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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.05.2003
Aktenzeichen: 16 Sa 134/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 342
ZPO § 345
ZPO § 514
Erlässt das Arbeitsgericht gegen die säumige Partei ein zweites Versäumnisurteil nach § 345 ZPO, obgleich die Voraussetzungen hierfür mangels Säumnis im Einspruchstermin nicht vorgelegen haben und nur ein (erneutes) erstes Versäumnisurteil hätte ergehen dürfen, so ist auf die Berufung der säumigen Partei das arbeitsgerichtliche Urteil in ein erstes Versäumnisurteil abzuändern und die Sache zur Verhandlung über den in der Berufung liegenden Einspruch an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 16 Sa 134/03

Verkündet laut Protokoll am 12. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 16, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... Hattesen als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrmann und Lachmann als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das 2. Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 13. November 2002 - 3 Ca 979/01 - abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

»Versäumnisurteil

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 10.09.2001 - 3 Ca 979/01 - wird aufrechterhalten.

Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert wird auf € 8.362,01 festgesetzt.«

Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Arbeitsgericht Wiesbaden zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erheben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Zahlungsverpflichtungen der Beklagten an den Kläger nach den Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe in Höhe von DM 16.354,67.

Nachdem der Kläger im arbeitsgerichtlichen Termin vom 10.08.2001 gegen die ordnungsgemäß geladene, aber nicht erschienene Beklagte ein klagezusprechendes Versäumnisurteil erwirkt und die Beklagte gegen dieses ihr am 09.10.2001 zugestellte Versäumnisurteil mit einem am 15.10.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt hatte, verhandelten die Parteien im Einspruchstermin vom 08.05.2002 streitig unter Stellung der Anträge. Am Schluss der Sitzung wurde der Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 25.09.2002 bestimmt. Zu diesem auf den 13.11.2002 verlegten Termin erschien die Beklagtenseite nicht. Auf Antrag des Klägers verkündete das Arbeitsgericht ein zweites Versäumnisurteil, wonach der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 10.09.2001 verworfen wird.

Gegen dieses zweite Versäumnisurteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 12.05.2003 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, sie sei am 13.11.2002 nicht schuldhaft säumig gewesen. Noch am 13.11.2002 habe sie unter Vorlage eines ärztlichen Attestes dem Arbeitsgericht mitgeteilt, dass ihr Geschäftsführer wegen eines Unfalls nicht erscheinen könne. Bei dieser Sachlage treffe sie kein Verschulden an der Terminsversäumung. Im Übrigen hätte ein zweites Versäumnisurteil nicht ergehen dürfen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden wird aufgehoben und die Sache an das zuständige Arbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, die Beklagte habe eine schuldlose Versäumung des Einspruchtermins nicht hinreichend dargetan.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 12.05.2003 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

Unerheblich ist, dass nach § 514 Abs. 2 ZPO die Berufung gegen ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch nicht statthaft ist (sog. zweites Versäumnisurteil) nur darauf gestützt werden kann, dass der Fall schuldhafter Versäumung nicht vorgelegen habe. Selbst wenn man zu Lasten des Klägers unterstellt, dass ein Fall schuldloser Versäumung des arbeitsgerichtlichen Termins vom 13.11.2002 nicht schlüssig dargelegt und damit den Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO nicht Genüge geleistet ist, schadet das im vorliegenden Fall nämlich nicht. Das Berufungsgericht muss nämlich nach § 522 ZPO von Amts wegen die Zulässigkeit eines Rechtsmittels überprüfen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung tatsächlich ein zweites Versäumnisurteil ist, gegen das die Berufung nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO zulässig ist.

Genau dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die Voraussetzungen des § 345 ZPO für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils haben am 13.11.2002 nicht vorgelegen. Die Beklagte war nämlich nicht, wie es § 345 ZPO voraussetzt, im Einspruchstermin oder in dem Termin, auf den dieser ohne Verhandlung zur Hauptsache nach §§ 227, 335, 337 ZPO verlegt wurde, säumig, sondern in einem späteren, im Einspruchstermin zur Fortsetzung der Verhandlung bestimmten Termin, nachdem nach Erlass des ersten Versäumnisurteils streitig verhandelt worden war. In einem solchen Fall konnte und durfte am 13.11.2002 kein zweites Versäumnisurteil sondern nur ein erstes Versäumnisurteil ergehen, gegen das der Beklagten der Einspruch, nicht aber die Berufung gem. § 514 Abs. 2 ZPO zugestanden hätte (vgl. Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 345 RdZiff. 2).

