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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.11.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 1074/05
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT Vergütungsgruppe I a Fallgruppe 1
1) Der Begriff Facharzt wird durch die gesetzlichen Regelungen des Medizinalrechts vorgegeben. Auch wenn § 6 der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen die Bezeichnung "Facharzt für Sportmedizin" nicht vorsieht, ist diese in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erworbene Bezeichnung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzuerkennen. Dies gilt auch in Bezug auf die Eingruppierung.

2) Eine entsprechende Tätigkeit liegt nur vor, wenn die betreffenden Kenntnisse zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich sind. Dass diese nützlich oder erwünscht sind, reicht nicht aus.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17. März 2005 - 10 Ca 206/04 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin.

Die am 27. September 1951 geborene Klägerin ist seit 15. März 1990 als Amtsärztin bei dem Beklagten beschäftigt; insoweit wird auf den schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 6, 7 d.A.) Bezug genommen. Danach bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT). Die Klägerin erhielt Vergütung nach Vergütungsgruppe I b der Anlage 1 a zum BAT. Die Klägerin ist approbierte Ärztin und wurde in der ehemaligen DDR als Fachärztin für Sportmedizin staatlich anerkannt. Seit 01. August 1999 gliedert sich die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin von 38,5 Stunden wie folgt auf: 15,75 Stunden wöchentlich entfallen auf allgemeine schulärztliche Tätigkeiten. 16 Stunden wöchentlich entfallen auf die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen, die dem Hessenkader angehören, am Leistungskurs Sport der Klassen 12 und 13 im Gymnasium teilnehmen oder mehrmals wöchentlich in einer Sportart intensiv trainieren. Dies umfasst eine sportärztlich-klinische Befunderhebung, Spirometrie (Lungenfunktionsprüfung), Fahrradergometrie, Auswertung mit entsprechenden Hinweisen, ggf. Beobachtung und Kontrolle. 6,5 Wochenstunden der Arbeitszeit der Klägerin entfallen auf die Erteilung von Schulsportbefreiungen.

Mit Schreiben vom 20. September 2003 hat die Klägerin die Eingruppierung in Vergütungsgruppe I a BAT verlangt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei in Vergütungsgruppe I a Fallgruppe 1 BAT als Fachärztin mit entsprechender Tätigkeit nach 8-jähriger ärztlicher Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b BAT eingruppiert. Sowohl bei der Untersuchung von Leistungssportlern (16 Stunden wöchentlich) als auch der Erteilung von Schulsportbefreiungen (6,75 Wochenstunden) handele es sich um sportärztliche Tätigkeiten. Ihr stehe daher für die Zeit vom 01. Dezember 2001 bis 30. August 2004 die Differenz zwischen den Vergütungsgruppen 1 a und 1 b BAT in Höhe von monatlich € 278,83 brutto, insgesamt € 9.201,39 brutto, zu.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 9.201,39 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13. Oktober 2004 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei bereits keine Fachärztin im Sinne des BAT. § 14 Abs. 1 Satz 3 Bundesärzteordnung, der auf landesrechtliche Vorschriften verweise, sehe einen Facharzt für Sportmedizin nicht vor. Selbst wenn diese Facharztbezeichnung bei Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09. März 2000 - 1 BvR 1662/97 - geführt werden dürfe, folge hieraus für die Eingruppierung nichts. Es fehle jedenfalls an der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit sowie an der erforderlichen 8-jährigen ärztlichen Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b BAT.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin als Fachärztin im Sinne des BAT anzusehen sei. Sie übe keine "entsprechende Tätigkeit" im Sinne der Vergütungsgruppe 1 a BAT aus. Die Klägerin habe nicht dargelegt, weshalb die Untersuchung von Leistungssportlern sowie die Erteilung von Schulsportbefreiungen eine Facharztausbildung erforderten. Ihre Zusatzqualifikation möge sie besonders befähigen, alle Aufgaben bei dem Beklagten, die im Zusammenhang mit Sport stehen, wahrzunehmen. Dies bedeute jedoch nicht zwangsläufig, dass diese Tätigkeiten von einem Arzt, der nicht Facharzt sei, nicht fachgerecht erfüllt werden könnten. Soweit die Klageforderung den Zeitraum vor März 2003 betreffe, sei sie nach § 70 BAT verfallen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem Rechtsmittel der Berufung. Sie beschränkt die Klageforderung auf einen Betrag von € 5.018,94 (Gehaltsdifferenz zwischen Vergütungsgruppe I a und I b BAT für die Zeit vom 01. März 2003 bis 31. August 2004). Sie behauptet, Anträgen auf Schulsportbefreiungen lägen fast immer spezielle Probleme auf orthopädischem und/oder internistischem bzw. kardiologischem Fachgebiet zugrunde. Dies betreffe über 75% der Sportbefreiungsanträge. In diesen Fällen seien die fachorthopädischen Spezialkenntnisse der Klägerin gefordert. Gleiches gelte für Untersuchungen auf internistischem Gebiet wie Lungenfunktionsprüfungen und Fahrradergonomie. Ohne die in der ärztlichen Weiterbildung zum Facharzt vermittelten Kenntnisse sei eine Beurteilung von Anträgen auf Schulsportbefreiung nicht möglich. Nichts anderes gelte hinsichtlich der Untersuchung von Leistungssportlern. Unter Verstoß gegen § 286 ZPO habe das Arbeitsgericht kein Sachverständigengutachten eingeholt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17. März 2005 - 10 Ca 206/04 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 5.018,94 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13. Oktober 2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Die Klägerin habe weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht neue Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Beurteilung ihres Begehrens rechtfertigten. Weder für die Erteilung von Schulsportbefreiungen noch für die Untersuchung von Leistungssportlern sei eine spezielle Facharztqualifikation erforderlich. Diese könnten vielmehr von Allgemeinmedizinern durchgeführt werden. Weder erstinstanzlich noch in ihrer Berufungsbegründung habe die Klägerin zum Ablauf der 8-jährigen Bewährungszeit vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat in Ergebnis und Begründung zutreffend die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist nicht in Vergütungsgruppe I a BAT eingruppiert.

