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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 05.07.2006
Aktenzeichen: 2 SaGa 632/06
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 940
ArbGG § 62 II
Einstweilige Verfügung auf Benachrichtigung über Einstellungsangebote an Bewerber des Ranglistenverfahrens für Einstellungen in den hessischen Schuldienst. Es bestand kein Verfügungsgrund, weil die Klägerin durch langes Zuwarten die Dringlichkeit selbst herbeigeführt hat.
Tenor:

Auf die Berufung des verfügungsbeklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. Februar 2006 - 4 Ga 3/06 - abgeändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um einen Unterrichtungsanspruch der Verfügungsklägerin gegen das verfügungsbeklagte Land im Zusammenhang mit dem für die Einstellung in den hessischen Schuldienst angewandten Ranglistenverfahren.

Die im Jahr 1952 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter von vier Kindern. Sie beendete ihr Lehramtsstudium im ersten Staatsexamen mit der Note 2 und legte nach dem Vorbereitungsdienst das zweite Staatsexamen mit der Note 3,1 für das Lehramt an Gymnasien mit den Fächern Germanistik und Politologie ab. Von Dezember 1990 bis Juni 1991 arbeitete sie aufgrund eines befristeten Vertrags als Krankheitsvertretung an der A in X. Von Dezember 1991 bis Juli 2001 erteilte sie als Angestellte der B im Rahmen eines unbefristeten Vertrag Deutschunterricht für Aussiedlerkinder an der C in X2. Seit August 2001 arbeitete sie als Vertretungskraft im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse an verschiedenen hessischen Schulen. Unterbrochen wurde diese Vertretungstätigkeit im Wintersemester 2002/2003 durch ein Zusatzstudium für evangelische Theologie für das Lehramt an Haupt- und Realschulen, welches sie im Oktober 2003 mit der Note 2 abschloss. Zur Zeit arbeitet die Verfügungsklägerin aufgrund eines zum 14. Juli 2006 befristeten Arbeitsvertrags an der C in X3. Mit dem Ziel des Erhalts einer Planstelle nimmt die Verfügungsklägerin seit vielen Jahren an dem Ranglistenverfahren der hessischen Schulen für das Lehramt an Gymnasien bzw. das Lehramt an Haupt- und Realschulen teil. Dieses Verfahren wird auf der Grundlage des Erlasses vom 7. April 2004 über das Einstellungsverfahren in den hessischen Schuldienst (Bl. 25-30 d.A.) von der Zentralstelle Personalmanagement Lehrkräfte (ZPM) bei dem Staatlichen Schulamt für den Landkreis D und die Stadt E abgewickelt. Der Ranglistenwert der Verfügungsklägerin beträgt für beide Schulzweige jeweils 9,3. Er setzt sich aus dem gewichteten Gesamtwert des 1. und 2. Staatsexamens und der Zusatzqualifikation von jeweils 13,3 abzüglich 4 Bonuspunkten (3 für nachgewiesene erfolgreiche Unterrichtstätigkeit sowie jeweils 0,5 Punkte für nachgewiesene mindestens zweijährige berufliche Tätigkeit und für ein Hochschulstudium bzw. das Zweitstudium) zusammen. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. Januar 2006 ließ die Verfügungsklägerin das verfügungsbeklagte Land auffordern, sie über das Ergebnis des Auswahlverfahrens so rechtzeitig zu benachrichtigen, dass sie in der Lage ist, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Das verfügungsbeklagte Land antwortete mit Schreiben vom 27. Januar 2006. Wegen des Inhalts beider Schreiben wird auf Bl. 12-14 d.A. Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin hat mit ihrer am 13. Februar 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen einstweiligen Verfügung Auskunft über zu erteilende Einstellungsangebote verlangt. Sie hat behauptet, ihr sei telefonisch von dem verfügungsbeklagten Land mitgeteilt worden, sie könne nicht mehr mit einer Einstellung rechnen, da sie bereits über 50 Jahre alt sei. Eine Rückfrage bei dem Staatlichen Schulamt F habe ergeben, dass sie aufgrund ihres Alters kein Anrecht mehr auf Einstellung auf eine Planstelle habe und deshalb auf der Rangliste jederzeit übergangen werde. Sie hat die Auffassung vertreten, einstweiliger Rechtsschutz sei geboten. Der Verfügungsgrund bestehe darin, dass eine endgültige Vereitelung der Erfüllung ihres Bewerberverfahrensanspruchs drohe, wenn sie nicht zeitnah über konkrete Einstellungszusagen informiert und ihr damit die Möglichkeit genommen werde, im Wege einer einstweiligen Verfügung eine gerichtliche Überprüfung der getroffenen Auswahlentscheidung herbeiführen zu können.

