arbeiten im Sinne des Tarifvertrages erbracht werden; nicht maßgeblich sind dagegen wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz oder Verdienst oder handels- oder gewerberechtliche Kriterien (vgl. etwa BAG AP Nr. 13, 24, 81, 82, 87, 88 und 123 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 11. Dezember 1996 - 10 AZR 376/96 - AP Nr. 199 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Dabei wiederum ist von der überwiegenden Arbeitszeit innerhalb eines Kalenderjahres auszugehen, soweit sich die Tätigkeiten des Betriebes mindestens über ein Kalenderjahr erstrecken (vgl. BAG AP Nr. 82 und 106 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Sofern arbeitszeitlich überwiegend1 eine oder mehrere der in den Bespielen des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 VTV genannten Tätigkeiten ausgeführt werden, ist nicht mehr zu prüfen, ob die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis II des § 1 Abs. 2 VTV erfüllt sind (BAG Urteil vom 11. Dezember 1996 - 10 AZR 376/96 - AP Nr. 199 zu §1 TVG Tarifverträge. Bau) Im Übrigen ist die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV zu beachten, wonach bestimmte Betriebe vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen sind.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien unterfiel der Betrieb der Beklagten im Jahre 1997 § 1 Abs. 2 VTV, wobei ein Wille der Tarifvertragsparteien des VTV, anderweitig an speziellere Tarifverträge gebundene Arbeitgeber nicht zu erfassen, nicht ersichtlich ist (BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 - AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Dies gilt nach dem klägerischen Vortrag, da die vorgetragenen Tätigkeiten, soweit sie nicht ohnehin als Trocken- und Montagebauarbeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 VTV einzustufen sind, jedenfalls von § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV erfasst werden, wobei der Vortrag auch angesichts der darin geregelten Rückausnahme nichts für ein Eingreifen des Ausnahmetatbestandes in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 11 VTV ergibt. Dies gilt gleichermaßen nach dem Beklagtenvortrag in der Berufungsinstanz. Danach bestand die Betriebstätigkeit lediglich aus der Montage von Türen und Fenstern (vgl. Seite 9 des Schriftsatzes vom 13. Juni 2002 = Blatt 257 d.A.). Dabei handelte es sich dann um Tätigkeiten, die sowohl § 1 Abs. 2 VTV als auch dem Schreinerhandwerk zuzuordnen sind, d.h. um sog. "Sowohl-als-auch" - Tätigkeiten (zu deren rechtlicher Behandlung etwa BAG Urteil vom 16. Mai 2001 - 10 AZR 438/00). Es fehlt insoweit aber an näherem Vortrag dazu, dass mindestens 20 % an typischen Schreinerhandwerkstätigkeiten angefallen sind, dass die Arbeiten zu mindestens 20 % von gelernten Arbeitnehmern des Schreinerhandwerks ausgeführt worden sind oder ein entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann - z.B. einen Meister - des Schreinerhandwerks bestand (dazu etwa BAG Urteil vom 23. August 1995 - 10 AZR 105/95 - EZA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 79; BAG Urteil vom 22: Januar 1997 - 10 AZR 223/96 - BAGE 85, 81 ff), womit man ebenfalls nicht zu dem Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 11 VTV gelangt.