1.

Nach § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT). Für die Eingruppierung der Klägerin sind deshalb die nachfolgenden Tätigkeitsmerkmale für Ärzte der Anlage 1 a zum BAT maßgebend:

Vergütungsgruppe I a:

1. Fachärzte mit entsprechender Tätigkeit nach 8-jähriger ärztlicher Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b.

Vergütungsgruppe I b:

1. Fachärzte mit entsprechender Tätigkeit.

2. Die gesamte Tätigkeit der Klägerin ist als einheitlicher Arbeitsvorgang zu bewerten. Durch die Vereinbarung des Funktionsmerkmals "Facharzt" haben die Tarifvertragsparteien mit für die Gerichte bindender Wirkung bestimmt, dass bei diesem tariflichen Tätigkeitsmerkmal alle Tätigkeiten tarifrechtlich einheitlich bewertet werden sollen und deshalb auch als ein Arbeitsvorgang anzusehen sind (vgl. BAG 07. Juni 2006 - 4 AZR 225/05 - zu I. 4. d.Gr., m.w.N.; 19. Januar 2000 - 4 AZR 837/98 - zu 3. d.Gr.). Die Klägerin ist danach in Vergütungsgruppe I a BAT eingruppiert, wenn sie Fachärztin ist und mit mindestens der Hälfte ihrer gesamten Arbeitszeit (vgl. § 22 Abs. 2 BAT) auf ihrem Fachgebiet tätig ist und eine 8-jährige ärztliche Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b BAT vorliegt.

3. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.