Die Verfügungsklägerin hat beantragt,

dem beklagten Land aufzugeben, sie über jedes Einstellungsangebot an Bewerber auf Einstellung in den hessischen Schuldienst mit der Qualifikation für das Lehramt für Gymnasien (Fächer: Deutsch und Sozialkunde) sowie für das Lehramt an Haupt- und Realschulen (Fächer: Deutsch, evangelische Religion, Sozialkunde) so rechtzeitig zu benachrichtigen, dass ihr eine Überlegungsfrist von zwei Wochen verbleibt, bis die Einstellung vollzogen wird. Die Benachrichtigung hat den Namen des ausgewählten Bewerbers und die wesentlichen Gründe für die getroffene Auswahlentscheidung zu enthalten.

Das verfügungsbeklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Ansicht vertreten, die Verfügungsklägerin sei nicht auf einstweiligen Rechtsschutz angewiesen, sondern könne das Hauptsacheverfahren durchführen. Auch habe sie im Rahmen des Ranglistenverfahrens keinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil keine Ermessensentscheidung getroffen werde, denn die Auswahl erfolge einzig mit Hilfe der EDV aufgrund der im Erlass vom 7. April 2004 genannten Faktoren.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat durch Urteil vom 28. Februar 2006 dem Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung stattgegeben. Es hat angenommen, es bestehe sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund. Hinsichtlich des Verfügungsgrundes gelte, dass ein abgelehnter Bewerber grundsätzlich die Möglichkeit haben müsse, vor Gericht die Beachtung seines Rechts effektiv zu nutzen. Nach erfolgter Ernennung des Mitbewerbers bzw. Abschluss eines Arbeitsvertrags stehe haushaltsrechtlich keine Stelle mehr zur Verfügung, so dass ein im Hauptsacheverfahren verfolgter Anspruch auf Durchführung eines erneuten Auswahlverfahrens und auf Einstellung nicht mehr durchgreifen könne. Der wesentliche Nachteil des unterlegenen Bewerbers bestehe in der Gefahr, dass die Stellenbesetzung für ihn durch die Einstellung des Konkurrenten unmöglich werde. Dieser Gefahr müsse er durch die Untersagung der Besetzung entgegentreten können. Was wiederum voraussetze, dass er die Auskunft über den bevorzugten Bewerber habe, weil sonst ins Blaue hinein geklagt werden müsse. Praktische Schwierigkeiten rechtfertigen es nicht, den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutz einzuschränken. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 38-43 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 13. März 2006 zugestellte Urteil wendet sich das verfügungsbeklagte Land mit seiner am 7. April 2006 eingelegten und am 9. Mai 2006 begründeten Berufung. Es verfolgt sein Begehren auf Antragsabweisung unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Es meint, der Unterschied des Ranglistenverfahrens zur normalen Stellenausschreibung rechtfertige die von ihm praktizierte Vorgehensweise im Ranglistenverfahren. Denn der hier nicht berücksichtigte Bewerber sei gerade nicht dem unterlegenen Bewerber bei ausgeschriebenen öffentlichen Stellen gleichzusetzen.

Das verfügungsbeklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. Februar 2006 - 4 Ga 3/06 - abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Die Verfügungsklägerin hat ihre Angaben durch eidesstattliche Versicherung vom 9. Februar 2006 (Bl. 17 f. d.A.) glaubhaft gemacht.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 5. Juli 2006 (Bl. 82 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des verfügungsbeklagten Landes gegen das am 28. Februar 2006 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Das verfügungsbeklagte Land hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufung hat auch Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das Arbeitsgericht mit gut nachvollziehbarer Begründung angenommen hat - ein Verfügungsanspruch gegeben ist.