Der Betrieb der Beklagten wurde jedoch im Jahre 1997 auf der Basis des Vortrags beider Parteien darüber hinaus vom fachlichen (betrieblichen) Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Mai 1991 (zitiert als: MTV) - gültig ab 01. Juni 1991 bis zum 31. Juli 1998 - (Kopie Blatt 158 ff. d.A.) erfasst: Der MTV erfasst nach Nr. 1 u.a. den Einbau von Bauteilen, insbesondere Türen und Fenstern, und den Innenausbau aller Art für Gebäude und Räume einschließlich Wand- und Deckenverkleidungen, Zwischendecken und Trennwände (Blatt 158 d.A.). Der MTV war gem. Nr. 1 auch nach seinem räumlichen Geltungsbereich - dieser umfasst u.a. Niedersachsen - und seinem persönlichen Geltungsbereich (erfasst: gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte ohne gesetzliche Vertreter, Generalbevollmächtigte, Geschäftsführer und Betriebsleiter, soweit sie zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, sowie ohne sonstige leitende Angestellte) einschlägig. Diesen Tarifvertrag hatte auf Arbeitgeberseite u.a. der Landesinnungsverband für das Tischlerhandwerk in Hannover abgeschlossen, wobei es auf Grund der von der Beklagten vorgelegten schriftlichen Auskunft der Tischler-Innung Hildesheim-Marienberg vom 04. Oktober 2001 zur Tarifbindung (Kopie Blatt 108 d.A.) angesichts nicht vorhandenen substantiierten Gegenvortrags des Klägers nicht zweifelhaft ist, dass die Tischlerinnung Hildesheim-Marienburg dem Normalfall entsprechend ihrerseits Mitglied des Landesinnungsverbandes in Hannover war. Zudem hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf Seite 7 der Gründe (Blatt 199 d.A.) eine entsprechende tatbestandliche Feststellung getroffen, die nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen worden ist. Dass die Firma P... - also zweifelsfrei der Betrieb der Beklagten, für gegenteilige Annahmen bestehen keinerlei Anhaltspunkte - seit dem 01. Januar 1997 Mitglied der Tischlerinnung Hildesheim-Marienburg war, ist durch das Schreiben dieser Innung vom 05. Dezember 2001 (Kopie Blatt 156 d.A.) bestätigt. Ergänzend wird insoweit Bezug genommen auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Seite 8 der Gründe (Blatt 200 d.A.).

Damit war die Beklagte für das Jahr 1997 (solange sie den Betrieb führte) kraft Allgemeinverbindlichkeit (§§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG) an den VTV gebunden, andererseits kraft Verbandszugehörigkeit an den MTV: Es war eine Situation von sog. Tarifpluralität entstanden, die dahingehend aufzulösen ist, dass nach dem Grundsatz der Spezialität dem sachnäheren Tarifvertrag der Vorzug zu geben ist und damit der sachfremdere Tarifvertrag zurücktreten muss (BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 - AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu 4 der Gründe; ebenso BAG Urteil vom 25. Juli 2001 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau). Insoweit kommt es bezüglich des fachlichen/betrieblichen Geltungsbereichs auf gesamten tarifvertraglich vorgesehenen Geltungsbereich an (BAG Urteil vom 26. Januar 1994, a.a.O., zu 5 der Gründe).

Als der speziellere Tarifvertrag ist der MTV anzusehen, wenngleich beide Tarifverträge gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte (diese mit parallelen Ausnahmen) erfassen (dass der MTV anders als der VTV Auszubildende nicht einbezieht, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung) und sich daher vom persönlichen Geltungsbereich her die Frage, welches der speziellere Tarifvertrag ist, nicht klar beantworten lässt.

Zwar erfasst der MTV u.a. auch Särge und Bestattungen, Möbel, Spielzeug und Turn- und Sportgeräte sowie Segelflugzeuge. Andererseits bezieht er sich auf den räumlich engeren Bereich - dies ist durchaus von Bedeutung, wobei es keine Rolle spielt, dass die beiden Tarifverträge von unterschiedlichen Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden sind (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) -, und es ist in Rechnung zu stellen, dass der VTV seinerseits gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt IV auch das Aufstellen von Gerüsten und Bauaufzügen sowie Bauten- und Eisenschutzarbeiten und technische Damm-(Isolier-)Arbeiten u.a. an und auf Land-, Luft- und Wasserfahrzeugen erfasst. Weiter muss man berücksichtigen, dass gern, § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV u.a. folgende Arbeiten erfasst werden: Aptierungs- und Drainierungsarbeiten (einschließlich Grabenräumungs- und Faschinierungsarbeiten), Brunnenbauarbeiten, chemische Bodenverfestigungen, Erdbewegungsarbeiten (einschl. z.B. Wegebauarbeiten, Deichbauarbeiten und Sportanlagenbau), Gleisbauarbeiten, Kanalbauarbeiten, Rammarbeiten, Tunnelbauarbeiten, Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten und schließlich Wasserwerksarbeiten, Wasserhaltungsarbeiten, Wasserbauarbeiten (z.B.: Wasserstraßenbau, Wasserbeckenbau und Schleusenanlagenbau).