a) Zwar ist die Klägerin Fachärztin im Sinne von Vergütungsgruppe I a Fallgruppe 1 BAT. Die Tarifvertragsparteien des BAT verwenden mit dem Begriff Facharzt einen Rechtsbegriff, der durch die gesetzlichen Regelungen des Medizinalrechts der Bundesrepublik Deutschland vorgegeben ist (BAG 06. August 2003 - 4 AZR 443/02 - zu II. 5. a) d.Gr.). § 14 Abs. 1 Satz 3 Bundesärzteordnung bestimmt, dass sich die Berechtigung zur weiteren Führung einer im Zusammenhang mit der Anerkennung als Facharzt verliehenen Bezeichnung durch den Inhaber einer in Satz 2 genannten Approbation, die am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitritts eine solche Bezeichnung in den in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebieten führen dürfen, nach Landesrecht richtet. Zwar sieht § 6 der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen die Bezeichnung "Facharzt für Sportmedizin" nicht vor. Für die Weiterbildungsordnung des Landes Baden-Württemberg hat das Bundesverfassungsgericht jedoch mit Beschluss vom 09. März 2000 - 1 BvR 1662/97 - entschieden, dass die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Bezeichnung "Facharzt für Sportmedizin" auch dann anzuerkennen ist, wenn sie nicht in der Weiterbildungsordnung aufgeführt ist. Dies gilt auch für die Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen. Die in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlangte Facharztbezeichnung der Klägerin ist daher anzuerkennen. Diese Anerkennung bezieht sich nicht lediglich, wie der Beklagte meint, auf das Führen der Bezeichnung "Fachärztin für Sportmedizin", sondern gilt umfassend und damit auch in Bezug auf die tarifliche Eingruppierung. Dies ergibt sich daraus, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff Facharzt im Sinne der gesetzlichen Regelungen des Medizinalrechts verwenden, wozu auch die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählt. Die Tarifvertragsparteien unterscheiden damit gerade nicht zwischen dem Facharzt im medizinalrechtlichen Sinne und dem Facharzt im tariflichen Sinne. Ist die von der Klägerin in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlangte Facharztbezeichnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzuerkennen, gilt dies nicht nur insoweit, als sie berechtigt ist, die Facharztbezeichnung zu führen, sondern auch in Bezug auf die tarifliche Eingruppierung. Die Klägerin ist damit Fachärztin im Sinne von Vergütungsgruppe I a BAT.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt die Voraussetzung "mit entsprechender Tätigkeit" vor, wenn die Tätigkeit der Ausbildung des betreffenden Angestellten entspricht. Die Tätigkeit muss die Fähigkeit erfordern, die ein einschlägig ausgebildeter Angestellter hat. Nicht ausreichend ist es, wenn die entsprechenden Kenntnisse des Angestellten für seinen Aufgabenbereich lediglich nützlich oder erwünscht sind; sie müssen vielmehr im zuvor erläuterten Sinn zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich sein (BAG 06. August 2003 - 4 AZR 443/02 - zu II. 5. b) bb) bbb) (1) d.Gr.; 19. Januar 2000 - 4 AZR 837/98 - zu 4. a) d.Gr.). Bereits das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht im Einzelnen dargelegt hat, welche ihrer Facharztkenntnisse notwendig sind, um die Untersuchung von Leistungssportlern sowie die Erteilung von Schulsportbefreiungen vornehmen zu können. Zwar möge es sein, dass ihre Zusatzqualifikation sie besonders befähige, alle Aufgaben bei dem Beklagten, die im Zusammenhang mit Sport stehen, wahrzunehmen. Dies bedeute jedoch nicht zwangsläufig, dass die Tätigkeiten von einem Arzt, der nicht Facharzt ist, nicht fachgerecht ausgeführt werden können. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin ihren Vortrag insoweit nicht vertieft, sondern lediglich (erneut) darauf hingewiesen, dass über 75% der Sportbefreiungsanträge auf orthopädischen Problemen beruhten. Hier seien die fachorthopädischen Spezialkenntnisse der Klägerin gefordert. Gleiches gelte für Untersuchungen auf internistischem Gebiet wie Lungenfunktionsprüfung und Fahrradergonomie. Welche konkreten fachorthopädischen Kenntnisse die Klägerin hierfür benötigt, hat sie auch in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer nicht aufgezeigt. Insoweit reicht auch die Aufzählung der in der Weiterbildung zum Facharzt vermittelten Unterrichtsinhalte nicht aus, da nicht deutlich wird, inwieweit diese Eingang in die tägliche Arbeit finden. Die Klägerin hat nicht anhand von Beispielen dargelegt, dass und welche Kenntnisse, die durch die Qualifizierung zur Fachärztin für Sportmedizin erworben wurden, für ihre Tätigkeit im Vergleich zu einem Arzt ohne Facharztqualifikation erforderlich sind.

c) Auch das Erfordernis einer 8-jährigen ärztlichen Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b BAT liegt nicht vor. Die Klägerin hat lediglich behauptet, seit 01. August 1999 als Fachärztin für Sportmedizin mit entsprechender Tätigkeit für den Beklagten tätig geworden zu sein. Bezogen auf den Klagezeitraum (01. März 2003 bis 31. August 2004) liegt damit eine 8-jährige ärztliche Tätigkeit in Vergütungsgruppe I b BAT nicht vor.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt, § 72 Abs. 2 ArbGG. Insbesondere liegt dem Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde.

Ende der Entscheidung

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