Da das am 13.11.2002 ergangene Versäumnisurteil als zweites Versäumnisurteil bezeichnet und eine darauf abzielende Rechtsmittelbelehrung (Berufung) beigefügt war, ist es der Beklagten dennoch nicht verwehrt, dieses Urteil mit der Berufung anzugreifen. Denn Entscheidungen, die in unrichtiger Form erlassen werden, können nach dem Meistbegünstigungsprinzip sowohl mit dem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel, das ihrer Form entspricht, als auch mit demjenigen angegriffen werden, das bei verfahrensrechtlich korrekter Entscheidung gegeben wäre (vgl. Musielak/Ball, a.a.O., vor § 511 RdZiff. 31). Einer Partei soll und darf nämlich durch die Wahl einer inkorrekten Entscheidungsform kein Nachteil entstehen.

Schließlich ist die Berufung auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte nur Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht beantragt hat. Denn in einem derartigen Antrag liegt in der Regel, von der hier keine Ausnahme ersichtlich ist, die Weiterverfolgung des bisherigen Sachbegehrens, hier der Klageabweisung, als Ziel des Rechtsmittels (vgl. Kammerurteil vom 30.05.1994 - 16 Sa 1745/93 - NZA 1995, 239 (240) m.w.N.).

In der Sache hat die Berufung insoweit Erfolg, als das arbeitsgerichtliche Urteil in ein erstes Versäumnisurteil abzuändern und die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen ist.

Weil am 13.11.2002 ein Fall der Säumnis vorgelegen und die Klägerseite den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt hatte, war auszusprechen, dass das frühere Versäumnisurteil aufrechterhalten wird (§§ 331, 343 Satz 1 ZPO). Ob der Beklagten an der Terminsversäumung schuldhaftes Verhalten anzulasten ist, spielt keine Rolle. Diese Frage unterliegt einer Prüfung durch das Berufungsgericht nur, wenn es sich tatsächlich um ein zweites Versäumnisurteil handelt. Das ist, wie ausgeführt, nicht der Fall.

Durch die Neufassung des Versäumnisurteils vom 13.11.2002 ist der Prozess im Ergebnis in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis am 13.11.2002 befunden hat (§ 342 ZPO). Die eingelegte Berufung hat ohne weiteres zugleich die Wirkung eines beim Arbeitsgericht eingelegten Einspruchs (vgl. OLG Frankfurt am Main 06.06.1991, NJW-RR 1992, 1468 (1469); OLG Köln 03.02.1995, NJW-RR 1996, 581).

Soweit teilweise die Ansicht vertreten wird, in einem Fall wie dem vorliegenden liege erst aufgrund des abändernden Urteils des Berufungsgerichts nunmehr erstmals ein korrektes erstes Versäumnisurteil vor, gegen das der Säumige jetzt Einspruch einlegen müsse (vgl. OLG Nürnberg 08.12.1981, OLGZ 1982, 447 (449); OLG Karlsruhe 17.09.1991, NJW-RR 1993, 383 (384)), kann das nicht überzeugen. Mit der Einlegung der Berufung hat die säumige Partei hinreichend klargestellt, dass sie gegen das ergangene Urteil vorgehen will. Erneut einen Einspruch zu fordern, wäre bei dieser Sachlage reine Förmelei. Das Prozessrecht will das materielle Recht verwirklichen, nicht dessen Durchsetzung vermeidbar hindern (vgl. BGH 01.12.1997, MDR 1998, 556). Auch Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sprechen dafür, die eingelegte Berufung gleichzeitig als Einspruch anzusehen. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, dem vom Arbeitsgericht erlassenen Urteil auch bei dessen, wie hier, vorgenommener Korrektur die ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung beizufügen, zumal dies zu zwei Rechtsmittelbelehrungen, einmal gegen die korrigierte tenorierte Entscheidung, zum anderen gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts führen würde. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung gegen das erste Versäumnisurteil hätte dann zur Folge, dass es der säumigen Partei möglich wäre, den Einspruch gegen das Versäumnisurteil innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Entscheidung einzulegen (§ 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG), wobei es nicht einmal sicher ist, ob die Zustellung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils der Zustellung des Versäumnisurteils gleich stände. Ein solches Ergebnis wäre widersinnig und weder im Interesse der Parteien noch in dem der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

Eine Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht ist unvermeidlich. Zum einen ergibt sie sich aus § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO, weil es sich bei dem angefochtenen Urteil um ein Versäumnisurteil handelt. § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO gilt, unbeschadet der Bestimmung des § 68 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren (vgl. BAG 01.03.1994, AP Nr. 10 zu § 9 ArbGG 1979). Zum anderen ist die Zurückverweisung zwingend erforderlich, weil der Rechtsstreit durch den von der Beklagten, wie ausgeführt, mit der Berufungseinlegung verbundenen Einspruch nach § 342 ZPO vor dem Arbeitsgericht fortzusetzen ist. Dieses wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.

Da nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar wahrscheinlich ist, dass die Beklagte durch die fehlerhafte Urteilsbezeichnung und die unrichtige Rechtsmittelbelehrung zur Einlegung der Berufung veranlasst worden ist, sind gem. § 8 Abs. 1 GKG keine Gerichtskosten zu erheben.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision war nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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