Denn jedenfalls fehlt es nach Ansicht des Berufungsgerichts am Vorliegen eines Verfügungsgrundes im Sinne der §§ 935, 940 ZPO i.V.m. § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG für die begehrte einstweilige Verfügung.

Die Verfügungsklägerin hat die Dringlichkeit, ihre Ansprüche im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen, selbst herbeigeführt. Damit hat er sich widersprüchlich verhalten.

Nach ständiger Rechtsprechung kann durch langes Zuwarten eine Dringlichkeitsvermutung durch den Antragsteller selbst widerlegt werden (vgl. Hess. LAG vom 24. Februar 2005 - 14 SaGa 54/05; Zöller, ZPO § 940 Rn 4; Thomas-Putzo, ZPO, § 940 Rn 5, unter Hinweis auf umfangreiche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte).

Zwar muss ein Auswahlverfahren so ausgestaltet sein, dass es dem abgelehnten Bewerber im Rahmen einer zulässigen Konkurrentenklage ermöglicht wird, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Dieser darf grundsätzlich nicht vereitelt oder unzumutbar erschwert werden (vgl. BAG vom 21. Januar 2003 - 9 AZR 72/02, AP Nr. 59 zu Art. 33 GG m.w.H.). Deshalb muss ein unterlegener Bewerber ausreichende Kenntnis über die Entscheidungsgrundlagen haben, was nur durch eine schriftliche Dokumentation gewährleistet ist, die gleiche und zuverlässige Information verschafft. Denn wenn er keine oder nur lückenhafte Kenntnis hätte, könnte er nicht sachgerecht darüber entscheiden, ob er die Auswahlentscheidung hinnehmen oder gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen soll. Deshalb ist das Dokumentationsgebot für die Transparenz der Auswahlentscheidung unverzichtbar (vgl. BAG vom 21. März 2003 a.a.O.; Hess. VGH vom 10. Oktober 1989 - 1 TG 2751/89, ZBR 1990, 185 ; BVerwG vom 9. Dezember 1992 - 6 C 3/92, BVerwGE 91, 262 ). Ohne derartige Informationen - wie sie die Verfügungsklägerin in dem einstweiligen Verfügungsverfahren begehrt - kann sie daher keine sachgerechte Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen. Deshalb erkennt die Rechtsprechung im Bereich der sonstigen Stellenbesetzungsverfahren den Verfügungsgrund für den nicht berücksichtigten Bewerber auch an, weil der wesentliche Nachteil für den unterlegenen Bewerber in der Gefahr besteht, dass die Stellenbesetzung für ihn durch die Einstellung des Konkurrenten unmöglich wird.

Allerdings hat die Verfügungsklägerin nach ihrem eigenen Vorbringen schon langjährig am Ranglistenverfahren teilgenommen, unmittelbar ersichtlich aus der Akte seit Ende September 2004. Aufgrund der Ausgestaltung des Ranglistenverfahrens - wie sie sich aus dem Erlass vom 7. April 2004 ergibt - war ihr damit seit mindestens eineinhalb Jahren bekannt, dass sie als abgelehnte Bewerberin keine Informationen über die ausgewählten Bewerber und deren Daten für die Ranglisteneinstufung erhält, obwohl laufend Einstellungen nach diesem Verfahren in den hessischen Schuldienst erfolgen. Damit konnte die Verfügungsklägerin spätestens seit Herbst 2004 erkennen, dass sie weitere Informationen durch das beklagte Land benötigt. Gleichwohl hat sie über einen Zeitraum von rund 17 Monaten mit der Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens gewartet. Damit hat sie den Verfügungsgrund in Gestalt der Eilbedürftigkeit des Verfahrens aufgrund ihres eigenen Zuwartens selbst herbeigeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Verfügungsklägerin hat als die im Verfahren unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben. Die Revision ist nicht statthaft (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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