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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.11.2005
Aktenzeichen: 16 Sa 711/05
Rechtsgebiete: TVG, VTV/Bau


Vorschriften:

TVG § 1
VTV/Bau § 1 II
Ein Betrieb, der ausschließlich in Steinbrüchen Bohrarbeiten zur Vorbereitung von Sprengungen durchführt, ist kein Betrieb des Baugewerbes iSd für allgemeinverbindlich erklärten tariflichen Regelungen des Baugewerbes (Anschluss an BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/01).
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. Februar 2005 - 7 Ca 1417/04 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Auskunftsverpflichtungen der Beklagten nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für den Zeitraum Januar 2003 bis Juni 2004.

Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Die Beklagte, die einen Mitarbeiter beschäftigt, unterhält einen Betrieb, von dem ausschließlich in Steinbrüchen Bohrungen zur Vorbereitung von Sprengungen vorgenommen werden. Zur Winterbauförderung wird die Beklagte nicht herangezogen..

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe im gesamten Klagezeitraum einen baugewerblichen Betrieb im Sinne der Bautarifverträge unterhalten, weil Bohrarbeiten ausdrücklich im Beispielskatalog der betrieblichen Geltungsbereichsbestimmungen der Bautarifverträge genannt seien. Demzufolge schulde die Beklagte die tariflich normierten Auskünfte

Der Kläger hat beantragt,

1. ihm auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,

1.1 wie viel gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2003 bis Juni 2004in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind.

2. Für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an den Kläger folgende Entschädigung zu zahlen: € 13.920,00.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, bei den von ihr durchgeführten Bohrarbeiten handele es sich nicht um bauliche Tätigkeiten im tariflichen Sinne, weil diese Arbeiten in keinem baulichen Zusammenhang ständen. Die Vorbereitung der Zerstörung von Gesteinsmassen habe mit baulichen Tätigkeiten nichts zu tun.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 02. Februar 2005 der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 52 bis 59 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagten innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 28. November 2005 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Sie verfolgt ihren auf Klageabweisung gerichtetes Begehren in vollem Umfang weiter und wiederholt und vertieft ihre Ansicht, wonach die von ihr durchgeführten Bohrarbeiten nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge fielen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung, verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 28. November 2005Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache hat die Berufung Erfolg. Die Klage ist abzuweisen, weil es für das Klagebegehren keine Rechtsgrundlage gibt.

Die in § 21 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) in der für die Kalenderjahre des Klagezeitraums gültigen Fassung festgelegte Auskunftsverbindlichkeit trifft die Beklagte für den Klagezeitraum nicht. Denn dieser Tarifvertrag galt in dieser Zeit nicht für die Beklagte. Diese unterhielt nämlich keinen Betrieb, der unter den betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fällt. Die von ihr durchgeführten Bohrarbeiten sind keine baulichen Leistungen i.S.v. § 1 Abs.2 VTV.

Nach § 1 Abs. 2 S.2 VTV fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages "Betriebe des Baugewerbes". Nach § 1 Abs. S.2 sind das alle Beitriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen. Nach § 1 Abs.2 Abschn. V gehören zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben z.B. diejenigen, in denen Arbeiten der in den Folgeziffern von Abschn. V aufgeführten Art ausgeführt werden.

Mit dieser Ausgestaltung der betrieblichen Geltungsbereichsbestimmungen bringen die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes erkennbar zweierlei zum Ausdruck:

Zum einen wird der Wille der Tarifvertragsparteien deutlich, dass sie mit den von ihnen abgeschlossenen Tarifverträgen nicht jeden Betrieb erfassen wollen, in dem im allgemeinen Wortsinn "Bauarbeiten" verrichtet werden. Denn erfasst werden sollen nur "Betriebe des Baugewerbes", also nur solche Betriebe, die terminologisch dem "Baugewerbe" zuzurechnen sind (vgl. BAG 20. April 1988, AP Nr. 95 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Das schließt es aus, den weiten Begriff von "Bauleistungen" zugrunde zu legen, der dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, nach dem hierunter alles zu verstehen ist, was planmäßig zusammengefügt bzw. errichtet wird, z.B. auch die Herstellung einer Geige (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1980 Band 1 S, 531 ["bauen"]). Zum anderen müssen die vom Betrieb durchgeführten Tätigkeiten auch gewerblich geleistet werden. Das zeigt sich nicht nur darin, dass § 1 Abs.2 S.1 VTV von Betrieben des Baugewerbes spricht. Verdeutlicht wird dies unmissverständlich dadurch, dass die Abschnitte. I bis III ausdrücklich von der gewerblichen Erstellung von Bauten (Abschn. I) bzw. von Betrieben sprechen, die bauliche Leistungen "gewerblich" erbringen. Das kann nur bedeuten, dass die Gewerbsmäßigkeit der Tätigkeit ein allgemeines Tatbestandsmerkmal der betrieblichen Geltungsbereichsbestimmungen ist, welches unabhängig von den Detailregelungen der Abschn. I bis III vorliegen muss (vgl. BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/04 m.w.N.; Kammerurteil v. 23. August 2004 - 16/10 Sa 510/03).

