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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 11.03.2005
Aktenzeichen: 15 Ta 638/04
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 5 III 1
ZPO § 233
1. Die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG beginnt zu laufen, sobald auf Grund konkreter Anhaltspunkte bei zumutbarer und gehöriger Sorgfalt erkennbar ist, dass die Klagefrist (möglicherweise) nicht eingehalten ist.

2. Im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist auf den Kenntnisstand des Prozessbevollmächtigten des Klägers abzustellen, d.h. auf dessen Kennen oder Kennenmüssen. Das Hindernis ist damit bereits dann behoben, wenn dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der Ladung zum Gütetermin eine gerichtliche Mitteilung hinsichtlich des Datums des (verspäteten) Klageeingangs zugeht.

3. § 233 ZPO ist auf § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG auch nicht entsprechend anwendbar.

4. Zur Überprüfungs- und Hinweispflicht des Gerichts bei verspätetem Klageeingang.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. September 2004 - 9 Ca 155/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen, mit der Maßgabe, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen wird.

Der Kläger hat die Beschwerdegebühr in Höhe von 40,00 Euro zu tragen.

Gründe:

I.

Im Hauptverfahren streiten die Verfahrensbeteiligten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung von Seiten der Beklagten vom 12. März 2004, die der Kläger am 12. März 2004 erhalten hat.

Die Kündigungsschutzklage vom 31. März 2004 (der zugehörige Briefumschlag ist mit dem Datum des 31. März 2004 frei gestempelt gewesen) ist ausweislich des Eingangsstempels (Blatt 1 d.A.) am 05. April 2004 beim Arbeitsgericht eingegangen.

Am 06. September 2004 hat die Kammervorsitzende Herrn Rechtsanwalt A. angerufen und diesen auf "die Verfristung nach Aktenlage" hingewiesen (Vermerk Bl. 85 Rückseite d.A.).

Darauf hat der Klägervertreter im Kammertermin vom 08. September 2004 erklärt, er habe am 28. April die Ladung des Gerichts erhalten, in der das Eingangsdatum der Klage mit "05. April 2004" angegeben gewesen sei (Protokoll Bl. 91 f. d.A.).

In der Kammerverhandlung vom 08. September 2004 hat der Klägervertreter zudem den Schriftsatz vom 07. September 2004 überreicht, in dem primär Wiedereinsetzung in den früheren Stand und hilfsweise nachträgliche Zulassung der Klage gemäß § 5 KSchG beantragt ist.

Für den erstinstanzlichen Vortrag zur Begründung dieser Anträge und die Mittel der Glaubhaftmachung wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 07. September 2004 mit der eidesstattlichen Versicherung von Frau R. vom 07. September 2004 (Bl. 106 bis 111 d.A.) sowie den Schriftsatz vom 14. September 2004 mit der eidesstattlichen Versicherung der Frau S. vom 08. September 2004 (Bl. 112 bis 120 d.A.) und den Schriftsatz vom 20. September 2004 mit Anlage (Bl. 123 bis 125 d.A.). Für die Darstellung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf I. der Gründe des angefochtenen Beschlusses (Bl. 137 bis 139 d.A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss der Kammer vom 28. September 2004 (Bl. 136 bis 141 d.A.) den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Klägervertreter hätte bereits am 28. April 2004 mit Eingang der Ladung und dem darin enthaltenen Hinweis auf das Datum des Klageeingangs erkennen können und müssen, dass die Klagefrist des § 4 KSchG nicht gewahrt war. Die Antragsfrist von zwei Wochen sei keine Notfrist, so dass es gegen deren Versäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebe.

Der Beschluss ist den Klägervertretern am 05. Oktober 2004 zugestellt worden. Die dagegen gerichtet sofortige Beschwerde des Klägers ist am 11. Oktober 2004 beim Arbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe über seine Anträge unzutreffend entschieden. Für die Einzelheiten der Begründung wird verwiesen auf den Schriftsatz vom 15. November 2004 (Bl. 147 bis 154 d.A.).