Angesichts dessen ist der vom MTV erfasste Bereich der engere und speziellere, der weniger umfassende Bereich, was auch angesichts des Ausnahmekatalogs des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV gilt (zu diesem Argument BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1. Tarifverträge: Bau) - dieser Ausnahmekatalog nimmt im Übrigen nach seiner Fassung gerade nicht bestimmte Tätigkeiten aus, sondern nur bestimmte Betriebe, wenn in ihnen arbeitszeitlich mehr als 50 % von dem Ausnahmegewerk zuzuordnenden Tätigkeiten verrichtet werden. Der MTV kann damit besser auf die spezifischen Fragen im erfassten Bereich eingehen als der bundesweit geltende VTV mit seinem angesprochenen Geltungsbereich (vgl. zu dieser Begründung BAG Urteil vom 24. Januar 1990 - 4 AZR 561/89 - AP Nr. 126 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 - AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Er bezieht sich primär auf die Verarbeitung von Holz bzw. auf die Verarbeitung anderer Werkstoffe an der Stelle von Holz oder in Verbindung damit, ist also schon von daher vom Ansatz enger als der VTV, auch wenn die Palette der verarbeiteten Materialien im Ergebnis nahezu so breit wie im VTV - Bereich sein mag und auch wenn etwa Wohnwagenbau und der Innenausbau von Verkehrs- und Transportmitteln ebenfalls erfasst werden. Und anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am 25. Juli 2001 entschiedenen Fall (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) erfasst der MTV nicht etwa auch reine Handelsbetriebe.

Ebenfalls anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am 25. Juli 2001 entschiedenen Fall (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 -AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) lässt sich die Eigenschaft des VTV (i.V.m. dem BRTV) als des spezielleren Tarifvertrags auch nicht damit begründen, dass der MTV anders als der BRTV nur vergleichsweise "dünne" Regelungen für Montagearbeiten außerhalb des Betriebs enthalte. Auf Seiten 13 und 14 (Blatt 170/171 d.A.) enthält der MTV durchaus detaillierte Regelungen zu diesem Fragenkreis, und es ist auch angesichts der einschlägigen BRTV - Regelungen nicht zu sehen, dass dies nicht die sachgerechte, auf die erfassten Betriebe zugeschnittene Regelung sein soll. Wenn Parallelregelungen zu §§ 9 und 14 BRTV fehlen, spricht dies dafür, dass die MTV-Tarifvertragsparteien derartige Regelungen für ihren Bereich nicht für erforderlich gehalten haben.

Jedenfalls aber lässt sich angesichts des sehr umfassenden VTV - Geltungsbereichs in der gebotenen Gesamtwürdigung nicht konstatieren, dass der VTV der speziellere Tarifvertrag sein könnte (anders das BAG im Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 -AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau.), und wollte man von einer verbleibenden unklaren Situation ausgehen, müsste dann der engere räumliche Geltungsbereich den Ausschlag geben, hier also wiederum zu Gunsten des MTV.

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Revision gegen dieses Urteil wird gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht soll auf diese Weise Gelegenheit bekommen, die ansatzweise im Urteil vom 25. Juli 2001 (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) dargestellte Sichtweise weiterzuentwickeln.

Ende der Entscheidung

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