Bei den von der Beklagten durchgeführten Bohrarbeiten handelt es sich nicht um solche, die dem Bereich des "Gewerbes" zuzuordnen sind.

Was sie unter dem von ihnen verwendeten Begriff "gewerblich" verstanden wissen wollen, haben die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nicht selbst definiert. Verwenden indessen die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag einen Begriff, der in der Rechtsterminologie eine bestimmte vorgegebene Bedeutung hat, dann ist davon auszugehen, dass sie ihn auch in ihrem Regelungsbereich, sofern sie nicht selbst etwas anderes bestimmen, in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden und angewandt wissen wollen (vgl. BAG 12. März 1986, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschifffahrt). Danach muss davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes den von ihnen als Wortbestandteil von "Baugewerbe" verwendeten Begriffsteil, nämlich den des "Gewerbes", nicht anders als den in Abschn. I bis II verwendeten Begriff "gewerblich", in seiner allgemeinen Bedeutung als Fachbegriff des öffentlichen Rechts, insbesondere des Gewerberechts, verwenden und angewendet wissen wollen (vgl. BAG 20. April 1988, 24. August 1994 und 11. März 1998 AP Nr. 95, 181und 204 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Der Begriff des Gewerbes ist historisch gewachsen und wird demgemäß in der Gewerbeordnung und dem sonstigen Gewerberecht als vorgegeben angesehen und zugrunde gelegt. In seiner Bedeutung ist er in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und in der Rechtslehre nicht umstritten, sondern als feststehend anerkannt. Dieser dem staatlichen Gewerberecht und insbesondere der GewO zugrunde liegende Gewerbebegriff, den die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in Bezug genommen haben, umfasst alle erlaubten selbständigen Tätigkeiten, die auf nachhaltige Gewinnerzielung gerichtet sind und fortgesetzt ausgeübt werden, unter Ausschluss der Urproduktion (vgl. BAG 20.04.1988, 26.04.1989 und 11.03.1998 jeweils a.a.O; BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/04).

Die von der Beklagten durchgeführten Bohrarbeiten sind der Urproduktion zuzurechen.

Urproduktion ist nichts anderes als die Gewinnung von rohen Naturerzeugnissen. Dazu zählt die Gewinnung Mineralien aller Art und damit auch der Bergbau (vgl. BAG 16.08.1982, AP Nr. 42 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Landmann/Rohmer/Mercks, GewO, Stand Mai 2003, § 6 Rz 44; Friauf/Repkewitz, GewO, Stand Januar 2003, § 6 Rz 68; Tetlinger/Wank, GewO, 6. Aufl. 1999, § 6 Rz 30). Zu bergbaulichen Arbeiten gehört auch das von der Beklagten vorgenommene Bohren von Sprenglöchern in Steinbrüchen. Denn diese Bohrungen dienen dazu, den zu gewinnenden Stein anschließend aus dem Fels zu sprengen, um ihn sodann der weiteren Bearbeitung zuzuführen.

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist Bergbau die Gewinnung von Bodenschätzen, die auf ihrer natürlichen Lagerstätte zur unmittelbaren Verwertung, zum Verkauf oder auch nur zur Weiterverwertung abgebaut werden. Dazu ist auch der Betrieb eines Steinbruchs zu rechnen (vgl. BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/04; Koch, Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, 1994 Rz 98).