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. September 2004 aufzuheben und die Kündigungsschutzklage des Klägers nachträglich zuzulassen,

hilfsweise, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 18. November 2004 (Leseabschrift Bl. 157 d.A.) der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beklagte tritt der sofortigen Beschwerde entgegen (vgl. dazu den Schriftsatz vom 16. Dezember 2004, Bl. 165 bis 167 d.A.). Eine Reaktion der Klägervertreter darauf gibt es trotz eines diesbezüglichen Fristverlängerungsantrags (Bl. 168 d.A.) und gewährter Fristverlängerung (Bl. 172 d.A.) nicht mehr.

II.

Die Entscheidung über die statthafte (§ 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG) und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde kann ohne mündliche Verhandlung (§ 78 Satz 1 ArbGG, §§ 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO) ergehen und wird vom Vorsitzenden allein getroffen (§ 78 Satz 3 ArbGG).

Die sofortige Beschwerde bleibt insgesamt ohne Erfolg.

Das Arbeitsgericht ist zunächst, was den in der Beschwerdeinstanz primär gestellten Antrag auf nachträgliche Klagezulassung angeht, (zutreffend) davon ausgegangen, dass die Klage nicht fristgerecht erhoben worden ist, und es ist daher über den Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung zu entscheiden.

Die Klage gegen die streitgegenständliche Kündigung kann nicht nachträglich zugelassen werden. Es fehlt, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, bereits an der Einhaltung der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG, was zur Unzulässigkeit des Antrags führt.

Die Ausführungen der Beschwerde vermögen daran nichts zu ändern.

Die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG beginnt bereits in dem Zeitpunkt, in dem auf Grund konkreter Anhaltspunkte bei zumutbarer und gehöriger Sorgfalt erkennbar ist, dass die Klagefrist (möglicherweise) nicht eingehalten ist (KR-Friedrich, 7. Aufl., § 5 KSchG Rz. 110 mit weit. Nachw.; ständige Kammerrechtsprechung seit dem Kammerbeschluss vom 04. Dezember 2002 - 15 Ta 203/02 -ArbuR 2004, 279; vgl. dazu auch BAG Urteil vom 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - EzA § 130 Nr. 16, zu II. der Gründe: das Kennenmüssen steht dem Kennen gleich).

Wurde die Ladung mit der Mitteilung über den Klageeingang wie geboten dem sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten mit der Handakte am 28. April 2004 vorgelegt - speziell zur erforderlichen Überprüfung, ob die Ladung zusätzliche gerichtliche Mitteilungen oder Hinweise enthält - (Gegenteiliges dazu ergibt die Beschwerdebegründung nicht), war hier danach in diesem Zeitpunkt unschwer erkennbar, dass die Klage verspätet eingegangen war.

Die Tatsache, dass die Kammervorsitzende den Klägervertreter erst am 06. September 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Klage verspätet eingegangen ist, entlastet den Kläger und den Klägervertreter insoweit nicht. Es besteht zunächst keine Rechtspflicht des Gerichts, eine Kündigungsschutzklage sogleich bei Klageeingang darauf zu überprüfen, ob die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt ist. Wird freilich bereits in diesem Stadium festgestellt, dass die Klage verspätet eingegangen ist, wird man dann abgeleitet aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens (dazu und zu einer daraus abgeleiteten gerichtlichen Hinweispflicht in anderem Zusammenhang LAG Berlin Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 6 Ta 2022/02 - LAGE § 139 ZPO 2002 Nr. 1) auch die Verpflichtung des Gerichts anzunehmen haben, die klagende Partei darauf hinzuweisen, wobei der vorliegende Fall keine Veranlassung bietet, dazu Stellung zu nehmen, wie rasch und mit welchen Mitteln dieser Hinweis zu erfolgen hat. Allerdings wäre es gewiss sachgerecht gewesen, wenn der Hinweis auf den verspäteten Klageeingang im Gütetermin erfolgt wäre. Dieser Gütetermin fand am 14. Mai 2004 statt (Protokoll Bl. 23 f. d.A.), doch hätte auch ein in diesem Termin gegebener Hinweis den Klägervertreter nicht mehr in den Stand gesetzt, die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG einzuhalten, die angesichts des Eingangs der Ladung am 28. April 2004 zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB).