Die bergbauliche Tätigkeit des Gewinnens von Bodenschätzen umfasst nicht nur die eigentliche Kerntätigkeit des unmittelbaren Abbaus. Vielmehr zählt zum "Gewinnen von Bodenschätzen" auch die mit dem Lösen und Fördern zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten (vgl. Kammerurteil vom 15.10.1990 - 16 Sa 348/90). Berufskundlich werden herkömmlicherweise solche begleitenden Tätigkeiten schon immer dem Beruf des Bergmanns zugerechnet (vgl. Klassifizierung der Berufe, Berufstätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland, Ausgabe 1966, Nr. 2111). Bestätigt wird diese Sicht durch § 4 Abs. 2 Bundesberggesetz (BBergG), das eben diese vorgenannten begleitenden Tätigkeiten den Tätigkeiten des Gewinnens von Bodenschätzen zuordnet.

Genau um solche Tätigkeiten handelt es sich bei den von der Beklagten durchgeführten Bohrarbeiten. Denn diese Bohrungen dienen dazu, den zu gewinnenden Stein anschließend aus dem Fels zu sprengen, um ihn sodann der weiteren Bearbeitung zuzuführen (Feldspatbohrungen). Das ist nichts anderes als eine, die Steingewinnung vorbereitende und damit bergbauliche Tätigkeit. (vgl. BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/04)

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass bergbauliche Tiefbohrungen wirtschaftssystematisch dem Bereich des Bauhauptgewerbes zugeordnet werden (vgl Statistisches Bundesamt, Systematik der Wirtschaftszweige mit Erläuterungen, Ausgabe 1979 Nr 300 77). Abgesehen davon, dass diese Einteilung sich nicht an dem von den Tarifvertragsparteien zugrunde gelegten Gewerbebegriff, sondern an den Bedürfnissen statistischer Erfassung orientiert und bereits deshalb im vorliegenden Fall nicht unmittelbar maßgeblich ist, werden solche Tiefbohrungen von der Beklagten nicht durchgeführt. Tiefbaulichen Bohrarbeiten sind bereits begrifflich solche Bohrarbeiten, die im Rahmen des Tiefbaus durchgeführt werden. Tiefbau ist ein Zweig des Baugewerbes, der das Errichten von Bauwerken zu ebener sowie in und unter der Erde umfasst (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch Bd. 6 1984 S.229; Meyers Lexikon der Technik und der exakten Naturwissenschaften Bd. 3 1970 S.2543; Meyers Enzyklopädisches Lexikon Bd. 32). Tiefbauliche Arbeiten liegen mithin nur vor, wenn diese dazu dienen, ein ober- oder unterirdisches Bauwerk zu errichten. Das ist bei den von der Beklagten durchgeführten Bohrarbeiten nicht der Fall.

Etwas anderes gilt schließlich auch nicht deshalb, weil die Tarifvertragsparteien im Beispielskatalog des § 1 Abs.2 Abschn. V Nr.6 VTV "Bohrarbeiten" ohne jede Einschränkung nennen.

Die Zuordnung der durchgeführten Tätigkeiten zu einem der in Abschn. V aufgeführten Beispielstätigkeiten ersetzt lediglich die Klassifizierung dieser Tätigkeiten als "bauliche Leistungen" iSd Abschnitte I bis III, nicht aber die Prüfung, ob die Tätigkeiten gewerblich durchgeführt werden. Wenn die Tarifvertragsparteien nämlich im Einleitungssatz des Abschn. V davon sprechen, dass diejenigen Betriebe, die Tätigkeiten des Beispielskatalogs ausführen, "zu den in Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören", nehmen sie damit auf die in Abschn. I bis III lediglich in allgemeiner und ausfüllungsbedürftiger Weise umschriebenen "baulichen Leistungen" Bezug. Das folgt aus dem erkennbaren Zweck des Beispielskatalogs. Sinn dieses Kataloges ist es nämlich, für die dort genannten Tätigkeiten jeden Zweifel auszuschließen, ob es sich um bauliche Leistungen i.S.d. allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III handelt. Zweck des Beispielskatalogs ist es dagegen nicht, auch das Merkmal der Gewerblichkeit der Tätigkeit zu fingieren. Jedes andere Verständnis würde nämlich die von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes gewollte Beschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs auf den Gewerbezweig des Baugewerbes und die damit gewollte Abgrenzung u.a. zum nicht gewerblichen Bereich des Bergbaus konterkarieren (vgl. BAG 03. August 2005 - 10 AZR 561/01; HessLAG 23. August 2004 - 16/10 Sa 510/03).

Da vom Betrieb der Beklagten danach im Klagezeitraum nicht arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten iSv § 1 Abs.2 VTV durchgeführt worden sind, kann der Kläger auch nicht die geforderten Auskünfte verlangen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterlegen ist (§ 91 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision war nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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