Schließlich entlastet es den Kläger nicht, dass die Nichteinhaltung der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG allein seinem Prozessbevollmächtigten anzulasten ist.

Abzustellen ist nämlich bezüglich des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG auf den Kenntnisstand des Prozessbevollmächtigten (§ 166 Abs. 1 BGB). Dies ist grundsätzlich allgemeine Meinung, gilt aber auch hier (ständige Kammerrechtsprechung seit dem Kammerbeschluss vom 04. Dezember 2002 - 15 Ta 203/02 - ArbuR 2004, 279), und zwar auch dann, wenn man im Rahmen der Prüfung des Verschuldens gem. § 5 Abs. 1 KSchG Verschulden von Prozessbevollmächtigten nicht zurechnet (so grundlegend bereits der Kammerbeschluss vom 10. September 2002 - 15 Ta 98/02 - EzA-SD 2003 Nr. 2, 21 mit weit. Nachw.; vgl. im Übrigen zum Meinungsstand KR-Friedrich, 7. Aufl., § 5 KSchG Rz. 112). Es besteht kein Anlass, diese Interpretation des § 5 Abs. 1 KSchG, die Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht zurechnet, auszudehnen oder ausstrahlen zu lassen auf die Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG (so allerdings KR-Friedrich, 7. Aufl., § 5 KSchG Rz. 112 unter Hinweis etwa auf Wenzel, ArbuR 1976, 326; ähnlich wie hier LAG Hamm Beschluss vom 24. September 1987 - 8 Ta 95/87 - LAGE § 5 KSchG Nr. 31, allerdings mit einer Differenzierung, die nicht überzeugt, auf die es hier aber ohnehin nicht ankommt).

Der hilfsweise gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig.

Er ist außerhalb des Anwendungsbereiches des § 233 ZPO gestellt, keine der in § 233 ZPO aufgeführten Fristen ist hier betroffen, und eine analoge Anwendung des § 233 ZPO auf die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG scheidet aus, da § 5 KSchG eine in sich abgeschlossene Regelung darstellt (vgl. dazu BAG Urteil vom 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - EzA § 130 BGB Nr. 16, zu II. a.E. der Gründe; LAG Köln Beschluss vom 14. März 2003 - 4 Ta 3/03 - LAGE § 5 KSchG Nr. 106a, zu II. der Gründe mit weit. Nachw.; KR-Friedrich, 7. Aufl., § 5 KSchG Rz. 122 f. mit weit. Nachw.). § 5 KSchG enthält gerade anders als § 233 ZPO keine Regelung des Inhalts, dass eine Wiedereinsetzung auch hinsichtlich der Versäumung der Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag gem. § 234 Abs. 1 ZPO möglich ist (LAG Köln a.a.O.).

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Hierzu zählt auch die Gerichtsgebühr in Höhe von 40,00 Euro (Nr. 8613 des Kostenverzeichnisses zum GKG n.F.).

Eine Wertfestsetzung von Amts wegen ist nicht erforderlich. Für den Fall, dass ein Antrag auf Festsetzung des Wertes gestellt wird, ist beabsichtigt, den Wert entsprechend der ständigen Kammerrechtsprechung auf den Betrag eines Bruttomonatsverdienstes (3.024,13 Euro) festzusetzen.

Die Möglichkeit einer Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht (BAG Beschluss vom 20. August 2002 - 2 AZB 16/02 - EzA § 5 KSchG Nr. 34).

Ende der Entscheidung

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